Die Mails der Schichtplan-Fibel halten Dich etwa alle vier Wochen auf dem Laufenden – mit Urteilen, Geltendmachungen, Werkzeugen, Tipps, Seminarangeboten.
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betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Das Wochenfrei (12.05.2023)
Diesmal berichten wir über -
⊗ das Wochenfrei
⊗ den freien Sonntag
⊗ die Einladung zur gemeinsamen Online-Beratung darüber (Zoom)
Das Wochenfrei |
➽ Vorweg
Die Regeln sind einfach: |
In jeder Woche bleibt mindestens ein Tag frei von jeglicher Beschäftigung durch den Arbeitgeber. Das ist ein unmittelbarer Anspruch der Arbeitnehmer gegenüber ihrem Arbeitgeber (→EuGH Urteil 06.11.2018 − C-684/16; Randnummer 73). Anspruchsgrundlage ist die Grundrechtecharta aus dem Jahr 2010:
Charta der Grundrechte der Europäischen Union – (GRC) ⇒ 2010/C 83/02 |
In jeder Woche bleibt mindestens ein Tag frei von jeglicher Beschäftigung durch den Arbeitgeber. Das ist ein unmittelbarer Anspruch der Arbeitnehmer gegenüber ihrem Arbeitgeber (⇒ EuGH Urteil 06.11.2018 − C-684/16; Randnummer 73).
Die Grundrechtecharta verspricht solche Rechte seit dem Jahr 2010. Sie gilt auch in Deutschland.
Bislang wurde nicht gerichtlich entschieden, ob Du auf eines Deiner Grundrechte verzichten kannst. Genügt etwa der konkrete Wunsch Einzelner? Darf das Wochenfrei in die Folgewoche verschoben werden, zur Verblockung von Freischichten?
Vieles spricht dagegen. Unser Ziel bleibt: Mehr freie Tage.
Erst 10 Stunden, dann 24 Stunden |
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat festgestellt, dass
»ein Arbeitnehmer, dem eine wöchentliche Ruhezeit gewährt wird, auch Anspruch auf eine tägliche Ruhezeit hat, die dieser wöchentlichen Ruhezeit vorausgeht.«
⇒ EuGH Urteil 02.03.2023 – C-477/21 (abschließender Leitsatz Nummer 3)
Das leuchtet ein. Erst die Belastung, dann die Erholung. Auf die Belastung mit Arbeitszeit folgt zunächst die werktägliche Erholungsruhe.
Mit etwas neuer Kraft kann danach für einen freien Tag, der wöchentlichen Ruhezeit, das Leben beginnen.
Hellsichtig dichtete Bert Brecht – im Jahre 1932 für den Film ›Kuhle Wampe‹ – über das gemeinsame Wochenendvergnügen am Wannsee –
Erstens sind hier nicht wir alle,
zweitens ist es nur ein Tag,
wo die Arbeit einer Woche
uns noch in den Knochen lag.
Fällt der freie Tag, das Wochenfrei, auf den Sonntag, also auf den letzten Tag der Kalenderwoche? Dann endet die Arbeitszeit spätestens am Samstag um 14 Uhr. Denn – so der EuGH – die tägliche Ruhezeit muss zunächst auf die werktägliche Arbeitsbelastung folgen, als unmittelbare Erholung.
Davon gesondert ist das Wochenfrei zu betrachten. Es dient nicht bloß der Erholung von den vorausgehenden Schichten. Es bietet ein wenig freies Leben.
Diese arbeitsfreien 24 Stunden (ein Tag) muss der Arbeitgeber noch vollständig bis vor dem Schluss der Woche (Sonntag 24 Uhr) gewähren.
Vielleicht können die Betriebsparteien festlegen, dass im Betrieb die Tage immer erst um 6 Uhr morgens beginnen, von da an 24 Stunden dauern.
Vielleicht können sie auch festlegen, dass die Tage des Wochenfrei zu selben Zeit wie der vorausgehende Werktag beginnen.
Solche Fragen wurden bislang den Arbeitsgerichten nicht vorgelegt … Die meisten Betriebsparteien haben dies bislang nicht so vereinbart.
Doch ⇒ § 2 Nummer 8 NachwG erwartet das von ihnen.
Die Woche – ein fester Blick auf sieben Tage |
Das Wochenfrei kann auf jeden Wochentag fallen. Eventuell bleibt – nach einer Ruhezeit am vorausgehenden Sonntag – der Montag frei Beschäftigung. Der Arbeitgeber verlangt nicht einmal eine Rufbereitschaft. In dieser Kalenderwoche hat der Arbeitgeber diesen Anspruch auf das Wochenfrei erfüllt.
Es reicht der Grundrechtecharta, wenn dann in der Folgewoche das Wochenfrei erst zum Abschluss der Kalenderwoche, also am Sonntag gewährt wird.
Damit kann der Arbeitgeber – etwas theoretisch – bis zu zwölf Dienste in Folge abrufen, vom Dienstagmorgen der einen Woche bis zum Samstagmittag der Folgewoche.
Der EuGH legte bereits vor sechs Jahren Art. 5 Abs. 1 der EU-Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG so aus,
»dass die kontinuierliche wöchentliche Mindestruhezeit von 24 Stunden, auf die ein Arbeitnehmer Anspruch hat, […] innerhalb jedes Siebentageszeitraums gewährt wird.«
⇒ EuGH Urteil 19.11.2017 – C-306/16 abschließender Leitsatz
Arbeitgeber hören das mit den zwölf Diensten in Folge gern. Sie hören weg, wenn ihnen für ihre Schicht- und Nachtarbeitnehmer:innen die Arbeitswissenschaftler:innen
dann neue Grenzen ziehen: Nicht mehr als sieben Schichten in Folge (⇒ Leitlinien aufgrund § 6 Abs. 1 ArbZG).
Der freie Sonntag |
Die Väter des deutschen Arbeitszeitgesetzes kannten im Jahre 1994 die Grundrechtecharta noch nicht.
Auch nicht die Rechtsprechung des EuGH zur europäischen Arbeitszeitrichtlinie.
So nahmen sie den deutschen Sonntag und verboten den Arbeitgebern, uns an diesem – in Deutschland besonderen – Tag zu »beschäftigen« (§ 9 ArbZG).
Bei diesem freien Sonntag kann es sich um das – heute europaweit versprochene – Wochenfrei handeln.
Doch, anders als die Grundrechtecharta und die EU-Arbeitszeitrichtlinie – erlaubten sie in den Paragrafen 10 bis 13 jede Menge Ausnahmen.
Nicht alle Arbeitgeber müssen diesen freien Tag (Ruhetag) an einem Sonntag gewähren und den ersatzweisen freien Tag (Ersatzruhetag) auch nicht in dieser Woche.
Arbeitszeitgesetz (ArbZG) |
Wer an einem Sonntag Arbeitnehmer:innen beschäftigt, muss nur an einem der vorausgehenden 13 Tage oder der folgenden 13 Tage ersatzweise frei geben. Dieser Ersatzruhetag liegt also in einem Betrachtungszeitraum von insgesamt 27 Kalendertagen. Deshalb muss es sich beim Ersatzruhetag nicht zugleich um das Wochenfrei handeln.
Denn die EU-Grundrechtecharta betrachtet in Artikel 31 Abs. 2 die Woche, nicht wie das ArbZG 27 Tage.
Auch die – deutlich aufgeweichte – EU Arbeitszeitrichtlinie geht in ihrem Artikel 16 nicht annähernd weit genug: »Die Mitgliedstaaten können […] einen Bezugszeitraum vorsehen, und zwar a) für Artikel 5 (wöchentliche Ruhezeit) einen Bezugszeitraum bis zu 14 Tagen«.
Der EU-Mitgliedsstaat Deutschland hat im Arbeitszeitgesetz eben nicht den Siebentageszeitraum in einen Vierzehntageszeitraum verlängert. Für jeden Sonntag mit Arbeit müssen wir den Ersatzruhetag mühsam in einem Betrachtungszeitraum von 27 Tagen aufspüren.
Das Ersatzfrei für eine Sonntagsbeschäftigung mag dem Wochenfrei ähneln. Es handelt sich jedoch um den Ersatz für eine deutsche Besonderheit.
Und so ist auch der Ersatzruhetag selbst eine deutsche Spezialität.
Die Gesetzgeber hatten ein wichtiges kulturelle Anliegen – die seelische Erhebung für viele am selben Wochentag, dem Sonntag.
Kollektive Beratung |
Im Dienstplan wird die Arbeitszeit auf die Wochentage verteilt. Viele arbeiten von Montag bis Freitag.
Das gilt als normal. Doch in Kliniken und Heimen ist auch die Arbeit am Wochenende normal.
Dann fallen die freien Tage auf andere Wochentage. Wir beraten gemeinsam, wie das geht.
Schichtplan-Fibel. Jetzt erst recht. Das Wochenfrei – jede Woche ein freier Tag!.Montag, 15.05.2023 10 bis 12 Uhr |
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Es referiert und disputiert Tobias Michel ⊗ erstmal die tägliche Ruhezeit ⊗ in jeder Woche ⊗ und dann noch: Der Sonntag ⊗ Umsetzen in den Dienstplänen |
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betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Betriebsversammlungen (21.04.2023)
Diesmal berichten wir:
⊗ Betriebsversammlungen
⊗ eine online-Beratung dazu
Betriebsversammlungen |
➽ Vorweg
❍ Durch die Pandemie sind einige Interessenvertretungen aus dem Tritt gekommen. Sie versäumen die Einladung zur regelmäßigen Versammlung. Ihnen droht Amtsenthebung (⇒ ArbG Hamburg Beschluss 27.06.2012 – 27 BV 8/12). |
Keine Bewirtung |
»Einer Erschöpfung der Teilnehmer an seinen regelmäßig sechs- bis siebenstündigen Betriebsversammlungen kann der Betriebsrat auch dadurch vorbeugen, dass angemessene Pausenunterbrechungen stattfinden. Diese können von den Teilnehmern auch dazu genutzt werden, sich im erforderlichen Umfang mit Getränken und Speisen einzudecken und diese zu sich zu nehmen. Hierdurch wird eine weitere konzentrierte Teilnahme an der Betriebsversammlung ermöglicht, ohne zusätzliche Kosten für die Arbeitgeberin zu verursachen.«
⇒ LAG Nürnberg Beschluss 25.04.2012 – 4 TaBV 58/11 (Rn. 42)
Trotz Urlaub? |
»Der Kläger hat an dieser Betriebsversammlung (§ 42 BetrVG) teilgenommen. Aus urlaubsrechtlichen Gründen war er an der Teilnahme nicht gehindert. Er gehörte als Arbeitnehmer zum Betrieb und durfte deshalb darüber entscheiden, ob er an der Versammlung − etwa wegen ihrer Bedeutung für den Betrieb und die Arbeitnehmer − teilnehmen wollte. Er ist von der Aussprache der Belegschaft mit dem Betriebsrat nicht ausgeschlossen.«
»Die Zeit der Teilnahme ist wie Arbeitszeit zu vergüten.«
»Nehmen Arbeitnehmer des Betriebs an Versammlungen teil, die außerhalb ihrer persönlichen Arbeitszeit stattfinden, erhalten sie Lohn für die am gleichen Tage im Betrieb geleistete Arbeit nach § 611 Abs. 1 BGB.
Zusätzlich haben sie Anspruch auf Vergütung für die Zeit der Teilnahme an der Betriebsversammlung.« [§ 44 BetrVG]
⇒ BAG Urteil 05.05.1987 –
1 AZR 665/85
Transfer in die Praxis |
Stand auf der letzten Einladung zur Betriebsversammlung noch ein verwirrender Hinweis – »Ihre Teilnahme an unserer Versammlung ist Arbeitszeit«? Wir können das besser:
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Kollektive Beratung |
Wenn der Betriebsrat oder die MAV zur Betriebsversammlung einladen, bleiben manchmal viele Plätze leer. Kommen nur die, die nichts Wichtigeres haben? Wir diskutieren gemeinsam ein paar Tipps & Tricks.
Schichtplan-Fibel. Jetzt erst recht. Betriebsversammlung – Zur rechten Zeit ein volles Haus.Montag, 24.04.2023 10 bis 12 Uhr |
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Es referiert und disputiert Tobias Michel ⊗ Vorsicht: Zu wenig Versammlungen? ⊗ Vorsicht: Teilversammlungen ohne Zwang ⊗ Wer ist heute Arbeitgeber? ⊗ Die beste Zeit für den Beginn |
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betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Höflichkeit – Alleinarbeit (16.03.2023)
Diesmal berichten wir:
⊗ Höflichkeit und ihre Folgen
⊗ Alleinarbeit
⊗ eine online-Beratung dazu
Zaghaft geltend gemacht? |
➽ Vorweg:
Ein höflicher Stil im Umgang mit dem Arbeitgeber sollte sich auf die Anrede und den abschließenden freundlichen Gruß beschränken. |
Der Fall |
Die Parteien streiten über einen Anspruch eines Kollegen (Ambulanz) auf Zahlung einer Pflege-Zulage im TV-L. Seine Vorgesetzte schreibt für sich und fünf weitere Betroffene als Email:
»… im Rahmen der Tariferhöhung sollte es eine gesonderte Erhöhung für examinierte Pflegekräfte geben. Auf meine Nachfrage vor ein paar Monaten wurde mir gesagt, dass es uns 5 (oben genannt mit mir) auch zusteht.
Laut dem letzten Info- Brief sollte dieses nun mit der Gehaltsabrechnung im Juli 2019 erfolgen.
Diese Zahlung hat aber keiner von uns erhalten. Laut Kollegen auf dem Campus ist in anderen Ambulanzen/Funktionen aber erfolgt.
Wir bitten um Klärung und Rückmeldung.«
Die Entscheidung |
Die Klage hatte Erfolg. Jedoch nur nur teilweise. Denn es gab einen dummen Fehler.
(Rn. 26) Die Gewährung der Zulage setzt dementsprechend nur voraus, dass es sich bei dem Beschäftigten um einen Pfleger oder Pflegehelfer iSd. Teils IV Abschnitt 1 EntgO handelt und dieser an einer Universitätsklinik beschäftigt ist. Weitere Anspruchsvoraussetzungen bestehen nicht, insbesondere sind keine bestimmten oder besonderen pflegerischen Leistungen zu erbringen[…]. Auch auf den Einsatzort innerhalb der Universitätsklinik kommt es nicht an […].
(Jedoch, so Rn. 36) war die E-Mail von Frau B als Ambulanzfachleitung […] nicht geeignet, die Ausschlussfrist nach § 37 Abs. 1 TV-L zu wahren […] Mit der E-Mail wird nicht unmissverständlich eine Forderung erhoben, sondern nur eine Bitte ›um Klärung und Rückmeldung‹ geäußert. Letztlich bezweckt die E-Mail ihrem Wortlaut nach nur die Beseitigung einer Unsicherheit bezüglich der Tarifänderung. Dies stellt keine ordnungsgemäße Geltendmachung iSd. § 37 Abs. 1 Satz 1 TV-L dar.
⇒ BAG Urteil 19.01.2023 – 6 AZR 62/22
Transfer in die Praxis |
Insbesondere im öffentlichen Dienst neigen unsere Kolleginnen dazu, ihre Ansprüche unterwürfig geltend zu machen. Sie berichten über »Auffälligkeiten« in ihren Entgeltabrechnungen. Sie bitten um die »gelegentliche Überprüfung« ihrer Eingruppierung.
Sie schlagen einen so vorsichtigen Ton an, denn sie hoffen auf das Wohlwollen derer, die sie fürchten.
Wir raten ihnen dringend, hier klar und unmissverständlich zu schreiben: »Sie haben mir zustehende Ansprüche nicht beglichen. Ich mache diese Differenz geltend.«
Alleinarbeit? |
DGUV Regel 100-001: 2.7.2: Alleinarbeit
Eine Person führt Arbeiten allein aus, also außerhalb der Ruf- und Sichtweite zu anderen Personen.
DGUV Regel 100-001: 2.7.1 : Gefährliche Alleinarbeit liegt vor:
Kollektive Beratung |
Wer in einer Schicht allein, ohne eine weitere Kollegin arbeiten soll, fürchtet nicht nur, dass die Ablösung für eine Pause fehlt.
Schichtplan-Fibel. Jetzt erst recht. Alleinarbeit – Oft unzulässig, weil gefährlichMontag, 20.03.2023 10 bis 12 Uhr |
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Es referiert und disputiert Tobias Michel ⊗ Alleinarbeit – ein Stolperstein im Mutterschutz ⊗ Alleinarbeit – dann keine Betten schieben ⊗ Alleinarbeit – und Gefahren ⊗ FASI, ASA und Sicherheitsbeauftragte für uns aktivieren |
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betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Mitbestimmen (25.02.2023)
Diesmal berichten wir:
⊗ ohne Mitbestimmen – keine Arbeitspflicht
⊗ der Rahmendienstplan
⊗ eine online-Beratung dazu
Die Hürde für den Chef |
➽ Vorweg:
Besser eine Interessenvertretung wählen, einen Betriebsrat, Personalrat oder eine Mitarbeitervertretung. Denn die bloße Existenz (einer ansonsten vielleicht leblosen Gurkentruppe) ändert die Rechtslage: |
Ein Betriebsrat verlangt – mit Erfolg – eine Verfügung der Unterlassung von die Mitbestimmung verletzenden Dienstplänen durch die »D-klinik im Ostseebad A-Stadt«. Das Gericht begründet dies:
Das Grundmodell |
[Rn 47] Durch die zunehmende Flexibilisierung der Arbeitszeit in der betrieblichen Praxis ist das Bedürfnis entstanden, das Beteiligungsrecht auf alle Fragen auszudehnen, die die Festlegung der Arbeitszeit betreffen.
Das Mitbestimmungsrecht umfasst nach heutigem Verständnis daher ausnahmslos alle mit der Lage und Verteilung der Arbeitszeit verbundenen Fragen […]. Mitbestimmungspflichtig ist beispielsweise nicht nur die Frage, ob im Betrieb in einer oder mehreren Schichten (Diensten) gearbeitet werden soll, sondern auch die Festlegung der zeitlichen Lage jeder einzelnen Schicht (jedes einzelnen Dienstes).
Mitbestimmungspflichtig ist der gesamte Schichtplan (Dienstplan) und dessen nähere zeitliche Ausgestaltung bis hin zur Zuordnung der Arbeitnehmer zu den einzelnen Schichten bzw. Diensten […].
[Rn 48] Das Mitbestimmungsrecht dient nicht nur – wie die Arbeitgeberin meint – der Kontrolle der Einhaltung der gesetzlichen Grenzen der Heranziehung der Arbeitnehmer zur Arbeit, wie sie sich aus dem Arbeitszeitgesetz und ähnlichen Gesetzen ergeben, sondern es dient vor allem dem Zweck, die Interessen der Arbeitnehmer an der Lage ihrer Arbeitszeit und damit zugleich ihrer freien und für die Gestaltung des Privatlebens nutzbaren Zeit zur Geltung zu bringen […].
[Rn 48] Wie im gesamten Bereich der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten nach § 87 BetrVG ist die Beteiligung des Betriebsrats als gleichberechtigtes paritätisches Mitbestimmungsrecht ausgestaltet. Das bedeutet, der Arbeitgeber kann für keinen einzigen Arbeitnehmer (mit Ausnahme der Leitenden Angestellten im Sinne von § 5 Absatz 3 BetrVG und gegebenenfalls der Beschäftigten im Sinne von § 5 Absatz 2 BetrVG) Arbeitszeiten verbindlich festlegen, sofern dazu nicht positiv die Zustimmung des Betriebsrats vorliegt. Das ist schon wegen des notwendigen Willensbildungsprozesses innerhalb des Betriebsrats unabdingbar. […]
[Rn 51] Auf eine konkludente Zustimmung [Verhalten, das auf einen bestimmten Willen schließen lässt und eine ausdrückliche Willenserklärung rechtlich ersetzt] des Betriebsrats zu den Dienstplanentwürfen kann sich die beteiligte Arbeitgeberin nicht berufen. Im Bereich von § 87 BetrVG kann man nur in engen Grenzen von einer konkludenten Zustimmung des Betriebsrats zu mitbestimmungspflichtigen Maßnahmen ausgehen, denn der Arbeitgeber muss im Zweifel die vorherige Zustimmung des Betriebsrats nachweisen können.
Eine konkludente Zustimmung des Betriebsrats könnte man also allenfalls aus aktiven Handlungen des Betriebsrats ableiten, aus denen man schließen kann, der Betriebsrat habe die Maßnahme des Arbeitgebers gebilligt. Der Wunsch der Arbeitgeberin, aus einem Unterlassen des Betriebsrats eine konkludente Zustimmung zu den vorgelegten Planentwürfen ableiten zu wollen, ist mit den Grundsätzen der paritätischen Mitbestimmung nicht zu vereinbaren.
[Rn 54] Diese Feststellungen des Gerichts sind völlig losgelöst von der Frage, ob die Arbeitgeberin inzwischen ihre Dienstplanung IT-gestützt mit Hilfe des Programms »Time Office« betreibt. Die Fixierung der Beteiligten auf die Veränderungen im Prozess der Verabschiedung der Dienstpläne, die mit der Nutzung dieses Programms möglicherweise verbunden sind, verschleiert und verdunkelt nur die wahren Probleme der beteiligten Arbeitgeberin in ihrem Umgang mit dem beteiligten Betriebsrat im Rahmen der Dienstplanung.
Das Gericht möchte der beteiligten Arbeitgeberin allerdings dringend empfehlen, es für die nähere Zukunft dabei zu belassen, dass dem Betriebsrat die Entwürfe der Dienstpläne in Papierform zur Zustimmung vorgelegt werden, auch wenn dies angesichts der Nutzung des Programms an sich überflüssig erscheint.
Dies ist in der momentanen Situation anzuraten, da dadurch das Beteiligungsverfahren besser strukturiert wird und für beide Seiten klar wird, zu welchem Zeitpunkt die Arbeitgeberin das Stadium der Vorplanung verlassen hat und sich abschließend festgelegt hat, wie sie den Dienstplan für die kommende Planungsperiode gestalten will.
⇒ LAG Mecklenburg-Vorpommern Beschluss 10.11.2015 – 2 TaBVGa 5/15
Überwachen? Und wünschen! |
[Rn 63] Dieses Mitbestimmungsrecht hat der [Betriebsrat] nicht schon mit Abschluss der nachwirkenden Rahmenbetriebsvereinbarung ausgeübt. Aus der Rahmenbetriebsvereinbarung ergeben sich Vorgaben für die Dienstplangestaltung. Eine personelle Zuordnung einzelner Arbeitnehmer*innen insoweit, als dass erkennbar ist, wer zu welchen Zeiten zu arbeiten hat und wer nicht, ergibt sich daraus nicht. Damit ergibt sich daraus auch nicht, ob die Vorgaben wie Schichtabfolgen und freie Wochenenden eingehalten sind. […]
[Rn 89] Die Mitbestimmung im Rahmen des § 87 Abs. 1 BetrVG ist nicht lediglich Gesetzes- oder Tarifvollzug. Im Gegenteil. Der Einleitungssatz der Vorschrift macht deutlich, dass soweit nur Gesetzes- und Tarifvollzug vorzunehmen wäre, ein Mitbestimmungsrecht ausgeschlossen wäre. Das Mitbestimmungsrecht greift überhaupt erst ein, wenn Handlungsmöglichkeiten gegeben sind, die nicht vom Gesetz oder Tarifvertrag determiniert sind. Es ist nicht zu beanstanden, dass der [Betriebsrat] die [Arbeitgeberin, das Helios Klinikum Erfurt] schon 2017 davon in Kenntnis gesetzt hat, welche Wünsche für die Dienstplangestaltung er diesbezüglich hat.
⇒ LAG Thüringen Beschluss 23.02.2022 – 4 TaBV 17/19
Rahmenpläne |
[Rn 25] Das Beteiligungsrecht umfasst bei Rahmendienstplänen wie den vorliegenden nicht nur deren Erstellung und Ausgestaltung bezogen auf Beginn und Ende der Arbeitszeit sowie die Lage der Pausen, sondern auch die Bestimmung desjenigen Personenkreises, der seine Arbeitsleistung danach zu erbringen hat. Darüber hinaus erfasst das Mitbestimmungsrecht auch die Zuordnung der einzelnen Arbeitnehmer zu einem mitbestimmten Dienstplan […].
[Rn 27] Das Mitbestimmungsrecht gilt auch für neu eingestellte Arbeitnehmer. Es setzt entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin nicht die Aufnahme der Arbeit an einem vom Arbeitgeber zugewiesenen Arbeitsplatz voraus. Zudem werden die Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 BetrVG nicht durch die Mitwirkungsrechte des Betriebsrats in den personellen Angelegenheiten verdrängt. […]
⇒ BAG Beschluss 22.08.2017 – 1 ABR 3/16
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Kollektive Beratung |
Die Dienstpläne gehören also »in Papierform« auf den Tisch des Gremiums, ebenso die Wunschbücher. Macht uns das wirklich froh?
Schichtplan-Fibel. Jetzt erst recht. Mitbestimmen – wie soll das gehen? |
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betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Bereitschaftsdienst (30.01.2023)
Diesmal berichten wir über
⊗ Bereitschaftsdienst
⊗ und eine online-Beratung dazu
Vertragswidrig, ordnungswidrig, illegal |
➽ Zugespitzt:
An einer der vier Hürden scheitert fast jeder Bereitschaftsdienst : |
Bereitschaftsdienst ist Arbeitszeit |
Für Beamte (hier: Polizeibeamte) …
⇒ BVerG 29.04.2021 – 2 C 18.20
… und für Normalsterbliche:
[Rn 21] Nach der Rechtsprechung des EuGH ist Bereitschaftsdienst, den ein Arbeitnehmer in Form persönlicher Anwesenheit im Betrieb des Arbeitgebers leistet, in vollem Umfang als Arbeitszeit iSv. Art. 2 der Richtlinie 2003/88/EG anzusehen. Das gilt ohne Rücksicht darauf, welche Arbeitsleistung der Betroffene während dieses Bereitschaftsdienstes tatsächlich erbringt.
Eine andere Bewertung ergibt sich nur dann, wenn der Dienst in der Weise geleistet wird, dass der Arbeitnehmer ständig erreichbar ist, ohne jedoch zur Anwesenheit an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort verpflichtet zu sein (Rufbereitschaft). Für die arbeitsschutzrechtliche Bewertung des Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit ist ohne Bedeutung, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmern einen Ruheraum zur Verfügung stellt, in dem sie sich aufhalten können (EuGH 9. September 2003 – C-151/02 – [Jaeger] Rn. 64, aaO). Darüber hinaus hat der Gerichtshof ausgeführt, für die Abgrenzung zwischen Arbeits- und Ruhezeit komme es nicht auf Anzahl und Umfang der tatsächlichen Arbeitseinsätze während des Bereitschaftsdienstes an […]
⇒ BAG Urteil 23.06.2010 – 10 AZR 54
Bereitschaftsdienst ist keine Ruhezeit |
[Rn 22] Danach ist für die Abgrenzung von Arbeits- und Ruhezeit im Sinne des ArbZG darauf abzustellen, ob sich die Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhalten müssen, um gegebenenfalls sofort ihre Leistung erbringen zu können.
⇒ BAG Urteil 23.06.2010 – 10 AZR 54
Bereitschaftsdienst ist keine Pause |
Pausen sind kein Bereitschaftsdienst |
[Rn 11] Auch Bereitschaftsdienst ist […] Arbeitszeit iSv. § 2 ArbZG […]. Dementsprechend ist Bereitschaftsdienst bei der Bestimmung der Dauer von gesetzlichen Ruhepausen als Arbeitszeit zu berücksichtigen […]
[Rn 12] Die inaktiven Zeiten des Bereitschaftsdienstes stellen keine Pausen iSv. § 4 ArbZG dar.
Beim Bereitschaftsdienst kann der Arbeitgeber den Aufenthaltsort des Arbeitnehmers bestimmen und ihn jederzeit einsetzen.
Der Arbeitnehmer kann nicht frei darüber verfügen, wo und wie er seine Ruhepausen verbringt. Das steht einer Pause, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Arbeitnehmer frei über die Nutzung
des Zeitraums bestimmen kann (st. Rspr., BAG 13. Oktober 2009 – 9 AZR 139/08 – Rn. 30 mwN ), entgegen […].
⇒ BAG Urteil 16.12.2009 – 5 AZR 157/09
Artikel. 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union |
Nur zusätzlich! |
[Rn 17] Bezogen auf die regelmäßige Arbeitszeit ist der Bereitschaftsdienst eine zusätzliche Leistung (Breier / Dassau/ Kiefer/ Lang / Langenbrinck TVöD Stand Dezember 2013 Teil B 1 § 7 Rn. 28; Burger in Burger TVöD/TV-L 3. Aufl. § 7 Rn. 36; BeckOK TVöD / Dannenberg Stand 1. Januar 2013 TVöD-BT-K § 45 Rn. 6). Er kann nicht anstatt der regelmäßigen Arbeitszeit angeordnet werden […].
[Rn 32] Der Schichtplan des Klägers könnte zB vorsehen, dass die Dauer des nächtlichen Bereitschaftsdienstes in einem solchen Maß verkürzt wird, dass die Schichtzeiten vor und nach dem Bereitschaftsdienst bereits 39 Wochenstunden [im TVöD-B West] umfassen.
⇒ BAG Urteil 17.01.2019 – 6 AZR 17/18
Kollektive Beratung |
Was seit Jahrzehnten abverlangt wurde, verletzt die Schutzgesetze und Verträge. Stellen wir einmal gemeinsam die betriebliche Praxis auf den Prüfstand:
Schichtplan-Fibel. Jetzt erst recht. Bereitschaftsdienst: Ist das Kunst oder kann das weg? |
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betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Streik ; Urlaubsgrundsätze (20.01.2023)
Diesmal berichten wir über
⊗ Ausstempeln und die Folgen
⊗ Überarbeit und die Folgen
⊗ unsere Einladung zum Gespräch
⊗ Urlaubsgrundsätze
Streiken ohne Folgen? |
➽ Zugespitzt:
❍ Mehrstunden, Überstunden oder Zusatzschichten während eines Streiks fallen der Streikwirkung in den Rücken. |
In Gleitzeit gestreikt |
Ist nach einer Betriebsvereinbarung über die gleitende Arbeitszeit der Stand des Gleitzeitkontos auf der Grundlage der vom Arbeitnehmer geschuldeten Arbeitszeit zu berechnen, so folgt hieraus, wenn die Betriebspartner nichts anderes bestimmen, daß Zeiten außer Betracht bleiben, in denen die Arbeitspflicht wegen Teilnahme an einem Arbeitskampf geruht hat. Arbeitskampfbedingte Ausfallzeiten führen nicht zu einer Belastung des Gleitzeitkontos, sondern zu einer Minderung des Arbeitsentgelts.
⇒ BAG Urteil 30.08.1994 – 1 AZR 765/93
Ausgestempelt? Versehentlich nicht gestreikt |
Hat sich ein Arbeitnehmer im Rahmen einer Gleitzeitregelung in zulässiger Weise aus dem betrieblichen Zeiterfassungssystem abgemeldet und anschließend an einer Warnstreikkundgebung teilgenommen, vermindert sich seine vertragliche Sollarbeitszeit nicht um die Zeit der Kundgebungsteilnahme. Dementsprechend verringert sich der Lohnanspruch nicht.
⇒ BAG Urteil 26. 7. 2005 – 1 AZR 133/04
Bei Streik: Keine Anspruch auf Überstundenvergütung |
[§ 7 Abs. 7 TVöD-V]
[Rn 10] Die am Streiktag ausgefallene Arbeitszeit von 8,5 Stunden ist den tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden nicht fiktiv hinzuzurechnen. […]
[Rn 13] Hiernach hat die Klägerin keinen Anspruch auf Überstundenzuschläge aus § 8 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a TVöD, da sie in der Arbeitswoche vom 8. bis zum 14. Februar 2010 keine über ihre dienstplanmäßig festgesetzten Arbeitsstunden von 38,5 Stunden hinausgehende Arbeitsleistung erbracht, sondern tatsächlich nur 34 Stunden gearbeitet hat. Die Zeit der Teilnahme am Warnstreik ist bei der Berechnung des Überstundenzuschlags nicht als zuschlagspflichtige Arbeitszeit zu bewerten, da sie in dieser Zeit keine Arbeitsstunden »geleistet« hat.
⇒ BAG Urteil 14.05.2013 – 1 AZR 178/12
Hinweis: Es handelt sich in diesem Fall gar nicht um einen Streik, sondern lediglich um verschoben geleistete (nachgearbeitete) Arbeitszeit.
Am Streiktag: Verlust an Mitbestimmung |
Will der Arbeitgeber während eines Streiks in seinem Betriebe für arbeitswillige Arbeitnehmer aus streikbedingten Gründen vorübergehend die betriebsübliche Arbeitszeit verlängern, so bedarf er hierzu nicht der Zustimmung des Betriebsrats. Der Betriebsrat ist in einem solchen Falle gehindert, sein an sich gegebenes Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG auszuüben. Das gilt sowohl bei einem rechtmäßigen als auch bei einem rechtswidrigen Streik.
⇒ BAG Urteil 24.04.1979 – 1 ABR 43/77
Hinweis: Die Mitbestimmungsrechte bei einer vorübergehenden Verlängerung der Arbeitszeit vor oder nach einem Streik bleiben unbeschadet. Wenn eine Interessenvertretung also ihre Hausaufgaben rechtzeitig gemacht hat, kann sie dem unfreiwilligen Streikbruch durch »Vor- oder Nacharbeit« einen Riegel vorschieben.
Kollektive Beratung |
Diesmal geht es nicht nur um die Wurst. Es geht um den Ausgleich der Teuerung. Unsere Zukunft bekommen wir nicht für umsonst.
Schichtplan-Fibel. Jetzt erst recht. Online: Streik (im öD) und Dienstplan |
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Urlaubsgrundsätze |
➽ Zugespitzt:
❍ Betriebsräte bestimmen jede »Aufstellung allgemeiner Urlaubsgrundsätze und des Urlaubsplans« mit (§ 87 Abs. 1 Nummer 5 BetrVG). |
Endlich … |
Das Bundesverwaltungsgericht klärte am Beispiel des LPVG NRW: der Mitbestimmungstatbestand »Aufstellung des Urlaubsplans« umfasst auch die Mitbestimmung über die »allgemeinen Urlaubsgrundsätze« als einen vorgelagerten Vorgang im Zuge dieser Aufstellung.
⇒ BVerwG Beschluss 21.09.2022 – 5 P 17.21 (noch nicht unmittelbar zugänglich).
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Transfer in die Praxis |
❍ Clever ist es, die Kolleginnen und Kollegen zu informieren: »Eure Interessenvertretung hat bislang keinen Einschränkungen Eurer Urlaubsanträge zugestimmt. Einseitige 'Urlaubsgrundsätze' Eurer Vorgesetzten waren und sind also rechtsunwirksam.«
❍ Es gibt tatsächlich einen wichtigen Urlaubsgrundsatz, der den Kolleginnen und Kollegen nützen kann: »Urlaubsanträge bescheidet die Arbeitgeberin spätestens binnen 10 Tagen. Will die Arbeitgeberin einen Antrag abschlägig bescheiden, ohne die ausdrückliche Zustimmung der/des Antragssteller:in erhalten zu haben, unterliegt der Bescheid der Mitbestimmung durch die Interessenvertretung.«
Ohne Zustimmung der Interessenvertretung bleibt die Ablehnung zumindest rechtswidrig: § 87 Abs. 1 Nummer 5 BetrVG; § 78 Abs. 1 Nr. 11 BPersVG; Artikel 75 Abs. 1 Nr. 12 BayPersVG und ebenso in vielen anderen; § 42 k MVG.EKD.
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] AU; Streik (02.01.2023)
Diesmal berichten wir über
⊗ Arbeitsunfähigkeit
⊗ Entgeltfortzahlung
⊗ unsere Einladung zum Gespräch
AU und die Folgen |
➽ Zugespitzt:
❍ Krankheit kann arbeitsunfähig machen. |
Schuldhaft? |
1. Wird ein Arbeitnehmer infolge seiner Alkoholabhängigkeit arbeitsunfähig krank, kann nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht von einem schuldhaften Verhalten iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG ausgegangen werden.
2. Im Falle eines Rückfalls nach einer erfolgreich durchgeführten Therapie wird die Multikausalität der Alkoholabhängigkeit sich häufig in den Ursachen eines Rückfalls widerspiegeln und deshalb ein schuldhaftes Verhalten im Entgeltfortzahlungsrechtlichen Sinn nicht festzustellen sein. Da es jedoch keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt, die in diesem Fall ein Verschulden iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG generell ausschließen, kann nur ein fachmedizinisches Gutachten genauen Aufschluss über die willentliche Herbeiführung des Rückfalls geben.
⇒ BAG Urteil 18.03.2015 – 10 AZR 99/14
Binnen Stunden anrufen oder mailen |
Aus der Begründung:
Nach § 3 Satz 1 LFZG ist zu unterscheiden zwischen der Anzeige und der Nachweispflicht.
Die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer sind unverzüglich anzuzeigen. Der Begriff »unverzüglich« ist im Sinne des allgemeinen Rechtsverständnisses als »ohne schuldhaftes Zögern« (vgl. Legaldefinition in § 121 BGB) zu verstehen, wobei besondere Vorschriften über Form und Inhalt der Anzeige nicht bestehen, insbesondere verlangt das Gesetz nicht eine Unterrichtung durch den Arbeitnehmer selbst […]. Die unverzügliche Anzeige soll es dem Arbeitgeber ermöglichen, sich auf das Fehlen des Arbeitnehmers einstellen zu können […].
Die – spätere – Nachweispflicht steht daher hinter der Anzeigepflicht zurück. Wegen der Auswirkungen auf den Betriebsablauf hat der Arbeitgeber in aller Regel ein größeres Interesse an einer Schnellunterrichtung über die Arbeitsunfähigkeit als einem ärztlichen Nachweis darüber, ob die Behauptungen seines Arbeitnehmers zutreffen […].
Es wird daher zu Recht verlangt, es müsse sichergestellt sein, daß der Arbeitgeber jedenfalls am ersten Tage unterrichtet werde, und zwar durch Zugang der Anzeige, so daß das bloße Absenden einer Erklärung nicht genügt (vgl. […] § 3 Rz 3; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 6. Aufl., § 98 VI, S. 646 f.: In den ersten Arbeitsstunden am ersten Tag […]).
Zur Abgabe der Krankmeldung ist ein vorheriger Arztbesuch nicht notwendig. Es ist nämlich in diesem ersten Stadium der Anzeigepflicht nicht erforderlich, daß der Arbeitnehmer die Art der Erkrankung beschreibt […] Das Gesetz trägt dem auch in seiner Formulierung Rechnung. Es verlangt hinsichtlich des Nachweises der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit nicht den Beweis der Richtigkeit der früher erfolgten Anzeige des Arbeitnehmers, sondern fordert eine eigenständige – ärztliche – Bescheinigung der voraussichtlichen Dauer an sich.
Wenn aus der Verpflichtung der Anzeige der »voraussichtlichen« Dauer der Arbeitsunfähigkeit gefolgert wird, der Arbeitnehmer könne mit der Anzeige bis zur ärztlichen Diagnose zuwarten, wird der Regelungsgehalt der Vorschrift verkannt. Mit der »Anzeige« verlangt das Gesetz vom Arbeitnehmer nicht eine ärztlich gesicherte Diagnose, sondern eine Selbstdiagnose. Der Arbeitgeber soll sich, da der Nachweis durch Attest ohnehin binnen drei Tagen zu erfolgen hat, darauf einstellen können, ob der Arbeitnehmer demnächst wieder am Arbeitsplatz erscheint oder nicht.
⇒ BAG Urteil 31.08.1989 – 2 AZR 13/89
Eintreten der Arbeitsunfähigkeit während des Dienstes
1. Bei der Berechnung des Sechswochenzeitraums, während dessen der Arbeitgeber nach LFZG Art 1 § 1 Abs 1 S 1 den Lohn weiterzahlen muss, wird, wenn der Arbeiter während der Arbeitsschicht erkrankt, der angebrochene Tag nicht mitberechnet.
2. Erkrankt ein Arbeiter im Laufe der Arbeitsschicht, schließt sich die Lohnfortzahlung gem LFZG Art 1 § 1 Abs 1 S 1, wie die Gehaltszahlung beim Angestellten, nahtlos an die Lohnzahlung für geleistete Arbeit an. Der Arbeiter erhält für die verbleibende Zeit des Arbeitstages ebenfalls noch Arbeitsentgelt.
⇒ BAG Urteil 04.05.1971 – 1 AZR 305/70
Geld ohne Arbeit |
Bei dem Begriff »Lohnausfallprinzip« handelt es sich um einen Rechtsbegriff, der im juristischen Sprachgebrauch eine bestimmte Bedeutung hat, nämlich, dass dem Arbeitnehmer das Entgelt fortzuzahlen ist, das er verdient hätte, wenn die Arbeit nicht wegen Krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ausgefallen wäre (vgl. BAG, Urt. v. 16.07.2014 – 10 AZR 242/13, NZA 2015, 499; Urt. v. 09.10.2002 – 5 AZR 356/0, DB 2003, 1277). Bei der Vergütungsfortzahlung nach dem Lohnausfallprinzip sind damit auch die Zuschläge für Sonntags und Nachtarbeit zu zahlen. Das Entgeltfortzahlungsgesetz erlaubt zwar den Tarifvertragsparteien, alle tariflichen Zuschläge aus der Entgeltfortzahlung auszunehmen […], wenn sie aber die Anwendung des Lohnausfallprinzips vereinbaren, davon abweichend aber bestimmte Vergütungsbestandteile aus der Berechnung herausgenommen werden sollen, muss die klar und unmißverständlich zum Ausdruck kommen, weil es sich dabei um eine Ausnahme von dem sonst vereinbarten Lohnausfallprinzip handelt.
⇒ LAG Hamm Urteil 08.11.2017 – 2 Sa 756/17
Geld nach Zeitfaktor
Zu den Bemessungsgrundlagen iSv. § 4 Abs. 4 EFZG gehört zwar auch die Arbeitszeit. Damit ist allerdings die Arbeitszeit gemeint, für die der Arbeitnehmer in dem Zeitraum des § 3 Abs. 1 EFZG Arbeitsentgelt bekommen hätte, wenn er nicht an der Arbeitsleistung verhindert gewesen wäre, sondern gearbeitet hätte […].
Dieser für die Berechnung der Höhe der Entgeltfortzahlung maßgebliche Zeitfaktor kann abweichend von § 4 Abs. 1 EFZG festgelegt werden. So kann [durch Tarifvertrag] geregelt werden, ob die jeweils individuelle oder die betriebsübliche Arbeitszeit entgeltfortzahlungspflichtig sein soll.
⇒ BAG Urteil 26.09.2001 – 5 AZR 539/00
Nichts nacharbeiten
Zur Bemessungsgrundlage nach § 4 Abs. 4 Satz 1 EFZG gehören sowohl die Berechnungsmethode (Ausfall- oder Referenzprinzip) als auch die Berechnungsgrundlage. Die Berechnungsgrundlage setzt sich zusammen aus dem Geld- und Zeitfaktor. Sie bestimmt den Umfang und die Bestandteile des der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle zugrunde liegenden Arbeitsentgelts, auch wenn dies durch eine Gutschrift im Arbeitszeitkonto festgehalten wird.
⇒ LAG Hamm Urteil 12.12.2007 – 18 Sa 1071/07
Die über oder außertarifliche Vergütung kann durch eine tarifliche Regelung nach § 4 Abs. 4 Satz 1 EFZG nicht von der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ausgenommen werden.
⇒ BAG Urteil 27.04.2016 – 5 AZR 229/15
Entgeltfortzahlung bei »faktorisiertem« Bereitschaftsdienst
Auch wenn Vergütungsansprüche in Freizeitausgleich gewandelt werden, bleibt bei Krankheitsbedingt ausgefallenem Bereitschaftsdienst der Vergütungsanspruch gemäß Entgeltfortzahlungsgesetz oder der Anspruch der Gutschrift auf das Arbeitszeitkonto aufgrund einer arbeitsvertraglichen und gesetzlichen Verpflichtung.
⇒ LAG Niedersachsen 14.11.2006 – 12 Sa 773/06
Arbeitsunfähig – nicht gleich amtsunfähig |
Eine Betätigung für den Betriebsrat ist Arbeitnehmern während einer Krankschreibung nicht grundsätzlich verboten.
Die an Magenbeschwerden leidende Arbeitnehmerin hatte während der Krankschreibung an einer zweistündigen Sitzung des Wahlvorstandes zu den Betriebsratswahlen teilgenommen. Die Vorgesetzten folgerten daraus, dass sie auch ihren regulären Dienst hätte verrichten können; zumindest habe sie aber ihre Genesung verzögert. Der Arbeitgeber, ein Altenheim, kündigte ihr deshalb fristlos.
Das Gericht gab der Klage der Krankenschwester gegen ihren Arbeitgeber statt und erklärte die wegen angeblicher Täuschung ausgesprochene fristlose Kündigung für unwirksam.
Die Teilnahme an einer zweistündigen Sitzung ist nach Ansicht der Richter nicht vergleichbar mit den Belastungen, die sich aus einer Vollzeitbeschäftigung als Krankenschwester im Schichtdienst ergeben. Daher kann auch nicht ohne weiteres von einem die Genesung verzögernden Verhalten ausgegangen werden.
⇒ ArbG Frankfurt Main Urteil 27.01.2004 – 15 Ca 5387/03
Kollektive Beratung |
Unsere Fachbereichszeitung ⇒mittendrin beleuchtet in der aktuellen Ausgabe die Entscheidung: Wo ziehst Du die Trennlinie zwischen Deinen normalen Krankheiten und Deiner Meldung als »AU«? Doch bei der Krankmeldung, beim Attest und bei der Entgeltfortzahlung musst Du noch weitere Hürden überwinden.
Schichtplan-Fibel. Jetzt erst recht. Montag, 9. Januar 2023 von 15 bis 17 Uhr Für Mitglieder und kostenlos: Ich melde mich krank. Und der Dienstplan. Bestell Deine Zugangsdaten: t1p.de/090123 |
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betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Festtage – Gesundheitsschutz (04.11.2022)
Diesmal berichten wir über
⊗ Feiertage
⊗ Vorfesttage
⊗ Gesundheitsschutz – ein stumpfes Schwert?
Feiertage |
➽ Zugespitzt:
Im TVöD, TV-L oder den AVR der Caritas werden die Feiertage besonders behandelt. Oft wird die wochendurchschnittliche Zeitschuld pauschal um ein Fünftel gekürzt. Am Heiligabend und Silvester dagegen um eine Schichtlänge. Der BAT-KF behandelt Feiertage so wie Vorfesttage. |
Feiertage im öD |
[Rn. 16] Die in § 49 TVöD-BT-K [§ 6.1 Abs. 2 TVöD-K bzw. -B] ausdrücklich angesprochene Abweichung zu § 6 Abs. 3 Satz 3 TVöD besteht bereits darin, dass § 49 Abs. 2 TVöD-BT-K zwei auf Feiertage bezogene Fälle regelt:
die dienstplanmäßige Arbeit und
die dienstplanmäßige Freistellung. […]
⇒ BAG Urteil 08.12.2010 – 5 AZR 667/09
24.12. und 31.12. |
TVöD-K und -B § 6 Abs. 3 |
[Rn. 48] § 6 Abs. 3 Satz 3 TVöD-K regelt im Unterschied zu § 6 Abs. 3 Satz 3 TVöD-AT ausschließlich die Vorfeiertage des 24. Dezember und 31. Dezember, nicht auch die gesetzlichen Feiertage. Das beruht auf dem Umstand, dass die Regelung des § 6 Abs. 3 Satz 3 TVöD-K für die gesetzlichen Feiertage durch § 6. 1 TVöD-K ergänzt wird.
⇒ BAG Urteil 24.10.2013 – 6 AZR 286/12
[Rn. 17] Arbeitsstunden fallen dienstplanmäßig iSv. § 6 Abs. 3 Satz 3 TVöD-K aus, wenn nach dem Dienstplan an bestimmten Kalendertagen Freizeit vorgesehen ist. Die Protokollerklärung zu § 6 Abs. 3 Satz 3 TVöD-K greift diesen Regelungsgehalt auf. Danach betrifft die Verminderung der regelmäßigen Arbeitszeit die Beschäftigten, die wegen des Dienstplans frei haben und daher ohne diese Regelung nacharbeiten müssten. Die Protokollerklärung schränkt den Anwendungsbereich von § 6 Abs. 3 Satz 3 TVöD-K nicht ein. Sie erläutert ihn nur. […]
[Rn. 17] § 6 Abs. 3 Satz 3 TVöD begründet keinen Anspruch auf Gutschrift von Stunden auf einem Arbeitszeitkonto. Vielmehr ist die regelmäßige Arbeitszeit um die dienstplanmäßig ausgefallenen Stunden zu verringern, also die Sollarbeitszeit zu vermindern.
⇒ BAG Urteil 08.12.2010 – 5 AZR 667/09
[Rn. 37] Der [teilzeitbeschäftigte] Kläger hat Anspruch auf Verminderung seiner Sollarbeitszeit für den 24. Dezember und 31. Dezember eines Jahres um seine tägliche Arbeitszeit von jeweils acht Stunden, wenn der 24. Dezember und 31. Dezember auf einen Werktag fallen und er am 24. Dezember und/oder 31. Dezember des Jahres dienstplanmäßig frei hat. […]
[Rn. 48] [Es] betrifft § 6 Abs. 3 Satz 3 TVöD-K nur die dienstplanmäßige Freistellung. Die Rechtsfolgen sind im Umfang der Verminderung der Arbeitszeit unterschiedlich ausgestaltet.
Nach § 6.1 Abs. 2 TVöD-K [Feiertage] verringert sich die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit für jeden gesetzlichen Feiertag, der auf einen Werktag fällt, generell um ein Fünftel der arbeitsvertraglich vereinbarten durchschnittlichen Wochenarbeitszeit.
Nach § 6 Abs. 3 Satz 3 TVöD-K [Vorfesttage] , den § 6.1 TVöD-K nach seinem Eingangssatz ergänzt, muss demgegenüber individuell festgestellt werden, wie viele Stunden der betreffende Arbeitnehmer hätte arbeiten müssen, wenn er dienstplanmäßig zur Vorfeiertagsarbeit herangezogen worden wäre. Nur diese Stundenzahl ist von der Sollarbeitszeit abzusetzen.
⇒ BAG Urteil 24.10.2013 – 6 AZR 286/12
Der Samstag ist ein Werktag iSv. § 6 Abs. 3 Satz 3 TVöD-K und § 6.1 Abs. 2 Satz 1 TVöD-K.
⇒ BAG Urteil 20.09.2017 – 6 AZR 143/16
Der Fall |
Im Jahr 2011 fielen der 01. Januar, der 24. und 31.12 auf einen Samstag – genau wie in 2022.
Am 1. Januar 2011 und 24. Dezember 2011 hatte die Klägerin, eine Krankenschwester (TVöD-K), dienstplanmäßig frei. Bei beiden Tagen handelte es sich um Samstage. Die Arbeitgeberin hat deshalb für diese Tage keine Sollstundenreduzierung in Ansatz gebracht. Dagegen klagte die Kollegin. Erfolgreich.
Aus der Begründung |
[Rn. 31] § 6 Abs. 3 Satz 3 TVöD-K regelt im Unterschied zu § 6 Abs. 3 Satz 3 TVöD-AT ausschließlich die Vorfeiertage des 24. Dezember und 31. Dezember und nicht auch die gesetzlichen Feiertage, denn § 6.1 TVöD-K übernimmt die für Krankenhäuser speziellere Regelung des § 49 TVöD-BT-K (BAG 24. Oktober 2013 – 6 AZR 286/12 – Rn. 48). Die identische Zielsetzung der Tarifnormen bleibt hiervon unberührt.
[Rn. 46] Muss der Schichtdienstleistende nicht wegen des auf einen Werktag fallenden (Vor-)Feiertags, sondern hiervon unabhängig nach seinem Dienstplan nicht arbeiten, greift die Sollstundenreduzierung nach § 6.1 Abs. 2 Satz 1 Buchst. b TVöD-K bzw. § 6 Abs. 3 Satz 3 TVöD-K und bewirkt im Normalfall die Gleichstellung mit dem Normaldienstleistenden hinsichtlich des für eine reguläre Vergütung zu erbringenden Arbeitszeitvolumens. Im Regelfall wird die Arbeitszeit des Normaldienstleistenden bei Vollzeitbeschäftigung auf Montag bis einschließlich Freitag verteilt sein. Dies entspricht der zB im Verwaltungsbereich üblichen Praxis. Da (Vor-)Feiertage häufiger auf diesen Zeitraum als auf Samstage entfallen, haben die Tarifvertragsparteien eine weitgehende Gleichstellung der Beschäftigten geschaffen.
Ganz anders: Die AVR.DD |
Ein wenig versteckt finden wir in den AVR.DD (Diakonie) –
AVR.DD § 9c Plusstunden, Überstunden und Minusstunden |
Bei einer Teilzeit-Kollegin reicht es eben nicht, sie mit anderen über einen Kamm zu scheren und die individuelle Wochenzeitschuld durch Fünf zu teilen! Oder einfach nur einen Anteil in Prozent zu errechnen. Stattdessen ist im ersten Schritt zu ermitteln, wie viele Stunden sie durchschnittlich (über das Jahr hinweg betrachtet) kalendertäglich arbeitet.
Im Folgeschritt sind die AVR.DD misslungen. Es kann gerade nicht auf alle Montage bis Freitage im Kalendermonat abgestellt werden. Sonst bliebe bei den Teilzeitbeschäftigten, die oft oder durchschnittlich »ganze« Schichten arbeiten, ihre Zeitschuld gleich der von Vollbeschäftigten.
Für sie bestimmen die AVR.DD in § 9 Abs. 1 Satz 8 eine wichtige Besonderheit:
»Mit der Teilzeitbeschäftigten bzw. dem Teilzeitbeschäftigten ist eine Vereinbarung zu treffen, wie ihre bzw. seine durchschnittliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit im Rahmen der betriebsüblichen bzw. dienstplanmäßigen Arbeit erfolgt.«
Irgendwie treten die so gemeinsam bestimmten Wochentage an die Stelle der »Wochentage von Montag bis Freitag«. Ihre Anzahl ist so oft kleiner als die bei den Vollbeschäftigten. Im Ergebnis:
Falls wegen eines Feier- oder Vorfesttags die Arbeit ausfällt, brauchen Teilzeitbeschäftigte davon keine Minute nacharbeiten (⇒ BAG Urteil 16.10.2019 – 5 AZR 352/18 Rn. 28).
Schichtarbeitende stehen sich nicht schlechter als diejenigen mit Normalarbeitszeit (etwa in der Verwaltung).
Kollektive Beratung |
Gut gemeint, schlecht gemacht. Die Festtagsregeln in unseren Verträgen haben ihre Tücken.
Schichtplan-Fibel. Jetzt erst recht. Montag, 7. November 2022 von 10 bis 12:00 Uhr |
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Das große Rätsel: Gesundheitsschutz |
Der erste Senat des Bundesarbeitsgerichtes hat in seinen Entscheidungen begründet, wie die Interessenvertretung Gesundheitsschutz im Betrieb mitbestimmt, Er hat – noch öfter – begründet, wie unsere Mitbestimmung ins Leere läuft:
»Besteht – wie vorliegend – zwischen den Betriebsparteien Streit darüber, ob die Arbeitnehmer durch arbeitsbedingte psychische Belastungen gefährdet sind, müssen sie zunächst die Vorgaben für die nach § 5 Abs. 1 ArbSchG vom Arbeitgeber durchzuführende Beurteilung der Arbeitsbedingungen festlegen. Die nach der gesetzlichen Konzeption mitbestimmte Ausgestaltung der für die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung wesentlichen Grundlagen soll verhindern, dass später Streit über das angewandte Verfahren und die Methoden entsteht.
Das dem Betriebsrat bei der Ausgestaltung der Gefährdungsbeurteilung iSv. § 5 ArbSchG zustehende Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG umfasst dabei zunächst die Klärung, inwieweit die Arbeitsbedingungen mehrerer Beschäftigter gleichartig sind und deshalb die Beurteilung eines Arbeitsplatzes oder einer Tätigkeit ausreicht (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 2 ArbSchG). Zudem müssen die Betriebsparteien regeln, mit welchen Methoden und Verfahren das Vorliegen und der Grad einer solchen Gefährdung – also ihre Schwere und das Risiko ihrer Realisierung –, die grundsätzliche Erforderlichkeit von Schutzmaßnahmen und die Dringlichkeit eines möglichen Handlungsbedarfs festgestellt werden sollen (vgl. BAG 19. November 2019 – 1 ABR 22/18 – Rn. 32, BAGE 168, 323). Da die Beurteilung der Arbeitsbedingungen nach § 5 ArbSchG in regelmäßigen Abständen anlassunabhängig zu wiederholen ist, haben die Betriebsparteien außerdem abstrakte Vorgaben zu treffen, in welchen zeitlichen Abständen die Gefährdungsbeurteilung erneut durchzuführen ist. Der dabei festzulegende Rhythmus hängt von den jeweiligen betrieblichen Umständen ab (vgl. dazu BAG 13. August 2019 – 1 ABR 6/18 – Rn. 63, BAGE 167, 230). Schließlich müssen die Betriebsparteien vereinbaren, auf welche Art und Weise die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung iSv. § 5 Abs. 1 ArbSchG dokumentiert werden sollen (vgl. BAG 13. August 2019 – 1 ABR 6/18 – Rn. 31, aaO). Können die Betriebsparteien über die danach festzulegenden Vorgaben für eine Gefährdungsbeurteilung kein Einvernehmen erzielen, hat nach § 87 Abs. 2 BetrVG die Einigungsstelle zu entscheiden […]«
⇒ BAG Beschluss 30.09.2014 – 1 ABR 106/12
»Einer Einigungsstelle kann im Rahmen der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG nicht gleichzeitig der Regelungsauftrag zur Ausgestaltung der Gefährdungsbeurteilung iSv. § 5 ArbSchG und zur Regelung erforderlicher Schutzmaßnahmen iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG sowie deren Wirksamkeitskontrolle iSv. § 3 Abs. 1 Satz 2 ArbSchG übertragen werden.«
⇒ BAG Beschluss 19.11.2019 – 1 ABR 22/18
»Die von einer Einigungsstelle mit dem Regelungsauftrag ›Gefährdungsbeurteilung‹ durch verfahrensrechtliche Vorgaben auszugestaltenden Handlungspflichten des Arbeitgebers im Rahmen von § 5 Abs. 1 ArbSchG erfassen weder die Prüfung, welche konkreten Arbeitsschutzmaßnahmen angesichts einer ermittelten Gefährdung ggf. in Betracht kommen können, noch deren Wirksamkeitskontrolle.«
⇒ BAG Beschluss 13.08.2019 – 1 ABR 6/18
Aufgrund [der gesetzlichen Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitszeit] kann der Betriebsrat die Einführung eines Systems der (elektronischen) Arbeitszeiterfassung im Betrieb nicht mithilfe der Einigungsstelle erzwingen. Ein entsprechendes Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG besteht nur, wenn und soweit die betriebliche Angelegenheit nicht schon gesetzlich geregelt ist.
⇒ BAG Beschluss 13.09.2022 – 1 ABR 22/21 (liegt bislang nur als Pressemitteilung vor)
Wir erwarten in unseren ⇒ Bildungstagen (19.-21.12.22) die Vorsitzende dieses Senats, Inken Gallner, zu Gast. Wir werden sie um Hinweise bitten: Wie packt ein Betriebsrat, ein Personalrat oder eine MAV Gesundheitsschutz erfolgreich an? Wie werden wir – etwa bei der Aufzeichnung aller Arbeitszeiten – initiativ?
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Einspringen – Rufbereitschaft – TV Ärzte! (13.10.2022)
Diesmal berichten wir über
⊗ Einspringen
⊗ Rufbereitschaft
⊗ Änderungen des TV-Ärzte/VKA ab Januar 2023
Einspringen |
Dieser Herbst überrascht einige Betriebsleitungen – mit gehäuften Krankmeldungen, Personalausfällen, Problemen bei der Anwerbung von Ersatz. Das trifft sie unvorbereitet.
Ihnen kommen nun vier Ideen: Überstunden, Schichttausch, Einspringen statt Frei, Rufbereitschaften.
➽ Zugespitzt:
Für die Anordnung eines Schichttausches fehlt den Arbeitgebern in Deutschland die Erlaubnis. |
Ebenso überrascht sind die Betriebsleitungen von der EU-Richtlinie 2019/1152 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen. Die regelt in Artikel 10 (Mindestvorhersehbarkeit der Arbeit) ein neues Konzept: Den Widerruf festgelegter Schichten.
⇒ EU RL 2019/1152 Artikel 10 Abs. 3
Erlauben die Mitgliedstaaten dem Arbeitgeber, einen Arbeitsauftrag ohne Entschädigung zu widerrufen, |
Unter Arbeitsauftrag versteht die EU-Richtlinie die Anordnung durch den Arbeitgeber an seinen Arbeitnehmer, eine Aufgabe zu erledigen. Dies bedeutet in Dienstleistungsbetrieben schlicht die Festlegung einer Schicht.
Ziel der Norm ist es, dass Arbeitnehmer/innen sich auf die Schichtpläne verlassen können. Im deutschen Arbeitsrecht fasst es der Grundsatz in § 6 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz sehr allgemein: »Die Arbeitszeit der Nacht- und Schichtarbeitnehmer ist nach den gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit festzulegen.«
Die Bundesregierung hat die EU-Richtlinie am letzten Tag der dreijährigen Frist umgesetzt. Sie hat dazu das Nachweisgesetz und das TzBfG ab dem 01.08.2022 geändert. Hier stehen nun neue, weitere Pflichten für Arbeitgeber.
In keinem Gesetz bestimmt Deutschland eine Frist für den Widerruf einer Schicht. In keinem Gesetz bestimmt Deutschland eine Entschädigung, falls diese Frist mal gerissen wird.
Diese – unionsrechts-konforme – Deutung führt uns dazu: Deutschland erlaubt seinen Arbeitgebern offenbar nicht den Widerruf einer einmal von ihnen verbindlich festgelegten Schicht, ob mit oder ohne Entschädigung. Deshalb macht Deutschland von Artikel 10 Absatz 3 der EU-Richtlinie keinen Gebrauch. Es ergreift nicht die erforderlichen Maßnahmen. Das kommt uns grad recht!
Tarifverträge (§ 11 Satz 3 TV Ärzte/VKA) oder Betriebsvereinbarungen, welche der fehlenden Erlaubnis der Gesetzgeber vorgreifen, sind hier wohl wirkungslos geworden.
❍ Ein Arbeitgeber darf nicht seine Anordnung einer Schicht widerrufen, um stattdessen eine andere anzuordnen (»Arbeiten Sie statt morgen übermorgen!«).
❍ Ein Arbeitgeber darf auch nicht einen Teil einer Schicht widerrufen (»Sie können heute früher Feierabend machen«).
Zusätzliche Stunden |
Der Widerruf von festgelegter Arbeitszeit bekam damit eine neue, weitere Hürde. Doch wie steht es mit dem Widerruf eines Feierabends? Wie steht es mit dem Widerruf einer Freischicht?
Zusätzliche Arbeitszeit lässt den ursprünglichen Dienstplan unbeschadet. Es wird über die – unverändert festgelegte – dienstplanmäßige Arbeitszeit hinaus gearbeitet.
Wer über den festgelegten Feierabend hinaus arbeiten muss, erlebt eine Belastung. Umgangssprachlich fällt da schnell der Begriff Überstunden.
Zusätzliche Arbeitszeit ruft nach einer zusätzlichen Bezahlung. Und auch die verdorbene Lebensplanung muss ausgeglichen werden, etwa durch einen Zeitzuschlag.
Die Arbeitgeber geizen deshalb mit dem, was sie bei ihrer Abrechnung am Monatsende als Überstunden verstehen wollen. Sie kommen auf die Idee, zum Ausgleich an einem anderen Tag von geplanter Arbeitszeit freizustellen. Sie nennen das Freizeitausgleich. Der Grat zwischen Freizeitausgleich und einem Widerruf einer geplanten Schicht ist schmal, aber deutlich.
❍ Einen Freizeitausgleich kann der Arbeitgeber einer Kollegin auf deren Wunsch oder Antrag hin gewähren.
❍ Seinen Widerruf einer Schicht versucht der Arbeitgeber – hoffentlich vergeblich – der Kollegin zu erklären.
Voraussetzungen für Schichtänderungen Montag, 17. Oktober 2022 15 bis 17 Uhr Melde Dich an beim – kostenlosen ⇒ Online-Angebot unseres Bundesfachbereichs zusammen mit ver.di Bildung + Beratung und der Schichtplan-Fibel. |
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Rufbereitschaft als Ausfallkonzept? |
Not macht erfinderisch. In manchen Betrieben kommt die Leitung auf die Idee, Beschäftigte im Rufdienst vorzuhalten. Die sollen bei Krankheitsausfällen oder Personalmangel aushelfen und in die notleidenden Schichten einspringen.
Unser ⇒ Baustein 14 Rufbereitschaft hilft aktiven Gewerkschafter:innen, hier die Kolleginnen und Kollegen zu immunisieren. Unsere Freizeit ist kein Supermarkt, in dem sich Arbeitgeber frei bedienen dürfen.
TV-Ärzte/VKA ab Januar 2023: Engere Grenzen bei Bereitschaft und Rufbereitschaft |
Der 8. Änderungstarifvertrag des TV Ärzte/VKA regelt Schritt um Schritt Verbesserungen. Ab dem Jahreswechsel heißt das Limit: Nur noch vier Bereitschaftsdienste in jedem Kalendermonat; nur noch zwei Wochenenden mit Diensten in jedem Kalendermonat. Grob: Statt einem Bereitschaftsdienst darf der Chef dabei auch zu drei Rufbereitschaften einteilen. Teilzeit-Kolleginnen werden aufgrund eines Punktesystems (Protokollerklärung zu § 10 Abs. 12 Satz 2) anteilig herangezogen (falls sie einer solchen Zusatzbelastung überhaupt zugestimmt haben).
Betriebliche Interessenvertretungen sollen zwar bei ihrer Mitbestimmung die Schutzbestimmungen in den Tarifverträgen umsetzen. Doch: Die tarifschließenden Parteien (VKA, Marburger Bund) stellen ihnen bislang diese Neuerungen im Internet nicht bereit, lediglich »in der Fassung des Änderungstarifvertrages Nr. 8« zum aktuellen Stand heute.
Es bleibt ein Umweg: Der KAV Schleswig-Holstein hält auch den ⇒ 8. Änderungsvertrag selbst vor. Hier finden wir ab Seite 7 die Passagen, die wir für den Januar-Dienstplan brauchen.
Die Caritas hat diese Schritte in ihre AVR Anlage 30 übernommen (⇒ BK 2/2022).
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betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Aufzeichnen! (23.09.2022)
Diesmal berichten wir über
⊗ Nachweis geleisteter Arbeitszeit
⊗ bevorstehende Infoveranstaltungen
⊗ TV-L: Endlich Tariftexte
Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts! |
➽ Zugespitzt:
Im Streitfall musst Du dem Arbeitgeber mühsam Deine Arbeitszeit nachweisen. |
Der Streit: Um 348 Stunden |
Ein Ausfahrer von Lebensmitteln erfasst elektronisch Beginn und Ende der Arbeitsschicht. Angeblich soll er sich seine gesetzliche Pause selbst nehmen. Ob der Arbeitgeber diese Pausen tatsächlich gewährt hat, bleibt streitig. Der Kläger stützt sich auf die elektronisch erfasste Brutto-Dauer der Schichten. Er habe die gesamte aufgezeichnete Zeit gearbeitet.
Pausen sind nicht aufgezeichnet. Pausen habe er nicht gemacht. Dies sei nicht möglich gewesen, weil sonst die Auslieferungsaufträge nicht hätten abgearbeitet werden können. Er verlangt für das positive Saldo der Zeitaufzeichnungen Überstundenvergütung.
Die Entscheidung |
Amtlicher Leitsatz: Verlangt der Arbeitnehmer Überstundenvergütung, hat er im Prozess die Leistung solcher und deren Veranlassung durch den Arbeitgeber darzulegen. Vom Erfordernis der arbeitgeberseitigen Veranlassung ist nicht wegen der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Pflicht des Arbeitgebers zur Einrichtung eines Systems zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit (⇒ EuGH 14. Mai 2019 – C-55/18 – [CCOO]) abzurücken.
⇒ BAG Urteil 04.05.2022 – 5 AZR 359/21
Aus der Begründung: »Dass der Kläger behauptet hat, keinerlei Pausen gemacht zu haben, mag für das Landesarbeitsgericht zwar ›lebensfern‹ sein, gleichwohl hat der Kläger damit zunächst in ausreichender Weise behauptet, dass sämtliche von ihm angegebenen Zeiten Arbeitszeiten im vergütungsrechtlichen Sinne seien. Von der Substantiierung des Tatsachenvortrags zu trennen ist dessen Glaubhaftigkeit und die Glaubwürdigkeit des Klägers. Auch ein substantiiertes Lügen änderte nichts an der Substanz des Tatsachenvortrags.
[Doch:] Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass der Kläger die Veranlassung der Überstundenleistung durch die Beklagte nicht dargelegt hat. Eine solche Veranlassung ist erforderlich. […]
Der Arbeitnehmer kann sich nicht über die vertraglichen Vereinbarungen hinaus selbst Arbeit ›geben‹ und seinen Arbeitsumfang erhöhen […]. Für die arbeitgeberseitige Veranlassung und Zurechnung als – neben der Überstundenleistung – weitere Voraussetzung eines Anspruchs auf Überstundenvergütung müssen Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt, geduldet oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig gewesen sein (st. Rspr., vgl. nur BAG 10. April 2013 – 5 AZR 122/12 – Rn. 14 mwN). Auch für diese Voraussetzung trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast […].«
Europäisches Schutzrecht? |
(Rn 23) »Dahinstehen kann, ob und inwieweit nach dieser Rechtsprechung [des EuGH] eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung unmittelbar aus Art. 31 Abs. 2 GRC iVm. Vorschriften der Richtlinie 2003/88/EG folgt und nationale Vorschriften, die bisher kein System zur Messung aller Arbeitszeiten vorsehen, unangewendet bleiben müssen oder ob die unionsrechtlichen Vorgaben wegen des Gestaltungsspielraums der Mitgliedstaaten erst der Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber bedürfen
(pars pro toto eine Direktwirkung bejahend Riegel RdA 2021, 152, 154; Heuschmid NJW 2019, 1853 f; verneinend Bayreuther NZA 2020, 1, 3; Thüsing DB 2020, 1343 ff.; Giesen DB 2020, Nr. 20 M18 f; Boemke jurisPR-ArbR 24/2020 Anm. 4; Fuhlrott NZA-RR 2020, 279; Methfessel/Weck DB 2020, 1346 f; Richter/Schreynemackers ArbRB2019, 288 f; Sittard/EsserJM 2019, 284, 286 f.)
und ob § 16 Abs. 2 Satz 1 ArbZG, der eine Aufzeichnungspflicht für die über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 Satz 1 ArbZG hinausgehende Arbeitszeit statuiert, einer unionsrechtskonformen Auslegung zugänglich ist
(bejahend etwa Oberthür MDR 2019, 1029 f; zweifelnd L/Iber NZA 2019, 677, 680; verneinend Bayreuther NZA 2020, 1 ff; Baeck/Winzer /Launer NZG 2019, 858 f; EuArbRK/Gallner 4. Aufl. RL 2003/88/EG Art. 1 Rn. 8 f; dies. FS Preis 2021 S. 271, 287; Höpfner/Daum RdA 2019, 270, 276 f; Riegel RdA 2021, 152, 153 f; Richter/Schreynemackers ArbRB 2019, 288 f.; Sittard/Esser JM 2019, 284, 286),
denn die Verpflichtung zur Arbeitszeitmessung hat keine Auswirkungen auf die in ständiger Rechtsprechung angewandten Grundsätze der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess.
Dem steht entgegen, dass zwischen arbeitsschutzrechtlicher und vergütungsrechtlicher Einordnung als Arbeitszeit zu unterscheiden ist und unionsrechtliche Regelungen aus der Arbeitszeitrichtlinie grundsätzlich keine Anwendung auf die Vergütung von Arbeitnehmern finden. Selbst wenn man daher – entsprechend der Auffassung des Arbeitsgerichts – davon ausginge, aus Art. 31 Abs. 2 GRC ergebe sich unmittelbar die Pflicht des Arbeitgebers zur Arbeitszeitaufzeichnung, hätte diese unionsrechtliche Verpflichtung keine Auswirkungen auf das System der abgestuften Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess.«
Kommentar: Der Arbeitgeber lässt arbeiten. Der Arbeitgeber muss dabei Pausen gewähren. Doch der Kollege soll nun beweisen, warum der Arbeitgeber seine Arbeitszeit nicht unterbrochen hat. Ja, er soll auch noch Arbeitsrichter davon überzeugen, wie lebensfern die Pausen in seinem Betriebsalltag sind. Ohne diesen Beweis arbeitet er umsonst und unbegrenzt.
Deine europäischen Grundrechte auf gesunde Arbeitsbedingungen, »feierlich proklamiert« am 30.03.2010, drohen so bereits an der Grenze zu Deutschland zu verenden. Die zentrale Frage nach ihrer Umsetzung stellt der fünfte Senat des BAG »dahin«, also beiseite. Drohend führen die Bundesarbeitsrichter aber ihre langen Listen mit Zweiflern und Verneinern an.
Charta der Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub. |
Der Europäische Gerichtshof hat dazu längst klar und unmissverständlich Stellung bezogen: Es »verleiht Art. 31 Abs. 2 der Charta schon für sich allein den Arbeitnehmern ein Recht, das sie in einem Rechtsstreit gegen ihren Arbeitgeber in einem vom Unionsrecht erfassten und daher in den Anwendungsbereich der Charta fallenden Sachverhalt als solches geltend machen können« (⇒ EuGH Urteil 06.11.2018 – C 684/16 Rn. 74). Die Arbeitsgerichte müssten daher unionsrechtswidrige Regelungen »unangewendet« lassen.
Diese Entscheidung betraf konkret den Anspruch auf Mindesturlaub. Sie umfasst aber genauso das Wochenfrei, also den beschäftigungsfreien Tag in jeder Woche (⇒ EuGH Urteil 19.11.2017 – C-306/16 Rn. 44). Und das umfasst auch den Anspruch auf eine 11-stündige Ruhezeit an jedem (Arbeits-)tag (⇒ EuGH Urteil 17.03.2020 – C 585/19 Rn. 50); weitergehend leitete der EuGH genau daraus auch noch die Pflicht des Arbeitgebers ab, alle Arbeitszeit aufzuzeichnen um so die Lage und Länge der Ruhezeiten sicherzustellen.
Deutsches Elend |
Die deutschen Bundesarbeitsrichter schielen zunächst an der Charta selbst vorbei und suchen eine zwingende Verbindung mit den EU-Richtlinien, hier mit der ⇒ EU Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88/EG. Doch diese Richtlinien beschränken sich ausdrücklich auf Anweisungen an die Mitgliedsstaaten. Deren Regierungen sollen sie jeweils national umsetzen. Tun sie das nicht oder schlecht? Dann schauen wir erst einmal rat- und rechtlos in die Röhre.
Gerade die deutschen Gesetzgeber:innen scheuen notorisch die Umsetzung der unionsweiten Mindestvorgaben für den Schutz der Beschäftigten. Arbeitsminister Hubertus Heil beschwichtigte am 14. Mai 2019, abends nach der Urteilsverkündung, die europaweite Aufzeichnungspflicht »gilt und wir werden das umsetzen.« Tatsächlich folgte nichts.
Darum bestehen wir auf unsere europäischen Grundrechte. Wir fordern sie aber nicht erst vor den Arbeitsgerichten ein. Die betriebliche Interessenvertretung wird initiativ, um auf genau dieser Grundlage Ansprüche zu regeln. Wir regeln die Aufzeichnung aller Arbeitszeit. Nur tatsächlich gewährte Arbeitsunterbrechungen mindern die Netto-Schichtlänge.
Wir regeln diese Aufzeichnung schutzrechtlich. Doch die Kolleginnen können sich danach darauf auch schuldrechtlich stützen. Denn jeder beidseitig unterschriebene Stundenzettel beweist: Der Arbeitgeber weiß von der Arbeitszeit und er duldet sie.
Die jüngste BAG-Entscheidung (BAG Beschluss 13.09.2022 – 1 ABR 21/22; noch nicht mit Begründung zugänglich!) gibt uns Auftrieb: Die unionsrechtlichen Mindestansprüche (Artikel 31 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta) sind zwingend über § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG als umfassende Aufzeichnungspflicht betrieblich umzusetzen. Wir kümmern uns!
Kollektive Beratung |
Pflichten und Aufzeichnungen gibt es im Betrieb viele. Doch im Streit will der Arbeitgeber es auf einmal nicht so genau gewollt und gewusst haben.
Schichtplan-Fibel. Jetzt erst recht. Montag, 26. September 2022 von 10 bis 12:00 Uhr |
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TV-L in Euro je Stunde |
Neun Monate hat's gedauert. Die Unterschriftsfassungen zum TV-L liegen endlich vor. Wir haben unser Werkzeug für die Uniklinika mit TV-L aktualisiert (in drei Zeitstufen ändern sich wesentliche Vergütungsansprüche).
Optimiert für den Einsatz im Mobilphone läuft zudem auch im PC-Browser. Der TV-L bleibt schrecklich unübersichtlich und zerklüftet. Pflegezulagen und die Vergütung der Bereitschaftsdienstes können wir so noch nicht ausweisen.
⇒ www.t1p.de/tv-l
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Beschwer Dich doch (26.08.2022)
Diesmal berichten wir über
⊗ aktuelle Entscheidungen zur Beschwerde im Betrieb
⊗ bevorstehende Infoveranstaltungen
Beschwert Euch doch! |
➽ Zugespitzt:
Oft fühlen sich einzelne oder das Team beeinträchtigt: |
Streit? Einigungsstelle! |
Der Fall: Der Betriebsrat befasste sich in seiner Sitzung am 17. Dezember 2013 mit einer Beschwerde über die Ausladung einer Kollegin von der betrieblichen Weihnachtsfeier. Der Betriebsrat beschloss, dass die Beschwerde berechtigt ist, dass der Betriebsrat schriftlich beim Arbeitgeber auf Abhilfe hinwirken wird und dass die Arbeitgeberin eine Frist von 7 Tagen ab dem 23.12.2013 zur schriftlichen Stellungnahme/Abhilfe erhalten solle.
Weiterhin sah der Beschluss vor, dass für den Fall, dass zwischen Betriebsrat und der Arbeitgeberin Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Beschwerde bestehen sollten oder die Arbeitgeberin gar nicht erst reagieren sollte, der Betriebsrat die Einigungsstelle anrufen wird.
Die Arbeitgeberin spielt auf Zeit und entzog sich.
Leitsatz: Eine Einigungsstelle nach § 85 Abs. 2 BetrVG über die Berechtigung einer Arbeitnehmerbeschwerde iSd. des § 84 BetrVG ist grundsätzlich solange offensichtlich unzuständig, bis die Beschwerde mit dem Arbeitgeber verhandelt worden ist.
Von diesem Grundsatz ist eine Ausnahme zu machen, wenn der Arbeitgeber sich von vornherein verhandlungsunwillig zeigt und die Verhandlungsbemühungen des Betriebsrats boykottiert.
⇒ LAG Berlin-Brandenburg Beschluss 09.04.2014 – 4 TaBV 638/14
Rechtsanspruch nicht klären oder begründen, sondern regeln! |
(Rn. 34) Will man nicht Rechtsdurchsetzungsansprüche der Arbeitsvertragsparteien beschneiden, nicht die Gefahr einer Durchbrechung der betrieblichen Mitbestimmungsordnung hinnehmen und nicht entgegen dem Willen des Gesetzgebers Rechtsfragen in Regelungsfragen umdeuten, ist § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG streng auszulegen. Bei einer justiziablen Angelegenheit scheidet die Anrufung der Einigungsstelle aus. Das gilt unabhängig davon ob die Beschwerde dem Arbeitgeber Spielraum für eine Abhilfeentscheidung lässt oder nicht […]. Denn bei einer Maßnahme, die in Ausübung eines Arbeitgeberrechts erfolgt, kann ein Spielraum für eine Abhilfe nur dann entstehen, wenn der Arbeitgeber seinen (vermeintlichen) Rechtsanspruch aufgibt […]). Gerade das will § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG aber verhindern.
⇒ LAG Köln Beschluss 06.08.2021 – 9 TaBV 26/21
Ziel: Anlass aufklären und Abhilfe |
Eine Einigungsstelle muss in einem Spruch über Arbeitnehmerbeschwerden nach § 85 Abs. 2 BetrVG diejenigen konkreten tatsächlichen Umstände benennen, die sie als zu vermeidende Beeinträchtigung des Arbeitnehmers ansieht. Andernfalls ist dem Arbeitgeber keine wirksame Abhilfe möglich.
⇒ BAG Beschluss 22.11. 2005 – 1 ABR 50/04
Das Einigungsstellenverfahren dient entgegen der Ansicht des Betriebsrats nicht einer abstrakten Sachverhaltsaufklärung, sondern dazu, zu entscheiden, ob der Arbeitgeber anlässlich einer berechtigten Beschwerde Abhilfemaßnahmen zu ergreifen hat. Tat der Arbeitgeber dies bereits vorsorglich, wäre ein Einigungsstellenverfahren demnach ohne Sinn.
⇒ LAG Hessen Beschluss 17.12.2019 – 4 TaBV 136/19
(⇒ Muster für) Beschwerden |
Kollektive Beratung |
Geltendmachungen und Überlastungsanzeigen bleiben manchmal kraftlos. Beschwerden gehen dagegen direkt auf das Ziel zu: Abhilfe!
Schichtplan-Fibel. Jetzt erst recht. Montag, 29. August 2022 von 10 bis 12:00 Uhr |
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betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Vorhersehbare Arbeitszeiten (28.07.2022)
Diesmal berichten wir über
⊗ die neuen Chancen im Nachweisgesetz ab dem 01.08.2022
⊗ bevorstehende Infoveranstaltungen
Rechtzeitig oder zu spät! |
➽ Zugespitzt:
Die EU-Richtlinie 2019/1152 will unsere Freizeit vor zu kurzfristigen Übergriffen der Arbeitgeber schützen. |
EU-Richtlinie greift |
Das Europäische Parlament legt in Richtlinien fest, was umgesetzt werden soll. Dazu lässt es den Mitgliedsstaaten in der Regel drei Jahre Zeit. So auch in der ⇒ EU RL 2019/1151 mit dem sperrigen Titel über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union. Die war zum 1. August 2022 umzusetzen.
Am 23. Juni 2022 hat der Bundestag dem Gesetzesentwurf zur Umsetzung der Richtlinie zugestimmt. Aber heute, am 29.07., fällt es noch schwer, im Internet die ab dem 01.08.2022 anzuwendenden Gesetzesfassungen zu finden.
Auf den letzten Drücker wurde da an unterschiedlichen Baustellen nachgebessert: Uns interessiert dabei das Nachweisgesetz (§ 2 und § 5 NachwG) und das Teilzeit- und Befristungsgesetz (§ 12 Abs. 3 TzBfG).
Schauen wir einmal, was die Richtlinie selbst in ihrem Artikel 10 verlangt. Schon beim Titel ahnen wir: Es handelt sich um Mindestbedingungen zum Schutz der individuellen Lebensplanung.
EU RL 2019/1151 Artikel 10 (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsmuster völlig oder größtenteils unvorhersehbar sind, nicht vom Arbeitgeber verpflichtet werden kann zu arbeiten, es sei denn, die beiden folgenden Voraussetzungen sind erfüllt: a) Die Arbeit findet innerhalb der vorab bestimmten Referenzstunden und Referenztage […] statt, und b) der Arbeitgeber unterrichtet den Arbeitnehmer innerhalb einer angemessenen Ankündigungsfrist gemäß den nationalen Rechtsvorschriften, Kollektiv- bzw. Tarifverträgen oder Gepflogenheiten […] über einen Arbeitsauftrag. (2) Wenn eine oder beide der in Absatz 1 festgelegten Bedingungen nicht erfüllt werden, ist der Arbeitnehmer berechtigt, einen Arbeitsauftrag abzulehnen, ohne dass ihm daraus Nachteile entstehen. (3) Erlauben die Mitgliedstaaten dem Arbeitgeber, einen Arbeitsauftrag ohne Entschädigung zu widerrufen, so ergreifen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen gemäß den nationalen Rechtsvorschriften, Kollektiv- bzw. Tarifverträgen oder Gepflogenheiten, damit sichergestellt ist, dass der Arbeitnehmer Anspruch auf Entschädigung hat, falls der Arbeitgeber den zuvor mit dem Arbeitnehmer vereinbarten Arbeitsauftrag nach einer konkreten angemessenen Frist widerruft. […] |
Innerhalb der EU werden damit genau zwei Arten von Arbeitsplätzen unterschieden.
❍ Arbeitsplätze mit vorhersehbarer Arbeitszeit
Gewöhnlich haben Arbeitsplätze größtenteils vorhersehbare »Arbeitsmuster« (Normalarbeit, Rahmenpläne). Nur ein kleinerer Teil an Schichten (Beginn, Ende) darf dabei in der Lage und vielleicht auch der Dauer erst später konkretisiert werden. Doch dies muss wohl mit einer angemessenen Vorlauffrist geschehen.
Die festgelegten Schichten sind verbindlich und stehen nicht unter dem Vorbehalt einer späteren Änderung. Die jeweiligen Dienstpläne sind weitgehend vorhersehbar, weil sie ein System und einen Rhythmus erkennen lassen.
In Deutschland verlangt dazu § 2 Nachweisgesetz in den Nummern 8 und 10 von den Arbeitgebern etwas Neues. Sie müssen sich festlegen zum Schichtsystem, zum Schichtrhythmus und zu den Voraussetzungen von Schichtänderungen und Überstunden.
Wenn du dazu aufforderst, muss dein Arbeitgeber dir binnen sieben Tagen diese Festlegungen mitteilen (§ 5 NachwG).
❍ Arbeitsplätze mit unvorhersehbarer Arbeitszeit
Die übrigen Arbeitsplätze brauchen besonderen Schutz. Denn hier drohen Überraschungen. Hier muss sich der Arbeitgeber zunächst auf bestimmte Schichten an bestimmten Wochentagen beschränken. Denn so können die Beschäftigten zumindest an den übrigen Wochentagen und etwa in den Nächten ihr Leben langfristig und sicher planen. Die eigentliche, überraschende Festlegung der Schichten muss in diesem Rahmen bleiben. Und diese Festlegungen halten sich in einer angemessenen Frist zur Ankündigung (»Unterrichtung«).
In Deutschland braucht es dazu eine ausführliche Vereinbarung mit dir (§ 12 TzBfG). Diese Vereinbarung bestätigt dir dein Arbeitgeber gemäß § 2 Nummer 9 NachwG schriftlich.
Zu welcher Art gehört dein Arbeitsplatz? |
In vielen Betrieben werden Schichtpläne zwischen den Betriebsparteien vereinbart, also zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat / Personalrat / der Mitarbeitervertretung. Doch trotz der so vereinbarten Schichtarbeit fehlt es an einem Schichtsystem oder einem Schichtrhythmus. Zudem versucht der Arbeitgeber wenig später, sich von seinen Festlegungen wieder zu lösen, Schichten zu veschieben, zu tauschen oder Freischichten (freie Tage) zu streichen. Deine Arbeitszeiten sind so nicht sicher vorhersehbar.
Doch es fehlt auch an Vereinbarungen über »Arbeit auf Abruf«. Fraglich ist bereits, ob neben Teilzeitkräften auch Vollzeitbeschäftigte gemäß § 12 TzBfG Arbeit auf Abruf vereinbaren können.
Merke:
Euer Chef hat Probleme. Der Zeitpunkt ist günstig!
Verlangt die Vereinbarung eines »Schichtsystems«! Einige bleiben im Tagdienst, andere wählen die Dauernachtwachen.
Verlangt die Vereinbarung von »Schichtrhythmen«! Also von systematischen Abfolgen: Fünf Tage mit Arbeitszeit in jeder Woche, jedes zweite Wochenende frei, auf eine siebte Schicht folgt zwingend eine Freischicht …
Verlangt: Unsere Dienstpläne sollen uns spätestens vier Wochen im Voraus angekündigt werden!
Kollektive Beratung |
Auf den letzten Drücker wird die europäische Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen ins deutsche Arbeitsrecht übersetzt. Das war vorhersehbar. Transparent ist es nicht.
Schichtplan-Fibel. Jetzt erst recht. Montag, 1. August 2022 von 10 bis 12:00 Uhr |
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betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Pausen – kostenlos (21.07.2022)
Diesmal berichten wir über
⊗ Pausen
⊗ bevorstehende Infoveranstaltungen
Pausen? Schlecht organisiert! |
Betriebsbedingte Gründe |
»Unabhängig vom Beruf berichtet mehr als jeder vierte Beschäftigte, dass gesetzliche Ruhepausen regelmäßig ausfallen. Allerdings zeigt unsere Studie auch, dass die Risiken für den Pausenausfall in Pflegeberufen substanziell erhöht sind. […]
Zu hohe quantitative Anforderungen (›zu viel zu tun‹) ist dabei im Pflegebereich der häufigste Grund für Pausenausfall, er wird hier auch häufiger angegeben als in anderen Berufen. […]
Nahezu die Hälfte der befragten Pflegekräfte berichten hier Verstöße gegen die Pausenvorgaben laut Arbeitszeitgesetz (§ 4), vor allem aus arbeitsorganisatorischen und weniger aus individuellen Gründen. Insofern sollten Aufsichtsbehörden die Arbeitszeitkontrollen in dieser Berufsgruppe verstärken und Gesetzesverstöße konsequent ahnden«.
Merke:
Die Aufsichtsbehörden halten sich vornehm zurück. Wenn ihnen Verstöße gemeldet werden, geben sie gute Ratschläge.
Doch: Betriebsräte, Personalräte und Mitarbeitervertretungen bestimmen die Lage und Länge der Pausen mit. Fallen Pausen aus? Dann sollten sie pingelig werden!
Betriebsinterne Analysen – Kurzpausen |
Manchmal fehlt an den Arbeitsplätzen bislang deren – seit mehr als 25 Jahren vorgeschriebene – Erfassung und Beurteilung der Belastungen durch Arbeitszeit. Das recht umfangreiche Handbuch Gefährdungsbeurteilung der BAuA (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin) beschreibt auf Seite 604 einen möglichen Zwischenschritt:
»Einige betriebliche Abweichungen benötigen nicht sofort eine Tätigkeits- oder Belastungsanalyse; sie können auch über betriebsinterne Gespräche oder Beobachtungen analysiert werden.
Das gilt z. B. für die Einhaltung von Pausen und dabei im speziellen für die Erholungswirkung von Kurzpausen. Hier muss überprüft werden, ob und in welchem Maße bei Kurzpausen von ca. 5 Minuten ein Erholungswert tatsächlich gegeben ist und ob eine entsprechende Nahrungaufnahme möglich ist. Es ist empfehlenswert, nicht die gesamte Pausenzeit in Kurzpausen aufzuteilen, sondern einen Zeitblock von mindestens 15 Minuten einzuplanen, wobei der Rest dann z. B. 3 x 5 Minuten sein kann.
⊗ Personalbedarfsanalyse
⊗ Massierung von Arbeitszeit am Tag und in der Woche
⊗ Ausgleich gewährleisten
⊗ Dokumentation der Arbeitszeit
⊗ Mehrarbeit kontrollieren
⊗ Arbeits-/Dienstplangestaltung
⊗ Vorhersehbarkeit und Überschaubarkeit
⊗ Arbeitsbelastung
⊗ Tätigkeitsanalyse
⊗ Belastungsanalyse
⊗ verhaltensorientierte Maßnahmen«
⇒ Kittelmann, M., Adolph, L., Michel, A., Packroff, R., Schütte, M. & Sommer, S. (Hrsg. 1. Auflage 2021) www.baua.de/gefaehrdungsbeurteilung
Merke:
Die Stichpunkte der BAuA wirken zwar etwas unvermittelt. Sie nützen dennoch als »amtlicher« Aufschlag in der kommenden vertrauensvollen Beratung mit der Betriebsleitung.
kostenlos & online: Letzte Erinnerung! |
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betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Noch einmal Amt & Arbeitszeit (14.07.2022)
Diesmal berichten wir über
⊗ Amt und Arbeitszeit
⊗ bevorstehende Infoveranstaltungen
Amt in der Arbeitszeit |
➽ Zugespitzt:
❍ Gesetzliche Interessenvertreter:innen (BR, PR, MAV) sind während der notwendigen Amtstätigkeit von ihren Arbeitsaufgaben zu befreien (§ 37 Abs. 2 BetrVG). |
§ 37 BetrVG Abs. 2 |
Arbeitsbefreiung? |
Betriebsbedingte Gründe |
(Rn. 29) »Betriebsbedingte Gründe« iSv. § 37 Abs. 3 Satz 1 BetrVG liegen nur vor, wenn betriebliche Gegebenheiten und Sachzwänge innerhalb der Betriebssphäre dazu geführt haben, dass die Betriebsratstätigkeit nicht während der Arbeitszeit durchgeführt werden konnte […]. Es muss sich um Gründe handeln, die sich aus der Eigenart des Betriebs, der Gestaltung seines Arbeitsablaufs oder der Beschäftigungslage ergeben […]. § 37 Abs. 3 Satz 2 BetrVG stellt ferner klar, dass »betriebsbedingte Gründe« in diesem Sinn auch vorliegen, wenn die Betriebsratstätigkeit wegen der unterschiedlichen Arbeitszeiten der Betriebsratsmitglieder nicht innerhalb der persönlichen Arbeitszeit erfolgen kann. Hiernach kann – jedenfalls ohne Hinzutreten besonderer Umstände – regelmäßig nicht vom Vorliegen betriebsbedingter Gründe ausgegangen werden, wenn sich ein Betriebsratsmitglied entschließt, während der ihm erteilten Arbeitsbefreiung Betriebsratsaufgaben wahrzunehmen. Daher entspricht es auch zu Recht der ganz überwiegenden Auffassung im Schrifttum,
dass regelmäßig keine »betriebsbedingten Gründe« angenommen werden können, wenn sich ein Betriebsratsmitglied entschließt, während seines Urlaubs Betriebsratsaufgaben wahrzunehmen.
⇒ BAG Urteil 28.05.2014 – 7 AZR 404/12
Merke:
Durch Amtstätigkeit im Urlaub oder in der Arbeitsunfähigkeit entsteht kein Anspruch auf eine spätere ausgleichende Arbeitsbefreiung.
Wer am Feierabend oder im freien Wochenende Gesetzeskommentare studiert oder einen Redebeitrag für die Betriebsversammlung vorbereitet, ist dabei meist ungestört. Dies allein stellt noch keinen betriebsbedingten Grund für die Amtstätigkeit in der Freizeit dar.
Arbeitsbefreiung oder Geld |
(Rn. 20) Nach § 37 Abs. 3 Satz 1 BetrVG hat ein Betriebsratsmitglied zum Ausgleich für Betriebsratstätigkeit, die aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Arbeitszeit durchzuführen ist, Anspruch auf entsprechende Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts. Nach § 37 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 BetrVG ist die Arbeitsbefreiung vor Ablauf eines Monats zu gewähren; ist dies aus betriebsbedingten Gründen nicht möglich, so ist nach § 37 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 2 BetrVG die aufgewendete Zeit wie Mehrarbeit zu vergüten. Mitglieder des Betriebsrats erhalten danach weder eine Amtsvergütung noch ist die Betriebsratstätigkeit eine zu vergütende Arbeitsleistung. […]
(Rn. 23) Der Abgeltungsanspruch entsteht vielmehr nur, wenn die Arbeitsbefreiung aus betriebsbedingten Gründen nicht möglich ist. Davon ist auszugehen, wenn sich der Arbeitgeber darauf beruft und deshalb Freizeitausgleich verweigert. Solange diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, ist das Betriebsratsmitglied darauf angewiesen, den Freizeitausgleichsanspruch geltend zu machen und notfalls gerichtlich durchzusetzen. Dies setzt voraus, dass das Betriebsratsmitglied Freizeitausgleich vom Arbeitgeber verlangt. Die bloße Anzeige über die während der Freizeit geleistete Betriebsratstätigkeit genügt dafür nicht. Das gilt auch bei der Ansammlung besonders hoher Freizeitausgleichsansprüche. Dem Arbeitgeber obliegt danach die Entscheidung, ob er umfangreiche Arbeitsbefreiung gewähren kann oder Mehrarbeitsvergütung leisten muss, weil er die Arbeitskraft des Betriebsratsmitglieds benötigt.
⇒ BAG Urteil 28.05.2014 – 7 AZR 404/12
Merke:
Es besteht kein Wahlrecht zwischen Frei und Geld, weder für den Arbeitgeber, noch für das Mitglied der Interessenvertretung.
Erst fällt Amtszeit während der Freizeit an, dann stellt die Kollegin einen Antrag auf zeitnahe Arbeitsbefreiung von vertraglicher Arbeitspflicht. Dabei ist die vertragliche Ausschlussfrist zu beachten.
Der Arbeitgeber entscheidet, ob er die Befreiung gewähren will. Weil die Arbeitszeit selbst mitbestimmt festgelegt wurde, ist ebenso die Lage der Arbeitsbefreiung (Freizeitausgleich während dieser Arbeitszeit) mitzubestimmen. Dies wird im Regelfall die Verweigerung betreffen.
kostenlos & online: Letzte Erinnerung! |
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betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Amt & Arbeitszeit (07.07.2022)
Diesmal berichten wir über
⊗ Amt und Arbeitszeit
⊗ die bevorstehende Infoveranstaltungen
Amt in der Arbeitszeit |
➽ Zugespitzt:
❍ Amtszeit ist selbst keine Arbeitszeit. |
Freistellung in der Arbeitszeit außerhalb des Betriebs |
[Pauschal-]Freigestellte Mitglieder des Betriebsrats sind verpflichtet, sich beim Arbeitgeber unter Angabe der voraussichtlichen Dauer der Betriebsratstätigkeit abzumelden, wenn sie außerhalb des Betriebes erforderlichen Betriebsratsaufgaben nachgehen, und sich bei der Rückkehr in den Betrieb zurückzumelden.
Nach § 38 Abs. 1 BetrVG ist ein Betriebsratsmitglied nur von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellt, nicht aber von seiner Anwesenheitspflicht im Betrieb. An die Stelle der Arbeitspflicht tritt die Verpflichtung des Betriebsratsmitglieds, während seiner vertraglichen Arbeitszeit im Betrieb am Sitz des Betriebsrats, dem er angehört, anwesend zu sein und sich dort für anfallende Betriebsratsarbeit bereitzuhalten. Dies ist gesetzliche Rechtsfolge der Freistellung […].
Das [pauschal-freigestellte] Betriebsratsmitglied muss deshalb während seiner Anwesenheit im Betrieb grundsätzlich nicht nachweisen, dass es Betriebsratsarbeit leistet. Zweck des § 38 Abs. 1 BetrVG ist es, Streitigkeiten zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber über den Umfang der notwendigen Arbeitsbefreiung zu vermeiden. […]
Der Arbeitgeber hat ein berechtigtes Interesse daran zu erfahren, dass eines oder mehrere der freigestellten Betriebsratsmitglieder als Ansprechpartner für mitbestimmungspflichtige Angelegenheiten vorübergehend nicht im Betrieb zur Verfügung stehen und wie lange mit ihrer Abwesenheit voraussichtlich zu rechnen ist, um sich im Bedarfsfall an andere freigestellte, ggf. auch an nicht freigestellte Betriebsratsmitglieder wenden zu können. […]
Dagegen hat die Arbeitgeberin kein berechtigtes Interesse daran, dass die nach § 38 Abs. 1 BetrVG freigestellten Mitglieder des Betriebsrats den Ort der beabsichtigten Betriebsratstätigkeit vor dem Verlassen des Betriebes bekanntgeben. Die Arbeitgeberin benötigt diese Information nicht, um während der Abwesenheit der freigestellten Betriebsratsmitglieder Dispositionen treffen zu können.
⇒ BAG Beschluss 24.02.2016 – 7 ABR 20/14
Kosten von Tür zu Tür |
Nimmt ein Mitglied [des Betriebsausschusses] außerhalb seiner Arbeitszeit an Sitzungen [des Betriebsausschusses] teil und muss er den Betrieb ausschließlich deswegen aufsuchen, ist der Arbeitgeber nach § 40 Abs. 1 BetrVG zur Erstattung der Reisekosten verpflichtet, die dem Betriebsratsmitglied für die Fahrten von seiner Wohnung zum Betrieb entstehen. Der Anspruch auf Erstattung der Reisekosten hängt nicht davon ab, ob die [Betriebsausschuss]sitzung aus betriebsbedingten Gründen iSv. § 37 Abs. 3 BetrVG außerhalb der Arbeitszeit des [Betriebsausschuss]mitglieds stattgefunden hat.
⇒ BAG Beschluss 16.01.2008 – 7 ABR 71/06
❍ Im Zweifel muss das Mitglied der Interessenvertretung nachweisen, dass es sich durch die Teilnahme am Termin nicht die Fahrt zu einer anderen, ausgefallenen Schicht erspart hat. Es geht also um den Ersatz aller durch das Amt zusätzlich entstandenen Kosten.
❍ Dieser Ersatzanspruch greift auch, wenn eine Beratung einer Fraktion des Gremiums besucht wird, der Dienstplanausschuss, der ASA, das »Monatsgespräch« mit dem Arbeitgeber …
❍ Grundsätzlich greift die mit der Interessenvertretung vereinbarte Reisekosten-Richtlinie des Betriebes, was die Höhe des Ausgleichs betrifft. Es ist jedoch nicht notwendig, vorher die Fahrten anzumelden oder gar im Voraus genehmigen zu lassen.
❍ Wer für einen gefahrenen Kilometer nur 30 Cent bekommt, nimmt sich hoffentlich vor, die Reisekosten-Richtlinien für alle aufzukündigen!
❍ Clever, wenn in der Rundlaufmappe jeder Sitzung auch Formulare für die Geltendmachung liegen.
Freistellung plus Freizeitausgleich |
[Rn. 18] Dem Anspruch steht nicht entgegen, dass der Kläger von der Beklagten in der vor der Betriebsratstätigkeit liegenden Nachtschicht nicht zur Arbeit herangezogen, sondern von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt wurde. Betriebsratstätigkeit liegt nicht nur dann »außerhalb der Arbeitszeit« iSv. § 37 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, wenn sie zusätzlich zu der durch Arbeitsleistung oder erforderliche Betriebsratstätigkeit bereits ausgefüllten vertraglichen Arbeitszeit des Betriebsratsmitglieds geleistet wird […].
Vielmehr kommt es für den Freizeitausgleichsanspruch nach § 37 Abs. 3 Satz 1 BetrVG ausschließlich darauf an, ob die Betriebsratstätigkeit aus betriebsbedingten Gründen zu einer Zeit zu leisten ist, zu der das Betriebsratsmitglied keine Arbeitsleistungen zu erbringen hätte.
[Rn. 24 Der] Freizeitausgleich nach § 37 Abs. 3 BetrVG [dient] der Kompensation der betriebsbedingten Aufopferung persönlicher Freizeit durch ehrenamtliche Betriebsratstätigkeit. Der bezahlten Freistellung während der Schicht vor der Betriebsratssitzung nach § 37 Abs. 2 BetrVG und dem späteren Freizeitausgleich nach § 37 Abs. 3 BetrVG liegen daher unterschiedliche Schutzzwecke zu Grunde, die jeweils für sich genommen den jeweiligen Anspruch rechtfertigen.
[Rn. 26] Da der Freistellungsanspruch nach § 37 Abs. 3 BetrVG erst nach der Nachtschicht infolge der außerhalb der Arbeitszeit erbrachten Betriebsratstätigkeit entstanden ist und erfüllbar wurde, war es der Beklagten nicht möglich, die Freistellung rückwirkend durch Arbeitsbefreiung in der der Betriebsratstätigkeit vorausgegangenen Nachtschicht zu gewähren.
⇒ BAG Urteil 15.05.2019 – 7 AZR 396/17
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Mitbestimmen – Neu im Amt (27.06.2022)
Diesmal berichten wir über
⊗ Rahmenvereinbarungen
⊗ Mitbestimmen im Krankenhaus
⊗ bevorstehende Infoveranstaltung zu Amt und Pausen
Rahmenvereinbarungen |
➽ Zugespitzt:
❍ Mitbestimmen endet mit konkreten Festlegungen. |
Der Fall |
Der Betriebsrat streitet sich mit der Arbeitgeberin, einem Großklinikum im Erfurt mit 2.400 Beschäftigten. Es greift der TV Helios. Einigungsversuche in Einigungsstellen enden, ohne dass für alle Dienstpläne abstimmungsfähige Übereinkommen erreicht wurden. Dennoch ordnet die Arbeitgeberin wieder und wieder auch diese strittigen Dienstpläne an. Die Einigungen über die übrigen Pläne werden kurze Zeit später durch einseitige Planänderungen und Planergänzungen verletzt.
Der Betriebsrat erreicht erfolgreich in der zweiten Instanz für all diese Fallgestaltungen Titel. Dabei stellt das Gericht fest, dass die Arbeitgeberin in konkreten Fällen die Mitbestimmungsrechte verletzt hat und auch in Zukunft eine Wiederholungsgefahr besteht. Bereits im selben Verfahren wird für die recht genau beschriebenen Fallgestaltungen ein Ordnungsgeld angedroht. Das Ordnungsgeld wird in der Höhe je Fall auf regelmäßig 'bis zu 10.000 Euro' begrenzt. Der Betriebsrat erhält also kein Geld, sondern eine vollstreckbare Ausfertigung dieser Androhung (Titel). Falls die Arbeitgeberin ungeniert fortfährt, sammelt der Betriebsrat die Belege dieser einzelnen Verstöße und schickt seine Rechtsanwältin damit erneut zum Gericht. Diese beantragt beim Gericht nun die Festsetzung der Höhe der Ordnungsstrafe und deren Verhängung.
Wasser in den Wein: Das beigetriebene Ordnungsgeld landet in der Staatskasse.
Um diesen Folgen zu entgehen, berief sich die Arbeitgeberin auf angebliche Vereinbarungen mit dem Betriebsrat, trug fantasievoll Entschuldigungsgründe vor und schob die Schuld auf den Betriebsrat. Zäh schleppte sie den Gerichtsstreit über mehr als drei Jahre und gewann Zeit. Im Übrigen verlor sie nun auf der ganzen Linie. Und wir können aus diesem Fall viel Honig saugen.
⇒ LAG Thüringen Beschluss 23.02.2022 – 4 TaBV 17/19
Mitbestimmen gefährdet den Versorgungsauftrag? |
[Rn 70] »Dass es sich bei der Umsetzung der Dienstpläne vor Abschluss des Mitbestimmungsverfahrens um einen echten Notfall, der mitbestimmungsfrei wäre, handelt, trägt die [Arbeitgeberin] so nicht vor und ist auch nicht ersichtlich. Soweit sie sich darauf beruft, dass Sie die öffentlich-rechtliche Aufgabe der Klinikversorgung sicherzustellen hat, bedeutet dies nicht, dass gleichsam ein permanenter Notfall vorliegt.
Wenn die Grundsatzentscheidung getroffen wird, öffentlich-rechtliche Aufgaben der Daseinsvorsorge privatwirtschaftlich organisiert erbringen zu lassen, so muss diese Entscheidung konsequent dahingehend durchgeführt werden, dass dann auch die für privatwirtschaftliches Handeln geltenden Gesetze einzuhalten sind und bei Existenz eines Betriebsrats bedeutet dies, dass die Mitbestimmungsrechte einzuhalten sind.«
Merke: Die pure Existenz eines Betriebsrates lohnt sich. Denn wenn die Arbeitgeberin gegen dessen Mitbestimmungsrechte verstößt, dann bleiben ihre Arbeitszeit-Anordnungen für alle Kolleginnen und Kollegen unverbindlich.
Das Betriebsverfassungsgesetz unterwirft diese Rechte des Betriebsrats nicht dem Vorbehalt drängender unternehmerischer oder staatlicher Interessen und Aufgaben.
Unkooperativer Betriebsrat? |
[Rn 87] »Zunächst ist festzuhalten, dass nach der Anhörung unstreitig geblieben ist, dass mittlerweile ca. 1/3 der vorgelegten Dienstpläne mit Zustimmung des [Betriebsrats] spätestens in der Einigungsstelle zustande kommen. Eine komplette Blockadehaltung des [Betriebsrats] lässt sich daher nicht mehr feststellen.«
[Rn 88] »Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die Mängel der vorgelegten Dienstpläne im Wesentlichen gleichartig sind. Die [Arbeitgeberin] könnte Ihrerseits die Situation deeskalieren und komfortabler und kooperativer gestalten, wenn Sie jedenfalls die immer wieder auftauchenden rechtlichen Mängel bei der zukünftigen Dienstplangestaltung berücksichtigen würde anstatt zu planen wie bisher und vom [Betriebsrat] zu verlangen, jeweils diese rechtlichen Mängel herauszusuchen und vorab zu benennen. Die rechtlichen Gegebenheiten sind der [Arbeitgeberin] bekannt und der [Arbeitgeberin] ist bekannt, welche rechtlichen Mängel im Wesentlichen der [Betriebsrat] bei den Dienstplänen jeweils sieht.
Wenn Sie gleichwohl Abstand davon nimmt, die Dienstplanung insoweit anzupassen kann sie ihrerseits dem [Betriebsrat] nicht zum Vorwurf machen, hierauf entsprechend zu reagieren. Im Grunde genommen legt sie mindestens fahrlässig und nahezu bewusst monatlich erkennbar rechtswidrige Dienstpläne vor. Mit höherem Planungsaufwand ließe sich dieser Umstand beheben.«
[Rn 89/90] »Soweit die [Arbeitgeberin] eingewendet, der [Betriebsrat] würde sein unkooperatives Verhalten dazu einsetzen, seine Wünsche und Forderungen […] durchzusetzen und diese Wünsche ergäben sich nicht aus dem Gesetz oder dem Tarifvertrag, stellt dies für sich gesehen kein rechtsmissbräuchliches Verhalten dar.
Die Mitbestimmung im Rahmen des § 87 Abs. 1 BetrVG ist nicht lediglich Gesetzes- oder Tarifvollzug. Im Gegenteil. Der Einleitungssatz der Vorschrift macht deutlich, dass soweit nur Gesetzes- und Tarifvollzug vorzunehmen wäre, ein Mitbestimmungsrecht ausgeschlossen wäre. Das Mitbestimmungsrecht greift überhaupt erst ein, wenn Handlungsmöglichkeiten gegeben sind, die nicht vom Gesetz oder Tarifvertrag determiniert [vorgegeben] sind.
Es ist nicht zu beanstanden, dass der [Betriebsrat] die [Arbeitgeberin] schon 2017 davon in Kenntnis gesetzt hat, welche Wünsche für die Dienstplangestaltung er diesbezüglich hat. Im Hinblick darauf, dass die [Arbeitgeberin] einerseits bemängelt, der [Betriebsrat] würde erst immer in den Einigungsstellenverhandlungen seine Beanstandungen offenlegen ist kaum nachvollziehbar, weshalb gleichzeitig beanstandet wird, dass die bereits seit langem bekannten Wünsche des Betriebsrats weiterhin im Raum stehen. Insofern kann die [Arbeitgeberin] bei der Dienstplanung auch schon erkennen, welche Beanstandungen außerhalb von rechtlichen Beanstandungen auf sie zukommen werden. Wenn sie nicht bereit ist, auf diese Wünsche des [Betriebsrates] einzugehen, kann sie nicht mit Zustimmung rechnen.«
Merke: Clever ist zunächst, wie der Betriebsrat sich auf die schlimmsten Dienstpläne konzentrierte.
Clever handelt zudem eine Interessenvertretung, die den Dienstplanenden und der Chefetage offen und klar erklärt, von welchen Schutzinteressen und Wünsche der Kolleginnen sie ihre Zustimmung abhängig machen will. Es handelt sich um einseitige Erklärungen des Betriebsrates. Eine Vereinbarung über solche Prüfsteine braucht es nicht.
Gesetzliche und tarifvertragliche Vorschriften sind nicht durch den Betriebsrat verhandelbar. Dennoch stellen sich viele Betriebsleitungen die Interessenvertretung als bloße letzte Prüfinstanz und Qualitätskontrolle vor.
Bewusstes Dulden der Planabweichungen |
[Rn. 74] [Der Arbeitgeberin] »ist, mindestens seit Jahren aus den Darlegungen und Diskussionen in diesem Verfahren bekannt, dass diese Abweichungen von Dienstplanvorgaben durch Arbeitnehmer*innen vorkommen. Sie erfasst diese Abweichungen generell systematisch in der Arbeitszeitdokumentation. Das ist nicht bestritten worden. Ihr ist hinreichend deutlich gemacht worden, dass der [Betriebsrat] die Verantwortung für die Einhaltung mitbestimmter Dienstpläne bei ihr sieht.
Wenn Sie trotz Kenntnis von diesen Abweichungen unter systematischer Erfassung dieser Arbeitszeiten und trotz Bestehens der Möglichkeiten hiergegen einzuschreiten nichts unternimmt, handelt sie durch dieses bewusste Dulden und Entgegennehmen der Arbeitsleistungen zu diesen nicht mitbestimmten Zeiten mitbestimmungswidrig (vgl. BAG 28.7.2020 – 1 ABR 18/19 […]).«
Rahmenvereinbarung |
»Aus der Rahmenbetriebsvereinbarung ergeben sich Vorgaben für die Dienstplangestaltung. Eine personelle Zuordnung einzelner Arbeitnehmer*innen insoweit, als dass erkennbar ist, wer zu welchen Zeiten zu arbeiten hat und wer nicht, ergibt sich daraus nicht. Damit ergibt sich daraus auch nicht, ob die Vorgaben wie Schichtabfolgen und freie Wochenenden eingehalten sind. Insofern determiniert [bestimmt] die Rahmenbetriebsvereinbarung die Dienstplangestaltung nicht in einem Masse, als dass keine Ermessensentscheidung der [Arbeitgeberin] mehr erfolgen kann.
Insofern ist noch Offenheit und Raum für eine Mitbestimmung des Betriebsrats, auf die er im Vorhinein, selbst wenn er die Vereinbarung seinerzeit so verstanden hätte, nicht in der Form wirksam verzichten kann (BAG 3.6.2003 – 1 AZR 349/02, NZA 2003, 1155, Fitting, 30. Aufl. 2020, BetrVG § 87 Rn. 578).«
Merke: Die Interessenvertretung kommt nicht umhin, ein paar Festlegungen auszuhandeln: Die Ausgleichszeiträume, die Arbeitszeitkonten … Dann wird die Luft schnell dünn. Besser, der Betriebsrat stellt für seine zukünftige Zustimmung zu einzelnen Plänen und Überstunden klare Bedingungen. 'Vereinbaren' sollte er diese Bedingungen nicht. Denn bei solchen unübersichtlichen und einvernehmlichen Einigungen und Rahmenregeln kommt allenfalls ein Kompromiss heraus.
Im vorliegenden Fall hatte der Betriebsrat zwar vereinbart, dass die Einzelpläne mindestens sechs Wochen im voraus angeordnet werden (Rn. 3). Tatsächlich stritt man sich dann in den einzelnen Einigungsstellen noch, wenn der Planungsturnus selbst schon begonnen hatte. Der Betriebsrat konnte sich also nicht erfolgreich auf die ausgehandelte Ankündigungsfrist berufen.
Eine Einigung in der E-Stelle hebelt dagegen fallweise die schönen Rahmenregeln aus. Darum trauen sich die Beschäftigten erst gar nicht, sich auf diesen wackeligen Boden zu berufen.
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Ruhezeit, XXL-Schichten (10.06.2022)
Diesmal berichten wir über
⊗ die werktägliche Ruhezeit
⊗ die bevorstehende kollektive Sprechstunde zu XXL-Schichten
24-stündige Schichten? |
➽ Zugespitzt:
❍ Der Werktag im Sinne des ArbZG beginnt mit der Arbeitsaufnahme und dauert 24 Stunden. |
Gesundheitsschutz sicherstellen |
»§ 7 Abs. 2a ArbZG lässt tarifliche Regelungen zu, nach denen die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit 48 Stunden dauernd überschreitet. Voraussetzung hierfür ist, dass in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst fällt. Außerdem muss durch besondere Regelungen im Tarifvertrag oder in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung sichergestellt sein, dass die Gesundheit der Arbeitnehmer nicht gefährdet wird.«
⇒ BAG Urteil 23.06.2010 – 10 AZR 543/09
Tägliche Ruhezeit |
[Rn. 36] »Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass das Recht eines jeden Arbeitnehmers auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf – insbesondere tägliche – Ruhezeiten, nicht nur eine Regel des Sozialrechts der Union ist, die besondere Bedeutung hat, sondern auch in Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der nach Art. 6 Abs. 1 EUV der gleiche rechtliche Rang wie den Verträgen zukommt, ausdrücklich verbürgt ist[…]«
⇒ EuGH Urteil 17.03.2020 – C-585/19
Ruhezeit als Schutzrecht |
[Rn. 42] »Auch wenn die Mitgliedstaaten daher zu diesem Zweck über einen gewissen Spielraum verfügen, müssen sie angesichts des von der Richtlinie 2003/88 verfolgten wesentlichen Ziels, einen wirksamen Schutz der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer sowie einen besseren Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten, sicherstellen,
dass die praktische Wirksamkeit dieser Rechte in vollem Umfang gewährleistet wird, indem ihnen tatsächlich die täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten und die Obergrenze für die durchschnittliche wöchentliche Höchstarbeitszeit, die in dieser Richtlinie festgesetzt sind, zugutekommen […].«
⇒ EuGH Urteil 14.05.2019 – C-55/18
§ 5 ArbZG Abs. 1 Ruhezeit |
Ruhezeit während des 24-stündigen Werktags |
»Die vorliegend maßgebliche unionsrechtliche Frage, ob die Mitgliedstaaten nach Art. 3 der Richtlinie 2003/88/EG sicherstellen müssen, dass die Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden dem Arbeitnehmer innerhalb eines 24-Stunden-Zeitraums, beginnend ab Arbeitsaufnahme, zur Verfügung stehen muss, ist durch die Rechtsprechung des EuGH geklärt (EuGH 14. Mai 2019 – C-55/18 – [CCOO] Rn. 42; 9. November 2017 – C-306/16 […]).«
⇒ BAG Urteil 16.09.2020 – 7 AZR 491/19
Mitbestimmen! |
»Das Mitbestimmungsrecht bei der Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und der Pausen umfaßt auch ein Mitbestimmungsrecht bei der Änderung der Schichtdauer, da durch die Verkürzung der bisher praktizierten 24-Stunden-Schicht auf eine Tages- und Nachtschicht von jeweils 12 Stunden Dauer Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit der Feuerwehrleute neu festgelegt werden.
Das entspricht für die Bestimmung in § 75 Abs. 3 Nr. 1 BPersVG der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, das ein Mitbestimmungsrecht des Personalrats bei Dienstplänen jedenfalls dann annimmt, wenn durch einen Dienstplan Beginn und Ende der Arbeitszeit aller von dem Dienstplan betroffenen Beschäftigten in Form einer generellen Regelung festgelegt wird.«
⇒ BAG Beschluss 26.03.1991 – 1 ABR 43/90 (Seite 11)
Transfer in die Praxis |
Die Lage der Ruhezeit ist erstaunlich klar geregelt. Die Erholung folgt der Belastung. Darum folgt die tägliche Ruhezeit abschließend der letzten Arbeitsminute.
Dies gerät mit kurzen Wechseln (Spätdienst, dann Frühdienst) in Konflikt. Denn der 24-stündige Werktag beginnt dann mit der Arbeitsaufnahme zur regelmäßigen Spätschicht, es folgt eine Arbeitsunterbrechung, dann die Frühschicht; die Ruhezeit wird so außerhalb dieses Werktags geschoben.
Die Dauer der Ruhezeit ist regelmäßig mindestens 11 Stunden.
Ausnahme 1: Das Arbeitszeitgesetz verkürzt diese Erholungszeit in Krankenhäusern und Heimen auf 10 Stunden (§ 5 Abs. 2 ArbZG). Die Bestimmungen zur Lage der Ruhezeit bleiben unverändert. Der Sinn erschließt sich darum nicht. Die Betriebe überlesen und übergehen, zunächst die Frist (Kalendermonat oder vier Wochen) zu bestimmen und danach zum Ausgleich innerhalb dieser Spanne eine Ruhezeit auf zwölf Stunden zu verlängern.
Ausnahme 2: Das Arbeitszeit verkürzt speziell für Rufdienste in dieser Branche die Dauer der Mindestruhezeit auf 5,5 Stunden, falls eine Inanspruchnahme dazwischen kommt. Die Regel ist sprachlich verunglückt und unklar. Die Bestimmungen zur Lage der Ruhezeit bleiben unverändert!
Ausnahme 3: Die Ruhezeit kann über die Öffnungen in § 7 Abs. 2 ArbZG an Besonderheiten angepasst werden. Es braucht –
⊗ einen Tarifvertrag, eine kircheneigne AVR und / oder eine betriebliche Vereinbarung,
⊗ die Aufweichung der Ruhezeit als eine Anpassung an die Eigenart der Betreuung von Menschen und
⊗ entsprechenden Zeitausgleich.
Keine AVR regelt Abweichungen zur Lage der Ruhezeit. Die Bestimmungen zur Lage der Ruhezeit bleiben dort unverändert!
Es macht keinen Unterschied, ob Arbeitszeit minderer Belastung (Bereitschaftsdienst, Arbeitsbereitschaft) abgefordert wird.
Kollektive Beratung |
Seit 100 Jahren versprechen die Gesetzgeber den 8-Stundentag. Doch in Kliniken und Heimen finden wir extralange Schichten. Manche dauern 24 Stunden oder länger. Da lohnt ein gemeinsamer Blick drauf.
Schichtplan-Fibel. Jetzt erst recht. Montag, 13. Juni 2022 von 10 bis 12:00 Uhr |
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betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Teilzeit (19.05.2022)
Diesmal berichten wir über
⊗ Wechsel der Teilzeit
⊗ die bevorstehende kollektive Sprechstunde zur Teilzeit
Teilzeit: Mehr oder weniger |
➽ Zugespitzt:
§ 8 TzBfG regelt, wie Du Deine vertragliche Zeitschuld verminderst und neu verteilst. |
Antrag: Erörterung als Chance zur Abänderung |
»Der Arbeitnehmer kann sein Angebot auf Verringerung der regelmäßigen Arbeitszeit gem. § 8 Abs. 2 Teilzeitbefristungsgesetz (TzBfG) davon abhängig machen, dass der Arbeitgeber auch seinem Verteilungswunsch hinsichtlich der reduzierten Arbeitszeit zustimmt. Er unterbreitet damit ein einheitliches Vertragsangebot. Der Arbeitnehmer darf aufgrund des Ergebnisses der Erörterung nach § 8 Abs. 3 TzBfG seinen Verteilungswunsch erstmals äußern oder einen vorher geäußerten Verteilungswunsch ändern. Danach ist er hieran gebunden.«
⇒ BAG Urteil 24.06.2008 – 9 AZR 514/07
Missbräuchlicher Antrag: Zustimmungsfiktion! |
»Ebenso kann der Arbeitgeber auch durch bloße Untätigkeit die Zustimmungsfiktion zu einem aus seiner Sicht rechtsmissbräuchlichen Antrag [auf Teilzeit] herbeiführen. Auch ein rechtsmissbräuchlicher Antrag stellt daher einen wirksamen Antrag dar, der vom Arbeitgeber angenommen werden kann und der im Fall der nicht frist- oder formgerechten Ablehnung die Fiktionen des § 8 Abs. 5 Satz 2 und Satz 3 TzBfG auslösen kann.«
⇒ BAG Urteil 27.6.2017 – 9 AZR 368/16
Verkürzung oder Aufstockung: Kein neuer Vertrag! |
»Zudem werden bei einer Verringerung oder Verlängerung der Arbeitszeit ausschließlich Umfang und gegebenenfalls Verteilung der Arbeitszeit verändert. Im Übrigen bleibt der Arbeitsvertrag unverändert.«
⇒ BAG Urteil 08.05.2007 – 9 AZR 874/06
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Ersatzruhetag Rufdienst (06.05.2022)
Diesmal berichten wir über
⊗ Ersatzruhetage
⊗ Ersatz für Feiertagsarbeit
⊗ die bevorstehende kollektive Sprechstunde zur Rufbereitschaft
Ersatzruhetag für Feiertagsbeschäftigung |
➽ Zugespitzt:
Sonntage, Feiertage und Ersatzruhetage beziehen sich gleich auf Kalendertage. |
Der Fall |
Ein LKW-Verlader (Logistikbranche) mit Tarifvertrag wird in Dauer-Nachtarbeit nach einem Rahmenplan eingesetzt: regelmäßig an fünf Tagen in der Woche, beginnend mit dem Sonntag, zwischen 18:00 Uhr und 19:00 Uhr bis zum Folgetag zwischen 02:00 Uhr und 03:30 Uhr. Er hat dann nach Schichtende frei und nimmt seine Arbeit erst am Abend des darauffolgenden Werktags wieder auf. Er wird so auch an Feiertagen herangezogen. An einem wechselnden Werktag wird dem Kläger in jeder Woche ein sog. Rolltag gewährt (von 02:00 Uhr des einen Kalendertags bis 19:00 des folgenden Kalendertags).
§ 11 ArbZG |
Die Entscheidung |
Ein Ersatzruhetag in diesem Sinn ist ein Werktag, an dem der Arbeitnehmer von 00:00 Uhr bis 24:00 Uhr keine Arbeitsleistung erbringt. Ein davon abweichender individueller Zeitraum mit einer Dauer von 24 Stunden genügt nicht.
Der wöchentliche »Rolltag«, den die Beklagte dem Kläger gewährt, entspricht nicht den Anforderungen an einen Ersatzruhetag iSv. § 11 Abs. 3 Satz 2 ArbZG.
⇒ BAG Urteil 08.12.2021 – 10 AZR 641/19
Aus der Begründung |
(Rn. 23 – 27) Der nach § 4 Nr. 5 Buchst. b iVm. Buchst. a MTV 2012 geschuldete Zuschlag für die an einem gesetzlichen Feiertag von 00:00 Uhr bis 24:00 Uhr geleistete Arbeit ist mit 200 % sehr hoch.
bb) Diese Regelungen lassen jedoch nicht den Schluss darauf zu, dass die Tarifvertragsparteien eine Vereinbarung über den Wegfall von Ersatzruhetagen iSv. § 12 Satz 1 Nr. 2 ArbZG treffen wollten. […]
Im Tarifvertrag ist nicht ausdrücklich oder sinngemäß geregelt, dass der Zuschlag »statt« oder »anstelle« des Ersatzruhetags gezahlt werde. […]
Von den Tarifvertragsparteien […] konnte erwartet werden, ihren etwaigen Willen, den Wegfall von Ersatzruhetagen für auf Werktage fallende Feiertage zu vereinbaren, zumindest ansatzweise zum Ausdruck zu bringen […].
(Rn. 27 – 32) Die Auslegung des § 11 Abs. 3 Satz 2 ArbZG ergibt, dass der Ersatzruhetag ein Werktag – und kein Feiertag – ist, an dem der Arbeitnehmer von 00:00 Uhr bis 24:00 Uhr keine Arbeitsleistung erbringt […].
Ausgehend hiervon ergibt die Auslegung von § 11 Abs. 3 Satz 2 ArbZG, dass als »Ersatzruhetag« ein Kalendertag von 00:00 Uhr bis 24:00 Uhr und nicht ein individueller Zeitraum mit einer Dauer von 24 Stunden zu verstehen ist.
aa) Auf dieses Verständnis deutet der Wortlaut des Gesetzes hin.
(1) Eine gesetzliche Definition für den aus den drei Substantiven »Ersatz«, »Ruhe« und »Tag« zusammengesetzten Begriff »Ersatzruhetag« fehlt. Nach seiner Wortbedeutung ist unter einem »Ersatzruhetag« ein »Tag« zu verstehen, der einen »Ruhetag« ersetzt (vgl. Anzinger/Koberski ArbZG 5. Aufl. § 11 Rn. 30). Das Grundwort »Tag« weist darauf hin, dass es sich um einen ganzen Kalendertag handelt. Nach dem allgemeinen Wortverständnis bezeichnet ein »Tag« regelmäßig einen Kalendertag von 00:00 Uhr bis 24:00 Uhr.
(Rn. 37) Nach § 9 Abs. 1 ArbZG ist an Sonntagen und an auf Werktage fallenden (gesetzlichen) Feiertagen die Beschäftigung von 00:00 Uhr bis 24:00 Uhr verboten. Wenn § 11 Abs. 3 Satz 2 ArbZG für den Ersatzruhetag die Voraussetzung aufstellt, dass der Arbeitnehmer an einem »auf einen Werktag fallenden Feiertag« beschäftigt wird, liegt es nahe, dass sich der Ersatzruhetag ebenfalls auf die Zeitspanne von 00:00 Uhr bis 24:00 Uhr beziehen muss […].
(Rn. 42) Die Feiertagsruhe wird durch jede Art von Beschäftigung gestört. Folgerichtig muss der Ersatzruhetag auch dann gewährt werden, wenn der Arbeitnehmer am Feiertag nur für einen kurzen Zeitraum beschäftigt wurde […].
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Transfer in die Praxis |
Den Beschäftigten steht aufgrund Artikel 31 Abs. 2 der EU-Grundrechte-Charta das Wochenfrei zu. In jeder Woche bzw. in jedem durch die Betriebsparteien festgelegten Siebentageszeitraum (Artikel 5 der EU-Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG) bleiben 24 Stunden (plus im Gesundheitsbereich 10 Stunden Ruhezeit) von Arbeit und Beschäftigung frei.
Die gesetzlichen Feiertage treten dem in Deutschland hinzu. Doch bei Feiertagen wie bei der Sonntagsruhe greifen deutsche Besonderheiten: Wir blicken auf den ganzen Kalendertag.
Manchmal regeln Tarifverträge, dass die Arbeitsstunden am Feiertag ohne Freizeitausgleich bleiben dürfen. Steht eine zusätzliche Vergütung dieser Stunden zu? Einige zusätzliche Stundenvergütungen treten nicht an die Stelle des gesetzlichen Ersatzruhetags. Die besondere, an den Kalendertag gebundene Zeitspanne kann nur durch eine ausdrückliche Regelung im Tarifvertrag abgekauft werden. Dies ist in den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes oder in kirchlichen Einrichtungen nicht der Fall.
Die gesetzliche Interessenvertretung sollte sich und den Betroffenen die Überwachung dieser Regeln erleichtern. Sie schreibt an die Dienstplanenden:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, |
Feiertags-Inanspruchnahme |
Die Auslegung der Anlage 30 AVR-Caritas [hier regelungsgleich zum TVöD, TV-L] ergibt, dass ein angestellter Arzt für die Inanspruchnahme während der Rufbereitschaft an einem Feiertag, der auf einen Werktag fällt, auch für Zeiten, die außerhalb seiner regelmäßigen Arbeitszeit liegen, einen Vergütungsanspruch in Höhe von 235 % seines Stundenlohns hat.
⇒ LAG Köln 18.04.2018 – 5 Sa 216/17
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Planaufstellung Urlaub Wochenfrei (14.04.2022)
Diesmal berichten wir über
⊗ Pläne ohne Mitbestimmung
⊗ Urlaub
⊗ die bevorstehende kollektive Sprechstunde zum Wochenfrei
Der aufgestellte Plan |
➽ Zugespitzt:
Der Arbeitgeber entwirft den Plan (nach Rücksprache mit den Betroffenen). |
Der Fall |
Ein Oberarzt wird in der Klinik eingesetzt. Bei der Beklagten gilt eine Betriebsvereinbarung, nach der dem Betriebsrat die Dienstpläne jeweils sechs Wochen vor dem Planungszeitraum, der jeweils Kalendermonate umfasst, von der Beklagten zugeleitet werden. Es gibt Streit um die Dienstpläne Februar bis September 2020 mit 16 Bereitschafts- bzw. Rufbereitschaftsdiensten. Er verlangt Zuschläge von 10 v.H. gemäß § 10 TV Ärzte (VKA).
§ 10 Abs. 11 TV-Ärzte/VKA |
Der Arbeitgeber hat dem Oberarzt die Dienstpläne zwar bei Zeiten bekannt gegeben. Doch lag jeweils keine Zustimmung des Betriebsrats vor; sie wurde auch nicht nachträglich erteilt. Von der Beklagten wurde auch kein Einigungsstellenverfahren angestrengt. Der Betriebsrat hatte einzelne Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz gerügt.
Der Kläger trägt vor: Die Arbeitgeberin habe den Plan so nicht rechtzeitig angeordnet.
Der Rechtsstreit geht also darum: Gilt eine beabsichtigte und bekannte Maßnahme (ausgehängter Plan) ohne Mitbestimmung als bereits aufgestellt im Tarifsinn?
Die zweite Instanz im Verfahren meint: Ja.
Die Entscheidung |
»Die Zuschlagspflicht ist keine Sanktion für mitbestimmungswidriges Verhalten des Arbeitgebers.« »Ein Zuschlag gemäß § 10 Abs. 11 TV-Ärzte/VKA ist nur dann geschuldet, wenn der Dienstplan verspätet bekanntgegeben oder nicht so wie bekanntgegeben durchgeführt wird. Die Verletzung von Mitbestimmungsrechten führt nicht dazu, dass sich individualrechtliche Ansprüche der betroffenen Arbeitnehmer ergäben, die zuvor noch nicht bestanden haben.«
Die Revision beim BAG ist zugelassen.
⇒ LAG Baden-Württemberg Urteil 02.02.2022 – 19 Sa 62/21 (nicht rechtskräftig)
Aus der Begründung |
(Rn. 62) Zur Mitbestimmung verhält sich lediglich § 10 Abs. 11 Satz 4 TV-Ärzte/VKA, wonach dieselbe nach der Aufstellung des Dienstplanes unberührt bleibt. Die tarifschließenden Parteien verstehen die Regelung übereinstimmend dahin, dass das Mitbestimmungsverfahren noch im Anschluss an den alleine durch den Arbeitgeber aufgestellten Dienstplan durchgeführt werden könne (Schreiben des Marburger Bundes vom 29. April 2021 sowie Schreiben der VKA vom 21. Juni 2021, Anlage B7 = Bl. 39ff., 93ff. der Akte des ArbG).
(Rn. 64) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verletzt der Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG bereits dadurch, dass er im Betrieb monatliche Dienstpläne bekannt gibt und dadurch sein Weisungsrecht gegenüber den Beschäftigten ausübt, wenn keine Einigung mit dem Betriebsrat herbeigeführt wurde. Soweit der Betriebsrat diesen Dienstplänen nicht zuvor zugestimmt und auch die Einigungsstelle die Einigung der Beteiligten nicht ersetzt hat, hat der Arbeitgeber damit gegen § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG verstoßen.
(Rn. 64) […] der Arbeitnehmer erwirbt bei Vorliegen der Voraussetzungen der Sätze 2 oder 5 unmittelbar einen Anspruch auf Zahlung eines Zuschlages. Die betriebsverfassungsrechtliche Frage der Mitbestimmung bei Aufstellung der Dienstpläne wird nicht geregelt, sie bleibt ›unberührt‹.
(Rn. 69) Mit der Aufstellung des Dienstplanes im Sinne einer Bekanntgabe und Veröffentlichung der zu leistenden Dienste übt der Arbeitgeber sein Weisungsrecht nach § 106 GewO aus. Ab diesem Zeitpunkt können die betroffenen Ärztinnen und Ärzte ihre freie und für die Gestaltung ihres Privatlebens nutzbare Zeit verplanen. Ihr Planungsinteresse ist durch die engen Voraussetzungen, unter denen nach § 10 Abs. 11 Satz 3 TV-Ärzte/VKA überhaupt Änderungen nach der Aufstellung des Dienstplanes zulässig sind, hinreichend geschützt.
Die Frage der Mitbestimmung vor Aufstellung des Planes betrifft ihr Planungsinteresse ebenso wenig wie die Frage, ob ein Dienstplan etwa an sonstigen Mängeln leidet und etwa seine Umsetzung zu Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz führen würde. In beiden Fällen bestünde ggf. für die zu bestimmten Diensten eingeteilte ärztliche Arbeitskraft ein Leistungsverweigerungsrecht. Entscheidet sie sich indessen zur Ableistung der Dienste, bleibt ihr Vergütungsanspruch hierfür unabhängig von der Kenntnis oder Unkenntnis etwaiger Rechtsverstöße erhalten. Eine Grundlage für die Zahlung eines zusätzlichen Zuschlages wegen Verkürzung des Planungszeitraumes ist hingegen nicht gegeben.
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Transfer in die Praxis |
Was das Gericht da rechtlich im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) überlegt, greift genauso auch für Personalräte und Mitarbeitervertretungen. Es bleibt dabei:
Manchmal werden Pläne ausgehängt, denen die Zustimmung der Interessenvertretung fehlt. Manchmal sind diese Pläne nicht ausdrücklich als für alle unverbindlicher Entwurf gekennzeichnet. Dann sind sie auch nicht nur unverbindlicher Entwurf, sondern eine rechtswidrige Anordnung.
Aber eben auch: Eine tatsächliche Anordnung. Der Arbeitgeber bindet sich gegenüber den Beschäftigten an seine Weisung. Die Beschäftigten dagegen bleiben frei. Sie können so arbeiten, sie können anders arbeiten oder die Leistung verweigern. Der Dienstplan mag schutzrechtlich und kollektivrechtlich illegal sein; er steht jedoch nicht der unbekümmerten Lebensplanung der Einzelnen im Wege. Gut so!
❍ Ansprüche auf Zulagen und Zuschläge, als Ausgleich für Belastungen, entstehen aus der tatsächlichen Leistung. Auf die Zustimmung der Interessenvertretung zum Plan kommt es dabei nicht an. Fehlt die Mitbestimmung, dann entsteht allein daraus noch kein Anspruch auf Belastungsausgleich. Schade.
❍ Es ist Aufgabe der Interessenvertretung, unter anderem mit Ordnungsgeldern und Strafanzeigen gegen die Verletzung ihrer Rechte und die tatsächlichen Belastungen der Kolleg:inn:en vorzugehen. Die Tarifparteien können diesen dornigen Weg nicht abkürzen, etwa durch Säumniszuschläge unmittelbar an die Betroffenen. Schade.
❍ Die undeutliche Regelung in § 10 Abs. 11 TV-Ärzte/VKA aus dem Tarifabschluss 2020 eignet sich so nicht zum Abschreiben im TVöD, in seinen Nachfolgern oder in einer Betriebsvereinbarung.
Nebenbei |
Die Richter des LAG berichten –
(Rn. 54) »Ein Initiativrecht der Arbeitnehmervertretung nach § 87 Abs. 1 Ziff. 2 BetrVG hinsichtlich der Aufstellung eines Dienstplanes wäre praxisfremd.«
Hier zeigt die Praxis ganz Anderes: Interessenvertretungen machen sehr konkrete Vorschläge, wer wann arbeiten soll. In Einigungsstellen stellen sie gelegentlich umfassende Anträge. Diese Dienstpläne sind besser für den Betrieb und die Betroffenen geeignet. Die spärlich durch die Mitbestimmungs-Gesetze eingeräumten Initiativrechte sind nicht praxisfremd!
(Rn. 59, 60) »Ein nachgelagertes Mitbestimmungsverfahren mit Genehmigungsfunktion setzt allerdings voraus, dass bereits zuvor (einseitig) ein Dienstplan aufgestellt wurde. Wollte man – wie das Arbeitsgericht – annehmen, ein ohne Abschluss des Mitbestimmungsverfahrens veröffentlichter Dienstplan sei nicht aufgestellt und stelle lediglich einen Entwurf dar, so fehlte die Grundlage für den Einsatz der Beschäftigten im geplanten Zeitraum. Diese Folge, die mit erheblichen Risiken für von einem Klinikum geschuldete Gesundheitsversorgung verbunden ist, mag sich aus dem Mitbestimmungsrecht selbst ergeben. Dass die Tarifvertragsparteien eine so weitreichende Folge, zumal bei der Regelung der Annexfrage von Zuschlägen, hätten herbeiführen wollen, ist fernliegend.«
Eine Genehmigungsfunktion, also eine »nachgelagerte« Heilung voreiliger Maßnahmen des Arbeitgebers, findet im Wortlaut der Mitbestimmungsgesetze keine Grundlage. Die Mitbestimmung ist eine rechtliche Voraussetzung für die Rechtswirksamkeit. Die Betroffenen müssen für ihre Lebensplanung wissen, woran sie sind. Vorläufig unwirksame schwebende Maßnahmen sind für ihre Pläne keine verlässlichen Grundlagen. Vorläufig unwirksame Maßnahmen schaffen auch keine Versorgungssicherheit.
Schützt der Tarifvertrag TV Ärzte den aufgestellten, aber nicht mitbestimmten Dienstplan vor Änderungen? Schützt er ihn etwa auch vor Änderungen durch die erstmalige Mitbestimmung?
Urlaubskonto korrigieren |
(Rn. 11) Der Arbeitnehmer hat Anspruch darauf, dass sein Urlaubskonto richtig geführt wird. Das Klageziel richtet sich darauf, dem Urlaubskonto einen weiteren Tag gutzuschreiben und damit letztlich einen Urlaubstag nachzugewähren (vgl. BAG 17. Mai 2011 – 9 AZR 197/10 [Randnummer 14]).
(Rn. 18) Allerdings ist ein dem Arbeitgeber mitgeteilter Urlaubswunsch nicht Voraussetzung für dessen Recht, die zeitliche Lage des Urlaubs festzulegen. Die ohne einen Wunsch des Arbeitnehmers erfolgte zeitliche Festlegung des Urlaubs durch den Arbeitgeber ist rechtswirksam, wenn der Arbeitnehmer auf die Erklärung des Arbeitgebers hin keinen anderweitigen Urlaubswunsch äußert (BAG 25. August 2020 – 9 AZR 612/19 – Rn. 14 mwN).
⇒ BAG Urteil 25.01.2022 – 9 AZR 230/21
Kollektive Beratung |
Jede Woche einen Tag frei! Diese Regel ist klar und gut. Doch wie ist sie begründet? Gilt sie überall? Verwässert das deutsche Arbeitszeitgesetz?
Das durchleuchten wir gemeinsam:
Schichtplan-Fibel. Jetzt erst recht. Dienstag, 19. April 2022 von 10 bis 12:00 Uhr |
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betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] 10 Gebote (01.04.2022)
Diesmal berichten wir über
⊗ einen Baustein: Die 10 Gebote
⊗ die bevorstehende kollektive Sprechstunde
➽ Zugespitzt:
Die ⇒ 10 Gebote der Schichtplanung fassen Grundlagen zusammen. |
Kollektive Beratung |
Regeln geben Halt. Die wichtigsten schauen wir uns gemeinsam an.
Schichtplan-Fibel. Jetzt erst recht. Montag, 4. April 2022 von 10 bis 12:00 Uhr |
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betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Urlaub (10.03.2022)
Diesmal berichten wir über
⊗ Urlaub
⊗ Kollektive Sprechstunde
Urlaub |
➽ Zugespitzt:
Die Wahl eines Betriebsrats schützt – |
Der Fall |
Eine Arbeitgeberin, in deren Düsseldorfer Betrieb kein Betriebsrat bestand, hat durch die Ausübung ihres Direktionsrechts rechtswirksam Betriebsferien für August angeordnet. Danach bestritt ein Kollege, dass so sein individueller Urlaubsanspruch erfüllt und verbraucht wurde.
Die Entscheidung |
1. Auch wenn die Urlaubserteilung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG gegenüber einem einzelnen Arbeitnehmer nicht im Ermessen des Arbeitgebers gemäß § 315 Abs. 1 BGB steht […], kann der Arbeitgeber in einem betriebsratslosen Betrieb Betriebsferien kraft des ihm obliegenden Direktionsrechts einführen […].
2. Danach rechtswirksam eingeführte Betriebsferien begründen dringende betriebliche Belange i. S. von § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG, hinter denen die individuellen Urlaubswünsche der Arbeitnehmer – von Härtefällen abgesehen – zurückstehen müssen […].
⇒ LAG Düsseldorf Urteil 20.06.2002 – 11 Sa 378/02
Rn 67: § 7 Abs. 1 und 2 BUrlG regeln die Art und Weise der Erfüllung des Urlaubsanspruchs abschließend. Die Urlaubserteilung steht daher nicht im Ermessen des Arbeitgebers gemäß § 315 BGB. Der Arbeitgeber erfüllt den Urlaubsanspruch nur, wenn er bei der Erteilung den Wünschen des Arbeitnehmers nachkommt, […].
Rn 68: Akzeptiert der Arbeitnehmer die Leistungshandlung des Arbeitgebers und geht er daraufhin in Urlaub, ist der Anspruch nach § 362 Abs. 1 BGB erfüllt […].
Rn 78: Denn die Abwicklung zumindest eines Teils des Jahresurlaubs der Betriebsangehörigen in einem einheitlichen Zeitraum liegt vor allem im betrieblichen Interesse, Störungen im Betriebsablauf, wie sie ein wechselndes Fehlen der Betriebsangehörigen in der Regel mit sich bringt, von vornherein auszuschließen […].
Tipps für die Praxis |
Clever, wer einseitigen Urlaubsplänen der Vorgesetzten klar und eindeutig widerspricht: »Das passt mir nicht! So will ich meinen Urlaub nicht!«
Die gewählte gesetzliche Interessenvertretung kann die Urlaubspläne der Abteilungen mitbestimmen. In diesem Fall wird sie Beschwerden einzelner nachgehen. Den unstrittigen Festlegungen wird sie wohl zustimmen (§ 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG; § 80 Abs. 1 Nr. 6 BPersVG oder § 72 Abs. 2 Nr. 4 LPVG nrw). In der Diakonie bleibt zumindest die Mitbestimmung vor der Ablehnung eines Urlaubsantrags (§ 42 k MVG.EKD); die katholische Kirche lässt beim Urlaub ihre Mitarbeitervertretungen außen vor.
Nur Betrieb- und Personalräte, die gemeinsam mit einer aktivierten Belegschaft selbstsicher auftreten können, wagen sich an Urlaubsrichtlinien. Denn hier droht Gefahr! Arbeitgeber versuchen, in solchen Richtlinien ihre betrieblichen Interessen an einer Mindestbesetzung festzuschreiben. Das billige Ermessen in jedem Einzelfall wird allzu schnell durch abstrakte gängelnde Vorgaben ersetzt. Mit zunehmender Personalknappheit bleiben dann die Interessen der einzelnen Kolleginnen auf der Strecke.
Kollektive Beratung |
Beim Urlaub hört der Spaß auf. Viele Betriebe rechnen falsch. Das schauen wir uns genauer an.
Doch nicht – wie zunächst angekündigt – am 14.03., sondern stattdessen:
Schichtplan-Fibel. Jetzt erst recht. Montag, 21. März 2022 von 10 bis 12:00 Uhr |
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betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] AZ-Konten – Gleichwohlgewährung (18.02.2022)
Diesmal berichten wir über
⊗ Stiefkinder: PR und MAV
⊗ Wenn der Arbeitgeber nicht mehr zahlt
⊗ Arbeitszeitkonten (TVöD, TV-L, TV AWO, AVR Caritas und andere)
Stiefkinder: PR und MAV |
➽ Zugespitzt:
Ärgerlich, wenn in den deutschen Schutzgesetzen der Eindruck entsteht, Betriebsräte hätten Sonderrechte. |
Interessenvertretungen |
Das Arbeitsschutzgesetz selbst und alle Verordnungen aufgrund dieses Gesetzes (etwa: Arbeitsstättenverordnung, BetrSichV, BildSchArV, Corona-ArbSchV) schließen ausdrücklich alle gesetzlichen Interessenvertretungen unmittelbar ein:
§ 1 ArbSchG Absatz 4 |
Das TzBfG wählt in den Paragrafen 7 und 20 den Oberbegriff »Arbeitnehmervertretung«. Auch hier bleibt kein Zweifel: Betriebsräte, Personalräte und Mitarbeitervertretungen sind ebenso gemeint.
Das ASiG (Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit) spricht in den §§ 8 und 9 jedoch nur die »Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat« an. Und im § 11 bei der Zusammensetzung des Arbeitsschutzausschusses erwähnt es ebenfalls nur die »zwei vom Betriebsrat bestimmten Betriebsratsmitglieder«. Schließt dies Schweigen Personalräte und Mitarbeitervertretungen aus?
Kirchliche Selbstbestimmung |
Artikel 140 im Grundgesetz verleiht den Kirchen ein Selbstbestimmungsrecht: »Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes.« Oft kommen die Kirchen mit ihrem Ordnen der Absonderlichkeiten kaum nach. Und diese Selbstständigkeit betrifft auch nur die kirchlichen Angelegenheiten. Es gibt also weder eine kirchliche Straßenverkehrsordnung noch eine kircheneigene Arbeitszeitrichtlinie.
Die EU-Arbeitsschutz-Rahmenrichtlinie (89/391/EWG) kennt keine Sonderklauseln für religiöse Ausnahmen. Hier muss das kirchliche Selbstbestimmungsrecht hinter die europäische Norm zurücktreten.
Dazu gehört die Einbindung der Arbeitnehmervertretung in den Informationsfluss (Artikel 10), ihre Anhörung und bezahlte Freistellung für den Gesundheitsschutz (Artikel 11). Das ASiG überführt – gewohnt zurückhaltend – diese Rahmenrichtlinie in deutsches Recht.
Die Richtlinie definiert auch in Artikel 3 und 4 –
»Arbeitnehmervertreter mit einer besonderen Funktion bei der Sicherheit und beim Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer: jede Person, die gemäß den nationalen Rechtsvorschriften bzw. Praktiken gewählt, ausgewählt oder benannt wurde, um die Arbeitnehmer in Fragen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit zu vertreten…. Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Vorkehrungen, um zu gewährleisten, daß […] die Arbeitnehmervertreter den für die Anwendung dieser Richtlinie erforderlichen Rechtsvorschriften unterliegen.«
Selbstverständlich |
Manchmal versäumen die deutschen Gesetzgeber dennoch zu erwähnen, dass sie – selbstverständlich – alle Arbeitnehmervertretungen meinen. Sie verwenden dann die Bezeichnung Betriebsrat stellvertretend für alle gesetzlichen Interessenvertretungen. Der Betriebsrat tritt hier als »pars pro toto« auf, als Teil mit dem das Ganze gemeint ist.
Die meisten kirchlichen oder öffentlichen Arbeitgeber haben zu dieser Sicht keine Bedenken. Sie beteiligen die Personalräte und Mitarbeitervertretungen zumindest an den spärlichen Sitzungen des ASA. Erst wenn sie Vorschlägen des Betriebsarztes nicht folgen wollen, überlesen sie ihre Pflicht in § 8 (3) ASiG: Ablehnungen, schriftlich und begründet, gehen gefälligst auch an die (kirchen)gesetzliche Interessenvertretung!
Wenn das Entgelt stockt |
➽ Zugespitzt:
Manchmal ist die Arbeitsleistung gestört – |
Die »Gleichwohlgewährung« |
Wer keine Nachtarbeit leisten kann oder sollte, ist nicht arbeitsunfähig. Nicht immer sieht das die Bereichsleitung auch so. Wer nicht arbeitet, hat keinen Anspruch auf Entgelt?
Wem eine Quarantäne verhängt wird, ist nicht krank; es wird kein Attest von einem behandelnden Arzt ausgestellt. Manchmal weigert sich ein Arbeitgeber, das Entgelt fortzuzahlen. Die Krankenkasse springt nicht ein.
Vielleicht untersagt eine Gesundheitsbehörde aufgrund fehlender Impfnachweise die Arbeit mit Patienten / Klienten. Das ist keine Kündigung. Wer nicht arbeitslos ist, bekommt kein Arbeitslosengeld.
Der Lebensunterhalt gerät in Gefahr. Da braucht es rechtsanwaltlichen Beistand. Und Eigeninitiative!
Wahrscheinlich führt der Weg auch zur Sachbearbeiterin der ARGE. Sie fühlt sich vielleicht für Ungekündigte nicht recht zuständig? Dann hilft manchmal ein Hinweis auf den Lösungsweg –
§ 157 Abs. 3 SGB III
Soweit die oder der Arbeitslose […] (Arbeitsentgelt im Sinne des § 115 des Zehnten Buches) tatsächlich nicht erhält, wird das Arbeitslosengeld auch für die Zeit geleistet, in der der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht. |
Die ARGE verlangt nun vom Arbeitgeber die Erklärung, so lange den Arbeitnehmer nicht einsetzen zu wollen, bis das behördliche Hindernis ausgeräumt ist oder bis arbeitsgerichtlich ein Beschäftigungsanspruch durchgesetzt ist.
Arbeitszeitkonten |
Arbeitgeber können sehr zurückhaltend werden. Steif und fest behaupten sie, die Tarifverträge hätten nur geregelt, »wie« Arbeitszeitkonten Vergütungsansprüche in Freizeit verwandeln und verwalten »können«. Das »ob« bliebe jedoch allein in den Händen der Arbeitgeber. Falsch!
TVöD wie TV-L regeln in § 10 Abs. 1: »Soweit ein Arbeitszeitkorridor (§ 6 Abs. 6) oder eine Rahmenzeit (§ 6 Abs. 7) vereinbart wird, ist ein Arbeitszeitkonto einzurichten.« Hier wäre die Vereinbarung und Eröffnung der Konten Voraussetzung einer Flexibilisierung zu Lasten der Kolleginnen. Einen solchen Fall entschieden die Bundesarbeitsrichter. Damals klagte ein Betriebsrat erfolglos gegen die Einrichtung von Arbeitszeitkonten durch den Spruch einer Einigungsstelle. Doch die Tarifverträge heben die Gestaltungsrechte des Arbeitgebers wie auch die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates nicht auf. Da können sie auch gar nicht, ohne stattdessen selbst abschließende Regelungen zu treffen.
⇒ BAG Urteil 09.11.2010 – 1 ABR 75/09
Arbeitszeitkonten dürfen nicht ohne Mitbestimmung des Betriebsrates / des Personalrates oder der Mitarbeitervertretung eingeführt und betrieben werden. Denn sie betreffen den zentralen Mitbestimmungsgegenstand »Verteilung sowie Beginn und Ende der Arbeitszeit« (etwa § 87 Abs 1 Nr. 2 BetrVG).
Ohne Arbeitszeitkorridor oder Rahmenzeit muss der Betrieb also keine tarifkonformen Arbeitszeitkonten einrichten. Er darf jedoch ebenso keine tarifwidrigen Arbeitszeitkonten einrichten. Er darf erst recht nicht Konten ohne Mitbestimmung regeln. Der Tarifvertrag steht durch die »Kann-Regelung« den Initiativen der Interessenvertretung nicht im Wege.
Das Landesarbeitsgericht Hamm setzte sich später mit dem Wortlaut der Tariföffnung genauer auseinander. »Dadurch, dass das Wort 'einvernehmliche' nicht vor beide Begriffe 'Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung' gesetzt wurde, sondern sich ausschließlich vor dem Wort 'Dienstvereinbarung' findet, wird deutlich, dass im Rahmen von Betriebsvereinbarungen die gesetzlich vorgesehenen Mechanismen nicht berührt werden sollen. Hierzu gehört eben auch die Bestimmung des § 87 Abs. 2 BetrVG, wonach zwingend die Einigungsstelle bei Nichteinigung zu entscheiden hat, weshalb ein Initiativrecht des Betriebsrates nicht abgelehnt werden kann.«
⇒ LAG Hamm Urteil 04.07.2017 – 7 TaBV 47/17
➽ Zugespitzt:
Arbeitszeitkonten betreffen die zwingende Mitbestimmung der Arbeitszeit. |
Kollektive Beratung |
Arbeitszeitkonten – in den Händen der Kolleginnen – sind eine feine Sache. TVöD, TV-L, TV AWO, AVR Caritas, DRK-RTV … regeln sie recht speziell. Genau um diese Besonderheiten kümmern wir uns gemeinsam:
Schichtplan-Fibel. Jetzt erst recht.
Montag, 21. Februar 2022 von 10 bis 12:00 Uhr |
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Es referiert und disputiert Tobias Michel |
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] XXL-Schicht – Nachtarbeit (04.02.2022)
Diesmal berichten wir über
⊗ XXL-Schichten
⊗ Nachtarbeit. Wir kümmern uns.
24-Stunden Schichten? |
➽ Zugespitzt:
Wer der Erhöhung der Arbeitsstunden auf 48 im Wochendurchschnitt zustimmt, |
Mehr Arbeitszeit ohne Zusatzvergütung |
Das Arbeitszeitgesetz steht nicht im Wege, wenn eine gesetzliche Interessenvertretung die regelmäßige Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit hinnimmt. Diese Ausdehnung der Arbeitszeit begründet der Betrieb damit, dass gele­gentlich nicht so viel Arbeit anfällt. Nicht so viel Arbeit wie normal, wie in den Zeiten der täglichen Überlastung.
Es geht um die Ausdehnung der Arbeitszeit in die ungewöhnlichen Zeiten hinein, ins Wochenende und vor allem in die Nacht. Arbeitszeit in den Nachtstunden ist konkrete Gefahr für die Gesundheit.
»Nachtarbeit ist nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen für jeden Menschen schädlich, weil sie negative gesundheitliche Auswirkungen hat […]. Das gilt im Ausgangspunkt unabhängig davon, ob sie innerhalb oder außerhalb von Schichtsystemen geleistet wird. Die gesundheitliche Belastung durch Nachtarbeit steigt nach bisherigem Kenntnisstand in der Arbeitsmedizin durch die Zahl der Nächte im Monat und die Zahl der aufeinanderfolgenden Nächte, in denen Nachtarbeit geleistet wird […].«
⇒ BAG Beschluss 09.12.2020 – 10 AZR 333/20 (Rn 37)
Arbeitszeit in den Nachtstunden ist dennoch notwendig und gilt deshalb als zumutbar. Doch die Leistungsfähigkeit sinkt in der Nacht auf rund 70 v.H. gegenüber normal. Dazu würde es passen, wenn auch der Arbeitsanfall sinkt.
Weniger Aktivität für dasselbe Entgelt? Das wiederum erscheint dem Arbeitgeber unzumutbar. Sein Betriebsrisiko, ob und wann Arbeit in den Schichten anfällt, möchte er auf die Beschäftigten verschieben.
Dafür wurden Arbeitsbereitschaft (Bereitschaftszeit) und Bereitschaftsdienst erfunden. Außerhalb und zusätzlich zur regelmäßigen Wochenarbeitszeit sollen die Beschäftigten arbeiten, aber ohne nennenswerte zusätzliche Vergütungsansprüche. Dieser Verwandlungszauber bekommt verwunschene Namen: Faktorisierung, Anrechnung, bewertete Arbeitszeit, Freizeitausgleich …
Weniger Freizeit |
Die Ausdehnung der Zeit im Betrieb verkürzt zwangsläufig die Freizeit. Zudem verlangen die Tarifverträge und AVR, dass die regelmäßige Arbeitszeit nur auf fünf der sieben Tage einer Woche verteilt wird. Zwei Tage sollen frei bleiben – zumindest im Durchschnitt. Wer A sagt, muss auch B sagen. Wer die wöchentliche Arbeitszeit verlängert und dabei die freien Tage schonen will, schraubt die werktägliche Arbeitszeit hoch.
Die Tarifverträge oder die AVR erlauben dem Arbeitgeber diesen Schritt – so scheint es. Dort taucht im Zusammenhang mit Bereitschaftsdienst sogar die magische Grenze auf: »24-Stunden«.
Und die Betroffenen rufen laut – »Genau das wollen wir.« Sie hoffen, so wenigstens ihre freien Tage zu verteidigen. Es sind die Interessenvertretungen und Aufsichtsbehörden, die diesen drängenden Ruf nach 12- und 24-stündigen Schichten gründlich missverstehen. Besser, er käme klarer rüber: »Lasst uns wenigstens ein paar freie Tage, um uns von dem Stress zu erholen. Dafür nehmen wir extra-lange-Schichten in Kauf.«
Bei der Verlängerung ihrer wöchentlichen Arbeitszeit wurden die Betroffenen nicht einmal gefragt.
Nun, bei der Verlängerung ihrer täglichen Höchstarbeitszeit, berufen sich die Verantwortlichen auf das Drängen von unten.
Schutzbestimmungen |
Was die Gesetzgeber und Tarifverträge den Betriebsparteien erlauben, findet seinen Weg in den betrieblichen Alltag. Und vieles rumpelt zudem noch unbekümmert über alle vorgegebenen Grenzen hinaus.
Pausen: Die müssen organisiert werden. Der Arbeitgeber darf nicht einmal im Bereitschaftsdienst mehr als sechs Stunden am Stück pausenlos arbeiten lassen. (BAG 25.10.1989 – 2 AZR 633/88; ⇒ BAG Urteil 16.12.2009 – 5 AZR 157/09)
Ruhezeit: Die muss nach der letzten Arbeitsstunde, jedoch innerhalb des 24-stündigen Werktags beginnen und enden (⇒ BAG Urteil 16.09.2020 – 7 AZR 491/19 Rn. 33). Bereits dies schließt 24-stündige Schichten aus.
Gefahrenbeurteilung: Nachtarbeit paart sich oft mit Alleinarbeit. Die Gesamtdauer der Arbeitszeit wird verlängert, die Erholungszeiten werden gekürzt. All das wirkt zusammen. Wie? Und was schützt dagegen? Welche Maßnahmen haben die Betriebsparteien festgelegt? (§§ 5 und 6 ArbSchG).
➽ Gut geschützt
Soll eine Schicht über 12, 13 oder gar 15 Stunden hinausgehen?
Dann müssen die Betriebsparteien Antworten finden: |
Kollektive Beratung |
Auch nachts braucht es helfende Hände. Doch Nachtarbeit passt nur wenigen. Das besprechen wir gemeinsam –
Schichtplan-Fibel. Jetzt erst recht. Montag, 7. Februar 2022 von 10 bis 12:00 Uhr |
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Es referiert und disputiert Tobias Michel |
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Fortbildung Zeitzuschläge (21.01.2022)
Diesmal berichten wir über
⊗ Fortbildung als Arbeitszeit
⊗ Zeitzuschläge für Mehrarbeit
Fortbildung |
➽ Zugespitzt:
Die Zeit einer Pflicht-Fortbildung |
… gilt als Arbeitszeit |
Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist dahin auszulegen, dass die Zeit, in der ein Arbeitnehmer eine ihm von seinem Arbeitgeber vorgeschriebene berufliche Fortbildung absolviert, die außerhalb seines gewöhnlichen Arbeitsorts in den Räumlichkeiten des Fortbildungsdienstleisters stattfindet und während der er nicht seinen gewöhnlichen Aufgaben nachgeht, »Arbeitszeit« im Sinne dieser Vorschrift darstellt.
[Rn. 43] Insoweit ist unerheblich, dass sich im vorliegenden Fall die Verpflichtung von BX, eine berufliche Fortbildung zu absolvieren, aus nationalen
Rechtsvorschriften ergibt, da … zum einen BX bereits bei der Verwaltung der Gemeinde D. auf der Stelle angestellt war, für die die berufliche
Fortbildung erforderlich war, und zum anderen diese Verwaltung verpflichtet war, BX die Teilnahme an dieser Fortbildung vorzuschreiben.
[Rn. 44] Unerheblich ist auch der vom vorlegenden Gericht hervorgehobene Umstand, dass die Zeiten der beruflichen Fortbildung ganz oder teilweise außerhalb der normalen Arbeitszeit liegen, da die Richtlinie 2003/88 für die Zwecke des Begriffs »Arbeitszeit« nicht danach unterscheidet, ob diese Zeit in der normalen Arbeitszeit liegt oder nicht […].
[Rn. 46] Schließlich steht auch der Umstand, dass sich die Tätigkeit, die ein Arbeitnehmer während der Zeiten der beruflichen Fortbildung ausübt, von der Tätigkeit unterscheidet, die er im Rahmen seiner gewöhnlichen Aufgaben ausübt, dem nicht entgegen, dass diese Zeiten als Arbeitszeit eingestuft werden, wenn die berufliche Fortbildung auf Veranlassung des Arbeitgebers absolviert wird und der Arbeitnehmer folglich im Rahmen dieser Fortbildung dessen Weisungen unterliegt.
⇒ Europäischer Gerichtshof EuGH 28.10.2021 – Rs. C-909/19
Transfer in die Praxis |
Zur Arbeitszeit gehören Einweisungen, betriebliche Fortbildungen und durch den Arbeitgeber veranlasste berufliche Weiterbildungen (ergänzende Qualifikationen – etwa ein Lehrgang).
Nur falls eine vertragliche Abrede getroffen ist, mindern die Zeiten selbstveranlasster beruflicher Weiterbildungen die individuelle fällige Zeitschuld.
§ 5 (5) TVöD regelt zum Beispiel: »Die Kosten einer vom Arbeitgeber veranlassten Qualifizierungsmaßnahme – einschließlich Reisekosten – werden, soweit sie nicht von Dritten übernommen werden, grundsätzlich vom Arbeitgeber getragen. Ein möglicher Eigenbeitrag wird durch eine Qualifizierungsvereinbarung geregelt.« Diese Qualifizierungsvereinbarung mag dann auch bestimmen, ob die vielleicht erheblichen Reisezeiten auf die individuelle Zeitschuld anzurechnen sind. Andernfalls zählen Wegezeiten nicht zur Arbeitszeit.
Soweit der Arbeitgeber sich für ein externes Fortbildungsangebot entscheidet, bestimmt die gesetzliche Interessenvertretung mit: Die Auswahl, die Verteilung und Lage der Arbeitszeit (hier ergänzend §§ 96 – 98 BetrVG.).
Im Dienstplan erscheinen so die Fortbildungszeiten schon in der »Planzeile« (erste Zeile). Eventuell stellen die Dienstplaner:innen zusätzlich dar, dass die Kolleginnen während der Fortbildung am Arbeitsplatz fehlen.
Überstunden-Zeitzuschlag |
➽ Zugespitzt:
Arbeitszeit, von der ein Urlaubstag freistellt, wird »wie geleistet« gewertet. |
Nicht »geleistet«? |
Der Manteltarifvertrag des Klägers beschränkt Ansprüche bei Zeitzuschlägen auf »geleisteten Stunden« (tatsächlich erbrachte Arbeitsstunden) im Monat. Damit fallen Überstunden-Zeitzuschläge nur an, falls nicht etwa gewährte Urlaubstage im Betrachtungszeitraum die Summe der Arbeitsstunden unter die monatliche Schwelle senken.
Ganz ähnlich schränkt es auch § 7 Abs. 7 und § 8 Abs. 1 Satz 1 des TVöD / TV-L ein. Mit dem Verweis darauf hat insbesondere das LAG Nürnberg in mehreren Entscheidungen den Anspruch auf Überstunden-Zeitzuschläge versagt. Unterm Strich sei die Belastung im Betrachtungszeitraum abgesenkt geblieben …
Die Entscheidung des EuGH |
Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist im Licht von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen,
dass er einer Regelung in einem Tarifvertrag entgegensteht, nach der für die Berechnung, ob die Schwelle der zu einem Mehrarbeitszuschlag berechtigenden Arbeitszeit erreicht ist, die Stunden, die dem vom Arbeitnehmer in Anspruch genommenen bezahlten Jahresurlaub entsprechen, nicht als geleistete Arbeitsstunden berücksichtigt werden.
⇒ EuGH Urteil 13.01.2022 – C-514/20
Die Tarifregel könnte Beschäftigte davon abhalten, in Monaten mit Mehr-/Überarbeit ihr in der EU-Grundrechte-Charta verbrieftes Recht auf Urlaub einzufordern. Andernfalls droht ihnen eine Verminderung ihrer Bezüge während des Urlaubs.
Der anfragende 10. Senat des BAG (17.06.2020 – 10 AZR 210/19) wird nun den Tarifvertrag zugunsten des Klägers im Lichte Artikel 31 Abs. 2 der EU-Grundrechte-Charta auslegen.
Transfer in die Praxis |
Gemäß § 7 Abs. 7 TVöD / TV-L entstehen Voll- wie Teilzeitbeschäftigten Ansprüche auf Überstundenvergütung nur, wenn sie Arbeitsstunden über die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit von Vollbeschäftigten (§ 6 Abs. 1 Satz 1) für die Woche dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich festgesetzten Arbeitsstunden hinaus leisten. Zunächst ist die regelmäßige Arbeitszeit im Dienstplan vollständig festzulegen. Dies gilt auch für die Kalendertage, an denen Urlaub gewährt werden soll.
Zusätzlich werden Arbeitsstunden dann geleistet, wenn sie außerhalb des zunächst festgelegten Rahmens (Plan) tatsächlich gearbeitet werden. Es bleibt unbeachtlich, ob in den betreffenden Wochen an einigen Tagen Urlaub von festgesetzter Arbeitszeit freistellt. Dabei handelt es sich nicht um einen Ausgleich der zusätzlichen Arbeitsstunden.
Gemäß § 8 Abs. 2 TVöD / TV-L werden Voll- wie Teilzeitbeschäftigten die Stunden bezahlt, die im Ausgleichszeitraum über die fällige Zeitschuld hinausgingen. Auch bei diesem Abgleich bleiben Urlaubstage neutral.
Ebenso wird an Tagen mit Arbeitsunfähigkeit (§ 3 EntgFG) die festgelegte Arbeitszeit zwar nicht geleistet. Wir vermuten, dass dies dem Erfüllen der Anspruchsvoraussetzungen nicht im Wege steht.
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Freizeitausgleich (14.01.2022)
Diesmal berichten wir über
⊗ Freizeitausgleich
⊗ Bildungspläne
Freizeitausgleich |
➽ Zugespitzt: Freizeitausgleich stellt zum Ausgleich für eine Zumutung von geplanter und so tatsächlich im Plan festgelegter Arbeitspflicht frei. |
Freizeit für Überstunden |
Ein bereits entstandener Anspruch auf Überstundenvergütung kann nicht durch einseitige Freistellung von der Arbeit erfüllt werden, wenn keine Ersetzungsbefugnis vereinbart ist.
⇒ BAG 17.01.1995 – 3 AZR 399/94
Ein Freizeitausgleich [hier für Bereitschaftsdienst] kann nicht an solchen Tagen erfolgen, an denen der Arzt ohnehin nicht zur Arbeit verpflichtet ist. An diesen Tagen ist dem Arbeitgeber unmöglich, Dienstbefreiung zu erteilen.
⇒ BAG Urteil 12.12.1990 – 4 AZR 269/90
Die Arbeitsfreistellung muss dem Arbeitnehmer so rechtzeitig mitgeteilt werden, dass er sich noch ausreichend auf die zusätzliche Freizeit einstellen kann. Dieses Erfordernis ist nicht erfüllt, wenn der Arbeitnehmer erst zwischen 15.00 und 17.00 Uhr davon in Kenntnis gesetzt wird, ob er am folgenden Tag zur Arbeitsleistung verpflichtet ist oder Freizeitausgleich erhält.
⇒ BAG 17.01.1995 – 3 AZR 399/94
Ausgleich für Feiertagsarbeit |
Die gemäß § 15 Abs. 2 S. 3 BMT-G ebenso wie nach § 15 Abs. 6 Unterabs. 1 S. 3 BAT zum Ausgleich für geleistete Sonntagsarbeit zu gewährende Freizeit ist unbezahlte Freizeit, die nicht zu einer Verkürzung der regelmäßigen durchschnittlichen Wochenarbeitszeit führt.
⇒ LAG Köln Urteil 29.01.2003 – 7 (13) Sa 710/02
[MTV hier regelungsgleich TVöD-K] An den Tagen, die die Beklagte als Freizeitausgleichstage bezeichnet hat, war die Klägerin nach der Dienstplaneinteilung ohnehin nicht zur Arbeit verpflichtet. Sie konnte damit auch nicht von einer Arbeitsverpflichtung freigestellt werden. Maßgeblich ist insoweit nicht, dass der jeweilige Werktag rechnerisch mit einer Sollarbeitszeit belegt war, sondern die Einteilung der Klägerin in den Dienstplänen.
⇒ LAG Niedersachsen Urteil 03.06.2014 – 15 Sa 967/13 (nicht rechtskräftig, stattdessen Vergleich vor dem BAG)
Die Arbeitszeitreduzierung [Vorweg-Verminderung] nach § 49 Abs. 2 TVöD BT-K stellt einen Freizeitausgleich i. S. v. § 8 Abs. 1 Satz 2 Buchst. d TVöD dar. Der Freizeitausgleich muss nicht denselben zeitlichen Umfang wie die Feiertagsarbeit haben.
⇒ BAG Urteil 09.07.2008 – 5 AZR 902/07
Nach der Protokollerklärung zu § 8 Abs. 1 Satz 2 Buchst. d TVöD [Ausgleich für Feiertagsarbeit durch bezahlte Freizeit] muss der Freizeitausgleich im Dienstplan besonders ausgewiesen und bezeichnet werden. Diese Bestimmung dient der Klarstellung und dem Beweis, sie begründet keine Wirksamkeitsvoraussetzung für den Freizeitausgleich.
⇒ BAG Urteil 09.07.2008 – 5 AZR 902/ 07
§ 43 Nr. 3 Abs. 3 Satz 4 TV-L [hier regelungsgleich zum TVöD] gewährt dem Beschäftigten Anspruch auf eine »entsprechende Freistellung an einem anderen Werktag«. Das erfordert eine der Arbeitsleistung am Feiertag entsprechende tatsächliche Freistellung an einem anderen, konkreten Tag (vgl. ⇒ BAG 21. August 2013 – 5 AZR 410/12 – Rn. 15), bei dem es sich um einen Werktag handeln muss. Allerdings besteht entgegen der Ansicht der Revision kein Anspruch des Arbeitnehmers, auf die Lage dieses Tages Einfluss zu nehmen. Der freie Werktag wird vielmehr vom Arbeitgeber unter Beachtung etwaiger Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bzw. Personalrats festgelegt.. […]
Satz 1 der Protokollerklärung in § 43 Nr. 5 TV-L, wonach der Freizeitausgleich im Dienstplan besonders auszuweisen und zu bezeichnen ist, bestätigt, dass die Tarifvertragsparteien Arbeit an gesetzlichen Wochenfeiertagen vorrangig durch einen konkreten Freizeitausgleich und nicht durch bloße Sollstundenreduzierung ausgleichen wollten. […]
Maßgeblich dafür ist allein, ob ein Freizeitausgleich erfolgt. Ist das nicht der Fall, ist der erhöhte Zuschlag zu gewähren (vgl. ⇒ BAG 21. August 2013 – 5 AZR 410/12 – Rn. 16; ⇒ 9. Juli 2008 – 5 AZR 902/07 – Rn. 18). Der Arbeitnehmer erhält danach einen Zeitzuschlag von 135 %, der auf die Stufe 3 seiner individuellen Entgeltgruppe gedeckelt ist. Die Zahlung eines Zuschlags von 135 % ist konsequent, weil im Ergebnis zusätzliche Arbeit geleistet wird, wenn kein Freizeitausgleich gewährt wird.
⇒ BAG Urteil 17.11.2016 – 6 AZR 465/15 Rn. 19, 20 und 25
Störungen beim Ausgleich |
Der in § 17 Abs. 5 BAT vorgesehene Überstundenausgleich durch bezahlte Arbeitsbefreiung [in etwa regelungsgleich zu § 8 Abs. 2 TV-L] ist grundsätzlich auch während einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit möglich. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Zeiten der Arbeitsbefreiung schon vor dessen Erkrankung bekannt gegeben hat.
⇒ BAG Urteil 04.09.1985 – 7 AZR 531/82
Muss der Arbeitgeber von sich aus innerhalb einer im Tarifvertrag bestimmten Frist den Freizeitausgleich gewähren und erfolgt dies nicht, ist der Anspruch erloschen und eine Gewährung nicht mehr möglich. Hat der Arbeitgeber diese infolge Zeitablaufs eingetretene Unmöglichkeit zu vertreten, tritt an die Stelle des ursprünglichen Freizeitausgleichs als Schadenersatzanspruch ein Freizeitanspruch (Ersatzfreizeitanspruch) in gleicher Höhe.
⇒ BAG Urteil 04.05.1994 – 4 AZR 418/93
Allerdings kann der Arbeitgeber – mit Einverständnis des Angestellten – auch nach Ablauf des Ausgleichszeitraums mit befreiender Wirkung bezahlte Freizeit gewähren.
⇒ BAG Urteil 07.12.1982 – 3 AZR 1218/79
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Mehrarbeit und Freizeitausgleich (03.01.2022)
Diesmal berichten wir über
⊗ Überstunden und Mehrarbeit
⊗ Freizeitausgleich
TVöD: Überstunden und Mehrarbeit |
➽ Zugespitzt:
Überplanung ist im TVöD / TV-L tarifwidrig. |
Die Begründung |
Am 15.10.2021 hat das BAG Mehrarbeit und Überstunden im TVöD neu sortiert. Das ⇒ Schwarze Brett der drei.79 schildert ausführlich die Konsequenzen.
Einen Tag vor Heiligabend folgte die Bescherung: Der Senat setzte die Begründung dieser Entscheidung ab und ins Internet.
⇒ BAG Urteil 15.10.2021 – 6 AZR 253/19
Wir beschränken uns hier nur auf ein paar Auszüge, jeweils unter Angabe der Fundstelle (Randnummer / Rn.) in der Entscheidung.
Überplanung |
Rn. 16: »Im Dienstplan eingeplante Arbeitsstunden können hingegen nicht zu Überstunden werden.«
Rn. 17: »In den Dienstplan eingeplante Überstunden sieht dieser Grundfall nicht vor. Das ergibt die Auslegung des Tarifvertrags«.
Rn. 18: »a) Bereits nach dem Tarifwortlaut setzt § 7 Abs. 7 TVöD-K voraus, dass die von den Beschäftigten geleisteten Arbeitsstunden über die dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich festgesetzten Arbeitsstunden hinausgehen. Eine dienstplanmäßige Überplanung kann somit keine Überstunde im Sinne des Tarifvertrags nach sich ziehen. Überstunden iSd. § 7 Abs. 7 TVöD-K und damit zuschlagspflichtig sind – vorbehaltlich der weiteren Tatbestandsvoraussetzungen – stets nur ungeplante, nicht aber geplante, dh. im Dienstplan vorgesehene Arbeitsstunden«.
Rn. 30: »Aus „geplanten“ Arbeitsstunden können nach der Tarifsystematik nie zuschlagspflichtige Überstunden iSd. § 7 Abs. 7 TVöD-K entstehen (dazu vorstehend Rn. 17 ff.). Solche Arbeitsstunden können allenfalls § 8 Abs. 2 TVöD-K unterfallen.«
Überstunden |
Rn. 16: »§ 7 Abs. 7 TVöD-K definiert den Grundfall für das Entstehen von zuschlagspflichtigen Überstunden. Dafür ist erforderlich, dass Beschäftigte nicht im Dienstplan vorgesehene, dh. ungeplante Arbeitsstunden leisten.«
Rn. 23: Es »beantwortet sich die Frage, ob zuschlagspflichtige Überstunden vorliegen, auch im Falle von Wechselschicht- oder Schichtarbeit allein nach § 7 Abs. 7 TVöD-K.«
Rn. 21: »Zusätzlich setzt § 7 Abs. 7 TVöD-K voraus, dass die im jeweiligen Tarifgebiet maßgebliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit eines Vollbeschäftigten überschritten wird (vgl. BAG 25. April 2013 – 6 AZR 800/11 – Rn. 17, 25; 23. März 2017 – 6 AZR 161/16 – Rn. 59, BAGE 158, 360). Wird die regelmäßige Arbeitszeit des § 6 Abs. 1 Satz 1 TVöD-K in der Woche dagegen unterschritten, können keine Überstunden entstehen.«
Rn. 30: »Nach dem nun erstmals in den Blick genommenen Verständnis des Überstundengrundfalls des § 7 Abs. 7 TVöD-K sind nur solche Arbeitsstunden Überstunden und damit zuschlagspflichtig nach § 8 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a TVöD-K, die planwidrig und über die regelmäßige Arbeitszeit des § 6 Abs. 1 Satz 1 TVöD-K hinaus in der Woche geleistet und nicht bis zum Ende der folgenden Kalenderwoche ausgeglichen worden sind.«
Hier schießt die Entscheidungsbegründung über den vorgelegten Fall (Teilzeit, Mehrarbeit) hinaus. Manche wollen dieser Deutung vielleicht folgen. Damit bleibt das Recht des Arbeitgebers, eine Überstunde anzuordnen, weiter beschränkt – auf genau die Wochen, in denen deren Plan zumindest 38,5 bzw. 39 Stunden verteilt.
Rn. 33: »Danach stellen über die für die Woche dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich festgesetzten Arbeitsstunden hinaus geleistete Arbeitsstunden auch bei Teilzeitbeschäftigten erst dann Überstunden iSd. § 7 Abs. 7 TVöD-K dar, wenn durch sie zugleich auch die regelmäßige Arbeitszeit eines Vollbeschäftigten überschritten wird und kein Ausgleich bis zum Ende der folgenden Kalenderwoche erfolgt.«
Mehrarbeit |
Rn. 23: »Darüber hinaus steht nur dieses Verständnis mit der unmissverständlichen, nicht auslegungsfähigen Regelung in § 7 Abs. 6 TVöD-K im Einklang. Dem systematischen Zusammenspiel dieser beiden Normen ist eindeutig die Vorstellung der Tarifvertragsparteien zu entnehmen, dass Mehrarbeit und Überstunden in einem Exklusivitätsverhältnis zueinander stehen.«
Rn. 33: »Für Teilzeitbeschäftigte haben die Tarifvertragsparteien in § 7 Abs. 6 TVöD-K eine ebenfalls vom Grundfall des § 7 Abs. 7 TVöD-K abweichende, eigenständige Regelung getroffen. (…)
Arbeitsstunden, die Teilzeitbeschäftigte über die vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit (sog. Teilzeitquote) hinaus leisten, ohne zugleich die Voraussetzungen des § 7 Abs. 7 TVöD-K zu erfüllen, unterfallen nach dieser unmissverständlichen, nicht auslegungsfähigen Regelung (vgl. Fieberg in Fürst GKÖD Bd. IV E § 7 Stand April 2021 Rn. 54) als Mehrarbeit der Regelung des § 8 Abs. 2 TVöD-K, sind aber nicht zuschlagspflichtig iSd. § 8 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Buchst. a TVöD-K.«
Damit bleibt das Recht des Arbeitgebers, ungeplante Mehrarbeit anzuordnen, dramatisch beschränkt – auf genau die Wochen, in denen deren Plan zumindest deren vertragliche Wochenstundenzahl verteilt.
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Hund und EDV (09.12.2021)
Diesmal berichten wir über
⊗ schützende Hunde
⊗ EDV-gestützte Arbeitgeber
Schützende Hunde |
➽ Zugespitzt: Das billige Ermessen muss auch abwägen, ob ein Schoßhund Rücksicht bei der Arbeits-Verteilung braucht. |
Der Fall |
Ein Essensausfahrer klagte, denn – so berichtete jüngst das Arbeitsgericht Hagen – er »möchte weiterhin zu den bisherigen Zeiten beschäftigt werden, um seinen Verpflichtungen gegenüber seiner Ehefrau und dem 84-jährigen Schwiegervater sowie seinem Hund erfüllen zu können.« Die Sorge um die Ehefrau und den betagten Schwiegervater scheinen uns durch Artikel 6 Grundgesetz besonders schutzwürdig.
Das sah das Arbeitsgericht nicht so. Die Familienpflichten seien verschiebbar, auf andere Tage.
Doch der Hund hatte es den Richtern angetan:
»Er kann jedoch auch freitags aus Gründen des Tierschutzes seinen Hund nicht 7 Stunden zuzüglich Wegezeiten allein lassen. Zum einen sind Hunde Rudeltiere, die bei längerfristigem Alleinsein aufgrund ihrer Urängste in Stress geraten, zum anderen muss dafür Sorge getragen sein, dass sie regelmäßig ihre Notdurft verrichten können. Die Unterbringung des Hundes bei einem Tiersitter oder in einer Tierpension wäre zwar möglich, würde hingegen Kosten auslösen, die dem Kläger nur dann zugemutet werden können, wenn tatsächlich gewichtige betriebliche Gründe vorlägen und eine pflichtgemäße Ermessensausübung erfolgt wäre.«
⇒ ArbG Hagen Urteil 16.02.2021 – 4 Ca 1688/20
Transfer in die Praxis |
Der Kollege behielt wie gewünscht seine angestammten Arbeitszeiten. Und wir lernen: Die Interessenvertretung sollte die Belegschaft ermutigen. »Wünscht Euch bei der Erstellung der Pläne, was Euch lieb, teuer und wichtig ist!«
Denn das billige Ermessen erschöpft sich offenbar nicht so – wie wir es bislang in der Schichtplan-Fibel verbreitet haben – im Abwägen von schutzwürdigen Interessen. Was schutzwürdig ist, richtet sich dabei nach den Werteentscheidungen des Grundgesetzes (Familie, Parteitage, Gewerkschaftstreffen, Religionsausübung …). Doch Arbeitgeber müssen auch die schutzbedürftige Kreatur in ihr Ermessen einbeziehen. Gut so!
Bildung |
Bildungstage 20. bis 22.12.2021 Spätbuchen: Schichtplan-Fibel aktuell |
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Drei Tage kommen Aktivisten zu Themen rund um das Arbeitszeit-Recht in unserer Bildungsstätte Buntes Haus (Bielefeld) zusammen. Als aktuelle Themen dieser ⇒Bildungstage haben wir bislang identifiziert: ❍ Länger arbeiten mit und ohne Chance auf Vergütung ❍ Teilzeit als Schutz vor Übergriffen ❍ Pausen einrechnen in die Arbeitszeit |
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Über- & Mehrarbeit (02.12.2021)
Diesmal berichten wir über
⊗ Überstunden – Mehrarbeit
⊗ Wenn Lesen nicht ausreicht
Überstunden / Mehrarbeit – gut sortiert |
➽ Zugespitzt: Der gesunde Menschenverstand steht im Weg, wenn länger oder mehr gearbeitet werden soll. |
Hilfen für die Praxis |
Der sechste Senat des BAG hat am 15.10.2021 Fälle aus dem TVöD ⇒ entschieden. Anlass waren überraschende / ungeplante Arbeitsstunden, die den Feierabend verschoben. Und es ging um Teilzeit.
Jetzt sortieren wir uns neu. Zunächst lohnt ein Blick in die ⇒ drei.79, die in diesen Tagen in Druck geht. Das ⇒ Schwarze Brett, die beiden Mittelseiten unserer Fachbereichszeitung,
versucht diesmal, die dramatischen Unterschiede zwischen den möglichen Fallgestaltungen in Vollzeit und in Teilzeit auszuloten. Und zugleich schaut es auf den leidigen Fall: Einspringen im Frei.
Gelegenheit zur Beratung |
Oft reicht es nicht, zu lesen. Erst im Gespräch, mit Fragen und Antwortversuchen, dringen wir tiefer. Was wir nicht verstehen, stellt sich als tatsächlicher Widerspruch der Regeln heraus. Trotz all den Corona-Auflagen versuchen wir es darum:
Bildung |
Bildungstage 20. bis 22.12.2021 Jetzt buchen: Schichtplan-Fibel aktuell |
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Drei Tage kommen Aktivisten zu Themen rund um das Arbeitszeit-Recht in unserer Bildungsstätte Buntes Haus (Bielefeld) zusammen. Als aktuelle Themen dieser ⇒Bildungstage haben wir bislang identifiziert: ❍ Länger arbeiten mit und ohne Chance auf Vergütung ❍ Teilzeit als Schutz vor Übergriffen ❍ Pausen einrechnen in die Arbeitszeit |
Zusatzangebot |
Zum Erwerb von Wissen und für schnelle Nachfragen eignet sich unser online-Angebot:
Schichtplan-Fibel extra 12.01.2022: online Länger und mehr arbeiten – jede*r kann, niemand muss Überstunden und Mehrarbeit im TVöD, TV-L und deren Nachfolgern |
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Aufgrund der jüngsten Rechtsprechung gehört die betriebliche Praxis auf den Prüfstand: Stoßen wir auf Überplanung und überraschende Arbeit in den Feierabend hinein? – Ohne Zeitzuschlag? Oder, nicht selten, ganz ohne Vergütung? Das Zaubermittel heißt Mitbestimmung. Im ersten Teil ordnen wir die gesetzlichen und tariflichen Regeln für die Überraschungen im Plan. Im zweiten Teil besprechen und beraten wir gemeinsam die Schritte zur Übertragung in die betriebliche Praxis. Anmelden: ⇒1663-2201121 |
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Mehrarbeit (17.11.2021)
Diesmal berichten wir über
⊗ Mehrarbeit durch Rufdienst
⊗ Planergänzungen
Mehrarbeit nach § 207 SGB IX |
➽ Zugespitzt: Arbeit an einem siebenten Kalendertag in einer Kalenderwoche ist (gesetzliche) Mehrarbeit. |
Der Fall |
Ein Kollege, TVöD-V, ist Schwerbehinderten gleichgestellt und verlangt die Freistellung von Mehrarbeit (§ 207 SGB IX). Dies soll ihn auch von Rufbereitschaften befreien.
Der Arbeitgeber schränkt dies ein: »An Tagen ohne tägliche Arbeitszeit, z.B. an Wochenenden und Feiertagen bleibt die Möglichkeit zur Anordnung für Rufbereitschaftszeiten bestehen.« Und bekommt fast recht. Rufbereitschaften an Samstagen und Sonntagen bedeuten nicht in jedem theoretisch denkbaren Fall unzulässige Mehrarbeit.
⇒ BAG Urteil 27.07.2021 – 9 AZR 448/20
Die Entscheidung |
[Rn 23:] Das arbeitgeberseitige Direktionsrecht wird durch die Vorschrift des § 207 SGB IX begrenzt. Schwerbehinderte Menschen und gemäß § 151 Abs. 1 und Abs. 3 SGB IX ihnen Gleichgestellte werden danach auf ihr Verlangen von Mehrarbeit freigestellt. Dies hat zur Folge, dass der schwerbehinderte bzw. einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellte Arbeitnehmer, der – wie der Kläger – ein entsprechendes Verlangen geäußert hat, die Leistung von Mehrarbeit nicht schuldet und vom Arbeitgeber ihn zu Mehrarbeit herangezogen werden […].
[Rn 24:] Mehrarbeit ist jede über gesetzliche regelmäßige Arbeitszeit des § 3 Satz 1 ArbZG hinausgehende Arbeitszeit […]. Diese beläuft sich auf werktäglich acht Stunden […]. Der gesetzgeberischen Konzeption des Arbeitszeitgesetzes liegt grundsätzlich eine Sechstagewoche zugrunde. Ausgangspunkt der gesetzlichen Regelung in § 3 Satz 1 ArbZG ist die werktägliche Arbeitszeit. Werktag ist jeder Kalendertag, der kein Sonntag oder gesetzlich festgelegter Feiertag ist […]. Wird die werktägliche Arbeitszeit von acht Stunden oder die Verteilung der Arbeitszeit auf sechs Tage in der Woche überschritten, liegt Mehrarbeit iSv. § 207 SGB IX vor. .
[Rn 55:] Eine Freistellung von der Rufbereitschaft an Sonntagen kommt in diesem Fall nur dann in Betracht, wenn der Kläger seine reguläre Fünftagewoche geleistet und im Rahmen der Wochenendrufbereitschaft am Samstag tatsächlich zur Arbeitsleistung herangezogen worden ist. Dann wäre die als Normalarbeitszeit im Arbeitszeitgesetz vorgesehene Sechstagewoche erreicht und eine weitere Inanspruchnahme des Klägers gemäß § 207 SGB IX ausgeschlossen. Der Sinn und Zweck der Rufbereitschaft könnte dann nicht mehr
realisiert werden. Nach der Ableistung einer Sechstagewoche ist der Kläger nicht verpflichtet, an einem siebten Tag in der Woche eine Leistung für die Beklagte zu erbringen, bei der Arbeitszeit iSd. Arbeitszeitgesetzes anfällt. Eine Rufbereitschaft, bei der der Arbeitnehmer die Arbeit bei einem Abruf nicht aufnehmen müsste, wäre sinnlos.
Tipp für die Praxis |
Die Verteilung der Arbeitszeit betrifft nicht nur Schichten oder Rufbereitschaftsdienste. Sie betrifft Arbeitstage, also die Kalendertage einer Kalenderwoche. Eine Rufbereitschaft kann sich über Mitternacht hinweg ziehen und daher zwei Kalendertage betreffen.
Vielleicht werden normale Schichten von Montag bis Freitag eingeteilt. An diesen würden Inanspruchnahmen im Zuge von Rufbereitschaften im Anschluss regelmäßig die Schranke zur Mehrarbeit im Sinne § 207 SGB IX reißen.
Vielleicht wird zu einer Rufbereitschaft von Samstagmorgen bis Sonntagmorgen eingeteilt. Nach einer Inanspruchnahme am Samstag enstünde aus der Rufbereitschaft ab Sonntagmorgen um 0 Uhr ein siebter Arbeitstag in dieser Woche.
Unzulässig für Schwerbehinderte. Im Ergebnis bleibt hier für Rufbereitschaften kaum noch Raum.
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Überstunde – TVöD (15.10.2021)
Diesmal berichten wir über
⊗ Überstunden
⊗ TVöD-K und TVöD-B
Überstunden |
➽ Zugespitzt:
❍ Der Mitbestimmung unterliegt, ob eine Kollegin länger als geplant arbeiten soll (Dienstplan -Ergänzung). In diesen Fällen vermuten wir: Überstunde! |
Der Fall |
Die Arbeitgeberin erbringt für die Berliner Uniklinik Charité Leistungen im technischen, kaufmännischen und infrastrukturellen Facility Management. Bei ihr sind etwa 2.800 Belegschaftsmitglieder beschäftigt. Sie stellte dem Betriebsausschuss die vorgesehenen Dienstpläne im Intranet über das System Polypoint PEP zur Verfügung.
Ab dem Monat März 2016 forderte der Betriebsrat dann die Arbeitgeberin auf, auch kurzfristige Dienstplanänderungen zur Zustimmung einzureichen. Mit einer bloßen Kennzeichnung in PEP war er nicht mehr einverstanden. Dennoch änderte die Arbeitgeberin die »abgestimmten Dienstpläne« wiederholt ab, ohne dies dem Betriebsrat zuvor mitzuteilen bzw. seine Zustimmung einzuholen. Sie führt zudem einen Schattendienstplan, um kurzfristige Personalausfälle abzufedern. Sie beruft sich auf eine lange gekündigte Betriebsvereinbarung.
Der Betriebsrat fordert vom Gericht, die Arbeitgeberin durch ein Ordnungsgeld (bis zu 10.000 € in jedem Wiederholungsfall) auf den Pfad der Mitbestimmung zurück zu zwingen. Mit Erfolg!
Leitsätze |
1. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ist in Eilfällen nicht ausgeschlossen (vgl. • BAG 8. Dezember 2015 – 1 ABR 2/14, Rn. 18).
2. Die Regelungsfrage, ob und ggf. in welcher Weise ein Dienstplan geändert werden muss, wenn dieser nicht wie geplant durchgeführt werden kann, wird vom Tatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG umfasst. Dieses Beteiligungsrecht wird beseitigt, wenn die Arbeitgeberin den Betriebsrat über eine Dienstplanänderung nur unterrichten muss und nach Gutdünken verfahren kann (vgl. • BAG 9. Juli 2013 – 1 ABR 19/12, Rn. 37).
3. Auf einen von § 87 Abs. 2 BetrVG abweichenden Konfliktlösungsmechanismus können sich die Betriebsparteien zwar grundsätzlich einvernehmlich verständigen (vgl. • BAG 8. Dezember 2015 – 1 ABR 2/14, Rn. 25). Als freiwillige Regelung iSd § 88 BetrVG unterliegt die Verfahrensregelung (unabhängig von der Frage, ob und inwieweit sie als solche wirksam gewesen ist) nicht der Nachwirkung.
⇒ LAG Berlin-Brandenburg Beschluss 17.01.2019 – 26 TaBV 1175/18
(Siehe hierzu auch die ⇒ Hinweise in unserem Newsletter vom 20.08.2019.)
Tipps für die Praxis |
Diese Betriebsräte hatten Glück im Unglück. Ihre Vorgänger:innen hatten in einer ungünstigen betrieblichen Vereinbarung auf ihre Mitbestimmung bei der Planänderung im Einzelfall verzichtet. Die Arbeitgeberin konnte so frei und kurzfristig auf die Freizeit und das Leben der Beschäftigten zugreifen. Gerade dann, wenn es draufankam, versagte der Schutz.
Doch die Vorgänger hatten diese Vereinbarung nicht für den Fall ihrer Kündigung mit einer abschließenden unbefristeten Nachwirkung versehen. Als die Verhältnisse sich anders zuspitzten, konnte der Betriebsrat dem Zugeständnis entkommen.
Wer in den dunklen Ordnern der betrieblichen Interessenvertretungen Vereinbarungen findet, muss sich leider häufig wundern. Sie enden viel zu oft mit einer »salvatorischen Klausel« (Schutz gegen die Folgen ihrer Rechtswidrigkeit). Zusätzlich werden da die erzwingbaren und erst recht die freiwilligen Regelungen vor der Wirkung der Kündigung geschützt. Um solche Machwerke abzulösen, sollen erst neue, ähnliche Regelung verabredet werden.
Meist waren die Verhandler recht froh, einen Konfliktherd befriedet zu haben. Da fehlte es ihnen dann an der Fantasie, sich zukünftige Entwicklungen und Möglichkeiten der Verbesserung vorzustellen.
Kollektive Beratung |
Der sechste Senat des BAG hat am 15.10.2021 Fälle aus dem TVöD ⇒ entschieden. Es ging um ungeplante Überstunden. Und es ging um Teilzeit. Aktuell und zeitnah lädt die Schichtplan-Fibel Betroffene und Interessenvertreter:innen ein – zu einer Zoom-Beratung.
TVöD-B und -K 9/2020 digital |
Unsere beiden 'Durchgeschriebenen Fassungen', TVöD-K (Krankenhäuser) und TVöD-B (Betreuungseinrichtungen), stehen nun als digitale Fassungen bereit, mit ergänzenden Hinweisen. Sie sind und werden optimiert für Smartphone, Tablet und Desktop.
Die Ausgabe ⇒TVöD-B 2020/9 digital für den
Dienstleistungsbereich Betreuungseinrichtungen.
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Umkleiden – Einspringen (01.10.2021)
Diesmal berichten wir über
⊗ Umkleiden und Zeit
⊗ Einspringen
Umkleiden und Zeit |
➽ Zugespitzt:
In einer Betriebsvereinbarung kann geregelt werden, dass – |
Der Fall |
Die Arbeitgeberin betreibt ein Unternehmen für Geld- und Werttransporte mit deutschlandweit ca. 4.500 Arbeitnehmern.
Im Innendienst schreibt die Arbeitgeberin das Tragen von Dienstkleidung vor. Arbeitgeberin und der Betriebsrat der K Niederlassung führen ein Einigungsstellenverfahren mit dem Regelungsgegenstand »Dienstplan Innendienst/Beginn und Ende der Arbeitszeit« durch. Der Spruch dieser Einigungsstelle legt bestimmte Schichtzeiten fest: und ergänzt
»Die nachfolgend geregelten Arbeitszeiten beginnen mit dem Anlegen der Dienstkleidung im Betrieb und enden, wenn die Dienstkleidung im Betrieb abgelegt wird. Für Arbeitnehmer, die sich entscheiden, sich nicht im Betrieb umzuziehen, beginnt und endet die Arbeitszeit mit Aufnahme bzw. Beendigung der Tätigkeit. Dadurch ist die Mitbestimmung der Arbeitszeit im Sinne von § 87 Abs.1 Nr. 2 BetrVG geregelt. Die Frage der Vergütungspflicht der Umkleidezeit bleibt hiervon unberührt.«
Entscheidung und Begründung |
(Rn 55) Für die Umkleidezeiten hätte die Einigungsstelle auch keine Zeitvorgaben machen dürfen. Denn der Betriebsrat hat bei der Bemessung von Umkleidezeiten kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG, auch wenn diese Tätigkeiten wegen der besonderen Auffälligkeit der Dienstkleidung zur betriebsüblichen Arbeitszeit zählen. Denn bei der Festlegung der Zeiten, die ein Arbeitnehmer für die Erledigung einzelner Arbeitsaufgaben voraussichtlich benötigt, handelt es sich nicht um eine Regelung von Beginn und Ende der Arbeitszeit (BAG, Beschluss vom 12. November 2013 – 1 ABR 59/12 –, BAGE 146, 271-283, Rn. 49).
Die Einigungsstelle hat mit ihrem Spruch nicht in unzulässiger Weise die Gefahr geschaffen, dass die Arbeitnehmer nach Belieben über die Dauer ihrer Arbeitszeit selbst bestimmen können. Denn der Arbeitnehmer darf seine Leistungspflicht nicht willkürlich selbst bestimmen, er muss vielmehr unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeiten. Dieser modifizierte subjektive Maßstab gilt auch für das fremdnützige An- und Ablegen von Dienstkleidung. Nur die Zeitspanne, die dazu für den einzelnen Arbeitnehmer unter Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit erforderlich ist, zählt zur Arbeitszeit (BAG, Beschluss vom 12. November 2013 – 1 ABR 59/12 –, BAGE 146, 271-283, Rn. 48).
⇒ LAG Köln Beschluss 09.06.2021 – 9 TaBV 7/21
Tipps für die Praxis |
Wieder und wieder erinnern wir: Arbeit, die im Wesentlichen dem Chef nützt, gilt als Arbeitszeit. Tarifverträge und Arbeitsverträge können genauer abgrenzen, was zur eigentlichen Arbeitsleistung gehört. Das Umkleiden gehört in diesen Graubereich.
Doch: Die gesetzliche Interessenvertretung ist nicht berechtigt, hier selbst solche Inhalte zuzuordnen oder gar die Zeitdauer für eine Arbeitsaufgabe (Umkleiden, Rüstzeiten) mitzubestimmen (⇒ BAG Beschluss 12.11.2013 – 1 ABR 59/12). Andernfalls wird die betriebliche Vereinbarung in Teilen oder als Ganzes rechtsunwirksam!
Gibt es spezielle Umkleideräume im Betrieb? Dann beginnt die Arbeitszeit spätestens bei deren Betreten. »Auch das Ablegen der Privatkleidung vor dem Anlegen der Unternehmensbekleidung ist fremdnützig. Denn kein Arbeitnehmer entledigt sich seiner Kleidung aus exhibitionistischen Gründen, sondern allein, um die Unternehmensbekleidung anlegen zu können« (⇒ LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss 29.10.2015 – 10 TaBV 929/15).
Die Interessenvertretung kann im Dienstplan den Zeitpunkt dieser Grenze zwischen Freizeit und Arbeitszeit festlegen, genau bei diesem Betreten und genau nach dem abschließenden Wechsel in die Privatkleidung (⇒ BAG Beschluss 17.09.2015 – 1 ABR 76/13 ). Innerhalb dieser Grenzen braucht das Umkleiden in der Winterzeit typischerweise länger als im Sommer. Zudem sollte dem Arbeitgeber ausreichend Zeit zugebilligt werden für die tägliche Übergabe (Schlüssel, Informationen, Telefone usf.) zwischen den Schichtbesetzungen.
Der bei einem Polizeipräsidium bestehende Personalrat kann wirksam geltend machen, die zeitliche Verlegung der Rüstzeiten in die Wachschichten könne zu einem Sicherheitsdefizit für die zu dieser Zeit in einem aktuellen Einsatz befindlichen Polizeibeamten führen (⇒ OVG Nordrhein-Westfalen Beschluss 03.04.2017 – 20 A 2696/15.PVL). Hier schließt die Gefährdungsbeurteilung (§ 5 ArbSchG) also die Organisation der Umkleide-/Rüstzeiten mit ein, insbesondere mit Blick auf die Mindestbesetzung der übrigen Schichtbesetzung zu diesen Überlappungszeiten.
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Aufzeichnen – Einspringen (13.09.2021)
Diesmal berichten wir über
⊗ Arbeitszeit erfassen lassen
⊗ Einspringen
Arbeitszeit elektronisch erfassen |
➽ Zugespitzt:
Arbeitgeber schauen bei den tatsächlichen Arbeitszeiten nicht so genau hin. |
Dem Betriebsrat steht bei der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung ein Initiativrecht zu.
⇒ LAG Hamm Beschluss 27.07.2021 – 7 TaBV 79/20
(Initiativrecht § 87 Abs. 6 BetrVG zu AZ-Erfassung).
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig; eine Korrektur durch das BAG gilt allerdings als unwahrscheinlich.
Fall und Begründung |
(Rn. 3) Die Beteiligten streiten vor dem Hintergrund eines ausgesetzten Einigungsstellenverfahrens um die Frage, ob dem antragstellenden Betriebsrat ein Initiativrecht bei der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung zusteht.
(Rn. 4) Die […] Arbeitgeberinnen betreiben eine vollstationäre Wohneinrichtung im Rahmen der Eingliederungshilfe als gemeinsamen Betrieb.
(Rn. 5) Die Beteiligten führten ab dem Jahre 2017 Verhandlungen über eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit, die 2018 durch Abschluss einer Betriebsvereinbarung »BV Clinic Planner« abgeschlossen wurden. […] Eine Einigung über eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung erfolgte nicht; Ende Mai 2018 entschlossen sich die Arbeitgeberinnen, auf die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung zu verzichten. Die für eine elektronische Zeiterfassung notwendige »Hardware« in Form von Lesegeräten waren von den Arbeitgeberinnen bereits angeschafft worden; die Nutzung und Pflege eines solchen Systems durch Einbindung eines Dienstleisters ist zu keinem Zeitpunkt beauftragt worden.
(Rn. 9) [Der Betriebsrat führt unter anderem an:] Insbesondere auch zur Erfüllung des Auskunftsanspruches des Betriebsrates aus § 80 Abs. 2 BetrVG sei die initiative Einführung einer elektronischen Zeiterfassung geboten.
(Rn. 43) Die Beteiligten führen den Streit in einer mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit, da zu den technischen Einrichtungen gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG die Einführung eines Zeiterfassungssystems gehört.
(Rn. 46) Mitbestimmung im Wortsinne [des § 87 BetrVG] beschreibt das Recht auf Mitgestaltung im Sinne gleichwertiger Verhandlungspartner. […] Die Ausübung der Mitbestimmung als »Vetorecht«, wie es in § 99 Abs. 2 und 3 BetrVG für die personelle Einzelmaßnahme beschrieben ist, kommt nicht in Betracht.
(Rn. 53) Vielmehr hat der Gesetzgeber den Weg gewählt, dass er Einschränkungen des Oberbegriffs der Mitbestimmung in § 87 Abs. 1 BetrVG (Eingangssatz) in der Weise vorgenommen hat, dass er einzelne Mitbestimmungsrechte wie z.B. § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG (betreffend Sozialeinrichtungen) so formuliert hat, dass dort lediglich Form-, Ausgestaltung und deren Verwaltung mitbestimmungspflichtig sind, woraus sich ohne Weiteres ergibt, dass aufgrund dieser ausdrücklich gewählten Formulierung in § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG ein Initiativrecht nicht besteht. Genau eine solche Einschränkung findet sich in § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG nicht; vielmehr ist dort ausdrücklich die »Einführung« beschrieben.
(Rn. 58) Soweit die Arbeitgeberinnen in diesem Zusammenhang auf Kosten der Inbetriebnahme und der Wartung u.a. durch Beauftragung eines externen Dienstleisters hingewiesen haben, sind das Punkte, die die Einigungsstelle gemäß § 76 Abs. 5 BetrVG bei ihrer Beschlussfassung angemessen zu berücksichtigen haben wird.
Tipps für die Praxis |
Der von diesem Betriebsrat gewählte Weg führte ihn über seine Initiative zum Betrieb von »Stechuhren« in die Einigungsstelle. Als Rechtgrundlage diente:
§ 87 Abs. 1 BetrVG |
Soll die Arbeitgeberin so gezwungen werden, das Verhalten (Arbeitsaufnahme, Arbeitsende) der Kolleginnen zu überwachen (erfassen, beurteilen)? Tatsächlich geht es wohl eher um die Überwachung der Arbeitgeberin. Veranlasst oder duldet sie Arbeitszeit jenseits der vereinbarten Anordnungen über die Dienstpläne?
Denkbar wäre auch der Griff zu der im BetrVG gleich darauf folgenden Regelungsgrundlage:
§ 87 Abs. 1 BetrVG |
Hier taucht allerdings eine andere Hürde auf – wir brauchen nach dem Wortlaut eine gesetzliche Rahmenvorschrift, die es ausfüllen gilt.
Belastungen durch die Arbeitszeit sind an den Arbeitsplätzen zu erfassen (Rahmenvorschrift § 5 ArbSchG). Dazu ist eine Stechuhr geeignet, vielleicht auch angemessen und angesichts der zahlreichen Verstöße gegen Schutzregeln des Arbeitszeitgesetz notwendig. Die bloß stichprobenweise Erfassung der Arbeitszeit an vergleichbaren Arbeitsplätzen reicht offensichtlich nicht aus, um die Gesetzesverstöße in ihrer Anzahl und Wirkung zu beurteilen. Die Fortsetzung der Erfassung der Arbeitszeiten wird dabei zugleich zur sich daraus ergebenden Konsequenz als eine offenbar notwendige Maßnahme zum Gesundheitsschutz (Rahmenvorschrift § 6 ArbSchG).
Wahrscheinlich bringt eine umfassende Initiative die Interessenvertretung zum Ziel.
Wir schlagen vor, in den Arbeitsbereichen … |
Einspringen verweigert |
»Allein aus der Zustimmung des Betriebsrats, die er mit einem schriftlichen Vermerk gegenüber dem Arbeitgeber erklärt hatte, erwächst keine individualrechtliche Pflicht Überstunden zu leisten. Durch einen derartigen Vermerk haben die Betriebsparteien allenfalls eine Regelungsabrede getroffen, die zwar das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 BetrVG wahrt, aber aufgrund der fehlenden normativen Wirkung nicht die Arbeitsbedingungen der betroffenen Arbeitnehmer ändern kann.
Der Arbeitsvertrag des Klägers enthält keine ausdrückliche Regelung bezüglich der Anordnung von Überstunden oder Sonderschichten. Das arbeitsvertragliche Direktionsrecht berechtigt den Arbeitgeber nicht, den Arbeitnehmer zu Überstunden heranzuziehen. In Notfällen und bei sonstigen außergewöhnlichen Fällen kann aufgrund der arbeitsvertraglichen Nebenpflicht allerdings der Arbeitnehmer verpflichtet sein, sonst nicht geschuldete Überarbeit zu erbringen, wenn der Einsatz des Arbeitnehmers zur Abwehr von Gefahren gegenüber dem Betrieb oder zum Schutz erheblicher betrieblicher Interessen erforderlich ist.
Auch in einem solchen Fall muss der Arbeitgeber jedoch gem. § 315 BGB bei der Auswahl derjenigen Arbeitnehmer, die in einem Notfall zur Leistung der Überstunden herangezogen werden, nach billigem Ermessen vorgehen. Er muss insbesondere prüfen, welchen Arbeitnehmer die Überstunden am wenigsten belasten.
Im vorliegenden Fall bestehen erhebliche Zweifel, ob überhaupt ein außergewöhnlicher Fall vorlag, ausnahmsweise aufgrund des Weisungsrechtes Überstunden zum Schutz erheblicher betrieblicher Interessen anzuordnen. Selbst dann wäre die Beklagte aber verpflichtet gewesen, nach dem Hinweis des Klägers auf anderweitige Planung für die Gestaltung seines Wochenendes die Möglichkeit der Heranziehung anderer Arbeitnehmer für die Samstagsarbeit zu prüfen. Der Beklagten war dies offenbar auch problemlos möglich, denn sie hat ohne weiteres einen anderen Arbeitnehmer ausfindig machen können, der der Überstundenanordnung nachgekommen ist.«
LAG Brandenburg Urteil 28.06.2000 – 7 Sa 178/00
➽ Zugespitzt:
Im Tarifvertrag oder im Arbeitsvertrag kann ausdrücklich eine Verpflichtung zur Leistung von Überstunden begründet sein. Dabei wird aber genau umrissen, was als »Überstunde« gelten soll. |
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Rufbereitschaft (04.09.2021)
Diesmal berichten wir über
⊗ Rätsel der Inanspruchnahme
⊗ Amt & Arbeitszeit
Im Newsletter vom ⇒ 30.07.2021 analysierten wir das ⇒ BAG Urteil vom 25.03.2021 (6 AZR 264/20) zur Abgrenzung zwischen Rufbereitschaftsdienst und Bereitschaftsdienst.
➽ Zugespitzt:
Inanspruchnahmen in jedem zweiten Rufdienst bei einer zu erwartenden Inanspruchnahme von durchschnittlich 4 v.H. der Rufdienst-Zeitspanne sind nicht mehr 'ausnahmsweise' sondern vertragswidrig. |
Dies stellt viele praktizierte Rufbereitschaftsdienste in Frage. Doch bleiben die Arbeitgeber offenbar ungerührt. Stattdessen stürzt sich ihr Lager darauf, was es in den Randnummern 14, 15 und 20 der Begründung dieser Entscheidung zu finden glaubt. Die kommunalen Arbeitgeberverbände raten, in Nebenabreden zum Arbeitsvertrag Vorgaben für Fahrtzeiten zu vereinbaren.
Rufbereitschaft: 30 Minuten zum Einsatzort? |
»Allerdings ist der Arbeitnehmer auch während der Rufbereitschaft in der Wahl seines Aufenthaltsortes nicht völlig frei. Der Zweck der Rufbereitschaft besteht gerade darin, dass der Arbeitnehmer in der Lage sein muss, die Arbeit innerhalb einer angemessenen Zeitspanne auf Abruf aufnehmen zu können (vgl. BAG 22. Juni 2011 – 8 AZR 102/10 – Rn. 31). Kennzeichnend für Rufbereitschaft ist daher, dass zwischen dem Abruf und der Arbeitsaufnahme nur eine solche Zeitspanne liegen darf, deren Dauer den Einsatz nicht gefährdet und die Arbeitsaufnahme im Bedarfsfall gewährleistet. Der Arbeitnehmer darf sich nicht in einer Entfernung vom Arbeitsort aufhalten, die dem Zweck der Rufbereitschaft zuwiderläuft (vgl. BAG 31. Januar 2002 – 6 AZR 214/00 – zu B I 2 der Gründe; 31. Mai 2001 – 6 AZR 171/00 – zu II 1 b der Gründe).
Mithin stehen mittelbare Einschränkungen des Aufenthaltsortes dem Vorliegen von Rufbereitschaft nicht zwangsläufig entgegen. Vielmehr ist die Eingrenzung der freien Wahl des Aufenthaltsortes und damit einhergehend der Möglichkeiten zur Gestaltung der Zeit der Rufbereitschaft gerade ein Wesensmerkmal dieses Dienstes.
[…] Diese [Aufenthaltsbeschränkungen] können allerdings auch konkludent erfolgen. Das ist beispielsweise anzunehmen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer dadurch in der freien Wahl des Aufenthaltsortes beschränkt, dass er die Zeit zwischen Abruf und Arbeitsaufnahme genau vorgibt und die Zeitspanne dabei so kurz bemisst, dass sie einer Aufenthaltsbeschränkung gleichkommt […]. In einem solchen Fall ersetzt der Arbeitgeber die örtlichen Beschränkungen lediglich durch den Faktor Zeit […] und ordnet dadurch konkludent Bereitschaftsdienst an.
Wann die (mittelbaren) Einschränkungen hinsichtlich der freien Wahl des Aufenthaltsortes so stark sind, dass sie faktisch einer Bestimmung des Aufenthaltsortes durch den Arbeitgeber iSv. § 7 Abs. 4 Satz 1 TV-Ärzte/TdL gleichkommen und damit eine Anordnung von Bereitschaftsdienst darstellen, ist letztlich eine Frage des Einzelfalls (bei einer Zeitvorgabe von 10 bzw. 20 Minuten bis zur Arbeitsaufnahme bejaht: BAG 19. Dezember 1991 – 6 AZR 592/89 – zu II 1, 2 der Gründe; 31. Januar 2002 – 6 AZR 214/00 – zu B I 2 der Gründe; bei einer Zeitvorgabe von 25 bis 30 Minuten verneint BAG 31. Januar 2002 – 6 AZR 214/00 – zu B I 2 der Gründe).
[…] Soweit der Kläger nach einem telefonischen Organtransplantationsangebot der Stiftung Eurotransplant im sog. Extended-Allocation-Modus entsprechend deren Vorgabe innerhalb einer Zeitspanne von 30 Minuten die Annahme eines solchen Angebots zu erklären hatte, ändert dies an dem Vorliegen von Rufbereitschaft auch dann nichts, wenn unterstellt wird, dass sich das beklagte Universitätsklinikum diese Vorgabe zu eigen gemacht hatte. Auch in diesen Fällen war der Kläger zunächst lediglich verpflichtet, durch die Annahme des Telefonanrufs seine Arbeit unverzüglich aufzunehmen. Erst danach begab er sich in das Klinikum. Eine mit dem Wesen der Rufbereitschaft nicht mehr zu vereinbarende räumliche Aufenthaltsbeschränkung war damit, wie dargelegt, jedoch nicht verbunden. […]
Weitere Vorgaben hinsichtlich des Aufenthaltsortes oder der Zeitspanne, innerhalb derer der Kläger die Arbeit aufzunehmen hatte, machte das beklagte Universitätsklinikum nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht.«
30 Minuten lang herumtelefonieren |
Der sechste Senat hat im vorliegenden Fall eine »mittelbare Einschränkung« beurteilt: Die Anordnung einer Reaktionszeit (hier: 30 Minuten telefonische Erklärungsfrist) lässt die freie Wahl des Aufenthaltsortes weitgehend unbeschränkt. Sie bleibt in den Grenzen der tarifvertraglichen Vorgaben.
Die fremdnützige Arbeit beginnt mit dem Gang oder dem Griff zum läutenden Telefon. Vielleicht lautet dann die Anweisung: »Kommen Sie unverzüglich zum Arbeitsplatz XYZ!«
Mehr gab der Tatsachenvortrag nicht her. Mehr wurde nicht beurteilt. Die Arbeitnehmer sind bei der Wahl ihres Aufenthaltes nicht völlig frei – die Rechtsprechung ist hierzu unverändert.
Kein Raum für dunkle Fantasien! |
Kein Tarifvertrag gibt Zeitspannen für Einzelfälle vor. Die konkrete Organisierung liegt bei den Betrieben.
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betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] AU (06.08.2021)
Diesmal berichten wir über
⊗ Rätsel der Arbeitsunfähigkeit
⊗ AU im Plan
⊗ Bildungstage: Arbeitszeit
In den vergangenen Jahren hat die Schichtplan-Fibel mehrfach untersucht, was betriebspraktisch bei Konflikten rund um Arbeitsunfähigkeit zu beachten lohnt:
➽ Zugespitzt:
Ein bischen krank ist jede/r. |
Feine Unterschiede |
»Die Darlegungs- und Beweislast für die Arbeitsfähigkeit und damit für die Erfüllbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs trägt der Arbeitnehmer. Die Arbeitsfähigkeit beurteilt sich nicht nach der zuletzt übertragenen Tätigkeit, sondern nach der vom Arbeitnehmer aufgrund des Arbeitsvertrags geschuldeten Leistung, die der Arbeitgeber als vertragsgemäß hätte annehmen müssen […].«
⇒ BAG Urteil 20.01.1998 – 9 AZR 812/96
»Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn der Arbeitnehmer beim Arbeitgeber seine vertraglich geschuldete Tätigkeit wegen Krankheit
nicht mehr ausüben kann oder nicht mehr ausüben sollte, weil die Heilung einer vorhandenen Krankheit nach ärztlicher Prognose verhindert oder verzögert wird […].«
⇒ BAG Urteil 23.01.2008 – 5 AZR 393/07
»Sollte [ein Beschäftigter] schichtplanmäßig eingesetzt gewesen sein und während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit ein für ihn geltender Schichtplan bestanden haben, bestimmte sich der Zeitfaktor des fortzuzahlenden Entgelts nach den tatsächlich ausgefallenen Arbeitsstunden.«
⇒ BAG Urteil 26.06.2002 – 5 AZR 5/01 Rn. 33
»Auch bei der Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit kann es Fälle geben, in denen die Erkrankung den Arbeitnehmer zwar außerstande setzt, seine Arbeitspflichten zu erfüllen, nicht aber sein Betriebsratsamt wahrzunehmen […].«
⇒ BAG Urteil 08.09.2011 – 2 AZR 388/10 Rn. 34
»Die Arbeitsunfähigkeit eines Betriebsratsmitglieds stellt danach nicht notwendigerweise eine Verhinderung dar. […].
Anders ist dies jedoch bei einem nach § 38 Abs. 1 BetrVG freigestellten Betriebsratsmitglied. Eine in diesem Fall vom Arzt attestierte Arbeitsunfähigkeit hat zur Folge, dass das Betriebsratsmitglied stets verhindert ist, da es ihm krankheitsbedingt unmöglich ist, seine Amtspflichten auszuüben. Ob und in welchem Umfang er sich (subjektiv) zur Wahrnehmung derselben in der Lage sieht, ist unerheblich.«
⇒ BAG, Beschluss 28.07.2020 – 1 ABR 5/19 Rn 29
Nach Ablauf der sechswöchigen Entgeltfortzahlung: Ein Versicherter, der wegen Arbeitsunfähigkeit Krankengeld erhält, muss spätestens am nächsten Werktag nach dem Ende der zuletzt festgestellten Arbeitsunfähigkeit deren Fortdauer ärztlich bescheinigen lassen. So bleibt er weiterhin krankengeldberechtigt.
Vielleicht wird er an diesem Tag aus organisatorischen Gründen von der Arztpraxis auf einen späteren Termin verwiesen. Dann kann die gesetzliche Krankenkasse die Zahlung von Krankengeld nicht mit dem Argument verweigern, die Arbeitsunfähigkeit sei nicht lückenlos festgestellt worden.
⇒ LSG Hessen Urteil 22.12.2020 – L 1 KR 125/20
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Rufbereitschaft AU (30.07.2021)
Diesmal berichten wir über
⊗ Bereitschaftsdienst oder bloße Rufbereitschaft
⊗ Verspäteter Plan
⊗ AU im Plan
⊗ Bildungstage: Arbeitszeit
Bereitschaftsdienst oder bloße Rufbereitschaft |
➽ Zugespitzt:
Inanspruchnahmen in jedem zweiten Rufdienst sind nicht mehr 'ausnahmsweise'. |
Die Entscheidung |
Ob Bereitschaftsdienst oder bloße Rufbereitschaft – »Einzige tarifliche Tatbestandsvoraussetzung [im TVöD, TV-L, TV-Ärzte] ist,
ob der Arbeitgeber nach Maßgabe der von ihm getroffenen Anordnungen den Aufenthaltsort des Arbeitnehmers bestimmt oder ob der Arbeitnehmer seinen Aufenthaltsort im Rahmen der durch den Zweck der Rufbereitschaft vorgegebenen Grenzen frei wählen kann. Im ersten Fall handelt es sich um Bereitschaftsdienst, im zweiten Fall um Rufbereitschaft.«
⇒ BAG Urteil 25.03.2021 – 6 AZR 264/20
Aus den Begründungen |
[Die Belastung in den Rufbereitschaften überstieg das durch § 7 Abs. 6 TV-Ärzte/TdL vorgegebene Maß, nach dem ›erfahrungsgemäß lediglich in Ausnahmefällen Arbeit anfällt‹.]
[Rn. 27] In der Gesamtschau dieser Umstände – Arbeitsanfall in nahezu der Hälfte aller Rufbereitschaften, dabei in mehr als einem Viertel aller Rufbereitschaften Inanspruchnahme im Klinikum, Arbeitsleistungsanteil insgesamt 4 % – ist während der Hintergrunddienste des Klägers erfahrungsgemäß nicht lediglich im Ausnahmefall Arbeit angefallen.
[Rn. 28] Gleichwohl folgt aus der fehlenden Befugnis des beklagten Universitätsklinikums, die Hintergrunddienste als Rufbereitschaften anzuordnen, kein Anspruch des Klägers auf Vergütung dieser Dienste als Bereitschaftsdienst.
[Rn. 31] Der betroffene Arbeitnehmer wird hierdurch gleichwohl nicht rechtsschutzlos gestellt. Er kann individualrechtlich die Ableistung tarifwidrig angeordneter Rufbereitschaften verweigern. Kollektivrechtlich ist es die Aufgabe des Betriebsrats, im Rahmen der ihm zustehenden Mitbestimmungsrechte auf die Einhaltung der anzuwendenden Tarifverträge zu achten.
Der Blick der Interessenvertretung |
Der Betriebsrat / Personalrat bzw. die Mitarbeitervertretung überschaut schnell, wer wo im Betrieb zu Rufbereitschaften herangezogen wird: Ärzte, OP-Personal, Endoskopie, PDL, Handwerker …
Zuschläge für verspätete Anordnung |
➽ Zugespitzt: Steht noch die Einigung der Betriebsparteien auf einen Dienstplan aus, führt dies Ärzte zu einem 10 v.H.-Aufschlag. |
Der Fall |
Der Kläger, ein Oberarzt im Geltungsbereich TV-Ärzte/VKA, macht erfolgreich Zuschläge für von ihm geleistete Bereitschaftsdienste geltend. Denn in § 10 Abs. 11 TV-Ärzte/VKA ist geregelt –
Unstrittig ist: Der Betrieb hat in den Monaten Februar bis September 2020 jeweils einen Monat vor Beginn des jeweiligen Planungszeitraumes einen von ihm erstellten Dienstplan veröffentlicht und dem
Betriebsrat zugeleitet. Der Betriebsrat hat keinem Dienstplan in diesem Zeitraum zugestimmt und sich zur Begründung jeweils auf einzelne Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz berufen. Der Kläger hat dennoch wie – rechtsunwirksam – geplant gearbeitet.
Die Entscheidung |
Nach Auffassung der Kammer ist ein Dienstplan »aufgestellt« in diesem Sinne, wenn ein verbindlicher, gegebenenfalls mitbestimmter Dienstplan vorliegt. […] In Betrieben, in denen – wie bei der Beklagten – ein Betriebsrat gewählt ist, ist dies erst dann der Fall, wenn ein mitbestimmter Dienstplan vorliegt. Die Entwürfe, die die Beklagte im Zeitraum zwischen Februar und September 2020 erstellt hat und denen der
Betriebsrat nicht zugestimmt hat, erfüllen diese Voraussetzung nicht.
aa) Bereits aus dem Wortlaut der Norm ergibt sich, dass das jeweils erforderliche Prozedere zur Aufstellung eines Dienstplanes abgeschlossen sein muss. […]
Bei der Formulierung »aufgestellt« handelt es sich nicht um einen feststehenden Rechtsbegriff. Der Begriff »aufstellen« beschreibt aber in sämtlichen, ihm zugeschriebenen möglichen Bedeutungen das Ergebnis eines in sich abgeschlossenen Prozesses (etwa: einen Kandidaten aufstellen, einen Posten aufstellen, eine Mannschaft aufstellen, ein Programm aufstellen, einen Rekord aufstellen, vgl. hierzu »aufstellen«, bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, https://www.dwds.de/wb/aufstellen, abgerufen am 13. Juli 2021).
(3) In betriebsratslosen Betrieben ist das Aufstellen eines verbindlichen Dienstplanes gleichbedeutend mit dessen Erstellung durch den Arbeitgeber. In Betrieben, in denen ein Betriebsrat gewählt ist, ist unter Berücksichtigung der Systematik der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten der Prozess; des »Aufstellens« eines Dienstplanes indessen erst dann abgeschlossen und damit verbindlich, wenn eine Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat herbeigeführt wurde.
(a) Der Arbeitgeber kann eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme nur mit Zustimmung des Betriebsrats treffen. […] Die Zustimmung des Betriebsrats ist darüber hinaus Wirksamkeitsvoraussetzung für die Umsetzung der Maßnahme […].
Die Höhe der geltend gemachten Zuschläge ist zwischen den Parteien unstreitig. Soweit in § 10 Abs. 11 Satz 2 TV-Ärzte/VKA ungenau davon die Rede ist, dass Zuschläge für »jeden Dienst des zu planenden Folgemonats« anfallen, ist diese Regelung nach Sinn und Zweck der Vorschrift dahingehend zu verstehen, dass Zuschläge für die Dienste desjenigen Monats gemeint sind, für den der Dienstplan verspätet aufgestellt wurde. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1, 187 Abs. 1 BGB.
⇒ ArbG Mannheim Urteil 09.07.2021 – 12 Ca 28/21
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Telefon und Fahrzeug (17.07.2021)
Diesmal berichten wir über
⊗ Rufbereitschaft, Handy und Fahrzeug
⊗ Alleinarbeit
⊗ Bildungstage: Arbeitszeit
Arbeitgeber stellt die Betriebsmittel |
➽ Zugespitzt:
Wer bestellt, muss zahlen. |
Der Fall |
Ein Kollege soll für den Arbeitgeber aus Restaurants Speisen und Getränke abholen und an dessen Besteller ausliefern. Die Aufträge laufen über eine Smartphone App. Der Kläger benötigt für die Erfüllung seiner arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung als Auslieferer zwingend ein verkehrstüchtiges Fahrrad und ein internetfähiges Mobiltelefon mit Datennutzungsvertrag. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig.
Der Kollege fordert vom Arbeitgeber ein Fahrrad und ein Telefon samt Datennutzungsvertrag. Er hat vor Gericht Erfolg.
Die meisten unserer Leser:innen lehnen sich beruhigt zurück. Sie liefern kein Essen aus, sie bestellen es nur gelegentlich. Aber manche von ihnen sollen sich im Zuge von Rufbereitschaftsdiensten telefonisch erreichbar halten und zeitnah zur Arbeitsstelle fahren. Was ist für ihre Tätigkeit notwendig? Was muss ihnen der Arbeitgeber stellen?
Die Entscheidung |
Der Anspruch [des Kollegen] folgt aus §§ 611 a, 615 S. 3, 618 BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag. Vor dem Hintergrund der rechtlichen Anerkennung eines tatsächlichen Beschäftigungsanspruchs des Arbeitnehmers kann dieser den Anspruch auf Stellung der zwingend zur Ausübung der Tätigkeit erforderlichen Arbeitsmittel einklagen und kann nicht auf Ansprüche auf Annahmeverzugslohn verwiesen werden. Die Pflicht, ohne finanziellen Ausgleich zwingend notwendige Arbeitsmittel von einigem Wert selbst stellen zu müssen, kann durch Allgemeine Geschäftsbedingungen nicht wirksam begründet werden. Eine solche Regelung benachteiligt den Arbeitnehmer nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unangemessen.
⇒ LAG Hessen Urteil 12.03.2021 – 14 Sa 306/20
Aus den Begründungen (1) |
[Rn. 38] Die gesetzliche Regelung, wonach der Arbeitgeber die notwendigen Betriebsmittel zu stellen hat, wurde zwischen den Parteien nicht wirksam abbedungen [nicht ausdrücklich im Arbeitsvertrag zu Lasten des Kollegen geregelt]. Eine von§ ยง 611a, 615 S. 1, 618 BGB abweichende vertragliche Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien dergestalt, dass der Arbeitnehmer die Betriebsmittel einzubringen hat, ist zwar grundsätzlich zulässig […] zwischen den Parteien aber nicht wirksam erfolgt.
[Rn. 40] Bei den Regelungen des Arbeitsvertrags […] handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen. Dies folgt bereits aus dem äußeren Erscheinungsbild der formularmäßigen Vertragsgestaltung.
Grenzen von Vertragsklauseln |
In Tarif- und Arbeitsverträgen ist oft die Pflicht zur Ableistung von Rufbereitschaften vereinbart. Dabei wird zugleich der Umfang dieser Pflichten definiert.
§ 7 Abs. 4 TVöD |
Nach diesem recht dürftigen Wortlaut reicht es, zu Beginn eines solchen Rufdienstes dem Chef mitzuteilen – »Ich bin bei meiner Freundin zuhause, hinten im Garten. Den Ruf ihres Boten kann ich da gut hören. Auch zum Briefkasten gehe ich regelmäßig ….«.
Doch die Gerichte haben diese wortkarge vertragliche Regelung erstaunlich aufgeblasen:
»Ein Angestellter des öffentlichen Dienstes, der verpflichtet ist, auf Anordnung seines Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit ein auf Empfang geschaltetes Funktelefon mitzuführen, um auf telefonischen Abruf Arbeit zu leisten, die darin besteht, daß er über dieses Funktelefon Anordnungen trifft oder weiterleitet, leistet während der Dauer dieser Verpflichtung Rufbereitschaft.«
⇒ BAG Urteil 29.06. 2000 – 6 AZR 900/98
»Er muß diesen Ort so wählen, daß er die Arbeit auf Abruf aufnehmen kann, und muß ihn dem Arbeitgeber anzeigen.«
⇒ BAG 19.12.1991 – 6 AZR 592/89
»Ist […] die jederzeitige Erreichbarkeit durch ein vom Arbeitgeber zur Verfügung gestelltes und vom Arbeitnehmer empfangsbereit zu haltendes Funktelefon sichergestellt, besteht für den Aufenthalt an einem bestimmten Ort kein Bedürfnis, soweit es um den Abruf des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber geht. Die Kenntnis vom Aufenthaltsort des Angestellten benötigt der Arbeitgeber nur, wenn sie erforderlich ist, um den Angestellten erreichen zu können.«
⇒ BAG Urteil 29.06.2000 – 6 AZR 900/98
Regelmäßig reicht dem Arbeitgeber nicht einmal eine eindeutige Klausel im Arbeitsvertrag. Um einer Arbeitnehmerin die Anschaffung von Betriebsmitteln aufzubürden, müsste der Arbeitgeber dies zugleich mit der Erstattung aller Kosten verbinden.
Solche vertraglichen Klauseln zur Ableistung eines Rufbereitschafsdienstes begründen also nicht die Pflicht, dem Arbeitgeber das eigene Telefon zur Verfügung zu stellen. Sie begründen nicht die Pflicht, sich über das eigene Telefon erreichbar zu halten. Will der Arbeitgeber mehr, dann muss er für dieses »Mehr« sorgen und zahlen. Ein Mobilphone kann sich der Arbeitgeber bereits für unter 20 Euro besorgen.
Aus den Begründungen (2) |
[Rn. 45] Dagegen kann nicht eingewendet werden, der Arbeitnehmer besitze »sowieso« ein Mobiltelefon und/oder ein Fahrrad. Auf die Frage, ob dies beim Kläger der Fall ist, kommt es nicht an. Ob die hier typischerweise beteiligten Vertragspartner über ein eigenes Fahrrad und ein internetfähiges Mobiltelefon verfügen, ist vor allem hinsichtlich des Fahrrads bereits fragwürdig, kann aber im Ergebnis offenbleiben. Selbst wenn man dies annimmt, stellt es eine unangemessene Benachteiligung der Arbeitnehmer dar, diese Vermögensgegenstände ohne Gegenleistung oder die Regelung eines Aufwendungsersatzes im Interesse des Arbeitgebers einsetzen zu müssen und entgegen § 615 S. 3 BGB das Risiko zu tragen, die Arbeitsleistung nicht erbringen zu können, etwa wenn das Fahrrad gestohlen oder beschädigt wird.
[Rn. 52] Die Revision ist gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen. Die Frage, ob ein Arbeitnehmer einen klagbaren Anspruch auf Überlassung von für die Erbringung seiner Arbeitsleistung erforderlichen Arbeitsmitteln hat oder auf die Möglichkeit verwiesen werden kann, Annnahmeverzugslohn einzuklagen, ist, soweit erkennbar, noch nicht höchstrichterlich entschieden.
Fahrrad oder PKW |
Stellen wir uns vor: Der Arbeitgeber ruft während einer Rufbereitschaft an. Er fordert auf, unverzüglich an einer bestimmten Stelle (Arbeitsplatz) zu erscheinen und genau dort eine vertraglich geschuldete Tätigkeit zu erledigen. Viele setzen zur Anfahrt ihren eigenen PKW ein, ihre Unfallversicherung und ihr Benzin. Doch bei diesem Weg handelt es sich nicht nur bereits um Arbeitszeit. Es handelt sich um eine Dienstfahrt für den Arbeitgeber. Was er anordnet, muss er komplett bezahlen.
»Daraus ergibt sich ein besonderes Interesse des Arbeitgebers daran, dass der Arbeitnehmer innerhalb einer angemessenen Zeitspanne ab dem Abruf der Arbeit dieselbe aufnimmt. Wäre dies nicht der Fall, hätte der Arbeitgeber keine Rufbereitschaft angeordnet.
Hält es nunmehr der Arbeitnehmer für erforderlich, mit seinem Privatfahrzeug im Rahmen der Rufbereitschaft zum Arbeitsort zu fahren, weil dies aus seiner Sicht der schnellste Weg ist, um rechtzeitig dort zu erscheinen, so handelt er regelmäßig auch im Interesse des Arbeitgebers. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn die Benutzung des Privatwagens
nicht auch den Interessen des Arbeitgebers dient, weil der Arbeitnehmer zB zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln schneller zur Arbeit gelangen könnte als mit seinem Privat-Pkw oder weil er sich in einer den Sinn und Zweck der Rufbereitschaft gefährdenden Entfernung vom Arbeitsort aufhält und nur deshalb auf sein Privatfahrzeug angewiesen ist.«
⇒ BAG Urteil 22.06.2011 – 8 AZR 102/10
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Aufzeichnen, Bildung (04.07.2021)
Diesmal berichten wir über
⊗ Aufzeichnungspflicht
⊗ Veranstaltung: Gesundheitsschutz
⊗ Bildungstage: Arbeitszeit
In den vergangenen Jahren hat die Schichtplan-Fibel mehrfach über die Pflicht zur Aufzeichnung der gesamten Arbeitszeit berichtet:
Nimmt Dein Arbeitgeber es nicht so genau mit der Arbeitszeit? Die Schichtplan-Fibel lädt Beschäftigte und ihre Interessenvertreter/innen ein – zu einer Zoom-Beratung.
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Aufzeichnen (16.06.2021)
Diesmal berichten wir über
⊗ Quarantäne. Wer zahlt?
⊗ Aufzeichnungspflicht
Arbeitgeber verhängt Hausarrest |
Ordnet die Behörde einer Arbeitnehmerin eine Quarantäne an, so kann sich ihr Arbeitgeber für diese Zeitspanne das von ihm gezahlte Entgelt ersetzen lassen (Infektionsschutzgesetz). Ordnet dagegen der Arbeitgeber selbst aus eigenem Antrieb heraus Hausarrest (›Quarantäne‹) an, behält die Kollegin ihren Vergütungsanspruch, doch der Arbeitgeber hat keinen Ersatzanspruch. Auch nicht gegen die Kollegin.
»Damit ist hingegen nicht gesagt, dass der Kläger [Arbeitnehmer] bei einer solchen Anordnung durch den Arbeitgeber das Vergütungsrisiko trägt und die Beklagte [Arbeitgeberin] damit berechtigt war, die entsprechenden in Quarantäne verbrachten Stunden, an denen der Kläger nicht arbeiten konnte, als Abzugsposten vom Positivsaldo des Arbeitszeitskontos des Klägers abzuziehen.«
⇒ ArbG Dortmund Urteil 24.11.2020 – 5 Ca 2057/20
Verstöße führen zur Aufzeichnungspflicht |
➽ Zugespitzt:
Arbeitszeit gefährdet die Gesundheit. |
Das deutsche Arbeitszeitgesetz nimmt es mit den europaweiten Vorgaben (Artikel 31 Sozial-Charta, EU-Arbeitszeitrichtlinie) nicht so genau. Erst wenn werktäglich die achte Stunde Arbeitszeit überschritten wird oder wenn diese Zeit auf Sonn- bzw. Feiertagsarbeit fällt, muss der Arbeitgeber diese Zeiten aufzeichnen (§ 16 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz). Im Ergebnis: Spart sich der Arbeitgeber die Aufzeichnung, spart er sich zugleich den Nachweis, ob für ihn überhaupt eine Aufzeichnungspflicht besteht.
Der Bundesarbeitsminister, Hubertus Heil, versprach vor zwei Jahren: Das deutsche Arbeitszeitgesetz wird nachgebessert, um dem Europarecht zu entsprechen (EuGH 14.05.2019 – C-55/18). Er wurde mehrfach an sein Versprechen erinnert (zuletzt 12.02.2020: Antrag Die Linke; 30.06.2020: Antrag Die Grünen). Erfolglos.
Lückenlos |
Im Fall einer Einzelhandelskette folgte das Gewerbeaufsichtsamt einer Beschwerde über Verstöße bei der Pausengewährung. Bei einer Betriebsbesichtigung stellten die Inspektoren fest: Die Arbeitgeberin konnte keine entsprechende Anordnung für Pausenzeiten vorlegen. Die Arbeitnehmer konnten keine Auskunft darüber geben, wann sie Pausen eingelegt hatten. Die Aufsichtsbeamten verlangten nun die Einsendung der »lückenlosen« Dokumente über die tatsächliche Arbeitszeit, unter anderem mit »Name, Vorname, ladungsfähige Anschrift, Geburtsdatum und die Art der durchgeführten Tätigkeiten (z.B. Filialleiter, Verkaufskraft etc.)«. Sie gaben als Begründung:
»Das Gewerbeaufsichtsamt … sei kraft Gesetzes zur Überwachung der Einhaltung der Arbeitszeitvorschriften befugt. Das Amt sei insbesondere bei konkreten Beschwerden berechtigt, die zur Durchführung dieser Überwachungsaufgabe erforderlichen Auskünfte zu verlangen und anzuordnen, dass die Arbeitszeitnachweise zur Einsicht einzusenden seien. […] Bei der Überprüfung der Arbeitszeitnachweise der Mitarbeiter […] seien bei Stichproben Verstöße gegen die Bestimmungen des § 4 ArbZG festgestellt worden. Durch Arbeitszeiten ohne Ruhepausen oder mit zu geringer Dauer der Ruhepausen seien die Arbeitnehmer in ihrer Gesundheit gefährdet. Zur Abwendung einer möglichen Gesundheitsgefahr sei die Überprüfung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit erforderlich. Die Anordnung des sofortigen Vollzugs habe den Zweck, gegebenenfalls die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes ohne Zeitverzug durchsetzen zu können.«
Der Arbeitgeber, eine Parfümerie-Kette, wehrte sich. Erfolglos.
Das Verwaltungsgericht bestätigte: »Das Gewerbeaufsichtsamt hat durch seine Einlassungen im Schriftsatz […] und substantiiert dargelegt, dass Anhaltspunkte für Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz durch die in den Filialen …, …, und …, …, durchgeführten Kontrollen und damit für eine Gefährdung der durch das ArbZG unter Schutz gestellten Gesundheit der bei der Klägerin beschäftigten Arbeitnehmer bestanden haben.«
Alleinarbeit weist auf Gesetzesverstoß |
»Die vom Beklagten geschilderte und von der Klägerin nicht bestrittene 'Einmann'-Belegung in der … Filiale lässt ebenfalls den Schluss auf einen möglichen Gesetzesverstoß zu. Zwar hat die Klägerin […] eingewendet, dass die Arbeitnehmerin während der ihr zustehenden Pause den Laden entweder zuschließen oder die Geschäftsführung einer ebenfalls in dieser Filiale tätigen freiberuflichen Kosmetikerin überlassen dürfe. Dass eine im Einzelhandel beschäftigte Arbeitnehmerin im Rahmen ihres Arbeitsvertrages berechtigt sein soll, das von ihr zu betreuende und während der Öffnungszeiten offen zu haltende Geschäft abzuschließen, um eine ihr gesetzlich zustehende Pause wahrzunehmen, wurde von der Klägerin nicht belegt, z.B. durch Vorlage einer schriftlichen Anweisung oder durch ein sonstiges Beweisangebot.
Ob die Klägerin bestimmte Nachweise nicht zu führen braucht, wie z.B. den Nachweis gemäß § 16 Abs. 2 ArbZG, lässt sich abschließend erst nach Vorlage der genannten und bei der Klägerin vorhandenen Unterlagen klären und begründet keine Bedenken, was die Rechtmäßigkeit der Anordnung angeht.
Sollten nach der Prüfung weiterhin begründete Zweifel an der Einhaltung der Pausenregelung des § 4 ArbZG bestehen, könnte die Aufsichtsbehörde als weiteren Schritt die Verpflichtung zur Aufzeichnung der Lage der Pausen aufgrund von § 17 Abs. 2 ArbZG verfügen (vgl. Anzinger/Koberski, aaO, § 16, Rn. 15).«
⇒ VG Ansbach Urteil 25.02.2017 – AN 4 K 15.00907
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betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Pandemie vor Gericht (04.06.2021)
Diesmal berichten wir über
⊗ Pandemie vor Gericht
⊗ 07.06.2021 – Zoom-Besprechung über Bereitschaftsdienst
Vor Gericht |
Rufschädigend |
Viele tausend Gerichtsverfahren kümmern sich in den vergangenen Monaten um Arbeitgeber. Deren Tattoo-Studio, Bordell oder Kneipe sollen bitte trotz der Pandemie-Auflagen ungehindert laufen.
In einem Fall setzen sich sogar zwei Berliner Krankenhäuser gegen die Auflage zur Wehr, nicht notwendige Behandlungen zu unterlassen. Ihr Antrag auf eine schnelle und einstweilige Entscheidung hatte Erfolg. Im Ergebnis brauchten die Kliniktreiber keine Kapazitäten für die Versorgung in der bevorstehenden Pandemie-Welle reservieren:
Aufgrund § 6 Abs. 2 Satz 1 CoronaKHV dürfen in allen Notfallkrankenhäusern unter Einhaltung der vorgegebenen Reservierungs- und Freihaltequoten nur noch medizinisch dringliche planbare Aufnahmen, Operationen und Eingriffe bei Patientinnen und Patienten durchgeführt werden. »Das vorliegend angegriffene Behandlungsverbot gehört nicht zu den in § 28a Abs. 1 IfSG beispielhaft genannten möglichen Schutzmaßnahmen und weist auch keinerlei inhaltliche Nähe zu diesen auf. Es kann auch sonst nicht unter den Begriff der ›notwendigen Schutzmaßnahmen‹ im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG subsumiert werden. […] Da das Behandlungsverbot […] bezweckt, die Möglichkeit der stationären Aufnahme und bedarfsgerechten Versorgung von COVID-19-Erkrankten sowie die notwendige medizinische Versorgung der übrigen Berliner Bevölkerung in Krankenhäusern sicherzustellen, stellt es keine Schutzmaßnahme zur Verhinderung der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit bzw. konkret von COVID-19 mehr dar.«
»Die Antragstellerin hat hinreichend dargetan und glaubhaft gemacht, dass ihr infolge des Behandlungsverbots nicht unerhebliche Einnahmeausfälle entstehen, solange in ihren Kliniken keine Patientinnen und Patienten mehr behandelt werden dürfen, deren planbare Operationen und Eingriffe nicht medizinisch dringlich im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 2 CoronaKHV sind. Zwar ist die bisherige Kompensation der dadurch verursachten Einnahmeausfälle […] verlängert worden, jedoch ist dabei weiterhin nur eine Kompensation von 90 % der Einnahmeausfälle vorgesehen. Überdies hat die Antragstellerin nachvollziehbar dargetan, dass sie bei der Abweisung potentieller Patientinnen und Patienten wegen des Behandlungsverbots auch mit einem Reputationsverlust bzw. einer zukünftig geringeren Empfehlungsquote durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte und infolgedessen mit unkalkulierbaren negativen Auswirkungen auf das zukünftige Patientenaufkommen rechnen muss.«
⇒ VG Berlin Beschluss 11.02.2021 – 14 L 18/21
Nicht ganz so eilig wird meist entschieden, wenn Arbeitnehmer:innen etwas durchsetzen wollen. Zudem: Selbst die für sie günstigen Entscheidungen sind oft noch nicht rechtskräftig, weil die Arbeitgeber die nächsthöhere Instanz anrufen dürfen.
Betriebsstörung |
Auch während einer Pandemie bleibt das Betriebsrisiko beim Arbeitgeber (hier: Betreiber einer Spielhalle). Er muss nach Arbeit für seine Beschäftigten suchen.
Er muss während seiner Bemühungen auch weiter das Entgelt bezahlen. »Dies folgt aus § 615 Satz 1 BGB i.V.m. § 615 Satz 3 BGB, weil die Beklagte sich im Verzug mit der Annahme der Arbeitsleistung befand.«
⇒ LAG Düsseldorf Urteil 30.03.3021 – 8 Sa 674/20
Wird ein Betrieb durch behördliche Anordnung infolge der COVID 19-Pandemie für den Kundenverkehr geschlossen, so behält eine geringfügig beschäftigte Arbeitnehmerin ihren Vergütungsanspruch gem. § 615 Satz 1 und 3 BGB.
⇒ LAG Niedersachsen Urteil 23.03.2021 – 11 Sa 1062/20
Am 15.03.2020 erhielten ein Arbeitnehmer und dessen Ehefrau, die ihn im Urlaub begleitet hatte und ebenfalls bei der Beklagten als Arbeitnehmerin beschäftigt ist, die Aufforderung, sich zu melden, falls sie sich in Österreich aufgehalten hätten, der der Arbeitnehmer und seine Ehefrau nachkamen. Unter dem 16.03.2020 teilte die Arbeitgeberin (Beklagte) dem Arbeitnehmer (Kläger) und seiner Ehefrau mit, sie sollten zwei Wochen zu Hause bleiben und in Quarantäne gehen, da Tirol in Österreich am 13.03.2020 als Risikogebiet vom RKI aufgelistet worden sei. Dieser Aufforderung der Beklagten kamen der Kläger und seine Ehefrau nach.
Die Beklagte verrechnete in der Folgezeit 62 Stunden und 45 Minuten Arbeitszeit mit entsprechenden Positivsalden des Arbeitszeitskontos des Klägers. Hierbei handelte es sich um die Arbeitszeit, die durch die von der Beklagten ausgesprochene Anordnung ausfiel.
Doch: Ordnet nicht die Behörde sondern der Arbeitgeber selbst aus eigenem Antrieb heraus Hausarrest (›Quarantäne‹) an, besteht der Vergütungsanspruch fort.
»Die von der Beklagten vorgelegten Mitteilungen und Einstufungen bestimmter Gebiete als Risikogebiet durch das RKI, auf die die Beklagte hinweist, sprechen dafür , dass eine entsprechende Anordnung zumindest nicht erkennbar ermessensfehlerhaft ist. Damit ist hingegen nicht gesagt, dass der Kläger bei einer solchen Anordnung durch den Arbeitgeber das Vergütungsrisiko trägt und die Beklagte damit berechtigt war, die entsprechenden in Quarantäne verbrachten Stunden, an denen der Kläger nicht arbeiten konnte, als Abzugsposten vom Positivsaldo des Arbeitszeitskontos des Klägers abzuziehen.«
⇒ ArbG Dortmund Urteil 24.11.2020 – 5 Ca 2057/20
Eine Kurzarbeit (Null Beschäftigung) kürzt den jährlichen Urlaubsanspruch anteilig.
⇒ LAG Düsseldorf Urteil. 12.03.2021 – 6 Sa 824/20
Quarantäne |
Der Arbeitgeber muss auch während behördlich angeordneten Quarantäne-Maßnahmen seinen Beschäftigten den Lohn fortzahlen. Ihm steht vielleicht kein Schadensersatz aus dem Infektionsschutzgesetz zu. Denn: Oft hat die Arbeitnehmer:in während einer vierzehntägigen häuslichen Absonderung einen vertraglichen Lohnfortzahlungsanspruch aus § 616 BGB. Der besteht, falls sie /er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in ihrer/ seiner Person liegenden Grund ohne ihr/sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert ist.
Das Gericht ging davon aus, dass bei mindestens über ein Jahr Beschäftigten dem Arbeitgeber solche Aussetzer zumutbar sind. »Darüber hinaus stellt die aufgrund der Absonderung eingetretene Dauer der Arbeitsverhinderung der Arbeitnehmerinnen von sechs bzw. vierzehn Tagen noch eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit dar.«
⇒ VG Koblenz, 10.05.2021 – 3 K 107/21.KO
Achtung: Im § 28 TVöD, TV-L, im BAT-KF oder den AVR wurde dieser Anspruch aus § 616 BGB auf jeweils einen Katalog beschränkt. Quarantäne gehört nicht dazu.
Die Zeitspanne eines seuchenpolizeilichen Tätigkeitsverbots ist nicht auf den Mindesturlaub des Arbeitnehmers nach dem BUrlG anzurechnen.
⇒ Bundesgerichtshof 30.11.1978 – III ZR 43/77
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Bereitschaftsdienst Zoom (27.05.2021)
Diesmal berichten wir über
⊗ Gute Abwehr von Bereitschaftsdienst
⊗ 07.06.2021 – Zoom-Besprechung über Bereitschaftsdienst
Bereitschaftsdienst? Ich nicht! |
In Krankenhäusern und in Betreuungseinrichtungen für Behinderte greifen Arbeitgeber gerne zur Anordnung von Bereitschaftsdiensten. Wer diese Übergriffe abwehren will, braucht mehr als gute Argumente.
➽ Zugespitzt:
Teilzeit schützt vor Bereitschaftsdienste. |
Teilzeit schützt |
Die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes verpflichten Vollzeitbeschäftigte, außerhalb ihrer regelmäßigen Arbeitszeit auch Bereitschaftsdienste zu leisten (z.B. in § 6 Abs. 5 TVöD).
Bereits vor 30 Jahren entschied das BAG (Leitsatz):
»Regelmäßige Arbeitszeit […] ist die regelmäßige Arbeitszeit nach § 15 BAT. Von dieser zu unterscheiden ist die mit nichtvollbeschäftigten Angestellten vereinbarte durchschnittliche Arbeitszeit .«
In der Begründung: »Die Tarifvertragsparteien haben nämlich bei nichtvollbeschäftigten Angestellten anders als bei vollbeschäftigten Angestellten […] keine tarifliche Verpflichtung normiert, Bereitschaftsdienste zu leisten. […] Anhaltspunkte dafür, daß die Tarifvertragsparteien mit regelmäßiger Arbeitszeit […] etwa die in Krankenhäusern betriebsübliche Arbeitszeit oder bei teilzeitbeschäftigten Ärzten deren vereinbarte Arbeitszeit meinen, haben in den tariflichen Bestimmungen keinen Ausdruck gefunden.«
⇒ BAG Urteil 21.11.1991 – 6 AZR 551/89
Die Tarifvertragsparteien gingen darum beim Wechsel vom BAT in den TVöD im Jahr 2006 einen wichtigen Schritt weiter. Sie regelten nun –
§ 7 Abs. 6 TVöD / TV-L |
Durch diesen Kunstgriff wird auch die vertraglich vereinbarte Zeitschuld der Teilzeitbeschäftigten zu einer für sie regelmäßigen Arbeitszeit. Teilzeitbeschäftigte können so Bereitschaftsdienste außerhalb dieser regelmäßigen Arbeitszeit leisten.
In weiteren Verträgen findet dies einen ›Ausdruck‹:
§ 13 (3) TV Helios; § 9 (1) Unterabsatz 2 AVR.DD; § 16 (1) Unterabsatz 2 AVR Bayern; § 6 (5) Satz 5 BAT-KF.
Andere kannten das Problem, und bewahrten dennoch – offenbar bewusst – die Begrifflichkeiten des BAT:
TV AWO Bremen; TV ASB; TV AWO Thüringen (DHV) …
Hier bleiben Teilzeitbeschäftigte von Bereitschaftsdiensten verschont. Hier entsteht allen die Pflicht zur Leistung von Bereitschaftsdienste erst oberhalb wochendurchschnittlich 39 oder 40 Stunden. |
Anfang 2019 untersuchte dies der Sechste Senat des BAG für den TVöD-B neu und genauer:
»Der Umfang der regelmäßigen Arbeitszeit wird bei Vollbeschäftigten in § 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b TVöD-B geregelt […]. Bei Teilzeitbeschäftigten bemisst er sich nach der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit . Bezogen auf die regelmäßige Arbeitszeit ist der Bereitschaftsdienst eine zusätzliche Leistung.«
(⇒ BAG Urteil 17.01.2019 – 6 AZR 17/18 Rn. 17).
Das Gericht entdeckte dabei: Bereitschaftsdienste ist nach § 7 Abs. 3 TVöD-B (ebenso TVöD-K) zusätzlich zur regelmäßigen Arbeitszeit zu leisten; er kann nicht anstatt der regelmäßigen Arbeitszeit angeordnet werden. Dem Arbeitgeber kommt kein Wahlrecht zu, ob er Bereitschaftsdienste durch Freizeit ausgleichen will.
Wir stellten diese Entscheidung am ⇒ 01.04.2019 ausführlich vor.
Teilzeitbeschäftigte vereinbaren ausdrücklich einen bestimmten Umfang an Zeitschuld. Die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes (und deren Nachfolger) versuchen deshalb, Teilzeitbeschäftigten darüber hinaus zu einer Selbstverpflichtung zu bewegen:
§ 6 Abs. 5 TVöD / TV-L |
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Schwerbehinderung schützt |
Schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Beschäftigte sind auf ihr bloßes Verlangen hin von Mehrarbeit freizustellen. Die Gleichstellung wird bereits mit dem Tag des Eingangs des Antrags wirksam. (§§ 151, 207 SGB IX)
Das allein schließt noch nicht aus, dass sie zu – zusätzlichen aber kurzen – Bereitschaftsdiensten herangezogen werden. Denn nach ständiger Rechtsprechung beginnt Mehrarbeit erst beim Überschreiten der achten Stunde werktäglicher Arbeitszeit im Sinne § 3 ArbZG.
Manchmal versäumen Betriebe, im Zuge von Bereitschaftsdiensten spätestens jeweils nach sechs Stunden Arbeitszeit eine Arbeitsunterbrechung (§ 4 ArbZG) zu organisieren. Dann bereits wird eine solche Überlastung insbesondere Schwerbehinderten unzumutbar.
Betriebsräte schützen |
Interessenvertretungen bestimmen nicht nur die Verteilung der Arbeitszeit im Plan mit. Sie sind insbesondere dann aufgerufen, wenn Arbeitgeber mehr wollen.
Bereitschaftsdienste belastet. Er belastet zusätzlich zur regelmäßigen Arbeitszeit :
Wenn Betriebsräte oder Mitarbeitervertretungen genauer hinschauen, stellen sie daher fest: Wir können den so rechtswidrigen Bereitschaftsdiensten nicht zustimmen. Wir kennen zudem alternative Arbeitszeit modelle (§ 7.1 Abs. 3 TVöD-B und TVöD-K).
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betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Bereitschaftsdienst Zoom (17.05.2021)
Diesmal berichten wir über
⊗ Gute Gründe für Bereitschaftsdienst
⊗ 07.06.2021 – Zoom-Besprechung über Bereitschaftsdienst
Bereitschaftsdienst? Prima, denn… |
In Krankenhäusern und in Betreuungseinrichtungen für Behinderte greifen Arbeitgeber gerne zur Anordnung von Bereitschaftsdiensten. Sie haben offenbar gute Gründe. Gute Gründe, dass Beschäftigte sich darauf einlassen, müssen wir sehr viel genauer suchen und untersuchen.
➽ Zugespitzt:
Für Arbeitgeber lohnt es sich, gelegentlich auf Bereitschaftsdienste auszuweichen. |
Der Fall |
Im Streitfall durfte die Beklagte [Krankenhaus] dem Arzt keine Rufbereitschaft anordnen. Denn Arbeit fiel nicht nur im Ausnahmefall an. Der Arzt hatte sich durch den Arbeitsvertrag zur Leistung von Bereitschaftsdiensten verpflichtet. Der Arzt forderte deshalb die Anordnung von Bereitschaftsdiensten. Erfolglos.
Die Entscheidung |
Der Kläger hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Anordnung von Bereitschaftsdienst. […]
Die tarifliche Vorschrift […] enthält die Verpflichtung des Arztes, Bereitschaftsdienst zu leisten, und regelt die Grenzen, innerhalb derer Bereitschaftsdienst angeordnet werden darf; sie enthält aber keine Verpflichtung zur Anordnung von Bereitschaftsdienst. Die Beklagte kann vielmehr grundsätzlich aufgrund ihres Weisungsrechts, das Zeit, Ort und Art der Leistung umfasst, bestimmen, welche Art von Leistungen der Kläger zu erbringen hat, also auch, ob er Bereitschaftsdienst zu leisten hat oder nicht. Dieses Weisungsrecht, das seine Grenzen in den Vorschriften der Gesetze, des Kollektiv- und des Einzelarbeitsvertragsrechts findet, darf gemäß § 315 Abs. 1 BGB nur nach billigem Ermessen ausgeübt werden […]
Die tarifwidrige Anordnung von Rufbereitschaft hat – ungeachtet dessen, dass die Beklagte die Anordnung in der jetzigen Form nicht aufrechterhalten darf – jedoch weder eine Umdeutung in Bereitschaftsdienst noch die Verpflichtung der Beklagten zu Folge, nunmehr nach billigem Ermessen Bereitschaftsdienst der Stufe D anzuordnen.
⇒ BAG Urteil 04.12.1986 – 6 AZR 123/84
Das lieben Arbeitgeber am Bereitschaftsdienst:
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Das mögen manche Beschäftigte am Bereitschaftsdienst:
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Das hassen Beschäftigte am Bereitschaftsdienst:
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betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Planänderungen-2 Zoom (07.05.2021)
Diesmal berichten wir über
⊗ Änderung der vereinbarten Arbeitszeit
⊗ 10.05.2021 – Zoom-Besprechung über Planänderungen
Rechtzeitige Änderungen? |
➽ Zugespitzt:
Darf ein Arbeitgeber den von ihm festgelegten und angeordneten Schichtplan ändern? |
Individualrechtlich scheitern Arbeitgeber regelmäßig, wenn sie einseitig Schichtpläne ändern:
Oft möchten Arbeitgeber darum streiten. Doch, bevor sie zum Gericht gehen, schalten sie ihre Anwälte ein. Die erschrecken und raten schnell, klein beizugeben. Darum kommt es nur selten zum Urteil über Planänderungen.
Streitlust? |
1. Hat der Arbeitgeber sein Recht auf Konkretisierung der zeitlichen Lage des Arbeitseinsatzes eines Teilzeitbeschäftigten (§ 106 Satz 1 GewO) per Dienstplan ausgeübt (hier: Einteilung zum Spätdienst), so kann er von seiner diesbezüglichen Leistungsbestimmung nicht ohne Rücksicht auf dessen Belange wieder einseitig abrücken (hier: Schichttausch zum Frühdienst). Er hat dem Adressaten gegenüber insbesondere eine den Umständen nach angemessene Ankündigungsfrist einzuhalten.
2. Für die Bemessung dieser Frist kann im Grundsatz auf die Regelung des § 12 Abs. 2 TzBfG (vier Tage im Voraus) zurückgegriffen werden. Ist der Adressat hiernach nicht verpflichtet, der geänderten Anordnung des Arbeitgebers Folge zu leisten, so kann dieser die Weigerung auch dann nicht mit fristloser Kündigung beantworten, wenn der Adressat ihm bei Aufrechterhaltung des Änderungswunschs die »Krankschreibung« in Aussicht gestellt hat.
⇒ ArbG Berlin Urteil 05.10.2012 – 28 Ca 10243/12
Dem seine Arbeitsleistung anbietenden Arbeitnehmer steht Annahmeverzugslohn (§ 615 BGB), zu, wenn der Arbeitgeber kurzfristig aufgrund eines internen Planungsfehlers einen seit mehreren Wochen feststehenden Dienstplan ändert und dies dem Arbeitnehmer zwei Tage vor dem ursprünglich geplanten Dienst mitteilt. Ist die Erforderlichkeit einer Dienstplanänderung für den Arbeitgeber bereits seit einiger Zeit absehbar, ist dieser verpflichtet, dem Arbeitnehmer die Lage der Arbeitszeit jeweils mindestens vier Tage im Voraus mitzuteilen.
⇒ ArbG Frankfurt/Main Urteil 12.10.2005 – 2 Ca 3276/05
1. Ein Schichtplan kann ohne Zustimmung des Betriebsrats nicht durch Direktionsrecht des Arbeitgebers verändert werden.
2. Dem Arbeitnehmer steht für den Fall, dass er mit der Veränderung zu seinen Ungunsten nicht einverstanden ist, Anspruch auf Vergütung für die ausfallenden Schichtstunden zu.
⇒ LAG Niedersachsen Urteil 29.04.2005 – 16 Sa 1330/04
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betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Planänderungen Zoom (22.04.2021)
Diesmal berichten wir über
⊗ Änderung der vereinbarten Arbeitszeit
⊗ Vier online-Seminare zur 5-Tage/Woche
⊗ 10.05.2021 – Zoom-Besprechung über Planänderungen
Festlegen oder vereinbaren, dann ändern |
➽ Zugespitzt:
Die Verteilung der Arbeitszeit im Plan regeln –
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Wer die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit durch einen Antrag nach § 8 TzBfG verkürzt, soll zugleich einvernehmlich mit dem Arbeitgeber deren neue Verteilung festlegen. Bei dieser Festlegung handelt es sich um eine Abrede, jedoch nicht um einen beidseitigen Vertrag. Denn …
§ 8 Abs. 5 TzBfG |
Abreden kann der Arbeitgeber angreifen. Vertragliche Vereinbarungen schützten besser. Hier genügt eine mündliche Vereinbarung :
»Der Beklagten war nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bekannt, dass die Klägerin die Teilzeitbeschäftigung anstrebte, um ihre Tochter nach deren Wechsel auf das Gymnasium besser betreuen zu können. Wegen der regelmäßigen Schulstunden am Vormittag konnte ihr – für die Beklagte ersichtlich – nur an einer Vormittags- und nicht an einer Nachmittagsbeschäftigung gelegen sein. […]
Der vertraglichen Vereinbarung der Lage der Arbeitszeit steht auch kein Schriftformverstoß entgegen. Das allenfalls in Betracht kommende Schriftformerfordernis des § 4 Abs. 2 Satz 1 BAT für Nebenabreden wird von der allgemeinen Verweisung auf den BAT im Arbeitsvertrag nicht erfasst. § 5 des Arbeitsvertrags der nicht originär tarifgebundenen Parteien trifft eine eigenständige Regelung. Danach sind Änderungen und Ergänzungen des Arbeitsvertrags nur wirksam, wenn sie schriftlich vereinbart werden. Diesen rechtsgeschäftlichen Formzwang iSv. § 126 Abs. 2, § 125 Satz 2 BGB konnten die Parteien schlüssig und formlos aufheben […].
Obwohl das am 1. Januar 2001 in Kraft getretene Teilzeit- und Befristungsgesetz keine Übergangsbestimmung enthält, zeigt der während seiner Entstehungsgeschichte veränderte Wortlaut der Vorschrift, dass nicht jede Abrede über die Verteilung der Arbeitszeit dem besonderen Änderungsrecht des § 8 Abs. 5 Satz 4 TzBfG unterworfen werden sollte, sondern nur präzise bestimmte Fallgestaltungen. Dieser Umstand schließt zugleich eine unbewusste Regelungslücke und damit eine Übertragung des Rechtsgedankens der Bestimmung auf vertragliche Vereinbarungen über die Lage der Arbeitszeit außerhalb von § 8 Abs. 3 Satz 2 TzBfG aus.«
⇒ BAG Urteil 17.07.2007 – 9 AZR 819/06
Ordnet der Arbeitgeber ohne Zustimmung des Betriebsrats vorzeitig die Rückkehr von Wechselschicht zu Normalarbeitszeit an, hat er die bei Wechselschicht fälligen Zeitzuschläge in der Regel wegen Annahmeverzugs fortzuzahlen.
⇒ BAG Urteil 18.09.2002 – 1 AZR 668/01
Aus der Begründung |
[Rn. 21] Die erforderliche Zustimmung zur vorzeitigen Einführung von Normalarbeitszeit hat der Betriebsrat nicht erteilt. Er hat lediglich erklärt, er nehme die Arbeitsanweisungen der Beklagten zur Kenntnis und weise auf die Pflicht zur weiteren Zahlung von Schichtzuschlägen hin. Darin liegt keine Zustimmung, sondern allenfalls der Verzicht auf Gegenmaßnahmen.
| wird
[Rn. 22] c) Mangels Zustimmung des Betriebsrats zur vorzeitigen Beendigung von Wechselschicht war die dem Kläger erteilte Weisung der Beklagten, bereits ab dem 22. November 1999 in Normalzeit zu arbeiten, nicht wirksam. Eine Maßnahme des Arbeitgebers, die der notwendigen Mitbestimmung entbehrt, ist rechtswidrig und unwirksam. Dies gilt für einseitige Anordnungen, die in Ausübung des Direktionsrechts vorgenommen werden, ebenso wie für einzelvertragliche Vereinbarungen. Die tatsächlich durchgeführte Mitbestimmung ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Wirksamkeitsvoraussetzung für Maßnahmen zum Nachteil des Arbeitnehmers […]
Maßnahmen zum Nachteil der Arbeitnehmer sind allerdings nur solche, die bereits bestehende Rechtspositionen der Arbeitnehmer schmälern. Die Verletzung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats führt nicht dazu, daß sich individualrechtliche Ansprüche der betroffenen Arbeitnehmer ergäben, die zuvor noch nicht bestanden haben […]. Auch bei Nichtbeachtung der Mitbestimmung durch den Arbeitgeber erhält der Arbeitnehmer keinen Erfüllungsanspruch auf Leistungen, die die bestehende Vertragsgrundlage übersteigen […].
Die Arbeitsanweisung der Beklagten griff in bestehende Rechtspositionen des Klägers ein.
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betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Mitbestimmen 2 Zoom (17.04.2021)
Diesmal berichten wir über
⊗ die vier Rechtskreise der Mitbestimmung
⊗ vier online-Seminare zur 5-Tage/Woche
⊗ 19.04.2021 – Zoom-Besprechung der Mitbestimmung
Mitbestimmen in vier Kreisen |
➽ Zugespitzt: |
Was und wer für wen? |
Ob im Arbeitsrecht oder wenn ein Ersatzteil fehlt ‐ meist reicht es nicht, die Suchmaschine im Internet anzuwerfen. Denn oft verzweifeln wir an der Frage: Passt das für mich?
❍ Im Grundsatz greift für alle das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Die Arbeitnehmer können sich einen Betriebsrat wählen. Und wenn nicht? Die Gesetzgeber:innen haben sich darüber keine Gedanken gemacht. Wer will die Arbeitgeber dazu verpflichten, ihre Belegschaft zu organisieren, mit Räten zu versehen und gegen sich in Stellung zu bringen?
❍ Die Parlamentarier schlossen Millionen, die in ihrer Nähe arbeiten, durch § 130 BetrVG aus: »Dieses Gesetz findet keine Anwendung auf Verwaltungen und Betriebe des Bundes, der Länder, der Gemeinden und sonstiger Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts.«
Das Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) springt in diese Lücke. Es lässt Beschäftigte Personalräte gründen und regelt Pflichten der Arbeitgeber (hier: Dienstgeber). Doch anders als im BetrVG fehlen den Personalräten rechtliche Mittel wie z. B. das Ordnungsgeld, um gegen ihre Dienstgeber vorzugehen. Im Streit werden sie zudem auf einem langen Marsch durch die Stufenmitbestimmung und Verwaltungsgerichte zermürbt.
Die 16 Bundesländer schickten noch jeweils ein landeseigenes PersVG an den Start (⇒ Übersicht). Eine offenbar gewünschte Nebenwirkung: Die Entscheidung eines Verwaltungsgerichts betrifft eine landeseigene Regelung. Es ist damit nicht ohne Weiteres auf die Personalratsarbeit der anderen übertragbar.
Die Gesetzgeber:innen überließen weitere Millionen ihrem Schicksal. Sie schrieben in § 118 Abs. 2 BetrVG: »Dieses Gesetz findet keine Anwendung auf Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen unbeschadet deren Rechtsform.«
Untersteht eine GmbH oder ein Verein einer Kirche, dann fallen die Beschäftigten dort aus dem Schutz des BetrVG heraus. Die Kirchen schaffen sich im Gegenzug ihre eigenen Betriebsverfassungen. Sie orientierten sich dabei nicht am BetrVG, sondern am bereits reduzierten BPersVG. Sie sprechen daher von ihren Arbeitgebern ebenfalls als Dienstgeber, die Beschäftigten werden zu Mitarbeitern, der Personalrat noch bescheidener zur Mitarbeitervertretung (MAV). Konsequent schufen sie sich zudem jeweils eine eigene Gerichtsbarkeit, um Streitfälle zu schlichten.
❍ Die katholische Kirche gab sich eine Rahmen-MAVO. Der Zusatz Rahmen weist darauf hin, dass sich Erzdiozösen auch eigene Fassungen spendieren dürfen. Im Ergebnis muss hier jeder Dienstgeber in seiner Einrichtung eine MAV bilden (§ 10 MAVO).
❍ Die evangelischen Kirchen und ihre Diakonie gab sich – neuerdings einheitlich – das MVG-EKD. Auch hier ist der Dienstgeber verpflichtet (§ 7 MVG-EKD), in seiner Einrichtung eine MAV zu gründen.
Die Arbeitszeit mitbestimmen |
Ob BetrVG, PersVG, MAVO oder MVG-EKD – in jedem Rechtskreis bestimmt die gesetzliche Interessenvertretung bei der Festlegung von Beginn und Ende der Arbeitszeit, der Pausen und bei der Verteilung auf die Wochentage mit. Dies hat sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend konkretisiert. Etwa zu Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit:
»Nach dieser Vorschrift ist mitbestimmungspflichtig nicht nur die Frage, ob im Betrieb in einer oder mehreren Schichten gearbeitet werden soll, sondern auch die Festlegung der zeitlichen Lage jeder einzelnen Schicht. Mitbestimmungspflichtig ist der gesamte Schichtplan und dessen nähere zeitliche Ausgestaltung bis hin zur Zuordnung der Arbeitnehmer zu den einzelnen Schichten. Der Betriebsrat hat deshalb auch darüber mitzuentscheiden, ob, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Weise von bereits aufgestellten Schichtplänen und dem darin vorgesehenen Beginn und Ende der Arbeitszeit abgewichen werden kann.«
⇒ BAG Beschluss 03.05.2006 – 1 ABR 14/05
»Nach § 87 Absatz 1 Nr. 2 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei Regelungen zu ›Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie‹ bei Regelungen zur ›Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage‹. Diese Gesetzesformulierung ist zu einer Zeit entstanden, als das Arbeitsleben noch geprägt war durch die gleichmäßige und starre Verteilung der Wochenarbeitszeit auf die Arbeitstage der Woche.
Durch die zunehmende Flexibilisierung der Arbeitszeit in der betrieblichen Praxis ist das Bedürfnis entstanden, das Beteiligungsrecht auf alle Fragen auszudehnen, die die Festlegung der Arbeitszeit betreffen. Das
Mitbestimmungsrecht umfasst nach heutigem Verständnis daher ausnahmslos alle mit der Lage und Verteilung der Arbeitszeit verbundenen Fragen […].«
⇒ LAG Mecklenburg-Vorpommern Beschluss 10.11.2015 – 2 TaBVGaS/1S Rn. 53
Das heutige Verständnis gefällt uns. Doch die Zersplitterung der Rechtsgrundlagen fordert die Gerichte förmlich dazu auf, ein eigenes, besonderes Rechtsverständnis zu kultivieren. So verweigerte das Berliner Verwaltungsgericht einem Personalrat am Großklinikum Charité die Mitbestimmung der einzelnen Dienstpläne.
Aus der Begründung |
»Ungeachtet der Frage, ob die Dienstpläne für das ärztliche Personal überhaupt mit den hier vorliegenden Dienstplänen des pflegerischen Personals vergleichbar sind, setzt sich die Entscheidung der 62. Kammer nicht mit der o.g.
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur kollektivrechtlichen Wirkung von Dienstplänen und ihre individuellen Umsetzung auseinander. […]
Die Bejahung des Mitbestimmungsrechts hinsichtlich des Beginns und Ende der täglichen Arbeitszeit und der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage sowie der Pausen setzt voraus, dass die betroffene Regelung den Interessen der Beschäftigten unabhängig von der Person und den individuellen Wünschen des Einzelnen berührt und damit einen kollektiven Bezug aufweist. Ein solcher kollektiver Bezug kommt einem Monatsdienstplan, mit dem bei einem Mehrschichtsystem darüber befunden wird, wer in welchem Zeitraum Dienst leistet, nicht zu. […]
[Es] kann bei den in Rede stehenden Solldienstplänen keine kollektive Regelung festgestellt werden. Mit den Solldienstplänen des Beteiligten wird nicht in kollektivrechtlicher Weise Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, der Pausen sowie die Verteilung der Arbeitszeit auf einzelne Wochentage geregelt. Vielmehr dient der Solldienstplan lediglich der Umsetzung des bereits 2016 vom Antragsteller mitbestimmten Dienstzeitenkatalogs, in dem für die einzelnen Dienstzeiten der Beginn und das Ende der jeweiligen Arbeitszeit und die Pausen und die Verteilung der einzelnen Arbeitszeiten auf die einzelnen Wochentage bestimmt worden sind. […]
Im Übrigen steht dem geltend gemachten Anspruch auf Feststellung, dass der Beteiligte verpflichtet sei, die Dienstpläne aller Stationen mindestens sechs Wochen vor Beginn des jeweiligen Planungszeitraumes dem Antragsteller zur Mitbestimmung vorzulegen, die tarifrechtliche Regelung der Nr. 2 zu § 12 Abs. 6 des Tarifvertrages der Charite entgegen. Danach ist der gesicherte Solldienstplan vier Wochen vor Beginn des Planungszeitraumes (Kalendermonat) verbindlich freizugeben und den Beschäftigten zugänglich zu machen. Eine vorherige Mitbestimmung des Personalrates würde voraussetzen, dass die jeweiligen Beschäftigten ihre Wünsche für den Diensteinsatz zeitlich weit vor der tariflich vereinbarten Frist von vier Wochen dem Dienststellenleiter mitteilen müssten, damit dieser vor Beginn der vierwöchigen Frist den Personalrat den Solldienstplan zur Mitbestimmung vorlegen könnte. Denn der Antragsteller hätte nach § 79 Abs. 2 PersVG-Bln zwei Wochen Zeit, um den vorgelegten Solldienstplan zu widersprechen. Angesichts des sich dann ggf. anschließenden Einigungsstellenverfahrens wird deutlich, dass die individuelle Dienstplangestaltung der einzelnen Beschäftigten weit im Voraus geplant werden müsste, um ein ordnungsgemäßes Mitbestimmungsverfahren durchlaufen zu können.
Dies unterstreicht, dass sich der Mitbestimmungstatbestand nur auf die generellen arbeitszeitlichen Bestimmungen richten kann, die individuellen Einsätze innerhalb des insoweit mitbestimmten Dienstplanes hingegen nicht auch der Mitbestimmung des Antragstellers unterliegen.«
⇒ Verwaltungsgericht Berlin Beschluss 10.04.2018 – VG 61 K 11.17 PVL
Hier wird die Schutzbestimmung im damaligen Haustarifvertrag zum angeblichen Zwang, die Mitbestimmung bei der Verteilung im Plan auf abstrakte Grundsätze zu reduzieren. Die Beschäftigten haben jeweils individuelle Lebenspläne, abhängig auch vom Alter und Familienstand. Wie sollen diese Interessen losgelöst von der Person und ihren Wünschen mitbestimmt werden? Inmitten der vielen aber individuellen Interessen am gemeinsamen Dienstplan verloren die Verwaltungsrichter den kollektiven Bezug aus ihren Augen … Ein Betriebsrat darf seine Zustimmung schweigend verweigern. Die im PersVG gegenüber dem BetrVG verschlechternde Erklärungsfrist (zwei Wochen) wendet das Gericht unversehens: Könnte dem Arbeitgeber die Zeit knapp werden, so verschwindet das Mitbestimmungsrecht der Personalräte.
Die Entscheidung erging zum Berliner Personalvertretungsgesetz (PersVG-Bln). Sie ist nicht auf andere übertragbar. Sie wird korrigiert werden.
Praktische Konsequenzen: 5 Tage je Woche! |
Zwei Kalendertage in jeder Kalenderwoche bleiben von regelmäßiger Arbeitszeit frei. Dies wurde zuletzt durch Entscheidungen der Arbeitsgerichte (⇒ LAG Hamm Beschluss 07.11.2019 – 13 TaBV 14/19) und Einigungsstellen neu befeuert.
Die Mitbestimmung bei der Verteilung der Arbeitszeit auf die Wochentage ist gefordert. Der Bildungsträger ver.di Betrieb und Beratung unterstützt Euch dabei, dies in die betriebliche Praxis umzusetzen.
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Mitbestimmen Zoom (05.04.2021)
Diesmal berichten wir über
⊗ Im Streit: Einigungsstelle
⊗ Mitbestimmen auch im Einzelfall
⊗ 16.04.2021 – Zoom-Besprechung der Mitbestimmung
Zwingend: Der Weg in die Einigungsstelle |
➽ Zugespitzt: |
Der Fall |
Eine MAV nimmt die Interessen der Kolleginnen ernst und besteht auf die Umstellung der Verteilung der Arbeitszeit, statt auf 5,5 Tage im Wochendurchschnitt nun auf 5 Tage. Der Streit wird chronisch und eskaliert. Sie zieht zur kirchlichen Schiedsstelle, dann zum Kirchengerichtshof. Dort verlangt sie unter anderem die Feststellung, die Arbeitgeberin sei nicht berechtigt, bei Kirchengerichten die Ersetzung der Zustimmung der MAV zu beantragen. Allein zuständig sei neuerdings die betriebliche Einigungsstelle (§ 36a MVG).
Die Entscheidung |
Die Dienststellenleitung hat kein Wahlrecht, ob sie die Einigungsstelle nach § 36a Abs. 1 MVG-EKD oder das Kirchengericht nach § 38 Abs. 4 Satz 1 MVG-EKD anruft, solange noch keine Einigungsstelle »besteht«. Die Dienststellenleitung kann ausschließlich nach § 38 Abs. 4 Satz 4 MVG-EKD die Einigungsstelle anrufen
⇒ KGH.EKD 07.12.2020 – II-0124/30-2020
Beide von der MAV gestellten Anträge auf Feststellung eines Rechts lehnte der Kirchengerichtshof ab. Er hatte formale Gründe. Doch in seiner Begründung der Entscheidung stellte er zugleich die fraglichen Rechte der MAV klar.
Aus der Begründung |
Die Verweigerung der Zustimmung zu einer Regelungsstreitigkeit in einer Angelegenheit nach § 40 MVG-EKD und damit auch zu einem Dienstplan nach § 40 d) MVG-EKD ist an keinen besonderen Grund gebunden, insbesondere nicht an den Katalog des § 41 Absatz 1 MVG-EKD.[ …]
Der Charakter eines Einigungsstellenverfahrens ist dadurch geprägt, dass die Einigungsstelle eine abschließende, umfassende und für alle Beteiligten im Einzelfall sinnvolle Regelung findet. Sie kann nach Wunsch der Beteiligten auch unabhängig vom konkreten Streitfall grundsätzliche, zukünftig streitausschließende Regelungen erarbeiten (JMNS/Mestwerdt MVG-EKD § 38 Rn. 64). Dies bedeutet für die schriftliche Zustimmungsverweigerung, dass die Mitarbeitervertretung grundsätzlich jeden auf das jeweilige Beteiligungsrecht bezogenen Grund heranziehen kann, so auch Fragen der möglichen Überlast der Mitarbeitenden. […]
Kommt es zu keiner Einigung über einen Regelungsgegenstand nach § 40 MVG-EKD wie etwa über einen Schichtplan nach § 40 d) MVG-EKD, so ist ausschließlich die Einigungsstelle und nicht das Kirchengericht nach § 38 Absatz 4 MVG-EKD zuständig. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist die Anrufung des Kirchengerichts auch nicht solange möglich, wie eine Einigungsstelle noch nicht »besteht«.
Tipps für die Praxis |
❍ Vielleicht legt eine Dienststellenleitung eine von ihr beabsichtigte Anordnung der MAV zur Mitbestimmung vor. Ein Betriebsrat kann einfach schweigen; ein Personalrat und eine MAV sind an Fristen für ihre Stellungnahme gebunden.
❍ Eine MAV kann fristgerecht ihre Zustimmung verweigern. Sie schreibt ihre Gründe auf, keine Paragrafen.
❍ Möglicherweise versucht sich die Arbeitgeberin mit einer »vorläufigen« Anordnung. Du kannst schlecht in der Gelateria einen Eisbecher ordern, um ihn vorläufig zu essen. Ganz ähnlich scheitert die Arbeitgeberin: Sie kann keine Stunden vorläufig arbeiten lassen.
❍ Möglicherweise wendet sich die Arbeitgeberin parallel an das Kirchengericht. Das wird sich für unzuständig erkennen, wie es auch das weltliche Arbeitsgericht (BetrVG) und das Verwaltungsgericht (PersVG) täten. Sackgasse!
❍ Möglicherweise fordert die Arbeitgeberin die MAV auf, mit ihr zeitnah eine Einigungsstelle gemäß § 36a zu bestellen. Sie wird sich aber schwer tun, externe Freiwillige für den Vorschlag als unparteiische Vorsitzenden zu finden. Juristischer Nebenerwerb wird bei Kirchens deutlich schlechter bezahlt als in der richtigen Welt.
❍ Die MAV kann sich getrost zurücklehnen. Die gütliche Bestellung der Einigungsstelle mag dauern. Die ersatzweise Bestellung durch ein Kirchengericht wird noch länger dauern. Die Arbeitgeberin kann nicht rechtswirksam Arbeitszeit anordnen, ohne die Zustimmung der MAV zur Maßnahme ersetzt zu haben.
❍ Die Arbeitgeberin steht unter Zeitdruck. Clever ist die MAV, die jetzt klar ansagt: Wir werden initiativ und bringen stattdessen unseren Vorschlag ein – so, genau so und nur so soll gearbeitet werden!
Mitbestimmen braucht kollektiven Bezug |
➽ Zugespitzt: |
Aus der Begründung |
[I]m Zusammenhang mit hier einschlägigen Arbeitszeitfragen hat das Bundesarbeitsgericht auf das Merkmal eines kollektiven Tatbestandes abgestellt; danach müssen sich Regelungsprobleme stellen, die unabhängig von der Person und den individuellen Wünschen eines einzelnen Arbeitnehmers bestehen – in Abgrenzung zu individuellen Maßnahmen ohne kollektiven Bezug […]
[H]ier hat der Arbeitgeber bei der getroffenen Entscheidung ausschließlich seine an betrieblichen Bedürfnissen ausgerichteten Erwägungen für eine Änderung der Lage der Arbeitszeit der Arbeitnehmerin B2 zur Geltung gebracht, nämlich bessere Anweisungs- und Kontrollmöglichkeiten hinsichtlich der aus seiner Sicht bis dahin unzureichenden Reinigungsarbeiten der Mitarbeiterin zu schaffen. Demgegenüber sind die vom Betriebsrat zu wahrenden Interessen der Betroffenen, ihre für die Gestaltung des Privatlebens nutzbare Zeit möglichst frei gestalten zu können, unberücksichtigt geblieben. Sie musste sich insoweit ab dem 01.05.2011 nicht unbeträchtliche Einschnitte gefallen lassen, wenn man daran denkt, dass sie an einzelnen Tagen bis zu 2,5 Stunden später anfangen und dementsprechend statt bislang bis längstens 12.15 Uhr jetzt teilweise über die gesamte Mittagszeit bis zu 2,5 Stunden länger arbeiten muss. […]
[Es] ist davon allgemein nur dann eine Ausnahme zu machen, wenn die Änderung der Lage der Arbeitszeit eines einzelnen Arbeitnehmers tatsächlich allein auf dessen spezifische Bedürfnisse und Wünsche zurückgeht […]. Dann hat dieser nämlich erkennbar seine Freizeitinteressen ausreichend selbst gewahrt und bedarf nicht mehr des gesetzlichen Schutzes durch den Betriebsrat – ebenso wie im vergleichbaren Fall einer Versetzung […].
⇒ LAG Hamm, Beschluss 22.06.2012 – 13 TaBV 16/12
Schichtplan-Fibel. Jetzt erst recht. Montag, 19. April 2021 von 10 bis 11:30 Uhr |
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Es referiert und disputiert Tobias Michel |
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Ruhetage Zoom (23.03.2021)
Diesmal berichten wir über
⊗ einmalig zwei neue Ruhetage
Was tun angesichts der 'Ruhetage'? |
Am 22. März '21 wurde in Berlin festgehalten: » Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder fassen folgenden Beschluss: […]«
[…] Angesichts der ernsten Infektionsdynamik wollen Bund und Länder die Ostertage nutzen, um durch eine mehrtägige, sehr weitgehende Reduzierung aller Kontakte das exponentielle Wachstum der 3. Welle zu durchbrechen. Deshalb sollen der 1. April (Gründonnerstag) und der 3. April (Samstag) 2021 zusätzlich einmalig als Ruhetage definiert werden und mit weitgehenden Kontaktbeschränkungen sowie einem Ansammlungsverbot vom 1. bis 5. April verbunden werden („Erweiterte Ruhezeit zu Ostern“). |
Für die Praxis |
Niemand weiß heute, wie die Regierungen der Bundesländer dies umsetzen werden.
Der Rechtsbegriff Ruhetag taucht weder in der Europäischen Sozialcharta, noch in der EU-Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88/EU noch im Arbeitszeitgesetz auf. Wir können hier nur vermuten, -
❍ an diesen beiden Tagen soll die Arbeit ruhen,
❍ es handelt sich nicht um Sonntage,
❍ es handelt sich nicht um gesetzliche Feiertage.
Möglicherweise werden die Verordnungen sich auf die Rechtsfolgen des Beschäftigungsverbots in § 9 ArbZG beziehen (»Arbeitnehmer dürfen […] von 0 bis 24 Uhr nicht beschäftigt werden.«).
Doch die neuen Normen werden einen anderen Zweck verfolgen als die Sonn- und Feiertagsruhe. Sie zielen hier nicht auf eine »seelische Erhebung« (§ 1 ArbZG), sondern auf Einschränkungen und Sperren.
❍ Wer – etwa aufgrund § 10 ArbZG – trotz der allgemeinen Arbeitsruhe arbeiten muss (um Bewohner, Klienten oder Patienten zu versorgen) – wird im Tarif oder Arbeitsvertrag keine Zeitzuschläge für Arbeit an einem Ruhetag finden.
❍ Ruhetage verkürzen nicht die wochendurchschnittliche Zeitschuld. Auch Sonntage vermindern nicht die Zeitschuld.
❍ Wer wegen eines Ruhetags die auf diesen Tag betriebsüblich oder dienstplanmäßig festgelegte Arbeitszeit nicht leisten muss, braucht und kann diese Zeit nicht später nacharbeiten. Die Schichtpläne bleiben unverändert. Das Gesetz oder wohl die Verordnung wird dem Arbeitgeber die Beschäftigung untersagen und die Beschäftigten von ihrer Arbeitspflicht freistellen.
Handlungsbedarf |
Einige Arbeitgeber werden versuchen, sich aus den von ihnen meist vertragswidrig geführten Überstundenkonten oder Plusstunden schadlos zu halten. Im Geltungsbereich von TVöD, TV -L, TV AWO etc. verletzen sie so deren § 10 bzw. § 15. Dies sollte die gesetzliche Interessenvertretung durch ein klares kurzes Rundschreiben unterlaufen.
Andere Arbeitgeber werden auf die Idee verfallen, die Vergütung entsprechend zu mindern. Wir denken da etwa an -
TVöD / TV-L § 24 |
Aktive gesetzliche Interessenvertretungen (BR, PR, MAV) können ›proaktiv‹ initiativ werden (etwa aufgrund § 87 (1) nr. 3 BetrVG). Sie verweisen dazu auf
TVöD / TV-L § 29 |
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] TVöD Zoom (22.03.2021)
Diesmal berichten wir über
⊗ TVöD – die Entgeltabrechnung überwachen
⊗ Schichtfolgen im Kleinen. Montag 29.03.2021 (Zoom – Beratung)
TVöD in Euro je Stunde – ab März 2021 |
Mit den Unterschriften der Tarifparteien unter dem TVöD werden die Ansprüche erstmals fällig. Welche Ansprüche?
Einige haben einen höheren Bezugswert bei ihren Jahressonderzahlungen.
Seit März 2021 sind die Samstagszuschläge erhöht, ebenso die Wechselschicht- und Intensivzulagen. Neu sind die Pflegezulagen.
Ab April werden die Tabellenwerte erhöht.
Unübersichtlich! Deshalb steigen wir in unser kleines Werkzeug jetzt immer über eine Wahl des zeitlichen Geltungsbereichs ein.
⇒ www.t1p.de/tarif-rechner
Tipp: Lege in Deinem Smartphone ein Lesezeichen ab!
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Amtstätigkeit (15.03.2021)
Hindernisse beiseite räumen |
➽ Zugespitzt: |
Die Anfrage |
Bei der Schichtplan-Fibel geht eine Mail ein:
»Liebe Leute, |
Lieber Gerd, Du kannst da Manches falsch machen.
Nehmen wir einmal an, Du sagst zur Vorgesetzten oder zur Personalchefin -
»Ich melde mich vom Arbeitsplatz ab zu einem Online-Seminar. Dauert wohl zwei Stunden.«
Dann könntest Du eine harsche Antwort ernten:
»Uns als Ihr Arbeitgeber liegt kein solcher Entsendungsbeschluss durch die Interessenvertretung vor, auch keine Inhalte oder Kosten dieser Schulungsmaßnahme. Kümmern Sie sich erst einmal in Ihrem Gremium darum und wir werden das dann prüfen. Bitte kehren Sie an Ihren Arbeitsplatz zurück!«
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Anders lagerst Du den Fall, wenn Du Deiner Vorgesetzten oder Personalchefin recht allgemein erklärst-
»Ich melde mich vom Arbeitsplatz ab für notwendige zeitlich gebundene Amtstätigkeit. Dauert wohl zwei Stunden.«
Vorsicht! Im Streit musst Du zumindest in Stichworten diese Tätigkeit konkretisieren können. Daraus könnte ein unerwünschtes Ergebnis folgen:
»Der Arbeitgeber erkennt, dass im Internet-Surfen und unterhaltsame Betrachtungen von Arbeitszeit-Informationen nicht durch eine der allgemeinen Aufgaben der Interessenvertretung (§ 80 BetrVG, § 68 BPersVG, § 35 MVG, § 26 MAVO) erfasst sind. Bei Besprechungen der Schichtplan-Fibel mangelt es bereits an einem konkreten Bezug zu unserem Betrieb. Wir werden Ihre Bezüge entsprechend dieser Zeiten kürzen!«
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Schlau bleibst Du dennoch beim Sprüchlein -
»Ich melde mich vom Arbeitsplatz ab für notwendige zeitlich gebundene Amtstätigkeit. Dauert wohl zwei Stunden.«
Doch im Streit verpasst Du Deiner Tätigkeit das passende Label:
»Ich wirkte zusammen, wie es die Gesetzgeber:innen vorsehen.«
§ 2 Betriebsverfassungsgesetz |
Dieses Zusammenwirken beschäftigt zunächst die beiden Betriebsparteien, also den Betriebsrat als Gremium. Die Gewerkschaft ver.di wendet sich dabei nicht nur an die Vorsitzenden, sondern auch und gerade an ihre Mitglieder im Gremium.
Diese einzelnen Mitglieder sind zugleich Gewerkschaft. Sie bringen im Folgeschritt Initiativen und Anträge ein – als Einzelne im Zuge ihrer Amtstätigkeiten.
Bei Kirchen fehlt eine solche klare Botschaft im MVG.EKD und in der MAVO. Es hat sich – sogar im fast rechtsfreien Raum der Bundeswehr – bewährt, mit der ganz großen Geste zu kontern: »Sie erinnern sich sicherlich an unsere Vereinigungsfreiheit im Grundgesetz Artikel 9 Abs. 3 – 'Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.' Dies gilt gerade auch, wenn Interessenvertreter Hilfe bei denen suchen, die etwas vom Arbeitsrecht verstehen. Möchten Sie sich das vom Kirchengericht erläutern lassen?«
Die Retourkutsche |
Superschlau änderst Du Dein Sprüchlein -
»Sie haben recht – in zwei kostenlosen Stunden lerne ich wohl nicht genug. Statt Videobesprechung wird mich die Interessenvertretung zu einem Seminartag entsenden. Es geht um die Verteilung der Arbeitszeit auf nicht mehr als 5 Tage in den einzelnen Kalenderwochen. Die Tournee der Schichtplan-Fibel ist einmalig im Wortsinn. Die mag ich nicht verpassen. Zudem überlege ich, ob ich das noch mit einem Wochenseminar ergänzen lasse.«
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Rufbereitschaft (01.03.2021)
Rufbereitschaft und Verpflichtung |
➽ Zugespitzt: |
Der Fall |
Ein Kollege der IT-Abteilung wohnt unter der Woche in Betriebsnähe, an den Wochenenden 300 KM entfernt bei Lebensgefährtin und Kindern.
August 2000: Eine Betriebsvereinbarung (BV GLAZ) regelt die gleitenden Arbeitszeit und verpflichtet zur Mehrarbeit.
Anfang 2003: Die Arbeitgeberin, tariffrei, kündigte die Betriebsvereinbarung.
September 2004: Die Arbeitgeberin ordnet an Wochenenden Rufbereitschaften an, ab Mitte 2005 über einen Dienstplan.
Dezember 2005: Der Kollege weigert sich an einem Wochenende die Rufbereitschaft zu leisten. Die Arbeitgeberin mahnt ihn ab.
Januar 2006: Mit Wirkung zum 01.01.2006 schließen die Betriebsparteien eine neue BV GLAZ, die nunmehr eine Regelung zur Rufbereitschaft enthält.
Aufgrund der Arbeitsverweigerung im Vormonat beteiligt die Arbeitgeberin den Betriebsrat. Dieser hat gegen die Kündigung keine Bedenken und sieht das Anhörungsverfahren als
beendet an. Die Arbeitgeberin kündigt fristgerecht zum April 2006.
Dagegen wehrt sich der Kläger in beiden Instanzen erfolgreich.
Die Entscheidung |
Die verhaltensbedingte ordentliche Kündigung wegen der Weigerung, an Wochenenden Rufbereitschaft zu leisten, ist unwirksam. Denn es fehlt an einer entsprechenden arbeitsvertraglichen oder kollektivrechtlichen Verpflichtung.
⇒ LAG Hessen Urteil 06.11.2007 – 12 Sa 1606_06
Aus der Begründung |
Der Arbeitnehmer ist allerdings berechtigt, Arbeiten abzulehnen, die der Arbeitgeber ihm unter Überschreitung des Direktionsrechts nach Art, Zeit und Ort zuweist. […]
Der Arbeitnehmer ist nur auf der Grundlage besonderer Arbeitsvertraglicher oder kollektivrechtlicher Vereinbarungen zur Leistung von Bereitschaftsdiensten und Rufbereitschaft verpflichtet (ErfK/ Preis 7. Aufl. § 611 BGB Rn.
832). Eine ihn dazu verpflichtende Regelung enthalten weder der Arbeitsvertrag der Parteien noch die BV GLAZ 2000. Sie folgt auch nicht aus einer konkludenten Änderung/Ergänzung des Arbeitsvertrages durch die tatsächliche gelegentliche Leistung von Rufbereitschaft am Wochenende durch den Kläger. […]
Die von der Beklagten behaupteten Regelungsabsprachen, die sie vor jeder Anordnung von Rufbereitschaft mit dem Betriebsrat getroffen haben will, wären nicht geeignet, die Nachwirkung der BV GLAZ 2000 zu beseitigen. Regelungsabsprachen vermögen Betriebsvereinbarungen nicht zu ersetzen, weil ihnen keine normative Wirkung im Bezug auf die Gestaltung der Arbeitsverhältnisse zukommt (BAG 27.11.1985 u. 20.11.1990 AP zu § 77 BetrVG Nr. 14, 48).
Mit der Regelungsabrede kann zwar der Mitbestimmung genügt werden, […] aber keine […] individualrechtliche Verpflichtung des Klägers zur Leistung von Rufbereitschaft begründet werden […].
Für die Praxis |
❍ Tarifverträge
Die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes verpflichten in § 6 (5) zur Leistung von Rufbereitschaften (ebenso etwa in § 12 TV AWO). Dies beschränkt sich auf Vollzeit-Beschäftigte und auch für die nur auf den Rahmen begründeter betrieblicher Notwendigkeiten.
❍ AVR
Wurden im Arbeitsvertrag allgemeine Vertragsregelungen in Bezug genommen? Dann lohnt vielleicht ein ⇒ genauer Blick.
❍ Regelungsabrede
Vielleicht stimmt der Betriebsrat, der Personalrat oder die MAV einem Dienstplan mit Rufbereitschaften ausdrücklich zu. Dann handelt es sich um eine bloße ›Regelungsabrede‹. Diese allein verpflichtet die Beschäftigten nicht zur Leistung von Rufbereitschaften.
❍ Betriebs- / Dienstvereinbarung
Erstaunlich oft wird der ›Tarifvorbehalt‹ im Gesetz übersehen:
§ 77 Abs. 3 BetrVG |
Gerade weil Tarifverträge und AVR üblicherweise die Arbeitspflichten begründen und beschreiben, sind Betriebs- und Dienstvereinbarungen hier gesperrt!
Betriebs- und Dienstvereinbarung können Rufbereitschaften organisieren, auch den Schutz vor Überlastung durch die zusätzliche Arbeit. Diese Regelungen sind dann verbindlich.
Doch die – vielleicht erschreckend einträchtigen – Betriebsparteien können die Beschäftigten nicht rechtswirksam zur zusätzlichen Arbeitszeit verpflichten. Die Beschäftigten können sich nur selbst im Einzelfall verpflichten, im Arbeitsvertrag, oder über ihren Tarifvertrag.
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Bereitschaftsdienst, Rufbereitschaft (26.02.2021)
Rufbereitschaft und Verpflichtung |
➽ Zugespitzt: |
Die Entscheidung |
1. Für den einzelnen Arbeitnehmer besteht die dienstliche Notwendigkeit, Bereitschaftsdienst i. S. v. § 6 Abs. 5 TVöD zu leisten, immer dann, wenn zum einen die objektiv-sachliche Notwendigkeit zu bejahen ist, eine Rufbereitschaft vorzuhalten, und zum anderen die Übertragung von Rufbereitschaftsdiensten an den betreffenden Arbeitnehmer billigem Ermessen entspricht.
3. Die beharrliche Weigerung, einer billigen Ermessen entsprechenden Einteilung zu Rufbereitschaftsdiensten Folge zu leisten, kann nach einschlägiger Abmahnung eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.
⇒ LAG Köln Urteil 16.04.2008 – 7 Sa 1520/07
Aus der Begründung |
»Die Argumentation des Klägers, es habe zwar grundsätzlich eine dienstliche Notwendigkeit dafür bestanden, dass technische Mitarbeiter, des Sachgebiets, in dem er tätig war, zur Rufbereitschaft herangezogen würden, es habe aber keine dienstliche Notwendigkeit dafür bestanden, eine solche Rufbereitschaft gerade gegenüber seiner Person anzuordnen, ist nicht stichhaltig.
Mit derselben Begründung könnte jeder einzelne der vier anderen technischen Mitarbeiter des Sachgebiets für seine eigene Person die Ableistung von Rufbereitschaft ebenfalls verweigern. In diesem Fall wäre der Arbeitgeber gehindert, die Einführung einer Rufbereitschaft in die Tat umzusetzen, obwohl die sachliche Notwendigkeit, in dem bestimmten Sachgebiet eine Rufbereitschaft vorzuhalten, für jedermann unstreitig ist. […]
Dabei ist vorauszusetzen, dass die arbeitsvertragliche Vereinbarungen mit dem betreffenden Arbeitnehmer die Übertragung von Rufbereitschaftsdiensten nicht ausschließen.«
Für die Praxis |
§ 6 Abs. 5 TVöD erlaubt im ›Rahmen begründeter betrieblicher/dienstlicher Notwendigkeiten‹ die Belastung über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus. Diese objektiv-sachliche Notwendigkeit bezieht nicht auf einzelne Beschäftigte, sondern auf den Betrieb, seine Organisation. War die Organisation der Arbeit in Form von Rufbereitschaft von der Sache selbst gefordert, unvermeidlich, zwangsläufig, alternativlos, nicht zu umgehen?
Bereitschaftsdienst und Ruhezeit |
➽ Zugespitzt: |
Die Entscheidung (Presseerklärung) |
Zur täglichen Ruhezeit stellt der Gerichtshof fest, dass nationale Rechtsvorschriften, die Arbeitszeiten gestatten, die 24 Stunden in Folge andauern können, mit dem Unionsrecht
unvereinbar sind.
Nach den griechischen Rechtsvorschriften kann es, wenn sich an einen normalen Dienst unmittelbar eine Bereitschaft anschließt, vorkommen, dass ein Arzt über 24 Stunden hinaus in Folge und sogar bis zu 32 Stunden arbeitet, und zwar dann, wenn unmittelbar nach der Bereitschaft ein neuer normaler Dienst beginnt. Dass Ruhezeiten nur zu »anderen Zeiten« gewährt werden, die keinen unmittelbaren Zusammenhang mit der verlängerten Arbeitszeit aufweisen, berücksichtigt nicht in geeigneter Weise die Notwendigkeit, die allgemeinen Grundsätze des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer einzuhalten, die die Grundlage der Unionsregelung über die Arbeitszeitgestaltung bilden.
Indem sie vorsehen, dass die Ruhezeit von 24 Stunden, die Ärzten nach jeder aktiven Bereitschaft zu gewähren ist, bis um eine Woche nach dem Tag des Bereitschaftsdienstes verschoben werden kann, stehen die griechischen Rechtsvorschriften nicht in Einklang mit der Richtlinie über die Arbeitszeitgestaltung.
⇒ Europäischer Gerichtshof Urteil 23.12.2015 – C-180/14
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Überwachung, Rufbereitschaft (17.02.2021)
Überwachen und untersuchen |
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Der Fall |
Ein MTRA (Medizinisch-technischer-Röntgenassistent) wird ausschließlich am Computer eingesetzt. Die Arbeitgeberin verlangt:
Er müsse seinen Finger scannen lassen, um seine Arbeitszeit über das Zeiterfassungssystem Model »ZEUS« zu erfassen. Und er müsse sich der vom Unternehmen für das gesamte MTRA-Team organisierten betriebsärztlichen Untersuchung unterziehen.
Es wird nun um drei Abmahnungen gestritten.
Die Entscheidung |
1) Ein biometrisches Zeiterfassungssystem ist in aller Regel nicht erforderlich im Sinne von Art. 9 Abs. 2 lit. b DSGVO, § 26 Abs. 3 BDSG.
2) Die Anordnung einer arbeitsmedizinischen Pflichtvorsorgeuntersuchung ist nur als Maßnahme infolge einer Gefährdungsbeurteilung entsprechend § 5 ArbSchG zulässig. (§ 3 Abs. 1 ArbMedVV).
⇒ LAG Berlin-Brandenburg Urteil 04.06.2020 – 10 Sa 2130/19
Aus der Begründung |
Richtig ist der Vortrag der Beklagten, dass es bei einem Zeiterfassungssystem mittels Chipkarten- oder Transpondersystem nicht ausgeschlossen ist, dass Beschäftigte ihre Anwesenheit vortäuschen ohne tatsächlich anwesend zu sein. Allerdings dürfte dieses abgesehen von den unter 2.2.4 beschriebenen Sachverhalten einen Arbeitszeitbetrug und somit eine Straftat darstellen.
Wenn aber für die Aufdeckung von Straftaten entsprechend § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG personenbezogene Daten von Beschäftigten nur verarbeitet werden dürfen, wenn »zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte« den Verdacht begründen, muss das erst recht für den Fall gelten, dass zur Vermeidung von Straftaten eine ständige Verarbeitung besonders geschützter biometrischer Beschäftigtendaten erfolgen soll. Dieser Grundrechtseingriff ist aufgrund der Festlegung in § 9 DSGVO von hoher Intensität und kann bereits als solcher unverhältnismäßig sein, wenn der Eingriffsanlass kein hinreichendes Gewicht aufweist. Soweit der Eingriff der Abwehr bestimmter Gefahren dient, kommt es für das Gewicht des Eingriffsanlasses maßgeblich auf den Rang und die Art der Gefährdung der Schutzgüter an (vgl. auch BVerfG vom 27. Februar 2008 – 1 BvR 370/07, 1 BvR 595/07). […]
Weshalb es aber im Betrieb der Beklagten in Berlin unentdeckt bleiben soll, wenn der Kläger (bzw. andere Mitarbeiter) entgegen dem Dienstplan bzw. der im System hinterlegten Sollarbeitszeit zu spät erscheinen oder vorzeitig gehen, ist dem Vortrag der Beklagten nicht zu entnehmen. Selbst wenn entsprechend dem Vortrag der Beklagten nicht immer ein Praxismanager vor Ort sein sollte, sind die übrigen Beschäftigten vor Ort. Dass diesen eine etwaige Unterbesetzung nicht auffallen würde, ist dem Vortrag der Beklagten nicht zu entnehmen. […]
§ 26 Abs. 3 BDSG |
Auch übersieht die Beklagte, dass sie nicht nach Gutdünken ihre Beschäftigten anweisen kann, sich einer betriebsärztlichen Vorsorgeuntersuchung zu unterziehen. Vielmehr hat der Arbeitgeber auf Grundlage der nach § 5 ArbSchG allgemein vorzunehmenden Gefährdungsbeurteilung den Umfang der arbeitsmedizinischen Vorsorgemaßnahmen festzulegen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 ArbMedVV). Das Vorhandensein einer Gefährdungsbeurteilung ist grundlegende Bedingung für ärztliche Maßnahmen der Pflicht-, Angebots- und Wunschvorsorge. Zwar hat die Beklagte in der Berufungsverhandlung auf Nachfrage erklärt, dass sie davon ausgehe, dass es eine entsprechende Gefährdungsbeurteilung gebe, da die Untersuchung betriebsärztlich organisiert worden sei, doch verkennt die Beklagte hier erneut den wesentlichen Inhalt der bereits seit 1996 im ArbSchG vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilung. Dazu hätte es für die verschiedenen Tätigkeiten im Betrieb der Beklagten einer Beurteilung der mit der Arbeit verbundenen Gefährdungen bedurft. Aus dieser hätte sich dann auch ergeben, ob der Kläger Tätigkeiten wie alle anderen MTRA ausübt und welche Gefährdungen damit verbunden sind oder ob der Kläger einen anderen Tätigkeitszuschnitt mit anderen Gefährdungen hat.
Da die Beklagte keine entsprechende Gefährdungsbeurteilung dargelegt hat und ohne Gefährdungsbeurteilung keine Pflichtvorsorge durchgeführt werden muss, wie sich aus § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbMedVV ergibt, kann auch die diesbezügliche Abmahnung keinen Bestand haben und ist aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.
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Schwerbehindert: Keine Rufbereitschaft |
➽ Zugespitzt: |
Der Fall |
Ein Kollege arbeitet als Gruppenpflegekraft in einem Dialyse-Zentrum. 'Tariflich' und ergänzt über eine Betriebsvereinbarung werden im Anschluss an die Spätschichten Rufbereitschaften angeordnet. Diese Einteilung zur Rufbereitschaft erfolgt – und zwar möglichst auf freiwilliger Grundlage – üblicherweise im Anschluss an den Spätdienst, wobei nach Darstellung der Beklagten eine tatsächliche Inanspruchnahme der Arbeitsleistung während der Rufbereitschaft im zurückliegenden Zeitraum Januar bis Juni 2004 in 27% der Fälle erfolgt ist. Der Kläger verlangt, davon ausgenommen zu werden.
Die Entscheidung |
❍ Es wird festgestellt, dass der Kläger nicht verpflichtet ist, an den Tagen seines dienstplanmäßigen Einsatzes im Anschluss hieran Rufbereitschaft zu leisten.
❍ Es wird weiter festgestellt, dass der Kläger nicht verpflichtet ist, mehr als acht Stunden arbeitstäglich zu arbeiten, soweit nicht die Voraussetzungen des § 14 ArbZG gegeben sind.
Leitsätze:
1. Nicht die Rufbereitschaft als solche, wohl aber die während der Rufbereitschaft geleistete Arbeit ist bei der Berechnung der gesetzlichen Arbeitszeit zu berücksichtigen.
2. Da der schwerbehinderte Arbeitnehmer nach § 124 SGB IX [heute § 207 SGB IX] zur Mehrarbeit nicht verpflichtet ist und als Mehrarbeit die Überschreitung der gesetzlichen Arbeitszeit von 8 Stunden/Tag zählt (BAG AP § 124 SGB IX Nr. 1), überschreitet eine Einteilung des Schwerbehinderten zur Rufbereitschaft im Anschluss an die dienstplanmäßig zu leistende Arbeitszeit von 7 Std. 42 Min. die Grenzen billigen Ermessens, sofern die bis zum Erreichen der gesetzlichen Arbeitszeit verbleibenden Minuten keine sinnvolle Arbeitsleistung ergeben.
3. Die betriebliche Notwendigkeit zur Anordnung regelmäßiger Rufbereitschaft in einem Dialysezentrum erfüllt für sich genommen nicht die Voraussetzungen des § 14 ArbZG zur Durchbrechung der gesetzlichen Arbeitszeit in ,,außergewöhnlichen Fällen''.
⇒ LAG Hamm Urteil 30.03.2006 – 8 Sa 1992/04
Aus der Begründung |
[Rn. 29] Entgegen dem Standpunkt des Beklagten handelt es sich bei den im Einzelfall erforderlichen Arbeitseinsätzen während der Rufbereitschaft auch nicht um Anwendungsfälle des § 14 ArbZG. Auch wenn man davon ausgeht, dass es sich bei den während der Rufbereitschaft anfallenden Tätigkeiten um Notfälle im Sinne des § 14 Abs. 1 ArbZG oder um unaufschiebbare Arbeiten zur Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen im Sinne des § 14 Abs. 2 Ziff. 2 ArbZG handelt, ist zu beachten, dass die für diesen Fall gesetzlich vorgesehene Durchbrechung arbeitszeitrechtlicher Vorschriften nur in Frage kommt, wenn "deren Folge nicht auf andere Weise zu beseitigen sind" bzw. "wenn dem Arbeitgeber andere Vorkehrungen nicht zugemutet werden können". Eben die Einführung von Rufbereitschaft stellt sich aber als entsprechende geeignete Vorkehrung zur Bekämpfung von Notlagen dar. Dass der Kläger – wie jeder andere Arbeitnehmer – in nicht vorhersehbaren Notfällen zur Arbeitsleistung herangezogen werden könnte, welche mittels der eingerichteten Rufbereitschaft nicht abgedeckt sind, bedeutet nicht, dass auch solche Fallgestaltungen, die nach der eigenen Darstellung des Beklagten mit einer gewissen Regelmäßigkeit anfallen, eine allgemeine Ausnahme von arbeitszeitrechtlichen Regeln nach § 14 ArbZG begründen können.
[Rn 30] Die Vorschrift des § 124 SGB IX knüpft nicht an einen Zusammenhang zwischen gesundheitlich bedingten Leistungseinschränkungen und konkreten Arbeitsbedingungen an, sondern räumt ganz allgemein den Schwerbehinderten und den ihnen gleichgestellten Personen das Recht ein, von Mehrarbeit freigestellt zu werden. Wie das Bundesarbeitsgericht in der bereits zitierten Entscheidung ausgeführt hat, verfolgt das Gesetz auf diese Weise das Ziel, dem schwerbehinderten Arbeitnehmer eine vergleichbare Teilhabe am Leben in der Gesellschaft wie einem Nichtbehinderten zu verschaffen, wozu die Gewährung ausreichender arbeitsfreier Zeit nach Maßgabe der gesetzlichen Arbeitszeitbegrenzung auf acht Stunden arbeitstäglich gehört. Auf einen konkreten Zusammenhang mit den der anerkannten Behinderung zugrunde liegenden Erkrankungen kommt es hierbei nicht an, vielmehr gilt nach dem Gesetz ein abstrakter Maßstab für die Anerkennung der Schwerbehinderung bzw. behördliche Gleichstellungsentscheidung. […]
Tipps für die Praxis |
Ungeklärt ist: Erweitert die tarifvertragliche Begriffsbestimmung der 'Mehrarbeit' (etwa in § 7 Abs. 6 TVöD /TV-L für Teilzeitbeschäftigte) hier zugleich den Schutz des § 207 SGB IX? Kann eine Schwerbehinderte verlangen, von Überplanung verschont zu werden? Damit bekämen die Tarifverträge einen Sinn. Jede andere Deutung würde eine tarifliche Schlechterstellung wegen der Teilzeit bedeuten, entgegen § 4 TzBfG.
§ 14 ArbZG durchlöchert die Schutzregeln des ArbZG, in seltenen Eilfällen. In der Pflege und Betreuung von Patienten und Klienten berufen sich Arbeitgeber gelegentlich auf solche Ausnahmen. Dies hebelt noch nicht die zwingend vorausgehende Mitbestimmung aus.
Rufbereitschaften sind eine geeignete und dem Arbeitgeber zumutbare Maßnahmen, sich vorausschauend für Notlagen zu organisieren und diese abzuwehren.
Zugleich aber stellen Rufbereitschaften eine zusätzliche Belastung für die Beschäftigten dar. Sie verringern die beschäftigungsfreie Lebenszeit, die wir zur unbeschränkten Teilhabe am Leben brauchen.
Faustregel 1: Geordnete und freiwillige Rufbereitschaften sind schonender und auch besser bezahlt als überraschende Überstunden.
Faustregel 2: Zusätzliche und besetzte Stellen sind besser als Rufbereitschaften in unserer Freizeit.
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Teilzeit aufstocken (04.02.2021)
Aufstocken! |
➽ Zugespitzt: |
Der Fall |
Es wollte der Paketlogistiker UPS am Standort Ditzingen Arbeitnehmer nur in einer von drei Schichten in Teilzeit mit einer Wochenarbeitszeit von 17 Stunden beschäftigen und lehntenk Arbeitszeiterhöhungen auf 34 Stunden pro Woche in zwei Schichten grundsätzlich ab.
Der Betriebsrat verweigerte daher in mehr als hundert Fällen seine Zustimmung zur Einstellung von neuen Arbeitnehmern auf Einschicht-Arbeitsplätze mit 17 Wochenstunden, weil er darin eine Benachteiligung der aufstockungswilligen Arbeitnehmer sah.
Der Arbeitgeber musste in jedem Fall die arbeitsgerichtliche Ersetzung der Zustimmung erreichen.
Die Entscheidung |
1. Wenn der Arbeitgeber, anstatt die Arbeitszeiten der aufstockungswilligen Teilzeitbeschäftigten zu verlängern, weitere Teilzeitarbeitsplätze ohne höhere Arbeitszeit einrichtet, müssen für diese Entscheidung arbeitsplatzbezogene Sachgründe bestehen (wie BAG 01.06.2011 7 ABR 117/09 Rn. 29 der Gründe).
2. Anerkennenswerte Sachgründe liegen nicht vor. Eine Einschränkung der Flexibilisierung des Personaleinsatzes durch Mehrarbeit ist nicht erkennbar. Ein erhöhter Organisationsaufwand in Vertretungsfällen wie Urlaub und Krankheit ist hinzunehmen. Höhere Krankenstände und eine größere Zahl von Betriebsunfällen in Doppelschichten sind nicht zwingend auf die höhere Arbeitszeit zurückzuführen.
3. Dem Betriebsrat steht daher ein Zustimmungsverweigerungsrecht nach § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG zu.
⇒ LAG Baden-Württemberg Beschluss 21.03.2013 – 6 TaBV 9/120
Aus der Begründung |
[Rn 59] Die Organisationsfreiheit des Arbeitgebers darf jedoch nicht zur Umgehung des § 9 TzBfG genutzt werden. Wenn der Arbeitgeber, anstatt die Arbeitszeiten der aufstockungswilligen Teilzeitbeschäftigten zu verlängern, weitere Teilzeitarbeitsplätze ohne höhere Arbeitszeit einrichtet, müssen für diese Entscheidung arbeitsplatzbezogene Sachgründe bestehen (BAG aaO Rn. 30 der Gründe). Dem Arbeitgeber ist es nicht überlassen, ob er generell nur Teilzeitstellen oder nur Vollzeitstellen einrichtet. Vielmehr ist hierfür das Vorliegen arbeitsplatzbezogener Gesichtspunkte unerlässlich. […]
[Rn 61] Soweit die Arbeitgeberin geltend gemacht hat, in Doppelschicht tätige Arbeitnehmer seien regelmäßig nicht bereit, Mehrarbeit zu leisten, hat der Betriebsrat unwidersprochen darauf hingewiesen, dass die Arbeitnehmer dazu in den Arbeitsverträgen verpflichtet seien und dass die Arbeitgeberin die Möglichkeit habe, diese Mehrarbeit mit Zustimmung des Betriebsrats anzuordnen. Die Kammer hält daher die vorgebrachten Erschwernisse bei der Arbeitszeiteinteilung für zumutbar und für keinen sachlichen Grund zur Rechtfertigung des behaupteten Organisationmodells. […]
[Rn. 63] Die Pausen zwischen den Schichten bewegen sich zwischen 30 – 45 Minuten und 2,5 Stunden. Eine Regelung mit dem Betriebsrat zur Beschränkung der Pausen ist bislang nicht getroffen. Eine unzumutbare Einschränkung der Flexibilität der Beklagten bei ihrer Personaleinsatzplanung ist daher auch diesbezüglich nicht anzuerkennen.
[Rn. 64] Schließlich ist auch der behauptete höhere Krankenstand und die höhere Zahl von Arbeitsunfällen bei den in Doppelschicht tätigen Arbeitnehmern kein ausreichender Sachgrund. Der Betriebsrat hat unwidersprochen vorgetragen, in den Einzelschichten seien vorwiegend Mitarbeiter mit Probezeit oder befristeten Verträgen tätig. Auch hieraus könne die niedrigere Krankenquote erfolgen. Dagegen seien in den Doppelschichten vorwiegend ältere Mitarbeiter tätig. Die Kammer hält insoweit die Argumentation der Arbeitgeberin, sie müsse Gesundheitsgefahren für die Mitarbeiter abwehren, für vorgeschoben, um ihre Organisationsentscheidung, nur Arbeitsplätze in einer Schicht anzubieten, durchzusetzen.
Tipps für die Praxis |
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Bereitschaft, Freistellung (31.01.2021)
Gesetzwidrige 24-Stunden-Dienste |
➽ Zugespitzt: |
Der Fall |
Ein Notfallsanitäter hat einzelvertraglich mit dem Kreisverband Mecklenburgische Seenplatte e.V. (tariffrei) seine über das Kalenderjahr wochendurchschnittliche Zeitschuld auf 54 Stunden verlängert. Es werden mit dem Betriebsrat vereinbarte 24-stündige Schichten abgefordert und Bereitschaftsdienst genannt. Er fordert 13.063,59 €Nachzahlung.
Die Entscheidung |
1. Arbeitsbereitschaft ist ebenso wie Bereitschaftsdienst eine vergütungspflichtige Arbeitsleistung im Sinne des § 611 Abs. 1 BGB bzw. § 611a BGB.
2. Der Bereitschaftsdienst muss aber nicht wie Vollarbeit vergütet werden. Die Arbeitsvertragsparteien können für diese Sonderform der Arbeit ein geringeres Entgelt als für Vollarbeit vereinbaren.
⇒ LAG Mecklenburg-Vorpommern Urteil 15.09. 2020 – 5 Sa 188/19
Aus der Begründung |
Bereitschaftsdienst, den der Arbeitgeber nicht hätte anordnen dürfen und den der Arbeitnehmer dennoch leistet, bleibt Bereitschaftsdienst und wird nicht etwa von selbst zu voller Arbeitsleistung mit einem entsprechenden Vergütungsanspruch […] Hat die Ableistung der Bereitschaftsdienste gegen öffentlich-rechtliche Arbeitsschutzvorschriften verstoßen und waren die zugrundeliegenden Anordnungen gemäß § 134 BGB nichtig, führt dies nicht zur Nichtigkeit der Vergütungsvereinbarung.
Die Vorschriften zur Arbeitszeit, den Ruhepausen, zur Ruhezeit usw. dienen dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer und sollen ihn vor einer die Gesundheit gefährdenden Überbeanspruchung bewahren. Eine angemessene Vergütung der Arbeit wollen sie dagegen nicht sicherstellen […] .
Dem Ziel des Gesundheitsschutzes steht es grundsätzlich entgegen, finanzielle Anreize für eine Überschreitung der Arbeitszeitgrenzen zu setzen, indem beispielsweise die geringere Bereitschaftsdienstvergütung auf den Stundenlohn für Vollarbeit angehoben wird. Unabhängig davon führt aber ein Verstoß gegen § 3 ArbZG nicht zum Ausschluss eines Vergütungsanspruchs […] .
Dass die Höhe des Gehalts aus einer möglicherweise ganz oder teilweise unwirksamen Betriebsvereinbarung abgeleitet wurde, ändert nichts an der Wirksamkeit des Arbeitsvertrages. Eine betriebliche Einheitsregelung in Form einer Gesamtzusage oder gebündelter Vertragsangebote wird durch die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 BetrVG nicht ausgeschlossen […] .
Der Kläger hat keine Arbeitsleistungen erbracht, die von der vereinbarten Vergütung nicht erfasst sind. Die geleisteten 24-Stunden-Schichten wurden vollständig bezahlt. Soweit der Beklagte je 24-Stunden-Schicht nur 17,8 Stunden auf dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben hat, folgt daraus nicht, dass jeweils 6,2 Stunden nicht vergütet wurden. […]
Der Kläger hat keine noch nicht vergüteten oder noch nicht durch Freizeit ausgeglichenen Arbeitsstunden über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus geleistet. Die Abrechnung des Arbeitszeitkontos zum Jahresende ist nicht Gegenstand des Verfahrens.
Tipps für die Praxis |
Für die Interessenvertretung und die Aufsichtsbehörden ist es wohl noch peinlicher als für den Arbeitgeber, wenn das Arbeitsgericht darauf hinweist: Die mitbestimmte betriebliche Praxis ist unzulässig weil schutzgesetzwidrig.
Für die betroffenen Beschäftigten entsteht nicht automatisch ein rückwirkender Anspruch auf Nachzahlung von Differenzen. Uns ist kein Fall bekannt, in dem mitbestimmt und doch fälschlich Bereitschaftsdienst angeordnet wurde und damit tatsächlich Vollzeit-Vergütung bzw. Überstundenvergütung zustand.
TVöD-AT § 7 Absatz 3 |
Was nicht durch TVöD-AT § 7 Absatz 3 erfasst ist, muss der Arbeitgeber mit der ungekürzten Stundenvergütung bezahlen. Es wird kein Bereitschaftsdienst angeordnet.
TVöD-K / -B T § 7.1 Absatz 1 |
Ein Verstoß gegen TVöD-K bzw. -B § 7.1 Absatz 1 lässt lediglich die Verpflichtung zu dieser Arbeitsleistung entfallen. Dann wird vertragswidrig Bereitschaftsdienst angeordnet. Leistet die Kollegin dennoch, dann Bereitschaftsdienst. Es wird nur die vereinbarte Vergütung für den Bereitschaftsdienst fällig.
Anderes gilt, wenn angeblich Rufbereitschaft, tatsächlich aber Bereitschaftsdienst angeordnet wird. Verlangt der Arbeitgeber eine kurze Reaktionszeit oder bestimmt er den Aufenthaltsort, dann ordnet er – wenn auch mit dem falschen Begriff Rufdienst / Rufbereitschaft – einen Anwesenheits-Bereitschaftsdienst an (BAG, Urteil 28.04.1971 – 4 AZR 538/68; BAG, Urteil 19.12.1991 – 6 AZR 592/89; BAG 31.01.2002 – 6 AZR 214/00; LAG-Köln – Urteil 13.08.2008 – 3 Sa 1453/07).
Streit um Bezahlung von Arbeitszeit-Überwachung |
➽ Zugespitzt: |
Der Fall |
Der BR-Vorsitzende schreibt dem Arbeitgeber:
»In den letzten Tagen gab [… es …] eine sehr beunruhigende Stimmungslage in der Belegschaft der Produktion. Da die freigestellten Mitglieder derzeit in Schlichtungsterminen sind, hat der Betriebsrat aufgrund der Ereignisse, von überhöhten
Anfragen der Produktionsmitarbeiter und über die Entgeltzuwendungen sowie deren Abrechnungen, […] beschlossen einen Ausschuss zu bilden.
Der Ausschuss wird vom …. bis …. zur Erfüllung der Aufgabe freigestellt.
Wir bitten um Unterstützung durch den Arbeitgeber, in Form des Wissens des Personalbüros die Entgelte und deren Abrechnungen, für den Arbeitnehmer transparent zu klären […] «
Ein Betriebsrat mailt dem Vorgesetzten, er sei ab übermorgen für vier Tage als Betriebsrat freigestellt.
Der Arbeitgeber kürzt daraufhin den Lohn. Das BR-Mitglied klagt. Erfolglos.
⇒ LAG Rheinland-Pfalz, Urteil 21.07.2020 – 8 Sa 400/19
Aus der Begründung |
(3) Es sprach allerdings teilweise gegen die Erforderlichkeit seines Vorgehens, dass der Kläger offenbar bei seiner Zeitprognose auch eine umfassende »Beratung« der Belegschaft einbezogen hatte. Die hierfür vorgesehenen Zeitanteile wurden vom Kläger auch dann nicht beziffert, als die Beklagte substantiiert bestritten hatte, dass vor dem Rücklauf der – bestrittenen – 220 Beratungsanträge frühestens ab Mittwoch, den 14. November 2018 eine Arbeitsbefreiung nicht erforderlich gewesen sei. […]
(4) Der Kläger hat insbesondere nicht widerspruchsfrei vorgetragen, in welchem zeitlichen Umfang er tatsächlich welche Art von Betriebsratsaufgaben erledigt haben will. Für die Beklagte, aber auch für das Gericht, war deshalb nicht erkennbar, ob der Kläger überhaupt im Umfang einer Vollzeitstelle Betriebsratsarbeit geleistet hat. Dieser Sachvortrag (vgl. exemplarisch BAG 15. März 1995 – 7 AZR 643/94 -) wäre aber schon deshalb notwendig gewesen, weil grds. nur für tatsächliche geleistete Betriebsratsarbeit eine Lohnfortzahlung aus § 37 Abs. 2 BetrVG abgeleitet werden kann. Sollte der Kläger nicht im Umfang einer Vollzeitstelle mit Betriebsratsarbeit befasst gewesen sein, so wäre es an ihm gewesen, die tatsächliche Grundlage seiner Prognoseentscheidung darzulegen.[…] Er beschränkt sich auf die pauschale Behauptung, es sei sehr viel Betriebsratsarbeit zu erwarten gewesen, weil er »immer wieder« auf die Lohnabrechnungen angesprochen worden sei. […]
Auch hatte der Kläger nicht nachvollziehbar dargelegt, wieso es zur Erstellung eines Flyers mit gerade einmal einer DIN-A4 Seite stichwortartiger Information zu nur fünf Abrechnungspositionen der gleichzeitigen Freistellung von drei vollzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern bedurfte und wieviel Zeit die Erstellung in Anspruch genommen hat.
Ebensowenig hatte der Kläger vorgetragen, von wann bis wann er sich am Montag, den 12. November 2018, in der Betriebsratssitzung befand, was einen Entgeltfortzahlungsanspruch aus § 37 Abs. 2 BetrVG ohne weiteres auslösen würde. […]
(6) Im Rahmen des § 37 Abs. 2 BetrVG sind damit – wie in allen Fällen der Lohnfortzahlung ohne Erbringung der Arbeitsleistung, zB nach § 3 EFZG oder § 615 BGB – weitergehende Anspruchsvoraussetzungen darzulegen als es für den Vergütungsanspruch nach Erbringung der arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung notwendig ist. Dieser wird in der Regel bereits dadurch schlüssig vorgetragen, dass der Arbeitnehmer darlegt, in welchem zeitlichen Umfang er arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeiten erbracht hat, ohne dass die Art der Tätigkeit vorgetragen werden muss (BAG 18. April 2012 – 5 AZR 248/11 – Rn. 13 f.). Hier genügt der kursorische Vortrag, weil der Arbeitgeber kraft seines Weisungs- und Organisationsrechts alle Einzelheiten der Arbeitsleistung kennen muss und deshalb substantiiert bestreiten kann.
Das gilt aber nicht in gleicher Weise für Betriebsratsarbeit, die sich der Kenntnis des Arbeitgebers zumindest teilweise entzieht. Von einem Betriebsratsmitglied muss deshalb erwartet werden, dass er seinen Vergütungsanspruch iRd. § 37 Abs. 2 BetrVG von sich aus nach Art und zeitlichem Umfang nachvollziehbar darlegt – auch weil es sich bei seiner Vergütungsforderung um eine Ausnahme vom Grundsatz »Ohne Arbeit kein Lohn« handelt (vgl. zu letzterem BAG 18. April 2012 – 5 AZR 248/11 – Rn. 14 unter Hinweis auf die Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts, wonach gemäß § 326 Abs. 1 BGB die Gegenleistung entfällt, weil die Arbeitsleistung als Fixschuld mit Zeitablauf unmöglich wird; andererseits: BAG 15. März 1995 – 7 AZR 643/94 – zu II 1 c und d der Gründe).
(7) Dabei wird nicht verkannt, dass der Betriebsrat nicht sämtliche Details seiner Arbeit offenlegen muss. Die Art der Tätigkeit und der jeweils hierauf entfallende zeitliche Umfang nach Tag und Uhrzeit können jedoch regelmäßig dargelegt werden, ohne dass die Vertraulichkeit der Betriebsratsarbeit (vgl. Fitting 30. Auflage BetrVG § 79 Rn. 32 ff.) aufgehoben wird, so wie das etwa mit der Darlegung
»Betriebsratssitzung am Montag von … Uhr bis … Uhr« oder
»Prüfung von 10 Lohnabrechnungen am Donnerstag von … Uhr bis … Uhr« oder
»Erstellung des Flyers Schichtzuschläge am Montag von … Uhr bis … Uhr« oder
»Informationsveranstaltung am Dienstag von … Uhr bis … Uhr für die Belegschaft in der Abteilung X«
möglich wäre. Ein solcher Sachvortrag wäre auch dem Beweis zugänglich. Der pauschale Vortrag, der Kläger sei ganze »vier Tage« innerhalb der Kalenderwoche 46/2018 durchgängig mit Durchsicht von Lohnabrechnungen zur Prüfung tariflicher Vergütung beschäftigt gewesen, ist demgegenüber nicht ausreichend, weil er vorliegend den sonstigen Abläufen widersprach. Das hat die Beklagte mit der Berufungserwiderung zu Recht gerügt.
(8) Schließlich war auch zu berücksichtigen, dass der Kläger jederzeit seine vertraglich geschuldete Arbeit wieder hätte aufnehmen können, wenn sich die Prognose über die anfallende Betriebsratsarbeit nicht bestätigt. In Ermangelung eines abweichenden Sachvortrags war (zugunsten des Klägers) davon auszugehen, dass er sich in der Kalenderwoche 46/2018 während der regelmäßigen Arbeitszeit im Betrieb aufgehalten hat. Umso mehr war hier eine nachvollziehbare Darlegung der geleisteten Betriebsratsarbeit in Bestätigung der angestellten Prognose zu erwarten.
(9) Damit musste offenbleiben, ob ein entschuldbarer Irrtum des Klägers über das Bestehen einer Betriebsratsaufgabe oder über die Erforderlichkeit der getroffenen Maßnahmen einen Anspruch auf Fortzahlung seiner Arbeitsvergütung aus § 611a Abs. 2 BGB iVm. § 37 Abs. 2 BetrVG tangiert […] .
Tipps für die Praxis |
❍ Freigestellt von der Arbeitspflicht ist jedes Mitglied des BR / PR / der MAV, soweit es notwendige Amtstätigkeit leistet.
❍ Die tatsächliche Zeit der Sitzungsteilnahme gilt als notwendige Amtstätigkeit – die Teilnahmeliste ist Nachweis genug. Ebenso: Teilnahme an Ausschüssen, Besprechungen mit dem Arbeitgeber, Sprechstunden.
❍ Ein Beschluss des Gremiums stellt nicht frei.
❍ Ein Beschluss des Gremiums kann die Erledigung notwendiger Aufgaben übertragen. Er belegt dann nur die 'Prognose', also die bloße Erwartung der Notwendigkeit.
❍ Eine aktive, nicht pauschal freigestellte Interessenvertreterin könnte Streit befürchten, was die Entgeltfortzahlung angeht. Sie sollte für ihre Initiativen zumindest stichpunktartig darstellen können: Die im betreffenden Zeitabschnitt tatsächlich von mir in Angriff genommene Aufgabe war notwendig.
❍ Insbesondere im Zuge der Amtstätigkeit entdeckte Verstöße gegen Schutzgesetze und Verträge eignen sich dazu gut. Fragt ein Arbeitgeber nervend nach, bekommt er eine unangenehme Antwort: »Da habe ich entdeckt, dass Sie unsere Mitbestimmung verletzten, indem Sie Überstunden anordneten. Sie haben Pausen durcharbeiten lassen – eine Straftat, die wir nun zur Anzeige bringen.«
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] billiges Ermessen (18.01.2021)
Billiges Ermessen – in jedem Einzelfall |
➽ Zugespitzt: |
Der Fall |
Einzelhandelsgeschäft, 70 Kassiererinnen, mit einem Schichtsystem montags bis samstags; eine Betriebsvereinbarung regelt die »Arbeitszeit/ Reduzierung von Überstunden«.
Eine Kollegin klagt wegen Kinderbetreuung, um ihren Einsatz ausschließlich in Frühschichten Montag bis Freitag durchzusetzen. Sie verlangt Festlegung für die Zukunft und zudem eine einstweilige Verfügung, weil es ihr eilt . Sie hat vor dem Arbeitsgericht Kiel (Urteil 30.04.2020 – 1 Ga 5 d/20) in der Hauptsache Erfolg; beide Parteien erklärten das schon angekündigte Berufungsverfahren in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt.
Die Entscheidung |
Das Landesarbeitsgericht hatte nicht in der Hauptsache zu entscheiden, sondern lediglich über den Antrag auf eine vorläufige, einstweilige Verfügung. Dieser Zwischenschritt wurde vom LAG verwehrt:
2. Wird in einem Unternehmen nach wechselnden Dienstplänen gearbeitet, übt der Arbeitgeber bei jeder Dienstplanerstellung sein Ermessen hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer aus. Ist ein Arbeitnehmer mit der Lage der für ihn festgelegten Arbeitszeit nicht einverstanden, ist für den konkreten Dienstplan festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 106 S.1 GewO gewahrt sind, insbesondere also, ob der Arbeitgeber billiges Ermessen gewahrt hat.
3. Ein Antrag des Arbeitnehmers generell festgestellt zu bekommen, dass er nicht verpflichtet ist, zu bestimmten Arbeitszeiten zu arbeiten (hier: Kassiererin im Supermarkt, die nicht am Nachmittag und am Samstag arbeiten will), ist in diesen Fällen regelmäßig unbegründet, weil es für die Frage der Billigkeit auf die Umstände bei Ausübung des Direktionsrechts ankommt und diese Umstände sich ändern können.
⇒ LAG Schleswig-Holstein, Beschluss 20.10.2020 – 1 SaGa 4/20
Aus der Begründung |
Die konkrete Zuweisung der Arbeitszeit wird durch die regelmäßig von der Beklagten aufgestellten, vom Betriebsrat mitbestimmten Dienstpläne vorgenommen. […]
Ein vertraglicher Anspruch auf die von der Klägerin begehrte Arbeitszeit besteht damit unzweifelhaft nicht. Vielmehr ist nach dem Vertrag eine Tätigkeit an allen Werktagen – auch samstags – sowie auch in der Spätschicht ab 13.00 Uhr vorgesehen. […]
aa) Eine Leistungsbestimmung im Sinne des § 106 S. 1 GewO entspricht billigem Ermessen, wenn die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind. Geht es um die Bestimmung der Lage der Arbeitszeit, sind bei der vorzunehmenden Interessenabwägung auch die Verpflichtungen des Arbeitnehmers zur Personensorge zu berücksichtigen. Geht es um die Personensorge für ein Kind, hat der Arbeitnehmer eine durch Art. 6 GG geschützte Rechtsposition, was seine Rechtsposition in der Abwägung verstärkt (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 26.11.2008 – 2 Sa 217/08 – juris; LAG Köln, Urt. v. 27.03.2012 – 12 SA 987/11 – juris).
bb) Maßgeblich für die Abwägung ist die Interessenlage im Zeitpunkt der Ausübung des Direktionsrechts (std. Rspr., z.B.: BAG v. 23.09.2004 – 6 AZR 567/03 – juris).
cc) Nach diesen Grundsätzen kann nicht festgestellt werden, dass das Ermessen der Beklagten zukünftig bei der Erstellung jedes neuen Dienstplans darauf reduziert ist, dass die Klägerin nur zu den von ihr beantragten Zeiten eingesetzt werden darf. Der Klägerin geht es darum, bereits jetzt ein Abwägungsergebnis vorzugeben, bei dem die konkreten Umstände der Abwägung noch gar nicht feststehen. Denn maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Arbeitszeitzuweisung ist der Zeitpunkt der Aufstellung der jeweiligen Dienstpläne, da erst zu jenem Zeitpunkt die Beklagte ihr Ermessen gegenüber der Klägerin ausübt. Erst bei Einteilung in den jeweiligen Dienstplan kann daher überprüft werden, ob dem grundsätzlich schützenswerten Interesse der Klägerin im Einzelfall betriebliche Interessen der Beklagten oder Interessen anderer Arbeitnehmer entgegenstehen (ebenso: LAG Köln, aaO, Rn. 45).
Die Beklagte hat insoweit etwa auf das Weihnachtsgeschäft hingewiesen, das den Einsatz der Klägerin zwingend auch an einem Nachmittag oder dem Samstag erfordern könnte. Ob Interessen der Beklagten das zweifellos erhebliche Interesse der Klägerin an der Nichtbeschäftigung zu diesen Zeiten überwiegt, kann jeweils nur in der konkreten Situation unter Berücksichtigung und Abwägung der dann konkreten Interessen entschieden werden, nicht – wie mit dem Antrag geltend gemacht – jetzt generell-abstrakt für alle zukünftigen Einsätze. […]
Die Beklagte hat auch bereits darauf hingewiesen, dass die Klägerin ihre Interessen an der Dienstplangestaltung über den Betriebsrat einbringen kann, dessen Einwände regelmäßig berücksichtigt werden. Sollte dies der Klägerin nicht erfolgreich gelingen, bleibt es ihr unbenommen, gegen die jeweiligen konkreten Dienstpläne – ggf. im Rahmen einer einstweiligen Verfügung – vorzugehen.
Für Deine Praxis |
Wenn ein Plan im Arbeitsbereich ausgehängt wird, wird er meist noch nicht verbindlich angeordnet. Erst warten alle noch, ob der Betriebsrat / die Mitarbeitervertretung den Absichten des Arbeitgebers genau so zustimmt.
Manchmal tauchen in dieser Zeit der Prüfungen und Beratungen bei einer Kollegin noch überraschende Änderungen für die Lebensplanung auf. Kein Problem!
Arbeitgeber und Betriebsrat muss nochmal ran, ihr Plan kann noch geändert werden. Das mag etwas unübersichtlich sein. Doch die Rechtslage ist klar: Der Arbeitgeber darf sich nicht nur auf seine Überlegungen bei der ersten Aufstellung des Dienstplanes zurückziehen. Sonst bliebe sein billiges Ermessen fehlerhaft, und die Anordnung bliebe für die Kollegin rechtsunwirksam.
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Teilzeit (28.11.2020)
Teilzeit nicht benachteiligen |
➽ Zugespitzt: |
Der Fall |
Der 10. Senat hat einen Streit zu entscheiden. Hat ein Arbeitnehmer in Teilzeit Anspruch auf die erhöhte Vergütung für ›Mehrflugdienststunden‹? Deren tarifliche Bestimmungen enthalten identische Auslösegrenzen für Voll- und Teilzeit. Der Arbeitnehmer in Teilzeit kommt erst in den Genuss der erhöhten Vergütung, nachdem er zunächst die Differenz zwischen seiner individuellen Auslösegrenze und der tarifvertraglichen Auslösegrenze gearbeitet hat.
Der Arbeitgeber erkennt für diese unterschiedliche Behandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten einen sachlicher Grund: Die Mehrflugdienststundenvergütung diene dazu, eine besondere Arbeitsbelastung auszugleichen. Die Belastung bestehe tarifkonform erst dann, wenn die Auslösegrenzen überschritten seien.
Uns fallen drei ähnliche Fallgestaltungen ein:
❍ Der Anspruch auf Überstundenvergütung entsteht erst, falls die tatsächliche Arbeitszeit der Teilzeitbeschäftigten die Schwelle zur Vollzeitarbeitszeit überschreitet.
❍ Der Anspruch auf Wechselschichtzulage entsteht erst, falls eine starre Belastungsanforderung überschritten wird (Auslösegrenze z.B.: binnen einem Monat erneut zwei Nachtschichten). Die Teilzeitbeschäftigten erhalten aber die Zulage dafür nur anteilig ihrer Zeitschuld.
❍ Betriebe rechnen die Urlaubstage abhängig der anteiligen Zeitschuld um.
Die offene Frage |
Der 10. Senat hat sich am 19.12.2018 der Rechtsauffassung des 6. Senats ⇒ angeschlossen: Teilzeitbeschäftigte werden benachteiligt, wenn die Zahl der Arbeitsstunden, von der an ein Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung entsteht, nicht proportional zu ihrer vereinbarten Arbeitszeit vermindert wird (verminderte Auslösegrenze für den Anspruch).
Dem mögen nicht alle folgen. So entschied auch das LAG Nürnberg (Urteil 30.04.2019 – 7 Sa 346/18, in Revision BAG – 6 AZR 254/19), es handele sich bei der Festlegung der regelmäßigen Wochenarbeitszeit für Vollzeitbeschäftigte (§ 6 Abs.1 TVöD) zugleich um eine durch die Tarifparteien gesetzte sachlich begründete Belastungsgrenze.
Der 10. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hat nun am 11. November beschlossen, sich an den EuGH zu wenden:
⇒ § BAG Beschluss 11.11.2020 – 10 AZR 185/20 (A) |
Schauen wir zunächst, was die angesprochene Richtlinie regelt:
Europäische Richtlinie 97/81/EG |
Das Anliegen der Richtlinie hat die Schröder-Regierung Ende 2000 in nationales Recht umzusetzen versucht:
§ 4 Verbot der Diskriminierung |
Der Kern |
Wir betrachten Leistung und Gegenleistung. Die Leistung (Arbeitszeit) wird zur Rechtsvoraussetzungen der Gegenleistung.
❍ Die Verlängerung der Arbeitszeit über das festgelegte Arbeitsende hinaus belastet. Zum einen wird die geplante Freizeit geopfert. Zum anderen steigt die Belastung durch Arbeitszeit abhängig von der zunehmenden Schichtlänge. Diese Belastungen sind für Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte objektiv und sachlich gleich. Die Vergütung soll dies ausgleichen. Eine Differenzierung wäre europarechtswidrig und bliebe wohl auch wegen Verstoß gegen § 4 TzBfG rechtsunwirksam.
❍ Die Leistung von Überplanung belastet, also die Ausdehnung der festgelegten Arbeitszeit über das vertraglich vereinbarte Maß hinaus. Zum einen wird Freizeit geopfert. Zum anderen steigt die Belastung durch Arbeitszeit abhängig von der zunehmenden Arbeitszeitmassierung (Anzahl Schichten). Das Ausmaß dieser Belastung ist im Einzelfall unterschiedlich. Es hängt davon ab, ob und wieviel die Beschäftigten abseits von diesem Beschäftigungsverhältnis in ihrer ›Freizeit‹ bezahlt und/oder unbezahlt arbeiten. Nebentätigkeiten und unbezahlte Sorgearbeit kummulieren Belastungen nicht nur, sie steigern diese exponentiell. Es ist dennoch zumindest denkbar, dass Tarifparteien aufgrund Erkenntnissen über die menschengerechte Gestaltung der Arbeitszeit hier bestimmte Auslösegrenzen festlegen. Diese Grenze für einen zusätzliche Ausgleich durch Vergütung müsste objektiv / sachlich begründet sein. Doch die bloße Gleichsetzung mit der wochendurchschnittlichen Zeitschuld (im öffentlichen Dienst derzeit zwischen 38,5 und 42 Stunden) reicht dazu kaum.
In den Tarifverträgen für den öffentlichen Dienst wird eine sonderbare, individuelle / subjektive Grenze gezogen. Überstunden sind da »Arbeitsstunden, die über die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit von Vollbeschäftigten (§ 6 Abs. 1 Satz 1) für die Woche dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich festgesetzten Arbeitsstunden hinausgehen«. Je nach der konkreten AZ-Festlegung kann in einer Kalenderwoche erst nach 50 Stunden (fünf mal Schichten a 10 Stunden) die erste Überstunde entstehen, oder vielleicht bereits nach der 30. Stunde.
❍ Die Leistung von Wechselschichtarbeit belastet. Sie verschiebt den Schlaf-Wachrhythmus Es zwingt zur Arbeit, obwohl der Körper nach Schlaf ruft. Diese Belastungen sind für Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte objektiv und sachlich gleich. Sie treten nicht abhängig vom Umfang der Arbeitszeit auf, sondern anhängig von der Arbeitsorganisation. Auch die tarifvertraglichen Rechtsvoraussetzungen bleiben für Voll- wie Teilzeitbeschäftigte unterschiedslos. Zwar fehlt in den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes hier der etwa in § 24 Abs. 2 TVöD verlangte Verweis. Doch wichtiger: Es fehlt den Tarifparteien ein objektiver /sachlicher Zweck für eine automatische anteilige Kürzung. Der Pro-rata-temporis-Grundsatz (die entsprechend dem Umfang der Arbeitszeit anteilige Gleichbehandlung) ist hier nicht angemessen. Daher steht aufgrund § 4 TzBfG die ungekürzte Zulage zu (anders entschied aber der 10. Senat früher, Urteil 24.09.2008 – 10 AZR 634/07 zu § 8 Abs. 5 TVöD).
Was tun? |
Überstundenvergütung als solche, Überstundenzeitzuschlag und ungekürzte Wechselschichtzulage sind schriftlich geltend zu machen. Es liegen hier strittige grundsätzliche Sachverhalte vor. Deshalb reicht die einmalige Geltendmachung des Anspruchs auch für später fällige Leistungen aus.
Die aktivierte und aktivierende Interessenvertretung organisiert dies im Betrieb. Sie macht Mut und warnt zugleich vor. Erst liegt der Ball nun beim EuGH. Dort dauert die Bearbeitung zu normalen Zeiten bis zu eineinhalb Jahren. Danach muss der 10. Senat des BAG abschließend eine Entscheidung suchen. Danach erklärt das Arbeitgeberlager, dass nur ein spezieller Fall entschieden sei und überhaupt …
Aussicht auf rascheren Erfolg bietet die Verweigerung von genau den Belastungen und Arbeitsleistungen, für welche die Arbeitgeber den rechtmäßigen Ausgleich vorenthalten. Das geht nur in gemeinsamen Aktionen. Im Kollektiv geht nie was schief!
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Teilzeitvertrag, Aufzeichnungspflichten (19.09.2020)
Diesmal grübeln wir über
⊗ Pausen
⊗ bloße Schichtunterbrechungen
⊗ Anspruch auf Korrektur der Aufzeichnungen
Nicht gewährte Pausen: dokumentieren |
➽ Zugespitzt: |
Die Entscheidung |
1. Ist ein Arbeitszeitkonto eingerichtet, hat der Arbeitnehmer einen Anspruch darauf, dass dieses Konto korrekt geführt wird. Denn ein Arbeitszeitkonto hält fest, in welchem zeitlichen Umfang der Arbeitnehmer seine Hauptleistungspflicht nach ⇒ § 611 Absatz 1 BGB erbracht hat oder aufgrund eines Entgeltfortzahlungstatbestandes nicht erbringen musste. Es drückt damit – in anderer Form – seinen Vergütungsanspruch aus. Wird das Arbeitszeitkonto falsch geführt, kann der Arbeitnehmer eine Korrektur des Fehlers verlangen und gegebenenfalls gerichtlich durchsetzen. Das gilt nicht nur für den Fall, dass der Arbeitgeber unberechtigt Streichungen zuvor gebuchter Stunden vornimmt […], sondern auch dann, wenn der Arbeitgeber tatsächlich geleistete Arbeitsstunden nicht verbucht.
2. Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne ist die Zeit zwischen dem Beginn der Arbeit (Arbeitsaufnahme) und dem Zeitpunkt der Beendigung der Arbeit (vgl. § 2 ArbZG ). Die Arbeitszeit wird arbeitsschutzrechtlich damit als ein kontinuierlicher Zeitraum begriffen, der lediglich – wie in ⇒ § 2 ArbZG geregelt – durch Ruhepausen im Sinne von ⇒ § 4 ArbZG unterbrochen sein kann. Arbeitsschutzrechtlich spielt es keine Rolle, ob der Arbeitnehmer in diesem Zeitraum tatsächlich arbeitet, sich lediglich zur Arbeit bereithält oder ob er – weil vielleicht gerade keine Arbeit für ihn da ist – gar nicht arbeitet. Die Tarifvertragsparteien des TVöD haben keinen davon abweichenden Begriff Arbeitszeit gebildet.
[Die Arbeitgeberin hat die] dienstlichen Einsätze im mobilen Streifen- und Kontrolldienst der Bundespolizei unter Außerachtlassung eines jeweiligen Abzugs von 30 bzw. 45 Minuten zu berücksichtigen und die sich hieraus ergebenden Zeitdifferenzen dem Arbeitszeitkonto der Klägerin gutzuschreiben.
⇒ LAG Mecklenburg-Vorpommern Urteil 19.03.2019 – 2 Sa 11/18
Der Fall |
[Rn. 1 – Eine nicht verbeamtete, uniformierte Unterstützungskraft im Streifendienst des Bundesgrenzschutzes klagt, TVöD-Bund, Schichtarbeit, nicht Wechselschichtarbeit,] verlangt Zeitgutschriften [117 Stunden] auf dem Arbeitszeitkonto sowie Zuschläge nach § 8 Absatz 1 TVöD. Dahinter steht die Frage, ob eingeplante und gewährte Arbeitsunterbrechungen im Schichtdienst der Klägerin den Anforderungen an eine Ruhepause im Sinne von ⇒ § 4 ArbZG genügen.
[Rn. 6] Die Zeit, zu der die Arbeitsunterbrechungen zu Erholungszwecken eingelegt werden sollen, werden jedenfalls seit ungefähr November 2017 – nach Behauptung der Beklagten bereits seit 2015 – durch den Gruppenleiter der Polizeiinspektion vor Beginn der Streife festgelegt. Dabei werden für die gleichzeitig eingesetzten Streifenbesatzungen die Arbeitsunterbrechungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten eingeplant, um die Chance zu erhöhen, dass die Arbeitsunterbrechungen ohne dienstliche Störungen zur Erholung genutzt werden können. Die konkrete Arbeitsunterbrechung wird dann vom Streifenführer angeordnet. Dafür hat er der Leitstelle inzwischen zu melden, dass sich die Streife in Pause befindet. Alle Mitglieder der Streife unterbrechen den Dienst gleichzeitig. Der Führer der Streife hat auch während der Arbeitsunterbrechung sicherzustellen, dass die Streife durchgehend über Funk und das dienstliche Mobiltelefon erreichbar bleibt. Innerdienstlich wird dies als Pause unter Bereithaltung bezeichnet.
[Rn. 9 – Ein Erlass habe in 2015 »klargestellt«, dass] Unterstützungskräfte im Streifendienst, die – wie die Klägerin – nicht in Wechselschicht eingesetzt sind, während der Schichtunterbrechung nicht vergütet werden, es sei denn, die Pause hätte wegen eines Notfalls oder eines sonstigen ungewöhnlichen Falles im Sinne von § 14 ArbZG abgebrochen werden müssen.
[Rn. 24 – Die Arbeitgeberin trägt vor:] Im außerordentlichen Einsatzfalle (⇒ § 14 ArbZG) hätte die Klägerin die Schichtunterbrechung vor Ort fortsetzen und beenden können. Sie wäre dann zu gegebener Zeit wieder von dort abgeholt worden.
Aus der Begründung: |
[Rn. 40] Eine Klage auf Korrektur des Arbeitszeitkontos um eine bestimmte Anzahl von Arbeitsstunden ist zulässig. Da die Beklagte die Existenz des Arbeitszeitkontos im Arbeitsverhältnis zur Klägerin nicht in Frage gestellt hat, geht das Gericht davon aus, dass die Parteien damit das in § 10 TVöD geregelte Arbeitszeitkonto meinen. […]
Achtung:
In diesem Polizeibetrieb wird die regelmäßige Arbeitszeit (§ 6 Abs. 1 TVöD) tariffremd auf Arbeitszeitkonten (§ 10 TVöD; Umwandelkonten) saldiert. Dies ist im Betrieb unstrittig.
In der Folge differenziert hier die Gerichtsentscheidung nicht so sauber, wie wir es uns wünschen. Umgekehrt wird die Entscheidung umstandslos übertragbar auf andere Tarifverträge und AVR.
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[Rn. 48] Zum Begriff der Pause gehört auch, dass die Dauer der Arbeitsunterbrechung im Voraus feststeht. Die Dauer der Pause muss allerspätestens zu ihrem Beginn bekannt sein, denn eine Arbeitsunterbrechung, bei deren Beginn der Arbeitnehmer nicht weiß, wie lange sie dauern wird, kann nicht zu der gewünschten Erholung führen. Denn der Arbeitnehmer muss sich in einem solchen Falle durchgehend zur Arbeit bereithalten (BAG 29. Oktober 2002 aaO). […]
[Rn. 53] Die Schichtunterbrechungen (Pausen unter Bereithaltung), wie sie vorliegend im Streifendienst gewährt werden, erfüllen die Voraussetzungen einer Ruhepause im gesetzlichen Sinne nicht. Denn die Dauer der streitgegenständlichen Erholungszeiträume steht bei ihrem Beginn nicht fest.
[Rn. 54] Denn wegen der fortbestehenden Alarmbereitschaft der Streife muss während einer Schichtunterbrechung jederzeit damit gerechnet werden, dass die Arbeit vor dem geplanten Ende der Schichtunterbrechung wieder aufgenommen werden muss. Damit ist der Erholungszweck der Schichtunterbrechung nahezu vollständig entwertet, weil die Mitglieder der Streife nicht in der Lage sind, vollständig abzuschalten. […]
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[Rn. 60] Demgegenüber sieht es das Gericht nicht als erheblich an, dass die Beklagte die Klägerin durch Dienstanweisung von jeglicher Arbeitspflicht während der Schichtunterbrechungen ausdrücklich freigestellt hat.
Diese Weisungslage lässt sich in der Praxis nicht umsetzten. Es wäre auch falsch anzunehmen, dass sich die Klägerin, wenn sie diese Freiheit nicht nutzt, lediglich einem sozialen Druck der Kollegen und Kolleginnen aus der Streife beugen würde. Vielmehr ist es ihr eigenes Verständnis der Anforderungen an ihren Dienst bei der Bundespolizei, das ihr eine gänzliche Verweigerung jeglicher Arbeitstätigkeit während der Schichtunterbrechungen verbietet. Dieses Amtsverständnis ist vorbildlich und gereicht der Klägerin nicht zum Vorwurf. […]
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[Rn. 63 Die Streife musste] während der Schichtunterbrechung wie bei einem Bereitschaftsdienst im Sinne von § 7 Absatz 3 TVöD jederzeit damit rechnen [..], auf Anforderung die Arbeit wieder aufzunehmen. Allein dieser Umstand steht bereits der Annahme, man habe mit der Schichtunterbrechung eine gesetzliche Ruhepause im Sinne von § 4 ArbZG gewährt, entgegen.
[Rn. 64] Der Umstand, dass die geplanten Schichtunterbrechungen relativ selten überhaupt nicht gewährt oder vorzeitig abgebrochen werden mussten, ändert an der rechtlichen Bewertung vorliegend nichts. Denn entscheidend ist der Umstand, dass die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Streife während der Pause ihren Erholungswert nahezu vollständig entwertet.[…]
Pausen unter Bereithaltung haben wenig Erholungswert. |
[Rn. 68] Soweit der Klägerin in einem Falle eine Schichtunterbrechung nicht gewährt wurde, weil sie – ebenfalls außerhalb der Regel – an einem langwierigen Transport beteiligt war, liegt offensichtlich kein Notfall vor. Es liegt auch kein außergewöhnlicher Fall im Sinne von ⇒ § 14 ArbZG vor, da diese Arbeitsanforderung nicht – wie es im Gesetz heißt – unabhängig von dem Willen der Betroffenen aufgetreten ist.
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betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Teilzeitvertrag, Aufzeichnungspflichten (19.09.2020)
Diesmal grübeln wir über
⊗ Teilzeitantrag bindet Arbeitnehmer/in
⊗ Teilzeitantrag verlangt vom Chef ein Ja oder Nein
⊗ Arbeitszeit aufzeichnen
Antrag auf Teilzeit |
➽ Zugespitzt: |
Der Fall |
Mit Schreiben vom 14.06.2018 beantragte der Kläger unter Bezugnahme auf § 8 TzBfG die Verringerung seiner wöchentlichen Arbeitszeit beginnend ab dem 01.10.2018 von 37,5 auf 20 Stunden. Dabei regte er an, die 20 Stunden auf eine fünftägige Arbeitswoche zu verteilen. Zu diesem Zeitpunkt war das Arbeitsverhältnis aus verschiedenen Gründen nicht mehr völlig unbelastet.
Die Rechtsvertretung des Kollegen schreibt – »haben wir Sie deshalb nochmals aufzufordern, bis zum 31.08.2018 über den Antrag unseres Mandanten […] zu entscheiden (…).«
Am 24.08.2018 zog der Kollege seinen Antrag auf Teilzeit mit sofortiger Wirkung zurück: »Dieser ist aufgrund meines Wunsches auf Entlastung entstanden. Da ich jedoch jetzt gesundheitlich derartig angeschlagen bin, kann ich mir eine Teilzeitstelle nicht leisten.«
Am 30.08.2018 erklärt sich der Arbeitgeber ausdrücklich mit der Teilzeitbeschäftigung des Klägers einverstanden: »Ihrem Wunsch entsprechend vereinbaren wir mit Ihnen ab dem 01.10.2018 zudem folgende Vertragsänderung: wöchentliche Arbeitszeit 20 Stunden, durchschnittliche tägliche Arbeitszeit 4 Stunden, Arbeitstage montags bis freitags. […] Die von Ihnen gewünschte Teilzeittätigkeit von 20 Wochenstunden ist auf Ihrer derzeitigen Stelle Business Processes aus betrieblichen Gründen nicht möglich.«
Der Arbeitgeber hatte im Vorfeld organisatorische Vorkehrungen für einen anderweitigen Einsatz des Klägers getroffen und diesbezüglich ein Zustimmungsverfahren gemäß § 99 BetrVG beim Betriebsrat durchgeführt.
Gegen dieses von ihm unerwünschte Ergebnis wendet sich der Kollege. Er habe seinen Antrag widerrufen. Die Klage hat für den Kläger keinen Erfolg.
Der Entscheidung erster Teil |
Das Verlangen des Arbeitnehmers hat sich deshalb jedenfalls auf den Umfang der Reduzierung der Arbeitszeit zu beziehen, seine bedingende Verknüpfung mit einer bestimmten Lage der Arbeitszeit ist zulässig; in diesem Fall kann das Änderungsangebot nur einheitlich angenommen oder abgelehnt werden […].«
Dem Arbeitgeber stehen mindestens zwei Monate zu, um die betriebliche Umsetzbarkeit des Teilzeit-Verlangens praktisch zu prüfen und um es zu ermöglichen.
Nach § 8 Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 TzBfG ist dem [Arbeitgeber] eine zweimonatige Prüf- und Überlegungsfrist eingeräumt, bis er dem Arbeitnehmer seine Entscheidung mitzuteilen hat. Entsprechend lang ist die Bindungsdauer für den Arbeitnehmer. […] Die einseitige Rücknahme eines Teilzeitverlangens im Sinne von § 8 Abs. 1, 2 TzBfG durch den Arbeitnehmer ist während der Erörterungsphase des § 8 Abs. 3 TzBfG bis zum Ablauf der Mitteilungsfrist aus § 8 Abs. 5 TzBfG ausgeschlossen.
⇒ LAG Düsseldorf Urteil 28.04.2020 – 8 Sa 403/19
Merke: |
Der Entscheidung zweiter Teil |
Das Änderungsangebot des Arbeitnehmers (§ 145 BGB), das dem [Arbeitgeber] spätestens drei Monate vor Beginn der begehrten Arbeitszeitreduzierung zugehen muss (§ 8 Abs. 2 Satz 1
TzBfG), muss nach allgemeinem Vertragsrecht regelmäßig so konkret sein, dass der Adressat des Angebots dieses mit einem einfachen »Ja« annehmen kann.
Der Inhalt eines zwischen den Parteien zustande kommenden Änderungsvertrags muss feststehen (vgl. BAG, Urteile vom 20.01.2015 – 9 AZR 860/13 […]). Das Verlangen des Arbeitnehmers hat sich deshalb jedenfalls auf den Umfang der Reduzierung der Arbeitszeit zu beziehen, seine bedingende Verknüpfung mit einer bestimmten Lage der Arbeitszeit ist zulässig; in diesem Fall kann das Änderungsangebot nur einheitlich angenommen oder abgelehnt werden (BAG, Urteil vom 18.02.2003 – 9 AZR 164/02 […]).
Beide Parteien müssen deshalb in besonderer Weise verdeutlichen, wenn sie ihre Willenserklärungen auf Beantragung bzw. Zustimmung zu einer Arbeitszeitreduzierung von einer Einigung
über weitere Punkte abhängig machen wollen, die aus Sicht des Gesetzgebers mit der Frage von Umfang und Lage der Arbeitszeit nicht verknüpft werden sollen […].
Der [Arbeitgeber] muss seinerseits seine Ablehnung unter Berücksichtigung des Gebots der Rechtsklarheit und Transparenz hinreichend deutlich formulieren. Denn der Arbeitnehmer muss Gewissheit haben, ob der Arbeitsvertrag seinem Angebot entsprechend geändert worden ist […].
Der [Arbeitgeber] handelte treuwidrig, wenn er den Eindruck erweckt, mit der Arbeitszeitverkürzung (und der Lage der verkürzten Arbeitszeit) einverstanden zu sein, um sodann darauf zu verweisen, wegen schwer zu erkennender Änderungen habe er den Teilzeitantrag tatsächlich gemäß § 150 Abs. 2 BGB abgelehnt. Der [Arbeitgeber] darf dem Arbeitnehmer im Rahmen eines
Verfahrens nach § 8 TzBfG keine Vertragsänderungen unterschieben (vgl. allgemein BGH, Urteil vom 14.05.2014 – VII ZR 334/12 […] Rdz. 17 f.).
⇒ LAG Düsseldorf Urteil 28.04.2020 – 8 Sa 403/19
Weiter gedacht! |
Manche Personalabteilung übersendet ihre Zustimmung zum Teilzeitantrag zusammen mit einem geschmeidig aufgesetzten Änderungsvertrag. Dieser ergänzt als überraschende Klausel –
Die Beschäftigte verpflichtet sich zur Leistung im Rahmen begründeter betrieblicher/dienstlicher Notwendigkeiten zur Leistung von Bereitschaftsdienst, Rufbereitschaft, Überstunden und Mehrarbeit.
Oder etwa: Die verkürzte Arbeitszeit wird im Zuge der Dienstplanung verteilt.
Die Verkürzung entspricht dem ursprünglichen Antrag, die Zusatzklauseln jedoch widersprechen dem Antrag oder dem Willen der Antragsteller. Hier lehnt der Arbeitgeber tatsächlich den Antrag der Kollegin ohne Begründung ab. Er macht seine Ablehnung meist nicht im Begleitschreiben deutlich. Denn er schiebt zugleich ein ähnliches aber abweichendes Gegenangebot nach. Die Antragstellerin kann und darf dies als eine Annahme ihres Antrags verstehen und unterschreiben.
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Die gesamte Arbeitszeit aufzeichnen |
➽ Zugespitzt: |
Der EuGH entschied vor 16 Monaten: Artikel. 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zwingt Arbeitgeber, die Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer/innen objektiv zu dokumentieren.
⇒ EuGh Urteil 14. Mai 2019 – C-55/18
Am selben Abend noch verkündete der zuständige Arbeitsminister, Hubertus Heil, in den Tagesthemen:
»Dies ist eine wichtige Entscheidung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer … es gilt …. das werden wir umsetzen … wir haben auch durchaus in der Umsetzung Gestaltungsspielraum …«
Am 27. März 2020 ließ der Arbeitsminister das deutsche Arbeitszeitgesetz im HauRuck-Verfahren reformieren – für vier Monate wurden 12-Stunden-Schichten erlaubt.
Doch die Streichung der europarechtswidrigen Beschränkung der Arbeitszeit-Aufzeichnungen in § 16 Abs. 2 ArbZG fällt Minister Heil offenbar viel schwerer. Er wartet wohl noch auf grünes Licht von Seiten der deutschen Verbände der Arbeitgeber. Das zieht sich. Und die Arbeitgeber wünschen sich im Gegenzug deutliche Lockerungen; sie wollen weniger Schutz vor Überlastung durch ihre Massierungen der Arbeitszeit.
Eine Gerichtsentscheidung funkt nun dazwischen.
Der Fall |
Ein Bauhelfer hatte Streit mit dem Chef. Er verlangt die Vergütung aller Arbeitsstunden und legt seinen Stundenzettel vor, handschriftliche Eigenaufzeichnungen.
Vor dem Arbeitsgericht bringt der Arbeitgeber ein Bautagebuch bei. Es dient zur Dokumentation des Bauablaufs und zur Berechnung der Entgelte für die Grundleistungen der
Architekten und Architektinnen und der Ingenieure und Ingenieurinnen. Es enthält darum z. B. nicht die notwendige Anfahrts- und Rüstzeiten, die auch arbeitsvertragliche Arbeitszeiten sind.
Dem Kollegen werden für strittige 12,5 Stunden 156,65 Euro brutto nebst Verzugszinsen (§ 288 BGB) zugesprochen.
Leitsätze der Entscheidung |
1) Die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Einrichtung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems zur Arbeitszeiterfassung (vgl. EuGH, Urteil vom 14.05.2019, Rs. C-55/18 [CCOO]) ergibt sich aus einer unmittelbaren Anwendung von Art. 31 Abs. 2 der EU-Grundrechte-Charta.
2) Die in Leitsatz 1) genannte Verpflichtung trifft den Arbeitgeber, ohne dass es hierzu einer Umsetzung durch den deutschen Gesetzgeber oder einer richtlinienkonformen Auslegung des § 16 Abs. 2 ArbZG bedürfte.
3) Bei der Verpflichtung des Arbeitgebers, ein objektives, verlässliches und zugängliches System zur Arbeitszeiterfassung einzuführen, handelt es sich auch um eine vertragliche Nebenpflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB. Verletzt der Arbeitgeber diese vertragliche Nebenpflicht, gilt der unter Vorlage von Eigenaufzeichnungen geleistete Vortrag des Arbeitnehmers, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat, regelmäßig gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden.
⇒ ArbG Emden Urteil 20.02.2020 – 2 Ca 94/19
Bemerkenswert |
Das Arbeitsgericht stellt sich auf denselben Standpunkt, den Arbeitsminister Heil unter anderem in seiner ersten Stellungnahme einnahm: Die Europäische Grundrechtscharta gilt, in Europa und auch in Deutschland. Sie greift unmittelbar. Sie bildet damit eine Anspruchsgrundlage.
Artikel. 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union |
Im Streit ist die Darlegungs- und Beweislast abgestuft. Zunächst muss die Arbeitnehmerin ihre geleisteten Stunden belegen – zum Beispiel durch gründliche Aufzeichnungen der Zeitspannen an den einzelnen Tagen. Danach kann der Arbeitgeber dem entgegentreten – mit einer Vorlage aus seinem objektiv geführten, verlässlichen und zugänglichen Erfassungssystem.
Das Arbeitsgericht hat hier diese unbestimmten Rechtsbegriffe dankenswerter Weise ein wenig ausgeführt:
»(1) Das Attribut 'objektiv' dürfte dahingehend zu verstehen sein, dass die Erfassung und Aufzeichnung in einer Art und Weise erfolgen muss, die es dem Arbeitnehmer möglich macht, die geleistete Arbeitszeit mithilfe der Aufzeichnungen objektiv nachzuweisen (vgl. Klein/Leist, ZESAR 2019, 365, 368).
Das Merkmal 'verlässlich' ist wohl dahingehend zu verstehen, dass die Dokumentation der Arbeitszeit zuverlässig geschieht und etwaige Manipulationen ausgeschlossen sind (vgl. Klein/Leist, ZESAR 2019, 365, 368).
Schließlich müssten die Aufzeichnungen dem Arbeitnehmer auch 'zugänglich' sein; er muss die Möglichkeit haben, die Dokumente einzusehen und im Bedarfsfalle im Prozess als Beweismittel nutzen können (vgl. Klein/Leist, ZESAR 2019, 365, 369).«
Legt der Arbeitgeber nicht derartige Gegenbeweise vor, hat er Pech. Denn dann gelten die Aufzeichnungen der Kollegin als von ihm zugestanden / nicht wirksam widersprochen / unstrittig.
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Bereitschaftsdienst, AU-Meldung (30.08.2020)
Diesmal grübeln wir über
⊗ Bereitschaftsdienst
⊗ Folge-Anzeige bei AU
Bereitschaftsdienst |
➽ Zugespitzt: Arbeitgeber wollen die von ihnen gekaufte Arbeitszeit verlängern. Um das schutzrechtliche Normalmaß zu überwinden, sind vertragliche und gesetzliche Hürden zu umgehen. Eine davon ist die Mitbestimmung der gesetzlichen Interessenvertretung (Betriebsrat, Personalrat, Mitarbeitervertretung). |
Die Schichtplan-Fibel entwickelt und pflegt rund um die Arbeitszeit eine frei zugängliche Sammlung an Dokumenten, Kommentaren und Vorschlägen: ⊕ ⇒ Grundstock.
Hier haben wir – im Ordner Betriebliche Vereinbarungen Betriebsrat – das Unterverzeichnis ⇒ Bereitschaftsdienst erweitert. Es enthält nun fünf einander ergänzende (Muster-)Vereinbarungen:
❍ Baustein 1.docx
Anlage 1.docx (Normalschichten)
Anlage 2.docx (Langschichten)
❍ Baustein 2 Schutz vor Überlastung.docx
❍ Baustein 3 Ausgleich von Belastungen.docx
❍ Baustein 4 Zuweisung der Stufe.docx
❍ Baustein 5 Ort des Aufenthalts.docx
In der Grundvereinbarung (Baustein 1) werden unter Regelungsnummer 3 die gesonderten Bausteine 2 bis 5 zu zwingenden Voraussetzungen dieses ›Gesamtkunstwerks‹. Ohne recht konkreten Gesundheitsschutz, ohne zugewiesene Höchststufe, ohne großzügige Regelung des Aufenthaltsortes, ohne die bereits lange vereinbarten Mindestvoraussetzungen – keine Bereitschaftsdienste.
Ausgangslage |
Dabei stoßen wir allerdings auf ein Problem. Nicht nur die Arbeitgeberin mag sich ein Arbeitszeitmodell ohne Bereitschaftsdienst kaum vorstellen. Auch die betroffenen Beschäftigten sperren sich gegen drastische Veränderungen.
Im zugrundeliegenden Projekt teilt die Arbeitgeberin in einem Zentral-OP vier bis fünf Pflegefachkräfte zu nächtlichen Bereitschaftsdiensten ein, bis zu 24 Stunden, pausenlos, im Ausgleich mit regelmäßig geschuldeter Arbeitszeit (anstatt). Insbesondere in den ersten Stunden der Bereitschaftsdienste wird oft ›hineingearbeitet‹. Die Unzufriedenheit mit diesen Zumutungen wächst zwar, doch fürchten viele Verluste bei ihrer monatlichen Vergütung.
Die Arbeitgeberin kann keine aktuellen umfassenden Erfassungen / Beurteilungen der Belastungen an den Arbeitsplätzen vorweisen. Sie lässt in mehrfacher Hinsicht gesetzwidrig arbeiten, ebenso am TVöD-K und am TV Ärzte VKA vorbei.
Marschrichtung |
Quer durch die neuen Vereinbarungs-Bausteine zieht sich nun das Motiv: Rückbau der Arbeitsverlängerung!
❍ Individuelle Wahl der Kolleg/innen/en zwischen Regel-Nachtschichten und (zusätzlichem) Bereitschaftsdienst
❍ Erfüllen der tariflichen Anspruchsvoraussetzung: Wechselschichtarbeit (Zulage, Zusatzurlaubstage)
❍ Arbeitszeitverkürzung durch Tausch von Bereitschaftsdienst mit kürzeren Normalschichten, kombiniert mit besser vergüteten Sonderformen der Arbeit.
Einzelvereinbarungen |
Die Erfassung und Bewertung der Belastungen im Arbeitsbereich wird zeigen: Es sind Maßnahmen zum Gesundheitsschutz notwendig. Vielleicht legen die Betriebsparteien dann auch fest, dass erst später am Abend von der Spätschicht in einen Bereitschaftsdienst gewechselt werden kann.
Diese (Muster-)Vereinbarungen warten diesen schon lange überfälligen und komplexen Schritt nicht ab. Sie greifen mit empfindlichen ›provisorischen‹ Maßnahmen vor und erhöhen so den Handlungsdruck auf die Arbeitgeberin. Die neuen ›Errungenschaften‹ werden überwiegend in Richtung derer gelenkt, die beim Umbau mitgehen, die nun weniger und in Normalschichten arbeiten.
Prozess |
Die Vereinbarungen sollen den Rückbau nicht bremsen oder gar abschließen. Sie sind darauf angelegt, einfach, gemeinsam oder nach einem begrenzten neuen Streit, fortentwickelt zu werden. Für jeden folgenden Schritt der angestoßenen Verbesserungen kann jeweils einer der fünf Bausteine gekündigt und erneuert werden. Da kann auch mit geringem Aufwand einvernehmlich angepasst werden.
Schlüssel-Element: Die Pausen |
Wir scheuen hier nicht, einen Widerspruch anzugehen: Die gesetzlich zwingend vorgeschriebene Unterbrechung der Arbeitszeit. Auch Bereitschaftsdienst ist Arbeitszeit. Das bringt die Verhältnisse zum Tanzen …
»Die inaktiven Zeiten des Bereitschaftsdienstes stellen keine Pausen iSv. § 4 ArbZG dar. Beim Bereitschaftsdienst kann der Arbeitgeber den Aufenthaltsort des Arbeitnehmers bestimmen und ihn jederzeit einsetzen. Der Arbeitnehmer kann nicht frei darüber verfügen, wo und wie er seine Ruhepausen verbringt. Das steht einer Pause, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Arbeitnehmer frei über die Nutzung des Zeitraums bestimmen kann (st. Rspr., BAG 13. Oktober 2009 – 9 AZR 139/08 – Rn. 30 mwN), entgegen.«
⇒ BAG Urteil 16.12.2009 – 5 AZR 157/09 Randnummer 12
»Arbeitszeitrechtlich schließen sich daher Arbeitszeit und Ruhepause aus. Ist ein bestimmter Zeitabschnitt der Arbeitszeit iSd. § 2 Abs. 1 Satz 1 ArbZG zuzuordnen, so kann es sich nicht um eine Ruhepause im Sinne dieses Gesetzes handeln. Gleiches gilt umgekehrt; eine Ruhepause iSd. § 4 ArbZG kann nicht gleichzeitig Arbeitszeit im arbeitszeitrechtlichen Sinn sein.«
⇒ BAG Urteil 13.10.2009 – 9 AZR 139/08 Randnummer 96
➽ Zugespitzt: Das Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG) unterscheidet in § 5 die unverzügliche Pflicht zur Anzeige einer Arbeitsunfähigkeit (AU) von der späteren Pflicht zum ärztlichen Nachweis der AU. Wann und wem soll gemeldet werden, dass die AU länger als erwartet anhält? |
Der Fall |
In der Betriebsordnung einer Arbeitgeberin heißt es:
»10.2 Erkrankung/Arbeitsausfall/Arbeitsverhinderung
Können Sie wegen Erkrankung oder aus einem anderen unvorhergesehenen Grund die Arbeit nicht aufnehmen, verständigen Sie bitte unverzüglich – am ersten Arbeitstag zum Beispiel telefonisch mit Angabe der Gründe und der voraussichtlichen Dauer – Ihren Vorgesetzten. Die Meldung an die Krankenkasse gilt nicht als Entschuldigung. …«
Doch so ein Anruf beim Vorgesetzten kann offenbar unangenehm sein. Soll man sich am Telefon rechtfertigen? Reicht eine Email?
Die Arbeitgeberin mahnte einen Kollegen im selben Jahr zweimal ab wegen unterlassener Anzeige. Eine Fortsetzungsanzeige fehlte und führte zur verhaltensbedingten Kündigung.
Das Gericht gab ihr grundsätzlich Rückendeckung. Doch eine Kündigung wäre nur bei einer wiederholten erheblichen Störung gerechtfertigt, verursacht durch die verspätete Anzeige des Andauerns der Arbeitsunfähigkeit. Das BAG verwies den Fall zurück zur endgültigen Begutachtung an das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg.
Aus der Begründung |
[Rn. 34 Erfahrungssatz] Allein die fortgesetzte Dauer einer Arbeitsunfähigkeit spricht auch nicht allgemein dafür, dass eine Genesung unwahrscheinlicher wird. Erkrankungen können auch deshalb länger andauern und eine „Vielzahl“ von Folgekrankschreibungen erfordern, weil sie einen längeren, aber mit zunehmender Zeitdauer fortschreitenden Heilungsprozess erfordern.
[Rn. 30] Der Arbeitgeber kann grundsätzlich darauf vertrauen, der Arbeitnehmer werde, ohne eine anderslautende Anzeige, seine Arbeit nach Ablauf der mitgeteilten Dauer der Arbeitsunfähigkeit wieder aufnehmen. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG besteht für den Arbeitnehmer keine Pflicht zu bestätigen, dass es bei der zuletzt attestierten Dauer der Arbeitsunfähigkeit verbleibt. Er muss vielmehr ggf. ihre Fortdauer anzeigen.
Es besteht auch nicht generell eine größere Wahrscheinlichkeit, dass eine einmal eingetretene Arbeitsunfähigkeit über den zunächst mitgeteilten Zeitraum hinaus fortdauert und nicht wie mitgeteilt endet. Das Dispositionsinteresse des Arbeitgebers kann demnach durch eine nicht unverzügliche Anzeige grundsätzlich unabhängig davon unterschiedlich schwer beeinträchtigt sein, ob es sich um eine Ersterkrankung oder ihre Fortdauer handelt. Dies hängt ab von den – festzustellenden – konkreten Umständen im Einzelfall, etwa davon, ob der Arbeitnehmer für termingebundene Arbeiten eingeplant und ob er durch andere Kollegen ersetzbar war.
⇒ BAG Urteil 07.05.2020 – 2 AZR 619/19
Tipp |
Das Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG) regelt in § 5 Abs. 1 eine unverzügliche Anzeigepflicht bereits ab dem ersten Krankheitstag, nicht erst ab dem Morgen des ersten Arbeitstages. Dies hat ja Konsequenzen für die Dauer von Fristen bei Lohnersatzleistungen.
Die Anwesenheit eines Vorgesetzten zum Meldezeitpunkt wird nicht verlangt. Die Suche nach ihm ist einem Arbeitsunfähigen nicht zuzumuten. Eine Email (Textform) reicht.
Diese Anzeigepflicht gilt ebenso unverzüglich, sobald die AU länger als vermutet dauert.
§ 5 Abs. 1 EntgFG regelt in Satz 4 auch die erneute Nachweispflicht. Die kommt aber recht ungefähr daher:
»Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als in der Bescheinigung angegeben, ist der Arbeitnehmer verpflichtet, eine neue ärztliche Bescheinigung vorzulegen.«
Die (zwingende) Mitbestimmung der gesetzlichen Interessenvertretung ist ausgeschlossen, soweit – wie in diesem Fall – Gesetze etwas abschließend regeln.
Manch ein Betriebsrat gefällt sich dennoch, wenn er solche Betriebsordnung aushandelt und freiwillig unterschreibt. Muss er nicht!
Manche kühnen Vorgesetzte versuchen es ganz einseitig mit einer ›Verfahrensanweisung‹. Unzulässig!
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Streikbruch und Einigungsstelle (13.08.2020)
Diesmal grübeln wir über
⊗ Übergriffe auf die Freizeit – als Streikbruch?
⊗ Der Weg in die Eingungsstelle
Übergriffe auf die Freizeit – als Streikbruch? |
➽ Zugespitzt: Im Streik geht es darum, dem Gegner (Arbeitgeber) unseren Willen aufzuzwingen. Durch ausfallende Arbeitszeit soll ein wirtschaftlicher Schaden den notwendigen Druck erzeugen. Doch unser Druck verpufft, falls der Arbeitgeber die ausgefallene Arbeitszeit kurzfristig zur Nacharbeit anordnen kann. |
Der Fall |
Ein Kollege arbeitet nach TVöD-V (West) mit 39 Stunden im Wochendurchschnitt, nicht in Schichtarbeit. Der TVöD definiert für solche Fälle -
§ 7 Sonderformen der Arbeit |
In der Arbeitswoche vom 8. bis zum 14. Februar 2010 wurden ihm dienstplanmäßig 38,5 Arbeitsstunden festgesetzt.
Am Montag, dem 8. Februar 2010, nahm er an einem von ver.di organisierten Warnstreik teil. An diesem Tag betrug seine Arbeitszeit nach dem Dienstplan 8,5 Stunden.
An den weiteren vier Arbeitstagen von Dienstag bis Freitag arbeitete er insgesamt 34 Stunden, also mehr als ursprünglich geplant. In der nachfolgenden Woche erfolgte kein Zeitausgleich.
Die Arbeitgeberin vergütete alle in der Woche vom 8. bis zum 14. Februar 2010 tatsächlich geleisteten 34 Arbeitsstunden, minderte also nur um 4,5 Stunden.
Der Kollege verlangte die Zahlung von Überstundenzuschlägen für vier Stunden. Überstunden im Sinne des § 7 Abs. 7 TVöD lägen auch dann, wenn an verbleibenden Wochentagen zusätzlich zur dienstplanmäßig festgesetzten Arbeitszeit weitere Arbeitsstunden anfielen. Daher sei die individuelle Wochenarbeitszeit entweder um die Zeit der Streikteilnahme zu reduzieren oder aber die dienstplanmäßige Arbeitszeit am Streiktag fiktiv hinzuzurechnen.
Die Entscheidung |
[Der Kollege als Klägerin] hat während seiner Teilnahme am Warnstreik keine Arbeitsstunden »geleistet«.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die dienstplanmäßige Arbeitszeit in der Woche vom 8. bis zum 14. Februar 2010 nicht um die durch den Streik ausgefallene Arbeitszeit von 8,5 Stunden zu reduzieren. »Es ist vielmehr im Hinblick auf die Abweichung von der Vorgängerregelung in § 17 Abs. 3 BAT davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien bei Abschluss des TVöD bewusst davon abgesehen haben, bei der Regelung der Überstunden Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung einzubeziehen.» (Rn. 15)
⇒ BAG Urteil 14.05.2013 – 1 AZR 178/12
Im Ergebnis:
Der Kollege hat 8,5 Stunden gestreikt, zum Ausgleich wohl Streikgeld der Gewerkschaft ver.di bezogen und danach 4 der ausgefallenen Stunden nachgearbeitet.
Der Arbeitgeber hat das Monatsentgelt nur um 4,5 Stunden anteilig gemindert, er bekam liegengebliebene Arbeit erledigt und er zahlte nicht einmal Überstundenzuschläge.
Schlecht gelaufen!
Das geht besser! |
Es fehlte bereits im Vortrag dieser Klage, warum der Kollege von Dienstag bis Freitag über den Plan hinaus gearbeitet hat. Geschah dies auf Anordnung des Chefs, wurde es von diesem geduldet oder war es jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig? Hat der Arbeitgeber Nacharbeit verlangt und damit gegen das Arbeitskampfrecht verstoßen? Hat der Personalrat hier die Änderung von Beginn bzw. Ende der Schichten mitbestimmt?
Merke: Unsere Rechtsvertretungen tragen nur so gut vor, wie wir sie zuvor umfassend mit Details zu den Widersprüchen ausgerüstet haben.
Die Klage beschränkte sich ausdrücklich auf den Anspruch auf Zuschläge für die angeblichen Überstunden.
Die Arbeitsstunden waren weder zusätzlich noch Überstunden. Doch es wurde versäumt, einmal § 8 Abs. 2 TVöD zu prüfen -
§ 8 Ausgleich für Sonderformen der Arbeit |
Auch da bleiben für uns sehr unangenehme Fragen: Zwar hat der Kollege von Dienstag bis Freitag zusätzlich gearbeitet. Doch wie saldiert sich die tatsächliche Leistung gegen die Zeitschuld? Betrachtet wird der durch die Betriebsparteien festgelegten Ausgleichszeitraum (§ 6 Abs. 2 TVöD).
Haben ihn die Betriebsparteien tarifgemäß festgelegt – in seiner Lage und Länge?
Das BAG hat zudem festgestellt, dass ein Streik die Zeitschuld (im Ausgleichszeitraum) nicht reduziert.
Merke: Ein Streik funktioniert nur, falls wir gemeinsam und über den gesamten festgelegten Ausgleichszeitraum hinweg die Überarbeit unterbinden. Andernfalls würde unser Streik unsere Arbeitsleistung nur verschieben. Da muss Mitbestimmung aktiviert werden!
Im vorliegenden Fall lag keine Schichtarbeit vor. Darum blieb der Blick beschränkt auf § 7 Abs. 7 TVöD (siehe oben).
Kommen wir zu einem anderen Ergebnis, wenn Schichtarbeiter/innen nach einem Streik länger arbeiten?
§ 7 Sonderformen der Arbeit |
Arbeitet eine Schichtarbeiterin in den Tagen nach einem Streik ungeplant länger? Dann handelt es sich um geleistete Überstunden. Diese sind im TVöD (egal welcher Dienstleistungsbereich) vergütungspflichtig – 100 v.H. für die Leistung als solche, 30 (oder 15) v.H. als Zeitzuschlag.
Im Ergebnis: Durch den Streik bleibt Arbeit liegen. Das Gewerkschaftsmitglied erhält Streikgeld. Es holt wenig später die Arbeit nach.
Der Arbeitgeber kürzt zunächst das Entgelt anteilig um die Streikstunden. Dann erhält er die Arbeitsleistung und zahlt die Überstunden.
Die Streikwirkung wurde so auf 15 bis 30 % Überstundenzuschlag reduziert.
Merke: Ein Streik funktioniert nur, falls wir gemeinsam die Beseitigung der Streikfolgen durch ungeplante Überarbeit unterbinden. Da muss Mitbestimmung aktiviert werden!
Arbeitet eine Schichtarbeiterin nach einem Streik im Schichtplanturnus geplant länger? Dann wird am Turnusende abgeglichen. War da zunächst mehr geplant? Gleicht sich nun am Turnusende die (um die Streikstunden geminderte) tatsächlich geleistete Arbeitszeit einerseits und anderseits die weiterhin nicht reduzierte Zeitschuld aus? Dann hat der Arbeitgeber schlau geplant.
Im Ergebnis: Er bekommt die von ihm gekaufte fällige Zeitschuld. Er kürzt vielleicht für den Streiktag das Monatsentgelt anteilig (geplant, aber nicht gearbeitet). Und die Kollegin darf versuchen, aus § 8 Abs. 2 TVöD ihren Anspruch individuell durchzusetzen. Wirtschaftlicher Druck auf den Arbeitgeber?
Merke: Ein Streik funktioniert nur, falls wir gemeinsam bereits die Planung von Überstunden und Mehrarbeit im Turnus unterbinden. Da muss Mitbestimmung aktiviert werden!
Der Weg in die Einigungsstelle |
➽ Zugespitzt: Arbeitgeber und Betriebsrat sollen über strittige Fragen mit dem ernsten Willen zur Einigung verhandeln (§ 74 Abs. 1 BetrVG). Kommt eine Einigung nicht zustande, so entscheidet bei mitbestimmungspflichtigen Gegenständen die Einigungsstelle. |
Der Fall |
In einem Industriebetrieb (Leichtmetallräder) streiten Betriebsrat (13 Mitglieder) und Arbeitgeber um den Gesundheitsschutz, konkret um ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) sowie um Gefährdungsbeurteilungen der Arbeitsplätze.
Der Arbeitgeber bleibt freundlich unverbindlich.
In seiner Sitzung vom 22.07.2019 beschließt der Betriebsrat, dem Arbeitgeber Entwürfe oder wichtige Regelungsinhalte von Betriebsvereinbarungen zu den Themen »psychische und physische Gefährdungsbeurteilung gemäß § 5 ArbSchG«, »betriebliches Eingliederungsmanagement« sowie zu weiteren arbeitsschutzrechtlichen Themen mit der Maßgabe zu übermitteln, diese binnen vier Wochen entweder gegenzuzeichnen, die Vereinbarung im Rahmen einer Betriebsvereinbarung zuzusichern oder binnen dieser vier Wochen Verhandlungstermine durchzuführen, in denen dem Betriebsrat ein eigener Entwurf der Arbeitgeberin vorgelegt wird.
Nach Fristablauf bittet der Betriebsrat das Arbeitsgericht um die Bestellung der Einigungsstelle.
Der Arbeitgeber trägt vor: Ernsthafte Verhandlungen seien bislang weiterhin nicht geführt worden, deshalb könne auch nicht von deren Scheitern ausgegangen werden.
Das Arbeitsgericht folgt dieser Behauptung. Dagegen wendet sich der Betriebsrat nun an das LAG. Erfolgreich.
Die Entscheidung (Leitsätze) |
2. Ergibt sich aus konkretem Sachvortrag des Betriebsrats zur Besetzung des Gremiums, der ordnungsgemäßen Ladung aller ordentlichen und bzgl. entschuldigt fehlender Mitglieder der entsprechenden Ersatzmitglieder, zur Festlegung bzw. Genehmigung der Tagesordnung und zur nachfolgenden mehrheitlichen Beschlussfassung des beschlussfähigen Gremiums und den zum Beleg beigefügten Anlagen (Sitzungsprotokoll und Teilnehmerliste der entsprechenden Betriebsratssitzung), dass der Feststellung des Scheiterns von Verhandlungen und der Einleitung eines Beschlussverfahrens nach § 100 ArbGG ein wirksamer Betriebsratsbeschluss zugrunde liegt, ist es Sache des Arbeitgebers, sein bisher pauschales Bestreiten dahingehend zu konkretisieren, welche Angaben der Gegenseite nunmehr noch aus welchen Gründen weiterhin bestritten bleiben sollen. Anderenfalls ist der Sachaufklärungspflicht des Arbeitsgerichts Genüge getan, wenn es auf der Grundlage der konkreten und größtenteils mit entsprechenden Unterlagen belegten Angaben des Betriebsrats von einer wirksamen Beschlussfassung ausgeht.
3. [Es] liegt das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für ein Einigungsstelleneinsetzungsverfahren nach § 100 ArbGG vor, wenn nunmehr beiderseits Regelungsentwürfe ausgetauscht wurden und hierüber jedenfalls ein knapp einstündiges gemeinsames Gespräch stattgefunden hat und der Betriebsrat danach das Scheitern der Verhandlungen feststellt, weil er unabänderlich an seinem Entwurf festhalten möchte und hierzu eine Einigung auf absehbare Zeit nicht für möglich hält.
Die Verhandlungsobliegenheit nach § 74 Abs. 1 Satz 2 BetrVG geht nicht so weit, dass eine Betriebspartei von ihrer bisherigen Position abrücken müsste, um damit Verhandlungen aufrecht zu erhalten und ihr anderenfalls das Rechtsschutzbedürfnis für ein Verfahren nach § 100 ArbGG abgesprochen werden könnte.
⇒ LAG Düsseldorf Beschluss 07.04.2020 – 3 TaBV 1/20
Tipp |
Das folgende Vorgehen hat sich bewährt. Der Betriebsrat schreibt an die Geschäftsführung –
Sehr geehrte Damen und Herren |
Im Ergebnis geht eine Teilniederschrift gemäß § 34 Abs. 2 BetrVG an den Arbeitgeber. Sie beschränkt sich auf die tatsächlichen Ergebnisse und fällt vielleicht sehr kurz: »Nach ausführlichen Versuchen, im Verhandlungsweg zu einem zeitnahen Ergebnis zu kommen, stellte der Betriebsrat abschließend das Scheitern dieser Bemühungen fest.« Diese Dokumentation beschleunigt den weiteren Fortgang.
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Rufbereitschaft wird Vollarbeitszeit (07.08.2020)
Diesmal grübeln wir über
⊗ Rufbereitschaft ohne Beachtung der Grenzen
⊗ Umdeutung und Vollvergütung
⊗ Spezifisch geltend machen
Rufbereitschaft war Arbeitszeit |
➽ Zugespitzt: Eine Klinik ordnet angebliche »Rufbereitschaften« an und nimmt sie bewusst über die tariflich zulässigen Grenzen hinaus in Anspruch. Die Geltendmachung der Vergütung für die gesamte Dienstzeit als Vollarbeit (samt Überstundenzuschlag) hat gute Aussichten. |
Die Entscheidung |
Ein Oberarzt bekommt für rund drei Jahre gesamt 74.057,12 € nachgezahlt für seine als tarifwidrige Rufbereitschaft geleisteten tatsächlichen Überstunden.
⇒ LAG Köln Urteil 04.03.2020 – 3 Sa 218/19
Der Fall |
Ein Oberarzt (Medizinische Klinik I, Nephrologie) verklagt die Universitätsklinik Köln auf tarifkonforme Vergütung seiner ›Dienste‹. Ihm sind irgendwie Rufbereitschaften anordnet worden. Er fällt unter den TV-Ärzte/TdL. Der Tarifvertrag regelt –
§ 7 Sonderformen der Arbeit |
Entsprechende Regelungen finden sich unter anderem:
TVöD § 7 Abs 3 und 4;
TV Ärzte VKA § 10 Abs 1 und 8;
BAT-KF § 7 Abs 3 und 4; TV-Ärzte KF § 6 Abs 4 und 6;
AVR.DD Anl 8 Abs 1 und 8; AVR.DD Ärzte § 6 Abs 1 und 8;
AVR Caritas Anl. 30 § 6 Abs 1 und 8 bzw. Anl 31 § 5 Abs 1 und 7 …
Im Zuge von Transplantationen hatte der Kollege unmittelbar nach Anruf (binnen höchstens 30 Minuten) Telefonate zu führen und dabei einen mitgeführten Ordner (mögliche Empfänger/innen) zu Rate zu ziehen. Dies schränke die Freizeitgestaltung während der Bereitschaft deutlich ein. Er könne solche nur an nahe zur Klinik gelegenen Orten ausüben.
Die Klinik hat belegt: Die Inanspruchnahme aller Ärzte in Rufbereitschaft falle zu 4,18% der Stunden aller Rufbereitschaftsstunden an.
In 26,3% erfolge innerhalb der Rufbereitschaftsdienste eine Inanspruchnahme im Klinikum und in 47,4% erfolge eine Inanspruchnahme im Klinikum oder lediglich telefonisch am jeweiligen
Aufenthaltsort des diensthabenden Arztes.
Der Personalrat hat ausgewertet: Inanspruchnahmen in Rufbereitschaftsdiensten im Zeitraum von Mai bis Juli 2019 – in der nephrologischen Rufbereitschaft betrug der prozentuale Anteil
der Heranziehungsstunden 5,59%, die Inanspruchnahme im Klinikum 39,51% sowie im Klinikum und telefonisch insgesamt 58,02%.
Der Oberarzt fordert Ende Februar 2018 schriftlich die Anerkennung als Arbeitszeit und macht deren ›tarifrechtlich festgelegte korrekte Entgeltung‹ geltend.
Ein halbes Jahr später klagt er auf die Differenz zwischen gezahlter Rufbereitschaftsdienstvergütung und Bereitschaftsdienstentgelt.
Die Begründung der Gerichtsentscheidung erweist sich als eine Schatztruhe. Wir untersuchen unsere Funde Stück für Stück.
»keine räumlichen Beschränkungen« |
»Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers kommen die faktischen Einschränkungen, die mit der beklagtenseits angeordneten Rufbereitschaft im streitbefangenen Zeitraum verbunden waren, nicht einer ausdrücklichen räumlichen Aufenthaltsvorgabe gleich. Der Kläger muss sich unstreitig nicht an einem bestimmten Ort aufhalten und bleibt grundsätzlich ortsungebunden. Er kann sich – nicht nur im engen räumlichen Umkreis zur Klinik – frei bewegen, solange lediglich eine telefonische Erreichbarkeit sichergestellt ist. Soweit der Kläger die engen zeitlichen Vorgaben anführt, die im Fall eines möglichen Organangebots bestehen, lässt er unberücksichtigt, dass diese Vorgaben allein zeitlicher Natur sind und damit keine räumlichen Beschränkungen verbunden sind. Unstreitig erfolgen die kurzfristig einzuleitenden organisatorischen Maßnahmen in einem solchen Fall telefonisch oder via Internet, ohne dass eine sofortige Anwesenheit des Klägers in der Klinik erforderlich wäre. Die weiteren vom Kläger gerügten allgemeinen – auch räumlichen – Einschränkungen – (z.B. keine Kino- oder Theaterbesuch) spiegeln lediglich die normalen mit jeglicher Form von Bereitschaft verbundenen Einschränkungen wider.«
Kommentar: Typisch ist, dass Oberärzt/inn/en telefonisch den Facharzt-Standard rund um die Uhr gewährleisten (beratender Hintergrunddienst). Gelegentlich beobachten wir so etwas auch im technischen Dienst (Support über Telefon).
Gibt der Arbeitgeber eine zu kurz bemessene Reaktionszeit vor (etwa 30 Minuten vom Anruf bis zum Einsatz im Betrieb), so handelt es sich um die Bestimmung einer Stelle (Umkreis von 30 Minuten) und damit um tatsächlichen Bereitschaftsdienst.
Die Angemessenheit einer Reaktionszeit ist umstritten:
EuGH Urteil 21.02.2018 – C -518/15 ⊗ 8 Minuten seien zu eng;
BAG Urteil 16.10.2013 – 10 AZR 9/13 ⊗ 45 Minuten sei großzügig;
BAG 31.01.2002 – 6 AZR 214/00 ⊗ 20 Minuten seien zu eng;
LAG Hessen Urteil 06.10.2006 – 3 Sa 1439/05 ⊗ 10 oder 20 Minuten seien zu eng;
LAG-Köln – Urteil 13.08.2008- 3 Sa 1453/07 ⊗ 15 Minuten seien zu eng;
LAG Rheinland-Pfalz Urteil 20.09.2012 – 11 Sa 81/12 ⊗ 15 oder 20 Minuten seien zu eng.
Manchmal vergessen betriebliche Interessenvertretungen, im Zuge der Rufbereitschafts-Planung mitzubestimmen und die Freizeit zu schützen.
Arbeitgeber ziehen die Anordnung von Rufbereitschaft dem Bereitschaftsdienst vor. Der Rufdienst kommt billiger. Und Arbeitgeber dürfen für den Folgetag eine Schicht anordnen, falls sie nur die die auf 5,5-Stunden verstümmelte abschließende Ruhezeit (§ 5 Abs 3 ArbZG) einhalten wollen.
offensichtlich tarifwidrig |
»Zunächst bedarf es insoweit der Klarstellung, dass eine rechtswirksame Anordnung von Rufbereitschaftsdiensten im streitbefangenen Zeitraum nicht vorliegt, da die tariflichen Anforderungen an eine Rufbereitschaft nicht erfüllt sind.
Nach der ausdrücklichen Vorgabe in § 7 Abs. 6 TV-Ärzte TdL darf der Arbeitgeber eine Rufbereitschaft nur anordnen, wenn erfahrungsgemäß lediglich in Ausnahmefällen Arbeit anfällt. Nach dem eigenen Vortrag der Beklagten betrug der Umfang der Heranziehung von Ärzten im Bereich der Nephrologie in der Rufbereitschaft zur Arbeit im Juni 2018 47,4% und im Zeitraum von Mai 2019 bis Juli 2019 sogar 58,02%. Anhaltspunkte für eine mangelnde Repräsentativität dieser Werte sind nicht ersichtlich und werden auch von der Beklagten nicht eingewandt. Dass bei einer Heranziehung zur Arbeit in rund 50% der Bereitschaften nicht von ›Ausnahmefällen‹ im Tarifsinn gesprochen werden kann, ist offensichtlich. Das ergibt sich letztlich zwingend aus einem Vergleich mit den vom Tarifvertrag an die Anordnung eines Bereitschaftsdienstes geforderten Voraussetzungen. § 7 Abs. 4 TV-Ärzte TdL schreibt insoweit vor, dass selbst Bereitschaftsdienst nur angeordnet werden darf, wenn erfahrungsgemäß die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegt. Betrachtet man die von der Beklagten genannten Heranziehungswerte, erscheint danach selbst die Rechtmäßigkeit einer Anordnung von Bereitschaftsdiensten fraglich. Die Tarifwidrigkeit der angeordneten Rufbereitschaften steht außer Frage und lag damit auch für die Beklagte auf der Hand.«
Kommentar: Die Rufbereitschaft selbst ist weder Arbeitszeit noch Freizeit. Es handelt sich um Beschäftigung (§ 9 ArbZG). Der Arbeitsanfall (Arbeitszeit) ist aus der Erfahrung zu beurteilen. Bezieht sich dessen Bemessung auf dessen Anteil an der gesamten Dienstzeit? Oder wird betrachtet, in vielen Diensten es zu Inanspruchnahmen kommt? Das Gericht hat sich nicht lang damit aufgehalten. Seine Antwort steht ›außer Frage‹ und ›lag auf der Hand‹. Das Gericht betrachtete, wie viele Dienste durch Inanspruchnahmen belastet wurden.
Viele Hinweise sprechen dafür, dass es sich nur dann um Ausnahmefälle handelt, falls durchschnittlich weniger als ein Drittel der Dienste durch Inanspruchnahmen gestört wird .
Die typischen ›Hintergrund-Dienste‹ in Kliniken reißen meist diese Bedingung! Klinikleitungen vereinbaren deshalb oft attraktive Pauschalen für die Vergütung und behaupten danach wagemutig, ihre Dokumentationspflichten über die Arbeitszeit habe sich so erledigt.
Kein Bereitschaftsdienst! |
»Allein aus der tarifwidrigen Anordnung der Rufbereitschaft folgt nicht deren Umdeutung in Bereitschaftsdienst im Tarifsinn. Das entspricht der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und hiervon ist auch das Arbeitsgericht in der erstinstanzlichen Entscheidung zutreffend ausgegangen (vgl. BAG, Urteil vom 04.08.1988 – 6 AZR 48/86, ZTR 1989, 147; BAG, Urteil vom 31.05.2001 – 6 AZR 171/00, ZTR 2002, 173).«
Kommentar: Zur Anordnung eines Dienstes gehören: Eindeutigkeit der Form der Arbeit; Mitbestimmung.
Zur Anordnung eines Bereitschaftsdienstes gehört regelmäßig zudem: Festlegung der als notwendig erkannten Maßnahmen zum Gesundheitsschutz; Festlegung der Stufe aufgrund der Auslastung; Bestimmung des Ortes zum Aufenthalt (muss nicht auf das Betriebsgelände beschränkt werden).
Dies alles kann schwerlich durch eine bloße Umdeutung ersetzt werden.
Weder Ruf- noch Bereitschaftsdienst |
»Nach dem Vorgenannten bleibt jedoch festzuhalten, dass die Beklagte gegenüber dem Kläger bewusst tarifwidrige Dienste angeordnet hat. Sie hat den Kläger zu Diensten eingeteilt, die weder die tariflichen Voraussetzungen einer Rufbereitschaft noch diejenigen eines Bereitschaftsdiensts erfüllen. Sie hat damit den Kläger zu Diensten herangezogen, die weder arbeitsvertraglich noch tariflich geregelt sind. Gleichzeitig hat sie vom Kläger aber auch keine ›Vollarbeit‹ verlangt, da der Kläger während des Hintergrunddienstes nicht zur Erbringung seiner arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit, sondern lediglich zur Bereitschaft verpflichtet war, diese auf Abruf in bestimmten Fällen sofort zu erbringen. Für diese Tätigkeit fehlt es aber neben der arbeitsvertraglichen oder tarifvertraglichen Regelung an sich auch an einer entsprechenden Regelung der Vergütung.«
Kommentar: Hier wurde ›außertariflich – AT‹ angeordnet. Das ist noch kein Verstoß gegen ein Gesetz. Arbeitgeber, Interessenvertretung und Beschäftigte können sich auf zusätzliche Pflichten und Ansprüche einigen. Haben sie hier aber nicht. Achtung: Es gibt da Vorbehalte und Sperren z.B. in § 77 Abs.3 und § 87 Abs. 1 Satz 1 BetrVG.
Volle Vergütung: Stundenentgelt |
»In dieser Situation ist der Anwendungsbereich des § 612 Abs. 1 BGB eröffnet, denn die Beklagte verlangt von dem Kläger mit den tarifwidrigen Rufbereitschaften eine insgesamt
ungeregelte Bereitschaftsform und damit eine Tätigkeit außerhalb der arbeitsvertraglichen Regelungen. Dass diese Tätigkeit nicht unentgeltlich zu leisten ist, ist zwischen den
Parteien nicht im Streit. Wegen der Höhe der Vergütung greift daher § 612 Abs. 2 BGB ein. Nach dieser Vorschrift ist letztlich die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen.
Das ist nach Auffassung der erkennenden Kammer im vorliegenden Fall die arbeitsvertraglich vereinbarte Vergütung.
[…] Dementsprechend ist die von der Beklagten angeordnete tarifwidrige Rufbereitschaft wie Vollarbeit zu vergüten. Auch nach § 612 Abs. 2 BGB bleibt mangels einer üblichen Vergütung für die vorliegende Bereitschaftsform nur dieser Rückgriff. Da der Kläger nur einen Teil dieses Vergütungsanspruchs, nämlich den Prozentsatz von 60 v.H. der Bereitschaftsdienststufe I nach § 9 Abs. 2 TV-Ärzte TdL klageweise geltend macht, ist die Klage im oben genannten Umfang begründet.«
Kommentar: Wer zu bescheiden ist, wird vom Leben bestraft. Es steht die Vergütung in Höhe des vereinbarten Stundenentgelts zu, ebenso Zeitzuschläge. Vielleicht wurden sogar die tarifvertraglichen Voraussetzung für Überstunden erfüllt (100 v.H plus Überstunden-Zeitzuschlag). Doch in der Geltendmachung wurde ohne Not der Anspruch auf die Höhe des Entgelts für Bereitschaftsdienst beschränkt. Ein Gericht darf nicht etwas anderes als gefordert zusprechen. Das gilt aber nicht für die Zukunft!
Nicht substanziert, aber spezifisch geltend gemacht |
»Der Kläger hat seine Ansprüche mit Schreiben vom 26.02.2018, dessen Zugang im Monat Februar 2018 unstreitig ist, gegenüber der Beklagten schriftlich geltend gemacht. In diesem Schreiben hat er ausgeführt, dass er seit langen Jahren am Rufbereitschaftsdienst Nephrologie der Medizinischen Klinik I teilnehme und hat unter Bezugnahme auf Entscheidungen des EuGH sowie des Bundesarbeitsgerichts die ›Anerkennung seiner abgeleisteten Nephrologischen Rufbereitschaftsdienste als Arbeitszeit‹ verlangt. Gleichzeitig hat er seine Erwartung geäußert, dass er ›rückwirkend für die letzten sechs Monate die tarifrechtlich festgelegte korrekte Entgeltung dieser Arbeitszeiten‹ erhalte.
Die Anforderungen, die an eine ordnungsgemäße Geltendmachung zu stellen sind, beurteilen sich maßgeblich Sinn und Zweck der Ausschlussfristen […]. Danach erfordert eine wirksame Geltendmachung, dass der Anspruch nach Grund und Höhe hinreichend deutlich bezeichnet wird. Er muss so beschrieben werden, dass der Schuldner erkennen kann, aus welchem Sachverhalt er in Anspruch genommen wird […]. Das verlangt Spezifizierung, aber keine Substantiierung […]. Außerdem muss deutlich werden, dass man Inhaber einer bestimmten Forderung ist und auf deren Erfüllung besteht […].
Diesen Anforderungen genügt das Geltendmachungsschreiben des Klägers vom 26.02.2018. Der Kläger begehrt damit von der Beklagten eine bessere Vergütung seiner in den letzten sechs Monaten abgeleisteten Rufbereitschaften und verlangt eine Vergütung ›als Arbeitszeit‹. Damit ist der Gegenstand der Forderung hinreichend deutlich bezeichnet. Eine konkrete Bezifferung ist nicht erforderlich. Gleichzeitig stellt der Kläger mit der Formulierung, er ›erwarte die korrekte Entgeltung‹ unmissverständlich klar, dass er auf dem Ausgleich dieser Forderung besteht.«
Kommentar: Rechtsberater drängen darauf, bereits die Geltendmachung möglichst detailliert in Höhe und Rechtsgrund auszuführen. Damit fühlen sich viele Kolleginnen und oft auch der gewerkschaftliche Rechtsschutz überfordert. In vorliegenden Fall: Die Geltendmachung der tariflich festgelegten korrekten Entgelts für die beschriebene Leistung (keine Rufbereitschaft sondern Arbeitszeit) reichte aus.
Berufung? |
Das LAG hat für ihre Entscheidung bezüglich der Ausschlussfrist keine Revision zugelassen.
Doch die Rechtsfrage der Vergütung tarifwidrig angeordneter Rufbereitschaften erklärte das Gericht ›für grundsätzlich bedeutungsvoll‹.
Kommentar: Hier darf der Arbeitgeber mit einem Gang zum BAG den ›Wow-Effekt‹ vergrößern…
Tipp: |
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Übergriffe, Ordnungsgeld (19.07.2020)
Diesmal grübeln wir über
⊗ Übergriffe auf die Freizeit
⊗ Kein Plan ohne Mitbestimmung
Übergriffe auf die Freizeit |
➽ Zugespitzt: Manche Kolleg/inn/en arbeiten länger oder mehr. Doch ihrem Betriebsrat / der MAV fehlen bereits die Worte, diese Übergriffe auf die Freizeit zu beschreiben und damit zu fassen. |
Die arbeitsrechtliche Sprachenverwirrung führt zur Ohnmacht der Betroffenen.
Die gesetzliche Interessenvertretung kann da helfen. Sie kann für ihre (zwingend notwendige) Zustimmung eine Vorbedingung stellen:
Die Arbeitgeberin möge genau bezeichnen, um welchen Tatbestand es sich bei der von ihr beabsichtigten Anordnung handeln soll. Darf die betroffene Kollegin einen Überstundenzuschlag erwarten – zusätzlich zur Vergütung der Arbeitsleistung als solche?
Jedes Ding, das wir anfassen können, bekommt einen oder mehrere Namen. Was wir nicht anfassen können, was wir nur denken und empfinden können, bezeichnen wir mit abstrakten Nomen.
Manchmal gilt es als gefährlich, einen Namen auszusprechen. [Beispiel: Lord Voldemort in den Büchern von J. K. Rowling über Harry Potter.] Es beschwört Unglück herauf.
Manchmal wird der »wahre Name« geheim gehalten. Denn wer ihn aussprechen kann, bekommt beim Aussprechen Macht über die Sache oder die Person.
Bezeichnung | Bedeutung |
Überstunde | im Sinne von § 11 BurlG oder § 4 EntgFG, § 7 (7 , 8) TVöD, § 9c AVR.DD |
Mehrarbeit | im Sinne von § 207 SGB IX (Arbeitszeit, welche die in ArbZG § 3 geregelte Obergrenze von 8 Stunden werktäglich überschreitet) oder § 21 JArSchG, § 4 MuSchG, § 7 (6) TVöD, § 7 (6) TV-L, § 37 (3) BetrVG |
Überstundenchance | LAG Mecklenburg-Vorpommern 15.09.2011 – 5 Sa 268/10 Rn. 129: »Zunächst bedarf es der zusätzlichen Arbeit im Vergleich zum Dienstplan oder zur betriebsüblichen Arbeitszeit (Phase 1: Entstehen der Überstundenchance). Sodann muss noch festgestellt werden können, dass diese Überstundenchance in der Folgezeit nicht wieder durch – untechnisch formuliert – Minderarbeit verloren gegangen ist (Phase 2: Fehlender Untergang der Überstundenchance).« |
vorrübergehende Verlängerung | § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG; zum Beispiel: verschobenes Arbeitsende |
eingeplante Überstunde | BAG Urteil 25.04.2013 – 6 AZR 800/11 Rn. 27: »wenn die im Schichtplan eingeplanten Arbeitsstunden nicht innerhalb des Schichtplanturnus so ausgeglichen werden« |
Überplanung | umgangssprachlich für eingeplante Überstunden |
unvorhergesehene Überstunde | BAG Urteil 25.04.2013 – 6 AZR 800/11 Rn. 33: »zu den im Schichtplan festgesetzten 'täglichen' Arbeitsstunden zusätzliche« |
Plusstunde | in § 9c AVR.DD beschriebene Vorwegarbeit; auch umgangssprachlich; manchmal wird nur der mathematische Operator »+« verwendet |
Gutstunde / Gute | umgangssprachlich für einen positiven Saldenstand |
Vorarbeit | umgangssprachlich für die Leistung nicht fälliger Zeitschuld |
Planänderung | umgangssprachlich für erneute Planfestlegung |
Einspringen | Arbeit an einem von geplanter Arbeit freien Tag |
Kein Plan ohne Mitbestimmung |
➽ Zugespitzt: Manchmal lässt ein Arbeitgeber Kolleginnen nach seinem Plan arbeiten, ohne die Zustimmung der Interessenvertretung abzuwarten. Dann muss er eine einstweilige Verfügung fürchten. |
Der Gerichtsentscheid |
Der Arbeitgeberin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung unter Androhung eines Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 10.000,00 EUR untersagt, Arbeitnehmern i.S.v. § 5 Absatz 1 BetrVG per Personaleinsatzplan Arbeitszeiten zuzuweisen, sofern der Betriebsrat diesen nicht zugestimmt hat oder die Zustimmung nicht durch den Spruch einer Einigungsstelle ersetzt worden ist.
⇒ ArbG Hamm Beschluss im einstweiligen Verfügungsverfahren
04.05.2020 – 2 BVGa 2/20
Aus der Begründung |
»Der Anspruch des Betriebsrats ergibt sich als Unterlassungsanspruch unmittelbar aus § 87 BetrVG und als Durchführungs- und Erfüllungsanspruch aus der abgeschlossenen Betriebsvereinbarung Kurzarbeit (vgl. BAG, Beschlüsse vom 30.03.2018 – 1 ABR 70/16, Rd.-Nr. 26 und 22.10.2019 – 1 ABR 17/18). Die Betriebsparteien haben eine Betriebsvereinbarung Kurzarbeit geschlossen. Diese hat eine Laufzeit bis zum 31.05.2020. Darin haben die Betriebsparteien ursprünglich vereinbart, dass Arbeitszeiten der Arbeitgeberin nicht ›abgerufen‹ werden.
Der Abruf von Arbeitszeiten bedurfte somit der ausdrücklichen Zustimmung des Betriebsrats. Diese liegt bis zum heutigen Tage nicht vor. Demgemäß war der Arbeitgeberin zu untersagen, gegen die Betriebsvereinbarung verstoßende Handlungsweise durchzuführen. Der Anspruch ergibt sich als Durchführungs- und Erfüllungsanspruch des Betriebsrats unmittelbar aus der abgeschlossenen Betriebsvereinbarung.
Ebenso hat der Betriebsrat aber auch einen Unterlassungsanspruch unmittelbar aus § 87 Abs. 1 Nr. 2) und 3) BetrVG. Denn die Zuweisung von Arbeitszeiten an vom Betriebsrat vertretene Arbeitnehmer bedarf zu ihrer Wirksamkeit der vorherigen Zustimmung des Betriebsrats ersatzweise der Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats durch Spruch der Einigungsstelle. Diese Voraussetzungen liegen erkennbar nicht vor.«
Tipp |
Clevere Interessenvertretungen haben sich rechtzeitig mit einem solchen Beschluss über ein Ordnungsgeld ausgerüstet. Er liegt »in der Schublade«. Es reicht meist zu drohen, ihn dort herauszuziehen.
Wer sich dagegen unvorbereitet von Krisen wie einer Corona-Pandemie überraschen lässt, muss etwas hilflos mit Wartezeiten beim Gericht rechnen.
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Urlaub, Einigungsstelle (06.07.2020)
Diesmal grübeln wir über
⊗ Urlaub ohne Grenzen
⊗ Quarantäne ist kein Urlaub
⊗ Einigungsstelle für Kirchenmäuse
Chef darf Urlaub nicht beliebig festlegen |
➽ Zugespitzt: Niemand braucht die Ablehnung eines Urlaubsantrags einfach hinnehmen. |
Tatbestand |
Eine Pflegeassistentin beantragt Urlaub in den letzten zwei Wochen des Jahres. Sie ist Betriebsratsvorsitzende.
Der Arbeitgeber lehnt dies ab: In der Weihnachtszeit und an Silvester werde in der Regel bei keinem Mitarbeiter Urlaub genehmigt, um allen Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, die Zeit mit der Familie zu verbringen.
Der Betriebsrat verweigert zudem mehrheitlich seine Zustimmung zu diesem Urlaub im Zuge der Urlaubsplanung.
Das Arbeitsgericht spricht der Kollegin den Urlaub dennoch zu.
⇒ ArbG Braunschweig Urteil 20.11.2019 – 4 Ca 373/19
Aus der Begründung |
Von dringenden betrieblichen Belangen ist nicht bereits auszugehen, wenn die Berücksichtigung des vom Arbeitnehmer geäußerten Wunschs zu Störungen im Betriebsablauf führt. Diese
treten regelmäßig beim Fehlen eines Arbeitnehmers auf. Sie sind hinzunehmen und durch entsprechende Personaldispositionen auszugleichen (Gallner, in ErfK, § 7 BUrlG Rdnr. 18). Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer rechtfertigen eine Leistungsverweigerung nur, wenn aus betrieblichen Gründen nicht jeder Urlaubswunsch erfüllt werden kann. Die Bestimmung des Urlaubszeitpunkts obliegt nicht dem billigen Ermessen des Arbeitgebers im Sinne von§ 315 BGB, sondern der Arbeitgeber ist als Schuldner des Urlaubsanspruchs verpflichtet, die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen und daher auch den Urlaub für den vom Arbeitnehmer angegebenen Termin festzusetzen, wenn die Leistungsverweigerungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG nicht vorliegen. […]
Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass einer Urlaubsgewährung das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats entgegenstehe. Zwar hat der Betriebsrat über § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht bzgl. der Aufstellung allgemeiner Urlaubsgrundsätze und des Urlaubsplans sowie hinsichtlich der Festsetzung der zeitlichen Lage des Urlaubs für einzelne Arbeitnehmer, wenn zwischen dem Arbeitgeber und den beteiligten Arbeitnehmern kein Einverständnis erzielt wird. Auch hat der Betriebsrat im konkreten Fall der Urlaubsgewährung der Klägerin seine Zustimmung verweigert. Der einzelne Arbeitnehmer braucht sich jedoch mit der zeitlichen Festlegung seines Urlaubs durch Arbeitgeber und Betriebsrat nicht zufrieden zu geben. Er kann gegen den Arbeitgeber auf Erteilung des Urlaubs für einen bestimmten anderen Zeitraum unter Berufung auf § 7 Abs. 1 BUrlG im Urteilsverfahren klagen (vgl. Fitting u. a., BetrVG, 29. Aufl.,§ 87 Rdnr. 211).
Soweit sich die Beklagte darauf beruft, dass mit dem Betriebsrat eine Regelungsabrede über eine Urlaubssperre geschlossen worden sei, ist auch dieser Vortrag bereits unsubstantiiert.
Dem Vorbringen der Beklagten lässt sich nicht entnehmen, wann genau, zwischen wem, mit welchem genauen Inhalt eine Regelungsabrede getroffen worden ist.
Tipps |
❍ Die betriebliche Interessenvertretung sollte sich bei der Festlegung von Urlaubsgrundsätzen bescheiden. Keine Vereinbarung über Grundsätze, welche die Kolleginnen bei ihren Wünschen beschränken, eine Reihenfolge festlegen oder Urlaubsanträge zu bestimmten Jahreszeiten behindern!
❍ Einen wichtigen Grundsatz kann die betriebliche Interessensvertretung vereinbaren: Jeder Urlaubsantrag ist binnen zwei Wochen zu bescheiden!
❍ Wird ein Urlaubsantrag mit dem Verweis auf knappes Personal abgelehnt (betriebliche Gründe)? Wir fordern: Ausreichend Personal! Keine Mindestbesetzung ohne Mitbestimmung! Urlaub darf stören! Unbesetzte Stellen sind kein Grund für Urlaubsverzicht!
❍ Die Interessensvertretung ist recht stark, soweit sie sich an die Seite der Kolleginnen im Streit um abgelehnte Urlaubsanträge stellt (§ 87 Abs. 1 Nr. 5
BetrVG, § 75 Abs. 3 Nr. 3 BPersVG, § 42 k MVG). Oft übersehen Arbeitgeber hier ihre Pflicht zur Mitbestimmung. Macht das in der Belegschaft bekannt!
Quarantäne ist kein Urlaub. |
➽ Zugespitzt: Wer arbeitsunfähig ist, bekommt keinen Urlaub gewährt. Quarantäne wird auch Gesunden verordnet. Quarantäne gilt dennoch nicht als gewährter Urlaub. Denn Quarantäne macht nicht frei. |
Seuchenpolizeiliches Tätigkeitsverbots und Mindesturlaub |
Zwei in der Metzgerei Beschäftigte werden als Ausscheider von Salmonellen ermittelt. Das Gesundheitsamt untersagte ihre weitere Beschäftigung.
Die Arbeitgeberin verhängt Betriebsferien und rechnet einen Teil auf den Urlaubsanspruch an. Zu Unrecht.
Aus der Begründung |
Erholungsurlaub im Sinne des Bundesurlaubsgesetzes ist die Freistellung des Arbeitnehmers von seiner sich aus dem Arbeitsvertrag ergebenden Arbeitspflicht und Dienstpflicht unter gleichzeitiger Weiterzahlung der Vergütung durch den Arbeitgeber (Boldt/Röhsler aaO Rdn 9 zu § 1 BUrlG). Zu einer echten Erholung gehört eine Sphäre der Selbstbestimmung, der persönlichen Freiheit und des Lebensgenusses […]. Der in § 9 BUrlG festgelegte Grundsatz, daß im Hinblick auf den Erholungszweck Tage, an denen der Arbeitnehmer arbeitsunfähig krank ist, auf den Erholungsurlaub nicht angerechnet werden dürfen, trägt dem Umstand Rechnung, daß ein Arbeitnehmer, der erkrankt ist, sich nicht zugleich erholen kann. Urlaub und Erkrankung schließen einander aus […].
bb) Ein Ausscheider im Sinne des § 2d BSeuchG ist zwar grundsätzlich nicht krank im Sinne des BUrlG. Die Grenzen zu einer Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinne sind indes fließend, wie der Sachverhalt beweist, der der Entscheidung des Bundessozialgerichts in NJW 1971, 1908 zugrunde lag. So heißt es auch in der amtlichen Begründung zu § 48 des Regierungsentwurfs eines Bundesseuchengesetzes […], Ausscheider, Ausscheidungsverdächtige und Ansteckungsverdächtige seien "vom Schicksal in ähnlicher Weise betroffen wie Kranke" (ähnlich schriftl Bericht des Ausschusses für Gesundheitswesen vom 17. April 1961 – BT-Drucks III/2662 -: Der Betroffene Personenkreis könne »in etwa den Kranken gleichgestellt werden«). Das zeigt sich bei Ausscheidern nicht nur in den Beschränkungen der Berufsausübung, sondern auch in den strengen hygienischen Auflagen, denen sie unterworfen sind […]. Diese Auflage, zu denen insbesondere die dauernde Desinfektion der benutzten sanitären Anlagen zählt, schließen, wie die Revision mit Recht hervorhebt, zB Aufenthalte in Gemeinschaftseinrichtungen und Hotels aus und führen dazu, daß der Betroffene sich unter anderen Personen und in fremden Räumen nicht zwanglos und frei bewegen kann. Das legt die Möglichkeit nahe, daß sich der Betroffene in dieser Zeit nicht so erholen kann, wie es dem Urlaubszweck entspricht, nämlich in freier, selbstgewählter Gestaltung der Urlaubszeit.
⇒ BGH 3. Zivilsenat 30.11.1978 – III ZR 43/77
Einigungsstellen im MVG.EKD |
➽ Zugespitzt: Es ist Zeit, einmal die neue Karte der Einigungsstelle versuchsweise auszuspielen. |
Neu geregelt |
Seit Jahresanfang greift der neu eingeschobene § 36a MVG.EKD – Einigungsstellen.
Sind im Streit um einen erzwingbaren Mitbestimmungstatbestand (§ 40 MVG) die Verhandlungen gescheitert, kann die MAV die Bildung einer Einigungsstelle in Gang setzen. Deren Spruch kann die Einigungsversuche der Betriebsparteien ersetzen. Die Einigungsstelle besteht aus je zwei beisitzenden Mitgliedern sowie einem oder einer unparteiischen Vorsitzenden. Sie wird nach Anrufung durch eine der Beteiligten unverzüglich tätig.
Mit einem halben Jahr Verzug hat der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland auch die Entschädigungen für die Mitglieder von Einigungsstellen durch eine Rechtsverordnung geregelt, offen für bessere Versuche ihrer Gliedkirchen:
⇒ Verordnung über die Entschädigung für die Mitglieder von Einigungsstellen nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz der EKD. Vom 15. Mai 2020
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Tipps |
❍ Die MAV fordert die Dienstgeberin zur Bildung einer solchen Einigungsstelle auf. Sie benennt dabei den Regelungsgegenstand – so eng und konkret wie möglich. Unbekümmert schlägt sie zugleich eine kleine Liste möglicher Vorsitzender vor. Solche Listen mit erfahrenen Rechtsspezialisten gibt es z.B. bei den Seminaren der Schichtplan-Fibel.
Der Tagessatz solcher Spezialisten liegt gewöhnlich zwischen 1.600 und 4.000 €. Sie handeln dies zunächst mit den Arbeitgebern aus.
❍ Der Rat der EKD hat ihre Honorare regide gedeckelt. Die unparteiischen Vorsitzenden werden in der Folge kurzen Prozess machen – ein einziger Termin, schnelle Entscheidung, kurzes Ergebnisprotokoll. Einigungsstelle für Arme.
❍ Der Rat der EKD hat erst recht die Honorare der externen Beisitzer verzwergt. Bei Einigungsstellen im Betriebsverfassungsgesetz gelten 70 v.H. des Honorars der Vorsitzenden als angemessen. Mit 30 v.H. hat der Rat der EKD dies absichtsvoll erschwert. Die clevere MAV wird deshalb zeitnah die als Beisitzer ins Auge gefassten Personen als Sachkundige zur MAV-Sitzung hinzuladen (§ 25 Abs. 2 MVG) und die Kostenerstattung dieser Beratung vereinbaren (§ 30 Abs. 2 MVG); im Streitfall entscheidet das Kirchengericht.
❍ Im Ergebnis werden die Beisitzer dabei unterstützen, der Einigungsstellen-Vorsitzende zu deren Vorbereitung schriftlich den Regelungsstreit und die konkreten Vorschläge zur Lösung vorzustellen.
❍ Erst in ihrer letzten Sitzung vor dem eigentlichen Einigungsstellen-Termin beschließt die MAV: »Die Mitarbeitervertretung ist Beteiligte des Einigungsstellenverfahrens (§ 36a MVG.EKD). Die Angelegenheit ist rechtlich und tatsächlich schwierig, umso mehr, da zur Lösung nur wenig Zeit zur Verfügung gestellt wird. Die MAV benennt als Beisitzer NN1 und NN2. Sie entsendet ihre Vorsitzende und deren Stellvertreter sowie ihr in der Sache besonders kundiges Mitglied NN3, um sie bei diesem Vermittlungsversuch am …… zu vertreten.«
Diesen Beschluss teilt sie der Einigungsstellenvorsitzenden und der Personalleitung mit und ergänzt dabei die Email-Adressen der Benannten.
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Bußgeld erhöht – Bereitschaftsdienst (24.06.2020)
Diesmal grübeln wir über
⊗ Bußen werden teurer
⊗ Verstöße beim Bereitschaftsdienst
(Fast) alles wird teurer – auch die Gefährdung |
➽ Zugespitzt: Arbeitgeber verstoßen gegen den Mindestschutz. Wir können sie vor den Risiken warnen. |
Weitgehend unbeachtet hat der Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI) seinen Bußgeldkatalog neu aufgelegt. »Diese Veröffentlichung richtet sich in erster Linie an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der zuständigen Aufsichtsbehörden. Sie ist darüber hinaus aber auch eine Informationsquelle für diejenigen, die an anderer Stelle für die Umsetzung der Vorschriften des Arbeitszeitrechts, Jugendarbeitsschutzrechts und des Mutterschutzrechts sorgen müssen.«
Der Katalog ⇒ LV 60 orientiert also die Aufsichtsbehörden in den Bundesländern (Amt für Arbeitssicherheit, Bezirksregierung, Gewerbeaufsicht). Er listet die möglichen Verstöße gegen die Schutzbestimmungen im Arbeitszeitgesetz auf. Und er ordnet jeder Versoßart eine ihr angemessene Höhe der Bestrafung zu. Interessant ist – gegenüber der ersten Fassung aus dem Vorjahr wurden einige Strafen deutlich verschärft:
Lfd. Nr. |
Ordnungswidrigkeit | Buße bisher |
ab März 2020 |
102 | Überschreitung der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 48 Stunden bis zu 1 Stunde und je angefangene weitere Stunde | 300 € | 600 € |
104 | [wer] Beschäftigten die vorgeschriebenen Ruhepausen nicht gewährt – je nicht gewährter vorgeschriebener Pause | 300 € | 400 € |
112 | [wer] den erforderlichen Ersatzruhetag für die Beschäftigung an einem Sonntag oder Feiertag nicht oder nicht rechtzeitig gewährt – je Tag | 350 € | 500 € |
115 | [wer] gegen die Verpflichtung zur Aufzeichnung der Arbeitszeit verstößt – je Fall | 1.600 € | 1.600 € |
118 | [wer] gegen die Pflicht zur richtigen und vollständigen Vorlage von Unterlagen oder zur Erteilung richtiger und vollständiger Auskünfte verstößt – je Fall | 750 € | 1.500 € |
Die Aufsichtsbehörde kann es auch bei einer bloßen Verwarnung belassen. »Bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten kann die Verwaltungsbehörde die Betroffene oder den Betroffenen verwarnen und ein Verwarnungsgeld von 5,- bis 55,- Euro erheben (§ 56 Absatz 1 Satz 1 OWiG).« Doch das dürfen die Arbeitgeber nicht als Freibrief verstehen. Denn sie verstoßen ja nicht nur gelegentlich gegen eine von ihnen nicht erwartete Höchstgrenze:
»Die Ordnungswidrigkeit muss ihrer Art und ihrem Umfang nach geringfügig sein. Die Ordnungswidrigkeit wird nicht als geringfügig angesehen, wenn bekannt ist, dass diese im Betrieb des Unternehmens wiederholt vorkommt. Eine Verwarnung ist nicht auszusprechen, wenn sie unzweckmäßig erscheint.« (LV 60, Seite 15)
Profit ade |
Die Betreiber von Kliniken und Heimen haben vernünftige Gründe, so systematisch die Schutzgesetze zu unterlaufen: Sie sparen durch den geringeren Einsatz von Personal auch Geld. Achtung:
»Nach § 17 Absatz 4 OWiG (und ggf. § 30 Absatz 3 OWiG) kann dann der aus der Tat stammende wirtschaftliche Vorteil entzogen werden. Der wirtschaftliche Vorteil ist dabei der Gewinn oder die ersparten notwendigen Aufwendungen abzüglich aller notwendigen Auslagen des Unternehmers (sog. Nettoprinzip). Die in den genannten Rechtsvorschriften festgelegten Höchstgrenzen für die Geldbußen dürfen bei Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils überschritten werden.« (LV 60, Seite 14)
Verstöße beim Bereitschaftsdienst |
➽ Zugespitzt: Wer XXL-Schichten arbeiten lässt, muss höllisch aufpassen. Sonst werden Bußgelder fällig. |
Bereitschaftsdienste in Kliniken und Heimen folgen einem typischen Muster. Erst wird sich umgezogen und die Übergabe mit den Kolleginnen der vorausgehenden Schicht besprochen. Dann werden vielleich noch ein paar Stunden in Vollarbeit abgefordert. Darauf unterbricht eine Phase mit nächtlichem Bereitschaftsdienst. Und am folgenden Morgen, nach der obligaten Übergabe an die Frühschicht und nach dem Umziehen folgt die Ruhezeit. Dieses Muster trägt den schillernden Namen Sandwich-Dienst. Der Bereitschaftsdienst erscheint da als mehr oder weniger schmackhafter Belag zwischen zwei Scheiben aus Vollarbeitszeit.
Pausen |
Manchmal versäumen die Arbeitgeber, die Pausen zu organisieren. Doch: »Länger als sechs Stunden hintereinander dürfen Arbeitnehmer nicht ohne Ruhepause beschäftigt werden.« (§ 4 Satz 3 Arbeitszeitgesetz). Bereitschaftsdienst ist Arbeitszeit, keine Pause. Die arbeitsfreien Zeiten während des sog. Bereitschaftsdienstes erfüllen nicht die begrifflichen Merkmale der Pausen. Wer diese vorgeschriebenen Pausen nicht organisiert, verstößt gegen § 4 ArbZG.
⇒ BAG 25.10.1989 – 2 AZR 633/88;
⇒ BAG Urteil 16.12.2009 – 5 AZR 157/09 (Rn. 12)
Lfd. Nr. |
Ordnungswidrigkeit | ab März 2020 |
104 | [wer] Beschäftigten die vorgeschriebenen Ruhepausen nicht gewährt – je nicht gewährter vorgeschriebener Pause | 400 € |
Mehr als 48 Stunden? |
Manchmal versäumen Arbeitgeber, zusammen mit der Interessenvertretung die Bezugszeiträume für den Ausgleich der wochendurchschnittlichen Höchstarbeitszeit (48 Stunden) in Art, Lage und Länge zu organisieren. Die Art betrifft dabei, ob eine fester oder gleitender Zeitraum gewählt wird. Die Länge betrifft § 6 Abs. 2 ArbZG ( bei Nachtarbeitnehmern vier Wochen oder Kalendermonat). Die Lage betrifft die Festlegung des letzten Tages (Ende) eines solchen Zeitraums und der sich daran anschließenden Turnusse.
Überrascht stellt dann jemand fest – da wurde ein wenig zu viel eingeplant und gearbeitet, mehr als erlaubt. Jetzt wird genau hingeschaut – waren es 49 Stunden oder 51, waren es zwei, drei oder vier Stunden im Wochendurchschnitt zu viel?
Lfd. Nr. |
Ordnungswidrigkeit | ab März 2020 |
102 | Überschreitung der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 48 Stunden bis zu 1 Stunde und je angefangene weitere Stunde | 600 € |
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Betriebsvereinbarungen durchführen (17.06.2020)
Diesmal grübeln wir über
⊗ Seminargelegenheiten in Corona-Zeiten
⊗ Durchführungsanspruch der Interessenvertretung
⊗ Arbeitszeit dokumentieren
⊗ Deutsche Handelsgehilfen (DHV)
Prima Nachrichten: Wir lernen wieder! |
➽ Zugespitzt: Melde Dich zu unseren Seminaren an. |
Die Schichtplan-Fibel macht keine Sommerpause. Der Seminarbetrieb läuft wieder an. Wenn wir – aufgrund der Pandemie-Vorsorge – in etwas kleinerer Runde bleiben, so ist dies kein Nachteil für die Teilnehmer(/innen.
In 2020 konzentrieren wir uns auf drei Konflikte: Bereitschaftsdienst, Überstunden und Pausen. Wir bohren dabei gemeinsam in die Tiefe. Zu jedem der drei Themen nehmen wir uns jeweils fünf Tage Zeit. Wir stellen dabei die betriebliche Praxis auf den Prüfstand. Warum greifen bislang die Schutzgesetze ins Leere? Wie hoch sind die Strafen? Wie lehren wir dem Chef das Gruseln? Welche Schätze können wir gemeinsam mit den Kolleginnen heben?
Die lose Reihe startet im August:
Schichtplan-Fibel extra Bereitschaftsdienste |
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Sonderwoche: Die sieben Kostbarkeiten Freier Wille, alternative Modelle – mehr Geld für weniger Arbeit, Pausen im Schlaf, Schichtzulagen, Bereitschaftsdienst am Feiertag, die Mysterien der Faktorisierung …. 17.–21.08.2020 im BZ Walsrode ⇒1663-2008171 |
Hier sind nur noch wenige Plätze frei.
Dagegen dümpeln die Anmeldungen zu unseren Lösungen rund um Übergriffe auf die Freizeit und Pausen als Hebel zur Entlastung im Corona-Loch.
Ist das Holen-aus-dem Frei kein Problem mehr? Ist der Feierabend wieder sicher? Haben wir die Überplanung endlich im Griff?
Klappt es mit den organisierten Pausen, weil endlich ausreichend Personal in die Schichten eingeplant wird? Hat der Arbeitgeber es aufgegeben, nicht gewährte Pausen aus der Arbeitszeit herauszurechnen?
Rechnen die alten Hasen nicht mehr mit Überraschungen? Andernfalls: Am Ende dieses Newsletters stehen die Termine und jeweils der ⇒ Link direkt zu den Unterlagen für Deine Anmeldung.
Durchführungsanspruch |
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Lernen, aufschreiben, durchsetzen (17.06.2020)
➽ Zugespitzt: Ansprüche, die eine betriebliche Vereinbarung für Kolleginnen festschreibt, kann die Interessensvertretung gerichtlich eintreiben. |
Sachverhalt |
Die Beteiligten streiten über die Auslegung eines Sozialplans. Die Arbeitgeberin rechnet sich ihre Vergütungspflichten schön.
Die Begründung: |
Rn.13: Gegenstand des Antrags ist die Feststellung eines Rechtsverhältnisses iSd. § 256 Abs. 1 ZPO. Der Gesamtbetriebsrat möchte klären lassen, wie die Arbeitgeberin die den anspruchsberechtigten Arbeitnehmern […] zu zahlenden Abfindungen zu berechnen und damit die zwischen den Beteiligten geschlossene GBV SP durchzuführen hat. Diese Frage betrifft den Inhalt einer Verpflichtung der Arbeitgeberin aus einem zwischen den Beteiligten bestehenden Rechtsverhältnis.
bb) Der Gesamtbetriebsrat verfügt über das nach § 256 Abs. 1 ZPO notwendige Interesse an der begehrten Feststellung.
Rn.: 17: b) Der Gesamtbetriebsrat ist antragsbefugt. Entgegen der Annahme der Rechtsbeschwerde liegt keine „unzulässige Prozessstandschaft“ vor. Der Gesamtbetriebsrat verfolgt offenkundig nicht Individualansprüche einzelner Arbeitnehmer, sondern begehrt die Feststellung, um einen eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Durchführungsanspruch nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG geltend zu machen (vgl. auch BAG 18. Mai 2010 – 1 ABR 6/09 – Rn. 14, BAGE 134, 249).
Unerheblich ist, dass sich der Ausgang des Verfahrens nur zugunsten einer begrenzten Anzahl von Arbeitnehmern auswirkt. Auch kommt es nicht darauf an, dass sich die vom Gesamtbetriebsrat begehrte Art und Weise der Durchführung der GBV SP auf den Inhalt normativ begründeter Ansprüche von Arbeitnehmern bezieht. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass Betriebsvereinbarungen und Sozialpläne (vgl. § 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG) unmittelbare und zwingende Wirkung haben und damit typischerweise Ansprüche von Arbeitnehmern gegen ihren Arbeitgeber begründen.
⇒ BAG Beschluss 25.02.2020 – 1 ABR 38/18
Personalrat und MAV |
Die Entscheidung ist übertragbar. Denn § 77 (1) BetrVG entspricht §§ 74 (1) / 83 (1) Nr. 4 BPersVG und § 60 (2), § 63a (2) MVG.
Lediglich für die katholischen Einrichtungen wird ein Orden ausgelobt für jene MAV, die etwa die Anwendbarkeit auf § 38 Abs. 3a MAVO und Ideen für eine empfindliche Bestrafung bei Zuwiderhandeln gerichtsfest macht.
Tipp |
Es wird allerdings nicht reichen, einen gesetzlichen oder vertraglichen Anspruch parallel in einer betrieblichen Vereinbarung zu wiederholen. Da würde sich der Arbeitgeber wohl rausreden können, es handele sich lediglich um eine deklarative Nachricht an die Vorgesetzten, um schönen Text zum Aufblähen der Vereinbarung mit Selbstverständlichkeiten.
Die Betriebsparteien können aber gesetzliche oder vertragliche Rahmenregeln ausfüllen und ergänzen. Dadurch entstehen den Kolleginnen eigene Ansprüche. Sie werden diese vielleicht nicht arbeitsgerichtlich durchsetzen wollen. Denn das ist teuer und es droht Ungemach. Nicht jeder Arbeitgeber nimmt den Gang vor das Arbeitsgericht sportlich. Den Kolleginnen fehlt der Schutz, den Betriebsräte und Mitarbeitervertreterinnen durch ihr Amt genießen und zu wenig nutzen.
Da wird nun die Interessenvertretung aktiv. Denn auch sie hat einen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Durchführung der betrieblichen Vereinbarung. Ihre Anwalts- und Gerichtskosten bezahlt der Arbeitgeber. Sie bekommt Recht, der Arbeitgeber die Rechnung. Und die Interessenvertretung kann die zukünftige Unterlassung solcher Vertragsverletzungen mit einem Ordnungsgeld versehen lassen.
Arbeitszeit dokumentieren |
➽ Zugespitzt: Wir können erzwingen, dass der Arbeitgeber die Arbeitszeit lückenlos aufzeichnet. |
VKA und Marburger Bund regeln im ⇒ Tarifvertrag Ärzte die umfassende Dokumentation der gesamten Arbeitszeit. Dies wurde u.a. in § 9 BAT-KF oder in den AVR DD Anlage 8a § 13 nachempfunden.
In den Betrieben gibt es nun Streit. Denn einige Arbeitgeber reichen ihre nicht ganz neuen Pflichten einfach an die ärztlichen Kolleginnen und Kollegen weiter. Und sie beschränken diese Dokumentation auf diese Berufsgruppe, statt endlich für alle jede Minute Arbeitszeit aufzuschreiben.
Tipp |
Die betriebliche Interessenvertretung hat da recht gute Karten. Sie kann den gesamten Vorgang der Aufschreibung in einer betrieblichen Vereinbarung regeln. Und sie kann danach empfindlich zur Ordnung rufen:
❍ Es handelt sich um eine gesetzliche Rahmenregelung (§ 16 ArbZG). Diese wurde nun durch eine vertragliche Rahmenregelung weiter ausgestaltet. Sie ist jedoch – zumindest nach Auffassung der Arbeitgeberverbände – nicht abschließend ausgestaltet. Es ist zu entscheiden, wer wann und wie aufschreibt.
❍ Der Zweck dieser Norm ist zunächst der Schutz der Gesundheit vor Überlastung, dann zusätzlich die Sicherstellung der Vergütung.
❍ Die Ausgestaltung von Rahmenregeln zum betrieblichen Schutz der Gesundheit unterliegt der zwingenden Mitbestimmung. Erst Mitbestimmung, dann Anordnung der Maßnahme – nicht umgekehrt!
❍ Arbeitszeit belastet. Arbeitszeit unterscheidet sich von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz. Die Erfassung dieser Belastungen muss der Arbeitgeber fortlaufend aktualisieren (§ 5 ArbSchG) und beurteilen. Diese Erfassung unterwirft das BetrVG, MVG und die MAVO der Mitbestimmung.
❍ Die Betriebsparteien müssen entscheiden, welche Maßnahmen (Erfassungsmethode, Erfassende) geeignet sind. Dazu blicken sie in die Belastungsbeurteilungen an den Arbeitsplätzen (§§ 5 und 6 ArbSchG). Aus diesen müssen sich die geeigneten Maßnahmen ableiten lassen.
Offensichtlich wird da: Selbsterfassungen führen zu Fehlern. Erfassen können und müssen die, welche gelernt haben, was genau zur Arbeitszeit gehört und wann sie eine Pause gewährt haben.
❍ Greift die Arbeitgeberin all dem einseitig vor? Dann kann die Interessenvertretung die Unterlassung verlangen und gerichtlich Ordnungsgelder verhängen lassen. Diese Geldbußen sind meist geringer als die in der ⇒ LV 60 (Lfd. Nr. 115).
Der DHV ist seit 2015 nicht mehr tariffähig |
➽ Zugespitzt: Gefälligkeits-Tarifverträge, welche der DHV z.B in Thüringen mit der AWO schließt, sind das Papier nicht wert. |
Beim Kürzel DHV denken viele gerne an den Deutschen Hanfverband (DHV). Der Deutschnationale Handlungsgehilfen-Verband (DHV) war eine Angestelltengewerkschaft mit völkischen, antisemitischen, ökonomischen und sozialpolitischen Interessen, die von 1893 bis 1933 bestand. Nach 1945 gründeten einige den Deutschen Handlungsgehilfenverband neu, welcher sich 1956 in Deutscher Handels- und Industrieangestellten-Verband umbenannte. Heute treibt er als »DHV – Die Berufsgewerkschaft e. V.« sein Unwesen. Er gehört dem Christlichen Gewerkschaftsbund (CGB) an.
Er ist seit dem 21.04.2015, kurz nach dem Inkrafttreten seiner Satzungsänderung 2014, nicht mehr tariffähig. Dies hat das Landesarbeitsgericht Hamburg am 22.05.2020 festgestellt, aufgrund der Anträge der IG Metall, der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten sowie der obersten Arbeitsbehörden der Länder Berlin und Nordrhein-Westfalen.
Die DHV hat seinen Organisationsbereich formal auf etwa 7 bis 11 Mio. Beschäftigungsverhältnisse ausgedehnt. Er bietet sich an, Arbeitsbedingungen auch mit dem DRK zu regeln, mit Einrichtungen der Kranken- und Altenpflege oder der privaten Alten- und Behindertenpflege sowie der Jugendhilfe, mit Privaten Kliniken und Krankenhäusern, mit Rettungsdiensten und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband. Damit hat er es überreizt.
Es werden alle Tarifverträge, die der DHV seit dem 21. April 2015 geschlossen hat, ungültig.
Der Streit war zunächst bis zum Bundesarbeitsgericht (BAG) gegangen, das ihn zur weiteren Tatsachenfeststellung an das LAG Hamburg zurückverwies. Dieses stellte fest: Der DHV verfügt in seinem von ihm beanspruchten Zuständigkeitsbereich über keine echte Verhandlungsmacht. Denn zur Durchsetzung gegenüber den Arbeitgebern fehlt es ihm schlicht an Mitgliedern.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Der DHV hat wiederum Rechtsbeschwerde beim BAG eingelegt.
⇒ LAG Hamburg Beschluss 22.05.2020 – 5 TaBV 15/18
Wahrscheinlich beobachten die Experten, die Mitte Mai mit rund 200 Mitgliedern eine »Pflegegewerkschaft BochumerBund« gründeten, dieses Elend ganz genau. Sie können dabei lernen: Sich Gewerkschaft zu nennen, reicht nicht!
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Versetzt wider Willen (25.04.2020)
Diesmal grübeln wir über
⊗ Versetzung in die Fremde
⊗ Betrieblicher Alltag: Rumgeschupst
Versetzt wider Willen |
➽ Zugespitzt: |
Eine große Klinikbetreiberin im öffentlichen Dienst schreibt inmitten der Corona-Krise den Leitungen und Vorgesetzten:
»Sofern die Tätigkeit im Arbeitsvertrag nicht näher konkretisiert ist, kann der Arbeitgeber der/m Beschäftigten unter Berücksichtigung billigen Ermessens grundsätzlich (also jederzeit, auch außerhalb einer bestehenden Notsituation) jede Tätigkeit zuweisen, die der vereinbarten Entgeltgruppe entspricht.«
Eine steile Behauptung. Sollte es da wirklich Arbeitsverträge geben, in denen die vereinbarte Tätigkeit nicht konkretisiert wurde? Systematischer Rechtsbruch?
Schauen wir einmal ins Nachweisgesetz –
§ 2 NachwG Nachweispflicht |
Da reicht offenkundig nicht ein allgemein hingeworfener Begriff, etwa – »als Angestellte«, »in der Pflege« oder »in der Verwaltung«. Es ist eine zumindest stichpunktartige Angabe des Tätigkeitsinhalts erforderlich. Eine einheitliche Gesamttätigkeit kann mit wenigen Worten beschrieben werden. Mehr Aufwand ist notwendig, falls eine Arbeitsaufgabe (Arbeitsplatz) aus mehreren Teiltätigkeiten zusammengesetzt und übertragen wird.
Die sparsame Beschränkung auf die Berufsbezeichnung »Krankenschwester«, als »Pflegefachmann/frau«, »in der Buchhaltung« reicht ebenfalls nicht. Denn es macht einen gewaltigen Unterschied, als Abteilungsleitung, Bereichsvorgesetze oder Pflegedienstleitung zu arbeiten, oder unter einer solchen.
Arbeitgeber teilen meist mit, welche Eingruppierung und Einstufung sie als richtig erkannt haben. Manchmal schreiben sie dies sogar in den eigentlichen Arbeitsvertrag selbst.
Die Entgeltgruppe für eine Tätigkeit wird jedoch durch die Tarifparteien vereinbart. Arbeitgeber und die einzelnen Beschäftigte können dies so nicht vereinbaren; es handelt sich um eine bloße Rechtsfolge. Die eigentliche Übertragung der Tätigkeit führt unmittelbar zur Eingruppierung (Tarifautomatik), vielleicht zudem zur Zuordnung zu einer recht speziellen Fallgruppe. Belastungen in dieser Tätigkeit begründen den Anspruch auf besondere Zulagen. Die Kurzbeschreibung der konkreten Tätigkeit muss geeignet sein, daraus die Eingruppierung und Einstufung zu folgern.
Der Vertrag mag die Berufsbezeichnung ausweisen, vielleicht auch den Einsatzbereich. Die Tätigkeit mag ausdrücklich übertragen sein. Nichts davon ersetzt die vorgeschriebene Beschreibung der eigentlichen zu leistenden Tätigkeit. Hier hilft aber eine Stellenausschreibung (Aushang im Betrieb) oder eine Stellenbeschreibung durch die Personalleitung oder die Vorgesetzten.
Das Fehlen eines solchen schriftlichen Nachweises der Vertragsbedingungen hat für den Chef unangenehme Folgen.
»Leitsatz: Bei Nichterfüllung der Nachweispflicht gemäß § 2 Abs. 1 NachwG durch den Arbeitgeber kommt dem Arbeitnehmer eine Beweiserleichterung bezüglich der von ihm behaupteten Vertragsbedingungen zugute.«
⇒ LAG Nürnberg Urteil 09.04.2002 – 7 Sa 518/01
Vielleicht mag eine Kollegin ungern in ein anderes Team wechseln, vielleicht mag sie keine ihr bislang fremden Arbeitsaufgaben übernehmen. Dann kann sie selbstbewußt an die Personalleitung schreiben –
Versetzungsangebot |
Versetzt? Von wegen! |
Der Fall: Die Versetzungsklausel |
Eine Arbeitgeberin schreibt in ihre Arbeitsverträge: »Die Arbeitgeberin hat das Recht, das Aufgabengebiet der Beschäftigten zu ergänzen und ihr auch eine andere Tätigkeit im Betrieb zuzuweisen, die ihren Kenntnissen und Fähigkeiten entspricht.«
Nun überträgt sie der Filialleiterin nach einem Streit einfache Tätigkeiten. Und verliert vor Gericht.
Eine Klausel im Arbeitsvertrag kann zwar einen Arbeitgeber berechtigen, einer Beschäftigten eine andere Tätigkeit im Betrieb zuzuweisen, falls die ihren Kenntnissen und Fähigkeiten entspricht. Diese Klausel bleibt jedoch unwirksam. Denn sie enthielt nicht die notwendige Einschränkung, dass es sich dabei um eine gleichwertige Tätigkeit handeln muss.
Gleichwertig in diesem Sinne ist eine Tätigkeit, welche die tarifvertragliche Entgeltordnung gleich bewertet.
»Leitsatz: Zur wirksamen Ausübung des gesetzlichen Versetzungsrechts nach § 106 Satz 1 GewO gehört es, dass hinreichend bestimmt ist, welche Aufgaben die Arbeitnehmerin künftig wahrnehmen soll.«
⇒ LAG Köln Urteil 09.01.2007 – 9 Sa 1099/06
Der Fall: Der Fachpfleger |
Eine Arbeitgeberin versetzt einen 'Fachkrankenpfleger (für Intensivpflege und Anästhesie)' für zwei Wochen aus der Anästhesie auf die Intensivabteilung. Dort hat der Kollege bereits während seiner Fachweiterbildung Erfahrungen gesammelt. Die Tätigkeit in der Intensivabteilung entspricht seinen Kenntnissen.
Der Kollege widersetzt sich dennoch. Mit Erfolg.
Die hier einschlägige Anlage 1 des TVöD beschreibt im Abschnitt XI Gesundheitsberufe für die Entgeltgruppe P 9 eine Fallgruppe 1. Beschäftigte der Entgeltgruppe P 7 Fallgruppe 1 mit abgeschlossener Fachweiterbildung und entsprechender Tätigkeit.
Dies greift sowohl für die Fachpflege in der Anästhesie wie in der Intensivabteilung. Doch die Protokollerklärung dazu differenziert dann – Beschäftigte der Entgeltgruppen P 5 bis P 9, die zeitlich überwiegend in Einheiten für Intensivmedizin (Stationen für Intensivbehandlungen und Intensivüberwachung sowie Wachstationen, die für Intensivüberwachung eingerichtet sind) Patientinnen oder Patienten pflegen, erhalten für die Dauer dieser Tätigkeit eine monatliche Zulage von 46,02 Euro.
Die Intensiv-Tätigkeit ist offensichtlich besonders belastend. Sie ist darum anders bewertet, nämlich über eine Zulage höher. Sie ist nicht ganz gleichwertig. Es handelt sich um eine wesentliche Änderung. Dies setzt von Beginn an die Zustimmung des Betriebsrates zur Versetzung voraus.
Der Fall: geänderte Schichtzeiten |
Eine Arbeitgeberin will Personalausfälle kompensieren. Sie versetzt eine Kollegin zur Aushilfe aus einem stationären Bereich in einen Funktionsbereich. Sie reiht diese dabei in das besondere Arbeitszeitmodell dieses Bereichs ein.
Der Kollegin widersetzt sich und besteht auf ihre Arbeitszeitzeiten. Mit Erfolg.
Denn die Betriebsparteien (Arbeitgeber, Betriebsrat) haben die Dienstpläne vor ihrer Anordnung vereinbart (unterschrieben). Es handelt sich damit um Betriebsvereinbarungen. Diese begründen die Ansprüche der Kollegin auf genau diese Arbeitszeiten.
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] ArbZG verschärft (10.04.2020)
Diesmal grübeln wir über
⊗ Corona: Verschlimmerung des ArbZG
⊗ Die Form der Mitbestimmung
⊗ Corona: Mitbestimmung durch Videokonferenz
Schutz durchlöchert über § 14 Abs. 4 ArbZG |
➽ Zugespitzt: |
Das Arbeitszeitgesetz wurde am 27.03.2020 für staatliche Übergriffe nachgerüstet. Der Übergriff folgte auf dem Fuße. Das Bundeministerium für Arbeit und Soziales (Hubertus Heil / SPD) im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit (Jens Spahn / CDU) verordnete und erlaubte am und ab Dienstag, den 07.04.2020, weitgehende Ausnahmen beim Gesundheitsschutz. Umfasst werden unter anderem alle Tätigkeiten »der medizinischen Behandlung sowie bei der Pflege, Betreuung und Versorgung von Personen einschließlich Assistenz- und Hilfstätigkeiten«.
Die Verordnung gilt bis 31.07.2020.
Die Verordnung erlaubt die Verlängerung der werktäglichen Höchstarbeitszeit auf bis zu zwölf Stunden, auch für Nachtarbeitnehmer/innen (§ 6 Abs. 2 ArbZG), sowie die Verkürzung der Ruhezeit auf bis zu 9 Stunden. Damit werden die Corona-Ausnahmebewilligungen der regionalen Behörden bedeutungslos.
Noch kein Grund zum Kleinmut! |
Die Umsetzung insbesondere der Zumutungen extralanger Schichten scheitert an vier wichtigen Hürden:
❍ Mitbestimmung des Betriebsrates, des Personalrates, der Mitarbeitervertretung! Die Begründung der Verordnung erinnert daran: »Auch die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates oder des Personalrates nach dem Betriebsverfassungsgesetz oder den Personalvertretungsgesetzen des Bundes und der Länder bleiben unberührt.« Einige Verwaltungsgerichte bestreiten zwar eine Mitbestimmung der Personalräte bei den konkreten einzelnen Schichtplänen. Doch bei den Arbeitszeitmodellen ist auch deren Recht unbestritten. Verletzungen durch die Dienstgeber sind allerdings – anders als in der Betriebsverfassung – nicht mit Ordnungsgeldern oder Haftstrafen bewehrt.
❍ Verträge sind einzuhalten! Die Pflichten und rechtlichen Zwänge der Beschäftigten bleiben auf ihre vertragliche Zeitschuld beschränkt. Dies schließt leider die vertraglich nur recht grob geregelte Verpflichtung zur Leistung von Überplanung, Überstunden, Mehrarbeit oder Plusstunden ein. Doch die Verabredungen etwa zur Teilzeit bestehen fort (die vereinbarte Verteilung der Arbeitszeit gemäß § 8 TzBfG oder nach dem Pflegezeitgesetz). Die Betriebs- und Dienstvereinbarungen über Schichten (Schichtarten, vereinbarte Legende zu den Dienstplänen) sind nicht aufgekündigt.
❍ Die Übergriffe müssen ausdrücklich zur Aufrechterhaltung der Gesundheitsversorgung unvermeidlich sein. »Dies gilt nur, soweit die Verlängerung nicht durch vorausschauende organisatorische Maßnahmen einschließlich notwendiger Arbeitszeitdisposition, durch Einstellungen oder sonstige personalwirtschaftliche Maßnahmen vermieden werden kann.« Die eindrucksvolle Kampagne der Gesundheitsgewerkschaft ver.di für eine Personalbemessung in Kliniken und Heimen hat vorausschauend den Bedarf insbesondere bei Personalengpässen beschrieben. Arbeitgeber konnten schon früher umsichtig planen, um Notfälle zu vermeiden!
❍ Die Übergriffe müssen ausdrücklich zur Aufrechterhaltung der Gesundheitsversorgung notwendig sein. Doch 12-Stunden-Schichten sind allein deshalb schon nicht notwendig, weil sie das angestrebte Ziel (die Versorgung) komplett verfehlen. Sie verschlechtern die Versorgung!
Eckhard Nagel, Professor für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften, war von 2010 bis 2015 Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Essen. Er ist heute Präsident des Chinesisch-Deutschen Freundschaftskrankenhauses in Wuhan. Prof. Nagel hat bislang wenig Verdienste um den Überlastungsschutz der Beschäftigten. Er dient uns aber als Experte, um die Ungeeignetheit zu belegen:
XXL-Schichten sind gefährlich – für Patienten und Personal |
Vorläufig? Von wegen! |
§ 69 Abs. 5 BPersVG erlaubt bei »Maßnahmen, die der Natur der Sache nach keinen Aufschub dulden, bis zur endgültigen Entscheidung vorläufige Regelungen«.
Genauso oder wirkungsgleich regeln es etwa Artikel 70 Abs. 5 BayPesVG, § 66 Abs. 8 LPVG nrw, § 38 Abs. 5 MVG oder § 29 Abs. 5 MAVO.
Die Gerichte und Kommentare sind sich allerdings einig: Die Eilmaßnahme darf die endgültige Entscheidung nicht vorwegnehmen (OVG Münster 06.03.1997 – 1 A 3910/93.PVL; 27.10.1999 – 1 A 3216/97.PVL; 09.08.1989 bezüglich Überstunden; OVG Bremen 21.03.1991). Dies ist etwa ähnlich einem Antrag auf eine einstweilige Verfügung, der die Entscheidung der Hauptsache offen lassen muss.
Wir verstehen wenig über die Natur der Sachen. Doch es gehört zur Natur der Zuordnung zu einer Schicht / der Anordnung einer darüber hinausgehenden Überstunde, dass diese Anordnung für den Arbeitgeber verbindlich ist. Durch die Leistung der Arbeitszeit wird ihre Anordnung abgeschlossen; sie ist nicht mehr nur vorläufig.
»Vorläufige Regelungen müssen hinter der beabsichtigten endgültigen Maßnahme soweit zurückbleiben, dass eine wirksame Ausübung des Mitbestimmungsrechtes möglich bleibt. eine
vorläufige Maßnahme liegt dann nicht vor, wenn sie sich mit der beabsichtigten endgültigen Maßnahme deckt (vgl. hierzu Fey/Rehren [MVG-Kommentar] zu § 38 Randnummer 65, K344/345).« (Kirchengericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Angelegenheiten der Ev. Kirche von Kurhessen Waldeck, Beschluss vom 10.07.2017, AZ. 1 KS 7/15 (zitiert nach ⇒ AuK 2017-08 Seite 34).
Sicherlich darf und kann aber ein Schichtplan nicht über seinen gesamten Turnus und für alle Beschäftigten nur ›vorläufig‹ angeordnet werden. »Die Festlegungen in dem zu duldenden vorläufigen Dienstplan sind auf das nach den Erfordernissen der Einrichtung absolut erforderliche Mindestmaß zu reduzieren. In Einrichtungen, in denen Dritte betreut werden, ist absolut erforderlich alles, was eine Verringerung der Betreuungsqualität verhindert.«
⇒ KGH.EKD Beschluss 30.05.2016 – I-0124/41-2015
Vereinbaren schafft Ansprüche |
Die Anordnung von Arbeitszeiten greift tief in das Leben der Kolleginnen und Kollegen ein und begründet auch materielle Folgen.
❍ Ein nachträgliches Verfahren der Genehmigung sieht die Betriebsverfassung (BetrVG, PersVG, MVG und MAVO) nicht vor. Oft bedeutet sie bloß die Zusage der gesetzlichen Interessenvertretung, nicht gegen die Verletzung ihrer Mitbestimmungsrechte vorzugehen. Die Kolleginnen und Kollegen haben davon keinen Nutzen.
❍ Eine Zustimmung (formlose Erlaubnis) oder die Regelungsabrede (ohne Formvorschrift) bleiben in ihrer Wirkung ebenfalls auf das Innenverhältnis der Betriebsparteien beschränkt. Allenfalls kann die Interessenvertretung die Betroffenen informieren, dass diese nun – nach der durch Zustimmung ermöglichten Anordnung durch den Arbeitgeber – zur Leistung verpflichtet sind, falls die Arbeitgeberin ihre Erlaubnis nutzt.
❍ Das Regelverfahren bei beabsichtigten wichtigen Maßnahmen bleibt die betriebliche Vereinbarung (Betriebsvereinbarung, Dienstvereinbarung). Der von beiden Seiten unterschriebene Dienstplan wird veröffentlicht (ausgehangen) und bindet sowohl die Betriebsparteien als auch die darin verplanten Kolleginnen und Kollegen.
Betriebsratsbeschluss per Videokonferenz |
Für die Beschlussfassung des Gremiums kommt es auf die Stimmen der Anwesenden an. Verlangt dies die körperliche Anwesenheit aller im selben Raum?
Betriebsratsbeschlüsse sind im Umlaufverfahren, per E-Mail und wohl auch in einer bloßen Telefonkonferenz unzulässig. Denn solche Verfahren behindern den notwendige Fortgang einer demokratische Willensbildung, der einer Entscheidung vorausgeht.
Dagegen bietet die heutige frei zugängliche Internettechnik einfach bedienbare Videokonferenzen. Wir sehen einander und die diskutierten Texte. Wir können uns auch in kleineren Gruppen beraten und uns mit Gleichgesinnten absprechen. Dies ermöglichen so eine aktive Teilnahme, umfassende Information, Diskussion und Willensbildung. Das steht einer Präsenzsitzung nicht nach.
Die Sitzungen der betrieblichen Interessenvertretung sind ausdrücklich nicht öffentlich. Darf jemand heimlich mithören?
Auch in Sitzungen im Betriebsratsraum ist es zumindest möglich, dass irgend ein anderer heimlich in der Hosentasche ein Mikrofon hat und so an andere weitersendet. Es reicht, zu Beginn einer Videokonferenz darauf hinzuweisen, dass diese Besprechung nicht öffentlich ist und dessen Teilnehmer/innen dies sicherstellen müssen.
Endgültige Klarheit wird es erst geben, wenn sich das BAG mit der Frage beschäftigt oder die Gesetzgeber das BetrVG entsprechend ändern. Vielleicht verzichtet die Arbeitgeberin aber ausdrücklich auf die Einrede, die Beschlussfassung in Videokonferenz sei unzulässig.
Sonst aber wird wohl der Minister helfen –
Minister Hubertus Heil: |
Beschlüsse sind auch dann wirksam, wenn sie unter Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit zustande gekommen sind. Insofern bleibt eine Videokonferenz nur ein kleines Risiko.
❍ Das Gremium führt so oft wie möglich herkömmliche Betriebsratssitzungen durch. Das Gremium entscheidet, ob es – vielleicht auch nur vorübergehend – per Videokonferenz Beschlüsse fasst.
❍ Die Teilnehmer an der Videokonferenz erklären nacheinander ausdrücklich zu Protokoll, ob sie sich allein im Raum befinden bzw. ob noch weitere Personen anwesend sind. Sie versichern nacheinander ausdrücklich zu Protokoll, unverzüglich Bescheid zu sagen, sobald eine weitere Person den Raum betritt.
❍ Das Gremium beschließt vielleicht gelegentlich eine Geschäftsordnung, die eine Zulässigkeit der Durchführung von Betriebsratssitzungen und das Fassen von Beschlüssen per Videokonferenz vorsieht.
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Betriebliche Ausnahmeregungen (04.04.2020)
Diesmal grübeln wir über
⊗ Corona: Betriebliche Ausnahmeregelungen
⊗ Sprechstunden der Schichtplan-Fibel
Im Newsletter vom 28.03. wurde zurechtgerückt: Die derzeitigen ⇒ Ausnahmebewilligungen der Aufsichtsbehörden folgen § 15 ArbZG. Sie bewilligen nicht alles, was § 15 ArbZG zuließe. Sie erlauben Arbeitgebern, Beschäftigte abweichend von § 3 ArbZG bis zu 12 Stunden werktäglich arbeiten zu lassen. Doch sie erfassen nicht diejenigen, die in Wechselschichtarbeit oder als Dauernachtwache unter dem besonderen Schutz von § 6 Abs. 2 ArbZG stehen.
Corona-Krise: Kein Freibrief über § 14 ArbZG! |
✍ Zusammengefasst: |
»Tatsachenirrtümlich« glauben Arbeitgeber in Kliniken und Heimen, Convid-19-Erkrankungen würden ihnen Sonderrechte einräumen. Sie dürften nun länger und pausenlos arbeiten lassen. Sie haben das Arbeitszeitgesetz überflogen und haben sich gemerkt – »darf abgewichen werden«. Sie berufen sich auf ihre Fundstelle –
§ 14 (Arbeitszeitgesetz) Außergewöhnliche Fälle
1. wenn eine verhältnismäßig geringe Zahl von Arbeitnehmern vorübergehend mit Arbeiten beschäftigt wird, deren Nichterledigung das Ergebnis der Arbeiten gefährden oder einen unverhältnismäßigen Schaden zur Folge haben würden, 2. bei Forschung und Lehre, bei unaufschiebbaren Vor- und Abschlußarbeiten sowie bei unaufschiebbaren Arbeiten zur Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen oder zur Behandlung und Pflege von Tieren an einzelnen Tagen, wenn dem Arbeitgeber andere Vorkehrungen nicht zugemutet werden können. |
Wir sind ein wenig sorgfältiger als die Arbeitgeber. Wir notieren uns für unsere Prüfung –
❍ vorübergehende Arbeiten oder an einzelnen Tagen,
❍ unaufschiebbare Arbeiten,
❍ andere Vorkehrungen waren unzumutbar.
Nur falls diese drei Bedingungen in einem Gesundheitsbetrieb erfüllt wären, darf der Arbeitgeber von den Schutzvorschriften in §§ 3 bis 5, 6 Abs. 2, §§ 7, 11 Abs. 1 bis 3 und § 12 Arbeitszeitgesetz abweichen: länger als werktäglich 10 Stunden arbeiten lassen, ohne Pausen, mit verkürzter Ruhezeit, ungeachtet der Sonn- und Feiertagsruhe.
Merke: Wird das Arbeitszeitgesetz aufgeweicht, schützen Dich weiterhin der Tarifvertrag, der Arbeitsvertrag, die Mitbestimmung.
Notfall? Außergewöhnlicher Fall? |
Die Arbeitgeber haben die Corona-Pandemie nicht absichtlich verschuldet. Vielleicht war manches grob fahrlässig. Diese Pandemie ist sicherlich außergewöhnlich. Die Versorgung von Convid-19-Erkrankten kann in den kommenden Wochen und Monate außergewöhnliche Anstrengungen und Organisationsmaßnahmen erfordern. Außergewöhnlichkeit ist dabei eine mildere Abstufung zum Notfall.
Die Aufsichtsbehörden haben vorauseilend gehandelt. Damit handelt es sich nicht mehr um überraschende Herausforderungen. Die Notfälle der Patienten waren und sind erwartbares Tagesgeschäft der Akutkliniken.
Der Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI) erläutert in seiner LV 30 den § 14 ArbZG:
»Wann liegt ein außergewöhnlicher Fall oder Notfall vor?
[…] Krankenhäuser müssen als originäre Aufgabe permanent auf Notfälle eingerichtet sein und diese bei der Erstellung von Dienstplänen abdecken. Medizinische Einsätze sind weitgehend einplanbare Ereignisse und dementsprechend keine ›Notfälle‹ im Sinne des § 14 ArbZG. In Notaufnahmen und Intensivstationen kommen Ausnahmen nach § 14 ArbZG damit für den Regelbetrieb nicht in Betracht.«
Planung und Regelung, auch die Planung von Schichten, sind logische Gegenstücke zum Notfall. Erst wenn der Regelbetrieb überrascht wird und abändernder Sofortmaßnahmen bedarf, erst dann rutschen wir vielleicht in einen Notfall hinüber.
Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei |
§ 14 Abs. 1 des ArbZG hilft den Klinikmanagern und Heimleiterinnen sowieso kaum auf die Füße. Denn ihre Übergriffe auf den Gesundheitsschutz der Beschäftigten sollen nicht in ein paar Tagen vorbei sein. Sie sind nicht nur »vorübergehend«.
Die Kommentatoren des Arbeitszeitgesetzes sind sich in der erlaubten Dauer nicht ganz einig. Ab wann genau ist etwas nicht mehr bloß vorübergehend?
Der Duden erläutert:
vorübergehend → nur eine gewisse Zeit; nicht lange dauernd; für kurze Zeit.
Der Wahrig (Brockhaus) erläutert:
vorübergehend → nur kurze Zeit andauernd; zeitweilig; kurzlebig.
Doch § 14 Abs. 2 Nummer 2 ArbZG ist noch ein wenig präziser. Er schreibt von »unaufschiebbaren Arbeiten zur Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen […] an einzelnen Tagen«.
Diese Tage müssen nicht unmittelbar aufeinander folgen. Doch eine oder gar mehrere Wochen sprengen die Voraussetzung für solche Ausnahmen. Spätestens nach zwei Wochen darf eine Kollegin diese Zumutungen also freundlich aber bestimmt zurückweisen: »Das dürfen Sie nicht mehr und das werde ich nicht mehr!«
Merke: Notfall ist keine Gewohnheit, eine Regel ist nicht außergewöhnlich.
Sicher darf diese Ausnahme wohl allenfalls so lange währen, bis die Aufsichtsbehörde eine durch den Arbeitgeber beantragte Ausnahmebewilligung erlassen kann. Schon da stolpern die Arbeitgeber auf ihrem Weg. Denn die Aufsichtsbehörden haben ihre Ausnahmebewilligungen für die gesamte Branche bereits erteilt. Die erkannte anrollende Welle an Convid-19-Erkrankungen soll gerade nicht überraschen. Sie soll gerade nicht zu organisatorischen Notfällen führen.
Die Arbeitgeber haben ihre Ausnahmebewilligung erhalten. Sie ist ihnen zu eng, denn Wechselschicht und Dauernachtarbeit bleiben geschützt. Stellt der Arbeitgeber keine weitergehenden Anträge? So entsteht keine rechtliche Grundlage für einen Dauer-Ausnahme-Betrieb.
Es geht alles vorüber, |
Unaufschiebbare Arbeiten? |
§ 14 Abs. 2 Nummer 2 ArbZG schreibt von »unaufschiebbaren Arbeiten zur Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen«. Die Gesetzgeber/innen schrieben nicht ›in‹ der Pflege und Betreuung. Das schließt zwar nicht ganze Einrichtungen ein. Es umfasst aber auch die, die selbst nicht unmittelbar behandeln / pflegen / betreuen. Doch die Abrechnung, Bilanzierung, Verwaltung, Wartung bleiben bei diesen Zumutungen außen vor. Andere Berufe wie Pförtner, Patientenaufnahme oder Küche liegen in einer Grauzone.
Leichter ist zu entscheiden: Kann hier unaufschiebbare Arbeit nur mit überschießenden Anordnungen getan werden?
In den Kliniken und Heimen ist ein ganzer Teil der Pflege und Betreuung unmittelbar zeitnah zu erledigen. Deshalb können und dürfen doch immer wieder Beschäftigte zum Feierabend pünktlich nach Hause gehen. Denn eine Schichtbesetzung löst die vorausgehende ab und führt deren Arbeiten fort. Die Arbeit wird damit nicht aufgeschoben. Sie wird an andere weitergeschoben. Dies ist auch praktikabel. Die Arbeit muss also nicht etwa liegen bleiben, sie kann unmittelbar von anderen fortgesetzt werden.
Die Einplanung einer ablösenden Schichtbesetzung ist die geeignete, zumutbare und übliche Vorkehrung. Der Arbeitgeber muss daher, bevor wir ihm den 'Notfall' glauben, beschreiben können –
❍ diese oder jene Arbeitsaufgabe muss sofort und darf keinesfalls erst später erledigt werden
❍ dieser Schaden oder jene unzumutbare Störung drohen bei einer Übergabe / ein Weiterreichen / einer Ablösung.
❍ der Schaden oder die Störung werden durch die beabsichtigten einschneidenden Maßnahmen zumindest gemildert.
Vorkehrungen waren zumutbar! |
⊗ Das Robert-Koch-Institut (RKI) informierte seit Mitte 2004 die Arbeitgeber in Vorträgen über eine notwendige betriebliche Pandemieplanung. Es stellte dazu die Folienvorträge im Internet bereit.
⊗ Der Verband der Betriebs- und Werksärzte (VDBW) informierte zumindest seit 2006 ausführlich über die notwendigen betrieblichen Vorbereitungen auf eine Pandemie; die Vorschläge betrafen insbesondere das öffentliche Gesundheitswesen.
⊗ Die Deutsche gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) versuchte zumindest seit 2009, mit ihren '10 Tipps zur betrieblichen Pandemieplanung' Arbeitgeber in die Handlungspflicht zu nehmen.
⊗ Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe hat im Jahr 2010 im 'Handbuch Betriebliche Pandemieplanung – zweite erweiterte und aktualisierte Auflage' auf 180 Seiten ausführlich alle notwendigen Vorbereitungen beschrieben, als übersichtliche Handzettel und mit Checklisten.
Diese, in den aktuellen Fassungen, und vieles mehr haben wir zusammengestellt unter ⇒ t1p.de/pandemie.
∅ Dein Arbeitgeber hat die notwendigen zumutbaren Vorkehrungen versäumt? Er hat keine Schutzausrüstungen bevorratet? Er hat keine Personalreserven eingeplant? Er hat keine Ausfallpläne erstellt und mitbestimmen lassen?
Wer keine rechtzeitig erstellten betrieblichen Pandemiepläne vorweisen kann, darf sich nun nicht auf einen überraschenden Notfall herausreden. Die Verantwortlichen für diese Krise haben keine Sonderrrechte. Und sie haben auch keine verdient!
Sprechstunden der Schichtplan-Fibel |
Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Die staatlichen Auflagen verlangen die soziale Distanzierung. Die Konflikte im Betrieb erfordern, dass wir enger zusammenrücken.
Von Montag bis Freitag zwischen 14 und 16 Uhr steht die Schichtplan-Fibel für Beratungsgespräche bereit. Nur vorübergehend. Es reicht, wenn Du Dich mit einer Mail fragen@schichtplanfibel.de und dem Vorschlag einer Uhrzeit zum kurzen Video-Chat verabredest.
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Anordnungen, Ausnahmen, Sprechstunden (28.03.2020)
Corona: Staatliche Anordnungen |
Ordnet eine staatliche Behörde etwas an, so müssen wir dem folgen. Das gilt auch für Arbeitgeber. Wer dagegen Rechtsmittel einlegen will braucht Geduld. Meist handelt es sich um ein Untersagen, Beschlagnahmen und um Auflagen. Ein Beispiel –
§ 31 IfSG (Infektionsschutzgesetz) Berufliches Tätigkeitsverbot |
Vielleicht wird einem Arbeitgeber verboten, eine Kollegin zu beschäftigten. Dies verkürzt ihre Arbeitszeit drastisch. Doch die Anordnungen der Behörden unterliegen nicht der Mitbestimmung durch die gesetzliche Interessenvertretung.
Merke: Der Betriebsrat hat nur insoweit mitzubestimmen, als auch der Arbeitgeber selbst noch etwas zu bestimmen hat (BAG 26.05.1988 – 1 ABR 9/87). Die Behörden untersagen die Arbeit. Sie verbieten, jemanden zu beschäftigen. Sie zwingen jedoch niemanden zur Arbeit.
Corona: Ausnahmebewilligungen |
Für die Überwachung der Einhaltung der Regeln zum Schutz vor den Folgen der Arbeit ist unter anderem die Aufsichtsbehörde zuständig. Die wird in den Bundesländern ganz unterschiedlich organisiert: Als ein Staatliches Aufsichtsamt, Gewerbeaufsichtsamt, Ressort der Bezirksregierung, Landesamt für Gesundheitsschutz …. Sie überwachen sehr behutsam, oft fast unmerklich.
Sehr viel dramatischer haben diese Behörden in diesen Wochen den Schutz gelockert. Das dürfen sie –
§ 15 ArbZG Bewilligung, Ermächtigung |
Vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie haben die Behörden landauf landab solche Ausnahmen beschrieben. Wir sammeln diese Verordnungen im Internet unter ⇒ https://t1p.de/ausnahmebewilligungen
Sie sind unterschiedlich in Form und Umfang. Doch sie folgen einem Muster:
❍ Sie listen kritische Branchen auf; in fast allen Listen sind medizinische und pflegerische Dienstleistungen mit erfasst.
❍ Sie erlauben in diesen die ausnahmsweise Beschäftigung der Arbeitnehmer/innen auch an Sonn- und Feiertagen. Dies geht an Gesundheitseinrichtungen vorbei. Denn aufgrund § 10 ArbZG dürfen Krankenhäuser und Heime ohnehin an allen Wochentagen beschäftigen.
❍ Sie erweitern den Zeitraum, binnen dem solche Beschäftigung an einem Sonntag durch einen Ersatzruhetag ausgeglichen werden muss, von zwei auf acht Wochen.
❍ Sie erlauben in diesen Branchen, abweichend von § 3 ArbZG die werktägliche Höchstarbeitszeit auf bis zu 12 Stunden auszuweiten.
In Kliniken und Heimen wird derzeit recht hektisch umorganisiert. Oft nehmen sich die dort Verantwortlichen nicht genug Zeit zum Lesen. Schutzbestimmungen sind ihnen fremd. Dies führte zu erheblichen Missdeutungen.
❍ In Krankenhäusern und Heimen ist Beschäftigung an einem Sonntag unverändert binnen zwei Wochen auszugleichen. Denn diese Beschäftigung erfolgt ja gar nicht über die Ausnahmegenehmigung, sondern über § 10 ArbZG.
❍ Die Ausweitung der Höchstarbeitszeit betrifft nur diejenigen, die unter § 3 ArbZG erfasst sind. Doch insbesondere in den Intensivabteilungen der Krankenhäuser gelten die allermeisten der Beschäftigten als Nachtarbeitnehmer/innen im Sinne des § 2 ArbZG. Für sie zieht daher nicht § 3 sondern –
§ 6 ArbZG Nacht- und Schichtarbeit |
Merke: Es sind keine Ausnahmen bewilligt für Wechselschicht oder Dauernachtarbeit.
❍ Meist enthalten die Ausnahmebewilligungen in der Verordnung selbst oder in deren Begründung den Hinweis: »Diese Genehmigung ersetzt nicht die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates nach § 87 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG).«
Die amtliche Erlaubnis ordnet keine Arbeitszeit an. Sie ordnet erst recht nicht für alle Beschäftigten in dieser Branche 12-Stunden-Schichten an. Änderungen von Schichtzeiten stören die Lebensplanungen der Beschäftigten. Wahrscheinlich ist ein besonderer Schutz vor Überlastungen notwendig. Die geeignete Form zu regeln, wer wann und wie lange arbeiten soll und um Ansprüche für die Betroffenen zu begründen, das ist die betriebliche Vereinbarung.
Die amtliche Erlaubnis greift nicht in die ausgehandelten Betriebs- oder Dienstvereinbarungen ein. Die amtliche Erlaubnis greift auch nicht in Arbeitsverträge ein, nicht in die darin in Bezug genommenen AVR und erst recht nicht in unsere Tarifverträge.
Corona: Tariflicher Zauber |
Die Tarifverträge haben nicht nur besonderen Schutz geregelt. Sie haben dabei oft im Gegenzug Zumutungen eingehandelt. Die AVR, sowieso das Ergebnis einer kollektiven Bettelei, haben alle Schlechtigkeiten der Tarifverträge abgeschrieben. Schauen wir in die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes -
§ 6 TVöD Regelmäßige Arbeitszeit |
Wir notieren uns für eine sorgfältige Prüfung –
❍ betriebliche Vereinbarung
❍ § 7 Abs. 2 ArbZG
❍ dringender betrieblicher Grund
Über diese Tariföffnung scheint auf den ersten Blick der Weg freigeräumt, Pausen zu beseitigen, die tägliche Höchstarbeitszeit auszuweiten oder die Ruhezeit zu kürzen. Und in § 7 Abs. 2 ArbZG finden wir die generelle Erlaubnis, über einen Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung –
§ § 7 Abs. 2 ArbZG Abweichende Regelungen |
Doch die Beatmungspflege von infizierten Intensivpatienten ist ein Knochenjob. Diese Eigenart der Tätigkeit erfordert kürzere Arbeitszeiten, nicht verlängerte pausenlose Schichten.
Und bei genauerer Betrachtung wachsen die Zweifel: Was wäre durch die Verlängerung der Schichten gewonnen? Die vertragliche Zeitschuld bleibt unverändert bei 38,5 oder im Osten 40 Stunden im Wochendurchschnitt. Wer 12 Stunden geplant arbeitet, darf im Anschluss keine einzige Minute länger über das Schichtende zu Überstunden herangezogen werden.
Die Massierung der Arbeitszeit an weniger Tagen der Woche führt zu mehr freien Tagen. Diese bleiben gegen Übergriffe geschützt. Die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes kennen keine Sonderform der Arbeit ›Überstunden an planfreien Tagen‹.
Merke: 12-Stunden-Schichten verringern die Flexibilität der Arbeitgeber.
Allein ein ehrenhaftes Motiv zu haben, reicht hier als Grundlage nicht aus. In einem etwas anderen Zusammenhang beschrieben die Bundesarbeitsrichter: »Insoweit genügt es, wenn der Arbeitgeber rational nachvollziehbare, hinreichend gewichtige Gründe hat« (BAG Urteil 13.11.2012 – 9 AZR 259/11 Rn. 21). Wir erwarten nicht einen notfallmäßigen Massenanfall von Patienten für ein oder zwei Tage. Die Arbeit muss über Wochen und Monate hinweg organisiert werden. Die 12-Stunden-Schichten lösen dabei keines der betrieblichen Probleme: Hoher Arbeitsanfall, Personalknappheit, Krankenstand, Mangel an Beatmungsplätzen. Die Verlängerung der Schichten ist nicht geeignet, die unterstellten angestrebten Zwecke der Vermehrung zu erreichen. Sie würde sie wohl noch verschlimmern. Es fehlt also ein vernünftiger, rational nachvollziehbarer Grund.
Noch ein paar Bedenken |
Die amtlichen Ausnahmebewilligungen stehen genau wie die tarifvertraglichen Öffnungen unter einem Vorbehalt: Die Norm soll einen Zweck erreichen.
❍ Die amtlichen Ausnahmen erlauben, was »im öffentlichen Interesse dringend nötig« ist.
Hier geht es um die Versorgung der erkrankten Menschen und um den Gesundheitsschutz. Kann dieser Zweck am Tage durch weniger und längere Schichten erreicht werden?
❍ Die tariflichen Ausnahmen erlauben, worauf sich aus »dringenden betrieblichen/dienstlichen Gründen« die Betriebsparteien einigen.
Hier geht es nicht um die Sicherstellung einer Mindestbesetzung der Schichten. Diese – das haben uns die Arbeitgeber nun wirklich allzu oft vorgehalten – folgen nicht der betrieblichen Organisation, sondern ihrem freien unternehmerischen Willen. Darum entziehen sie die Mindestbesetzung so beharrlich der Mitbestimmung.
Hier geht es auch nicht um die Versorgung aller Erkrankten in der Region. Dies wäre ein öffentlicher und eben kein betrieblicher Grund.
Merke: Öffentlich oder betrieblich ist etwas anderes als unternehmerisch, privat, individuell oder grundlos […]
❍ Die gesetzlichen und tariflichen Ausnahmen kümmern sich schon gar nicht um die angeblichen Wünsche der Beschäftigten. Da zwinkert uns allerdings eine Ausnahme zu. Denn in den Tarifen des öffentlichen Dienstes schließt sich an § 6 Abs. 4 TVöD / TV-L etwas an, das wir erreichen können: Mehr freie Wochenenden!
Protokollerklärung zu Absatz 4: |
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Urlaub, Aufschlagsatz (26.03.2020)
Urlaub in der Corona-Krise |
Aufgezwungener Urlaub – Urlaub ohne Antrag |
Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer den Urlaub zu gewähren. Dieses »Gewähren« geschieht meist aufgrund eines Urlaubsantrags. Denn so ist der Arbeitgeber sicher, dass er die Wünsche der einzelnen Beschäftigten richtig berücksichtigt.
§ 7 BUrlG Zeitpunkt […] des Urlaubs |
Ausnahme 1: Die Betriebsferien darf der Chef festlegen. Sie wirken kollektiv und müssen darum mit dem Betriebsrat/Personalrat vereinbart werden – falls eine Interessenvertretung gewählt ist. Im schutz- und betriebsratslosen Betrieb ist eine einseitige Anordnung möglich. Doch dann braucht es wieder den ausreichenden Vorlauf (Ankündigungsfrist von vier bis sechs Wochen). Das billige Ermessen wird in Zeiten von Corona wohl in Richtung des Betriebes ausschlagen. Es muss nur genug Resturlaub zur freien Verfüung verbleiben.
Ausnahme 2: Der Arbeitgeber darf einseitig Resturlaubstage vor Ablauf des Kalenderjahres festlegen. Denn neuerdings verfällt der Urlaubsanspruch nicht mehr, falls eine Kollegin sich nicht darum kümmert (BAG Urteil 19.02.2019 – 9 AZR 423/16). [Anders im BAT-KF, der in § 25 Abs. 2 auch den vertraglichen Resturlaub automatisch ins Folgejahr überträgt]. Der Arbeitgeber muss seinen Versuch nachweisen können, zumindest den gesetzlichen Grundurlaub der Kollegin zu gewähren. Auch da muss er rechtzeitig handeln.
Lösung: Gibt es zwischen einer Kollegin und dem Arbeitgeber keine Einverständnis über die Lage des Urlaubs? § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG schreibt für solche Einzelfälle zwingend die Mitbestimmung vor. Ohne diese Mitbestimmung kann im Steitfall ein Arbeitgeber Urlaub weder verbindlich festlegen noch ablehnen. Etwa im § 72 Abs. 1 Nr. 13 LPVG nrw / § 75 Ab. 3 Nr. 3 BPersVG oder im § 42 k MVG ist dies ebenso verankert. Nicht aber in der MAVO.
Kein Widerruf des Urlaubs |
In Corona-Zeiten sind während des Urlaubs überraschende Anrufe aus dem Betrieb nicht ausgeschlossen. Auch wenn sich dann einige Vorgesetzte ungeschickt ausdrücken – sie weisen nicht an sondern bitten bloß inständig, den Urlaub abzubrechen. Im Urlaub nehmen wir ja keine Anweisungen entgegen. Achtung: Die Corona-Krise wird noch etliche Monate anhalten. Auch in solchen Zeiten ist niemand auf Dauer unentbehrlich.
Schwieriger ist es mit dem Widerruf eines bevorstehenden Urlaubs. Ein Betrieb könnte in eine unvorhersehbare Notlage geraten und eine Kollegin unabkömmlich sein, um diese abzuwenden.
Corona bringt zumindest Krankenhäuser und Heime nicht in eine Notlage.
Der Corona-Virus bedroht Patienten, Klienten, Bewohner – und sicherlich dramatisch. Er bedroht vielleicht auch die Aktionäre oder Heimbesitzer.
Doch der Corona-Virus bedroht nicht den Betrieb selbst. Das Geschäft brummt und blüht. Es fehlt daher die betriebliche Notwendigkeit, eine Urlaubszusage zurückzuziehen, um einen Schaden vom Betrieb oder von Kolleginnen abzuwenden.
Zugegeben: Diese enge Unterscheidung wirkt etwas kleinlich. Allerdings – wir erwarten einen chronischen Fachkräftemangel über Jahre hinweg. Viele werden schlecht oder gar nicht versorgt. Diese Not darf nie zum Grund werden, sich zukünftig die Urlaubsträume zu verkneifen.
Rücktritt vom Urlaub? |
Alles war so schön geplant – die gemeinsame Reise in den Süden, das Hotel war gebucht.
Diese Pläne hat die Pandemie zerschlagen. Doch der Arbeitgeber hat den Urlaubsantrag beschieden und den Urlaub festgelegt. Er erklärt: »Das ist verbindlich und bleibt so! Ich habe eh grad keine Arbeit für Sie.«
Einvernehmlich kann jeder Urlaub abgeändert und neu festgelegt werden. Einseitig ist dies nicht möglich – nicht einmal, wenn ein Urlaub für die Arbeitnehmer/innen so unzumutbar wird.
Störung der Urlaubsgewährung |
Arbeitgeber können einen Urlaub nur gewähren, falls der Urlaub von geplanter und tatsächlich bestehender Arbeitspflicht freistellt. Daraus entstehen manchmal überraschende Wendungen.
❍ Tritt während einer Schwangerschaft ein Beschäftigungsverbot hinzu, kann der Arbeitgeber den Urlaub nicht gewähren (BAG Urteil 09.08.2016 – 9 AZR 575/15). Der Anspruch muss später erneut festgelegt werden.
❍ Auch Arbeitsunfähigen kann der Arbeitgeber keinen Urlaub gewähren. Doch gilt dies nur vor dem Urlaubantritt. Vielleicht meldet sich jemand krank – und sei es auch nur einen Tag vor dem ersten Urlaubstag und vielleicht auch nur bis einschließlich diesem ersten Urlaubstag. Dann wird es dem Arbeitgeber tatsächlich unmöglich, den Urlaub so wie geplant zu gewähren. Er darf nicht einfach den verbleibenden Teilurlaub anordnen. Nach der Genesung muss der Arbeitgeber den Urlaub erneut festlegen. Dazu braucht er jedoch zunächst wiederum einen geäußerten Urlaubswunsch der Kollegin (§ 7 Abs. 1 BUrlG). Gibt es Streit um diese Festlegung? Dann kommt – wie oben beschrieben – zunächst mal die Interessenvertretung ins Spiel.
❍ Hat der Urlaub allerdings bereits begonnen, dann können weder der Arbeitgeber noch der Arbeitnehmer einseitig daran etwas ändern. Tritt eine Arbeitsunfähigkeit während des Urlaubs ein, reicht auch der bloße unverzügliche Anruf nicht aus (Anzeigepflicht). Nur Tage, für die später ein Attest beigebracht wird, sind für den Urlaubsanspruch unschädlich.
❍ Ist der Urlaub bereits angetreten, dann werden unverzüglich gemeldete und später auch mit Attest belegte AU-Tage nicht als Urlaub verbraucht. Sie sind später nachzugewähren.
§ 9 BUrlG Erkrankung während des Urlaubs |
Aufschlagsatz Urlaub und Krankheit |
Der Fall |
Eine Beschäftigte fällt unter den – etwas ungewöhnlichen – KTD (Kirchlichen Tarifvertrag Diakonie), nach dem kirchliche Einrichtungen in der Kirchenregion Nordelbien greifen dürfen. Sie arbeitet regelmäßig auch Nachtschichten in Folge. Es wird nun darum gestritten, wie die Arbeitgeberin bei Urlaub und Arbeitsunfähigkeit den tagesgleichen Aufschlagsatz für die unständigen Entgeltbestandteile (Überstunden, Zeitzuschläge) zu berechnen hat. Diese ermittelte den Durchschnitt der unständigen Entgeltbestandteile der letzten drei abgerechneten Kalendermonate, indem sie die in den drei Referenzmonaten durchschnittlich erzielten unständigen Bezügebestandteile durch 30,42 teilte (durchschnittlichen Kalendertage eines Monats). Nur diesen Teil zahlte sie für jeden Urlaubstag.
Die Begründung |
»Entgegen der Auffassung des Beklagten sind die durchschnittlichen unständigen Entgeltbestandteile anhand der konkreten Arbeitstage nicht anhand der durchschnittlichen Kalendertage eines Monats zu errechnen. [Denn es] spricht der Sinn und Zweck der in § 19 Abs. 2 KTD vorgesehenen Durchschnittsberechnung für die konkrete Berechnung anhand der tatsächlichen Arbeitstage und gegen die abstrakte Berechnungsweise des Beklagten. […] Konsequent ist das Abstellen auf die konkreten Arbeitstage im Referenzzeitraum auch im Hinblick auf die Tatsache, dass auch die Urlaubsentgeltzahlung nach dem KTD pro ausgefallenen Arbeitstag und nicht pro Kalendertag des Urlaubszeitraums erfolgt. […]
Unter Anwendung der auf die konkreten Arbeitstage abstellenden Berechnungsmethode ergeben sich die von der Klägerin mit der Klage geltend gemachten Ansprüche i.H.v. insgesamt 668,88 EUR brutto.
[Die] Geltendmachung der Ansprüche aus Oktober 2017 im Mai 2018 [ist zwar] nicht sechs Monate nach der tarifvertraglichen Fälligkeitsregelung erfolgt […]. Die Fälligkeit einer Leistung im Sinne einer Ausschlussfrist hängt jedoch dann von einer Abrechnung des Anspruchsgegners ab, wenn der Anspruchsberechtigte die Höhe seiner Ansprüche ohne die Abrechnung der Gegenseite nicht erkennen kann. Ein solcher Fall kann vorliegend aufgrund der komplexen Berechnungsweise angenommen werden.«
Tipp |
Arbeitgeber versäumen nicht nur bei der Bezahlungen von Überstunden und Zeitzuschlägen. Sie tun sich auch schwer, die hochflexibel verteilte Arbeitszeit in der Pflege, bei Ärzten und MTA bei Freistellungen (Urlaub, AU) sauber nachzuhalten. Oft versagt die Schnittstelle zwischen der Dienstplansoftware und der Entgeltabrechnung.
Die Berechnungsweise ist ›komplex‹. Es hilft, die Interessenvertretung zu aktivieren. Sie ist ja extra freigestellt, um die Abrechnungen zu überwachen. Zunächst identifiziert sie dazu einfache Fälle. Treten hier Ungereimtheiten auf, wird die Konfrontation der Personalleitung meist schnell Aufklärung bringen.
⇒ ArbG Kiel Urteil 17.12.2019 – 5 Ca 928/18
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Mitbestimmmung trotz Corona, Das Buch, 5-Tage (20.03.2020)
Diesmal grübeln wir über
⊗ Mitbestimmen trotz Corona
⊗ Schichtplan-Fibel Das Buch
⊗ 5 Tage je Woche und 5-Tage/Woche
Auch im Eilfall – erst einmal Mitbestimmung! |
Die Beteiligten streiten über die Unterlassung der Anordnung von Überstunden.
Aus der Begründung: |
»Für die mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten des § 87 BetrVG ist für Dringlichkeitsfälle keine Sonderregelung getroffen worden, obwohl gerade die hier einschlägige Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit nach §87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG häufig kurzfristig erfolgen muss. Das Fehlen einer Sonderregelung für Eilfälle in § 87 BetrVG zeigt, dass der Gesetzgeber in diesem Bereich die Mitbestimmung des Betriebsrats nicht einschränken wollte (vgl. BAG 02. März 1982 – 1 ABR74/79 – Rn. 27, zitiert nach Juris).
Auch in Missbrauchsfällen ist ein Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers nicht anzuerkennen, weil sonst das Mitbestimmungsrecht unterlaufen werden könnte (vgl. GK – Wiese, § 87 Rn. 361). Zu erwägen ist in Eilfällen allenfalls eine vorläufige gerichtliche Regelungsverfügung (dafür Baur in: ZfA 1997, 445 (493)).
Ein Alleinentscheidungsrecht kommt nur in Notfällen in Betracht, in denen sofort gehandelt werden muss, um von dem Betrieb oder den Arbeitnehmern Schaden abzuwenden und in denen entweder der Betriebsrat nicht erreichbar ist, keinen ordnungsgemäßen Zustimmungsbeschluss fassen kann oder in denen er willkürlich seine Zustimmung verweigert (vgl. GK – Wiese, § 87 Rn. 162).
Aus dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit kann entnommen werden, dass in solchen extremen Notsituationen der Arbeitgeber das Recht hat, vorläufig zur Abwendung akuter Gefahren oder Schäden eine Maßnahme durchzuführen, wenn er unverzüglich die Beteiligung des Betriebsrats nachholt (vgl. BAG 19. Februar 1991 – 1 ABR31/90 – Rn. 30, zitiert nach Juris).
Derartige Notfälle bestanden im Streitfall indessen nicht. Unter einem Notfall kann in Abgrenzung gegenüber dem Eilfall jedenfalls nur eine plötzliche, nicht voraussehbar gewesene und schwerwiegende Situation verstanden werden, die zur Verhinderung nicht wieder gutzumachender Schäden zu unaufschiebbaren Maßnahmen zwingt; es muss also eine Extremsituation vorliegen (BAG 02. März 1982 –1ABR 74/79 – Rn. 31, zitiert nach Juris; BAG 17. November 1998 – 1 ABR 12/98 – Rn. 39, zitiert nach Juris). Auf die Verspätung von Flugzeugen trifft dies nicht zu.
Da solche Störungen bei der Arbeitgeberin immer wieder auftreten, lässt sich hinsichtlich des zu beachtenden Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats durch eine im Voraus zu vereinbarende generelle Regelung entsprechende Vorsorge treffen. Dies gilt auch für die wiederholt aufgetretenen IT-Ausfälle.«
⇒ LAG Hessen Beschluss 11.11.2010 – 5 TaBV 60/10
Tipp: |
Während der Corona-Krise bleibt in jedem Fall zu untersuchen -
❍ will der Arbeitgeber Sofortmaßnahmen?
❍ droht dem Arbeitgeber, seinem Betrieb (nicht dem Unternehmen) oder Beschäftigten ohne diese Maßnahmen ein Schaden?
❍ hat er die ihm zumutbare Vorkehrungen (etwa betriebliche Pandemieplanung und Vorhaltungen) getroffen?
❍ hat ihn die Regierung nicht über Tage hinweg vorgewarnt?
❍ ist eine Mitbestimmung des Betriebsrates nicht mehr möglich?
❍ hält sich die Maßnahme im gesetzlichen, tariflichen und einzelvertraglichen Rahmen?
Nur wenn auf jede dieser Fragen ein ›Ja‹ folgt, könnte es sich um rechtskonforme Sondermaßnahmen handeln. Der Notfall hebelt dann tatsächlich die Mitbestimmungsrechte erstmal aus. Im echten Notfall – das zeigt die Erfahrung – stellt kaum jemand misstrauische Fragen.
Schichtplan-Fibel extra Bereitschaftsdienste |
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Schichtplan-Fibel Das Buch |
Etliche fragen an: Wie und wo bekomme ich das frisch gedruckte Buch?
Nicht im Handel, nicht über das Internet. Nur im Bezirk (nachfassen!) und bei Seminaren.
Doch – im Internet steht auch eine ⇒ digitale Ausgabe zum freien Download.
5 Tage je Woche und 5-Tage/Woche |
Zuletzt im ⇒ Newsletter vom 10.11.2019 berichteten wir über die Auslegung der tariflichen Schutzregel für wöchentlich zwei von regelmäßiger Arbeitszeit freien Kalendertagen. Diese Rechtsprechung der ersten und zweiten Instanz wurde nun abschließend gefestigt.
Das Bundesarbeitsgericht hat am 18.03.2020 die Beschwerde der Arbeitgeberin (gegen die Nichtzulassung ihres Begehrens der Revision der Entscheidung des LAG Hamm) verworfen. Sie erfüllte nicht die "gesetzlichen Anforderungen".
Der Einigungsstellenspruch wird so – nach 16 Monaten – endlich nichtig. Die Arbeitgeberin konnte durch ihren Weg durch die Instanzen 16 Monate lang nutzen und überlastende Schichtpläne anordnen – immer wieder für einzelne Beschäftigte mit einem sechsten Kalendertag einer Kalenderwoche mit regelmäßiger Arbeitszeit. Das darf sie nun nicht mehr.
⇒ ArbG Detmold Beschluss 04.01.2019 – 3 BV 8/18, bestätigt durch
⇒ LAG Hamm Beschluss 07.11.2019 – 13 TaBV 14/19,
Nichtzulassungsbeschwerde durch das BAG am 18.03.2020 verworfen.
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Corona, Kind krank, Das Buch (11.03.2020)
Diesmal grübeln wir über
⊗ Corona, Betriebsversammlungen, Dienstreisen
⊗ Kind krank
⊗ Schichtplan-Fibel Das Buch
Trotz Corona – Dienstreisen und Betriebsversammlungen |
Seit tausenden Jahren verschanzen sich Menschen hinter verschlossenen Stadttoren und Mauern, wenn sie den Anflug von Krankheiten aus der Fremde fürchten. Oft brüteten sie dann ihre Ansteckung in nächster Nähe aus.
Erhebliche gesundheitliche Schäden bereiten derzeit Norovirus, Influenza und antibiotikaresistente Gonorrhö. Vor allem aber Krankenhausinfektionen.
Dennoch kommen einige Arbeitgeber nun auf die Idee, ihren Interessenvertretungen den Besuch von Seminaren zu verbieten. Sie berufen sich dabei irrtümlich auf ihre eigenen Maßregeln für die Vermeidung unnötiger Dienstreisen. Sie schützen die betrieblichen Interessenvertretungen vor der Reise in diese vermeintlichen Seuchennester.
Andere Chefs untersagen die Durchführung von Betriebsversammlungen. Sie schützen die Beschäftigten vor dem Besuch und den ansteckenden Gefahren dort.
Rechtsirrtümer |
Der Betriebsrat, Personalrat oder die MAV lädt zu Betriebsversammlungen ein. Die zwingende Aufgabe steht im Gesetz. Es braucht dazu nicht die Genehmigung durch den Arbeitgeber. Ein Verbot ist nicht vorgesehen. Es bleibt rechtsunwirksam. Aber eine Behinderung und Verletzung der Betriebsverfassung.
Der Betriebsrat, Personalrat oder die MAV stellt auch eine Notwendigkeit der Entsendung zu einem Seminar fest. Es handelt sich dabei nicht um eine Dienstreise, also nicht um eine Reise aufgrund einer arbeitgeberseitigen Anordnung. Denn Amtstätigkeit und Seminarbesuche sind in diesem Sinne kein 'Dienst'.
Die Interessenvertretung wird derzeit genauer prüfen, ob etwa eine Pandemieplanung für den Betrieb den Verbleib der Entsandten im Arbeitsbereich notwendig macht. Dies könnte z. B. bei Beschäftigten in Intensivbereichen (Beatmungsplätze) dann in Frage kommen, wenn vermehrt Patienten mit akuten Lungenentzündungen aufgenommen wurden. Mögliche Szenarien allein reichen dazu wohl noch nicht.
Die betrieblich einschlägigen Dienstreiserichtlinien enthalten oft Kriterien für eine Genehmigung. Diese sind auf die Entsendung zu Seminaren nicht anwendbar. Denn die Notwendigkeit der Reise ergibt sich bereits aus der Entsendungsentscheidung. Die Entsendung selbst ist zu prüfen. Die Reise bedarf dann keiner weiteren Prüfung. Die Bestimmungen der Dienstreiserichtlinien sind hier ausschließlich anwendbar zur Abwicklung der – gesetzlich vorgeschriebenen – Erstattung der notwendigen Kosten.
Zukunftsmusik |
Etwas anderes gilt, falls nicht Arbeitgeber, sondern Landkreise oder Städte eine umfassende Quarantäne verhängen und die Reisefreiheit aufheben. Dies erscheint neuerdings denkbar, vor dem Hintergrund der Entdeckung einer Virusvariante, die von den gewohnten Corona-Fällen der vergangenen Jahre abweicht. Meist aber lassen die staatlichen Zwangsmaßnahmen ein Schlupfloch: Fahrten zur Arbeit bleiben frei. So bedroht scheint den Behörden die Gesundheit dann doch nicht, dass sie in die betriebliche Produktion eingreifen.
⊗ ⇒ t1p.de/pandemie
Schichtplan-Fibel extra Bereitschaftsdienste |
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Krankes Kind mit auf Tour |
Der Fall |
Eine examinierte Altenpflegerin arbeitet in der ambulanten Pflege, noch in der Probezeit. Sie ist alleinerziehend. Nach Schichtantritt erkrankten die drei Kinder an Grippe. Der behandelnde Arzt stellte die Krankheit der Kinder und deren Betreuungsbedürftigkeit fest. Zunächst ging die Kollegin ihrer Arbeitstätigkeit weiter nach, wobei sie jedoch ihre Kinder zeitweise mitnahm. Eine Woche später erkrankte sie selbst an Grippe. Ihr wurde fristlos gekündigt. Zu Unrecht.
Aus der Begründung: |
Soweit die Beklagte der Klägerin vorwirft, sie habe ihre (kranken) Kinder mit auf die Tour genommen, was unzulässig sei, mag dieses Vorgehen zwar tatsächlich aus versicherungsrechtlichen Gründen sowie durch die gegebenenfalls dabei bestehende Ansteckungsgefahr problematisch sein; ein Grund für eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses besteht dadurch jedoch nicht. Selbst wenn man eine Pflichtverletzung unterstellt und die von der Klägerin behauptete Absprache außer Acht lässt, hätte die Beklagte die Klägerin durch Ausspruch einer Abmahnung auf ihre Pflichtverletzung hinweisen können, um sie zu einer Verhaltensänderung zu bewegen.
Zudem handelt es sich um eine Nebenpflichtverletzung, die nach dem oben Ausgeführten nur durch erschwerende Umstände eine fristlose Kündigung rechtfertigen kann. Bei der Klägerin als alleinerziehender Mutter kommt jedoch ganz im Gegensatz hierzu das entlastende Momente hinzu, dass die Mitnahme der Kinder alleine der Ermöglichung der Erfüllung ihrer Hauptpflicht diente und die Alternative hierzu ein Unterlassen der Arbeitsleistung gewesen wäre. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die von der Beklagten einzuhaltende Kündigungsfrist nur zwei Wochen betrug. Angesichts dieser geringen Zeitspanne vermag das Gericht nicht zu erkennen, warum deren Einhaltung der Beklagten nicht zumutbar sein soll. […]
Auch der Vorwurf, dass die Klägerin sich per SMS krankgemeldet oder gar ihre Krankheit angekündigt hat, trägt die außerordentliche Kündigung nicht. Eine Ankündigung einer Krankheit zum Zeitpunkt der Arbeitsfähigkeit kann dem Beklagtenvortrag nicht entnommen werden. Es bleibt der Vorwurf des falschen Übermittlungsweges.
Zwar sieht der Arbeitsvertrag der Klägerin insoweit vor, dass sie sich telefonisch krank zu melden hat, hieraus ergibt sich jedoch nicht eindeutig, dass dies nur durch einen Anruf bei der Beklagten erfolgen kann. Auch zur Versendung von SMS wird gewöhnlich ein Telefon benutzt, so dass durch eine Krankmeldung per SMS dem Arbeitsvertrag von seinem Wortlaut her genüge getan wird. Schon angesichts dieser aus dem Arbeitsvertrag resultierenden Unklarheit wäre vor Ausspruch einer Kündigung ein Hinweis der Beklagten auf die aus ihrer Sicht vorliegende Pflichtverletzung notwendig gewesen. Selbst wenn man jedoch eine Pflichtverletzung annimmt, hat diese kein solches Gewicht, dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für die Dauer von zwei Wochen unzumutbar erscheint.
⇒ ArbG Siegburg Urteil 04.09.2019 – 3 Ca 642/19
Schichtplan-Fibel Das Buch |
In diesen Wochen geht die 4. Auflage in Druck. Sie wird danach auf Anforderung über die ver.di-Bezirke (Fachbereich Drei) vertrieben, zudem in den entsprechenden Seminaren verteilt.
Die Tarifverträge, AVR und die Rechtsprechung bewegen sich fortlaufend. Über die Ergänzung und Aktualisierung von Verweisen auf wichtige Gerichtsentscheidungen hinaus haben wir das Buch um drei Unterkapitel erweitert und damit abgerundet:
❍ Alleinarbeit: Die zwingend vorgeschriebene Beurteilung aller Arbeitsplätze (keine Nacht allein)
❍ Bereitschaftsdienst: Die weitgehende Freiwilligkeit und die Gesetzesverstöße in der Betriebspraxis
❍ Urlaub: Berechnung und Gewährung von Freistellung an Arbeitstagen
Komplett überarbeiten konnten wir -
❍ Tagewoche (5 Tage je Kalenderwoche, 5 Tage im Schnitt)
❍ Bezugs- und Ausgleichszeiträume (Einhaltung der Mindeststandards des Arbeitszeitgesetzes)
❍ Überstunden / Mehrarbeit / Plusstunden (eine Systematik der weit auseinanderdriftenden und verwirrenden Vertragsregeln)
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] TV-L, TVöD, AU-Anzeige (16.02.2020)
TV-L in Euro je Stunde |
Endlich ist unser Werkzeug auch für die Uniklinika mit TV-L freigegeben.
Es ist optimiert für den Einsatz im Mobilphone (Lesezeichen setzen!). Es läuft zudem auch im PC-Browser. Erst später können wir zudem die Vergütung der Bereitschaftsdienstes ausweisen.
⇒ www.t1p.de/tv-l
TVöD in Euro je Stunde – ab März |
Die Laufzeiten der abgeschlossenen Tarifverträge werden immer länger. Da staffeln die Tarifparteien die Steigerung der Tabellenentgelte. So steigt es ab März 2020 nochmal um 1,02 Prozent. Das überwachen wir besser in der Entgeltabrechnung Ende März.
Zugleich steigen auch die darauf bezogenenen Zeitzuschläge und das Bereitschaftsdienstentgelt. Das überwachen wir besser in der Entgeltabrechnung Ende Mai.
Mit der neu hinzugefügten Schaltfläche Zeit-Wechsel kannst Du zwischen den zeitlichen Geltungsbereichen wechseln.
⇒ www.t1p.de/tarifrechner
Eine Kollegin geht nun an ihrem Arbeitsplatz an ihren PC und adressiert eine Mail an sich selbst. Ins BCC (Blindkopie – die Empfänger werden nicht allen angezeigt) nimmt sie alle Beschäftigten des Klinikums. Sie schreibt:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, |
Manchmal werden Arbeitgeber oder Vorgesetzte dann unruhig. Sie halten unsere ver.di für eine Privatsache, die nicht in ihren Betrieb gehört. Da irren sie.
»Eine tarifzuständige Gewerkschaft ist aufgrund ihrer verfassungsrechtlich geschützten Betätigungsfreiheit grundsätzlich berechtigt, E-Mails zu Werbezwecken auch ohne Einwilligung des Arbeitgebers und Aufforderung durch die Arbeitnehmer an die betrieblichen E-Mail-Adressen der Beschäftigten zu versenden.«
⇒ BAG Urteil 20.01.2009 – 1 AZR 515/08
Verstoß gegen Anzeigepflichten im Krankheitsfall |
Auch bei einer fortdauernden Arbeitsunfähigkeit ist der Arbeitnehmer nach § 5 EFZG verpflichtet, dies gegenüber seinem Arbeitgeber anzuzeigen. Ein etwaiger Verstoß durch den Arbeitnehmer im Falle einer fortdauernden Erkrankung wiegt jedoch im Regelfall weniger schwer als eine fehlende oder verspätet erfolgte Anzeige bei der erstmaligen Erkrankung. Im Falle einer verhaltensbedingten Kündigung ist dies bei der im Rahmen von § 1 Abs. 2 KSchG durchzuführenden Interessenabwägung zu berücksichtigen.
⇒ LAG Baden-Württemberg Urteil 08.05.2019 – 10 Sa 52/18
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Tarifpflege Bereitschaftsdienst, Schichtzulage (31.01.2020)
TVöD- und-B: Geänderter § 8.1 Abs. 8 |
§ 8.1 Abs. 8 Satz 1 TVöD-K ist mit Wirkung zum 01.01.2020 wie folgt geändert:
An Beschäftigte, die nicht von Absatz 7 erfasst werden, wird das Bereitschaftsdienstentgelt gezahlt (§ 24 Abs. 1 Satz 3), es sei denn, dass |
§ 8.1 Abs. 6 TVöD-B ist mit Wirkung zum 01.01.2020 wie folgt geändert:
Im TVöD-K wurde damit die missverständliche erste der drei Alternativen (»… ein Freizeitausgleich zur Einhaltung der Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes erforderlich ist …«) durch eine materiell gleich wirkende ersetzt. Dies geschah nicht im Zuge von offenen Tarifverhandlungen. Stattdessen hatten die Tarifparteien eine »Tarifpflege« verabredet. Die soll sich auf redaktionelle Einigungen beschränken. Einige unserer Leser/innen erinnern sich noch aus ihren Tarifseminaren: In Tariftexten steckt in jedem Komma ein bischen Klassenkampf. Dieser fand nun hinter verschlossenen Türen statt. Selbst bloße Klärungen und Anpassungen an die aktuelle Rechtslage verbessern, verschlechtern oder verändern die Konfliktlage im Betrieb.
Ausgangspunkt war wohl die unangenehme Bemerkung in der Begründung einer BAG-Entscheidung:
»Das Gebot der Ruhezeit in dieser Vorschrift erfordert nur eine Arbeitszeitgestaltung, die gewährleistet, dass der Arbeitnehmer während der arbeitsfrei zu haltenden Zeit nicht zur Arbeitsleistung herangezogen wird. Dies kann auch dadurch geschehen, dass ihm Freizeitausgleich gewährt wird (vgl. Senat 13. Februar 1992 – 6 AZR 638/89 – BAGE 69, 339).«
⇒
BAG Urteil 17.12.2009 – 6 AZR 716/08
Manche Arbeitgeber glaubten, sie dürften nun nach Beendigung eines Bereitschaftsdienstes eine Schicht einplanen. Dieser Verstoß gegen den Schutz des § 3 und § 5 ArbZG würde sie im Folgeschritt zum Freizeitausgleich führen, unter Verrechnung gegen den eben erworbenen Vergütungsanspruch.
Tatsächlich hatten sich aber die Bundesarbeitsrichter in ihrer Entscheidung auf die stillschweigende Hinnahme dieses Freizeitausgleichs durch den – später klagenden – Kollegen gestützt. Damit hätte er seinen Vergütungsanspruch verwirkt.
Konsequenzen für die Praxis |
Kein Arbeitgeber kann nun weiter den geändert Tariftext als Aufforderung zur gesetzwidrigen Planung missverstehen. Dienstpläne müssen die gesamte regelmäßig geschuldete Arbeitszeit festlegen, im Rahmen der Schutzgesetze. Schwächelnde Betriebsräte / Personalräte / MAV mögen dann der zusätzlichen Einplanung von Bereitschaftsdiensten bei geminderter Vergütung zustimmen. Auch dabei sind die Schutzgesetze zu beachten.
Die beiden bisherigen Alternativen bleiben:
❍ der Griff über eine Betriebsvereinbarung in die Tasche der Kolleginnen,
❍ die schweigende Zustimmung der über ihre Vergütungsansprüche Uninformierten.
Hinzu tritt nun der Ersatz: Die Dienstpläne können den Freizeitausgleich (unter Wegfall der Vergütung) vorsehen. Einen drohenden Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz braucht es nun nicht mehr. Stattdessen braucht es einen Dienstplan, der keine Verstöße vorsieht und der die Zustimmung der Interessenvertretung hat. Oder deren Ersetzung durch eine Einigungsstelle.
Das ver.di-Tarifsekretariat erläutert dies so:
»Durch die Neufassung wird die erste Alternative, die dem Arbeitgeber ein einseitiges Gestaltungsrecht einräumte und deshalb auch arbeitszeitrechtlich problematisch war, durch eine Neuregelung ersetzt. Freizeitausgleich kann danach gewährt werden, wenn dies im Dienstplan vorgesehen ist. Da die Aufstellung von Dienstplänen dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsbzw. Personalrats unterliegt, kann von dieser Alternative nicht mehr durch einseitige Entscheidung des Arbeitgebers Gebrauch gemacht werden« (TS-berichtet Nr. 010/2019, 30.12.2019).
Kraftlos folgt später der Hinweis für den TVöD-B: »Durch die Neufassung werden entsprechend der geänderten Regelung im BT-K (s. oben Abschnitt III § 1 Nr. 1 der Erläuterungen) drei alternative Voraussetzungen für die Gewährung von Freizeitausgleich geschaffen«. Diese Schaffung von etwas, was vorher weder geregelt noch gewollt war, ging weit über bloße Tarifpflege hinaus. Sie schafft bei den Arbeitgeber neue Begehrlichkeiten.
Aktive Interessenvertretungen können –
❍ die Einplanung von Freizeitausgleich von der Zustimmung der Kolleginnen abhängig machen,
❍ initiativ werden, um eine betriebliche Vereinbarung über den Ausgleich der Bereitschaftsdienste zu erzielen,
❍ viel besser: Arbeitszeitkonten gemäß § 10 einrichten, damit die Kolleginnen frei selbst entscheiden können, was und wann sie auf- und abbuchen,
❍ dies alles zum Anlass nehmen, ihre freiwillig erteilte Zustimmung zur ständigen Verlängerung der Arbeitszeit aufzukündigen!
Schichtplan-Fibel extra Bereitschaftsdienste |
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Wegfall der Schichtzulage |
Leitsätze:
1. Wird ein Betriebsrat, an den bis dahin Schichtzuschläge gezahlt wurden, von der Arbeitspflicht vollständig freigestellt und werden an ihn die Schichtzuschläge in Form von Pauschalzahlungen weiter gewährt, so stellt dies keine unzulässige Begünstigung des Betriebsrats dar, auch wenn er sein Amt ausschließlich in der Tagesschicht ausübt (Abgrenzung zu BAG 18. Mai 2016 – 7 AZR 401/14).
2. Gerät der Schichtbetrieb in Wegfall – vorliegend wegen Stilllegung der Fabrikation – entfällt auch der Anspruch des Betriebsrats auf Weiterzahlung der Schichtpauschalen, weil der Verlust der Schichtzuschläge nicht ausschließlich auf der Freistellung beruht.
⇒ LAG Baden-Württemberg Urteil 17.09.2019 – 19 Sa 15/19
Dies mag Betriebsräte motivieren, der Demontage der Belegschaften und ihrer Arbeitsplätze nicht tatenlos zuzuschauen. Sie teilen sonst die Niederlage.
Stellungnahmen |
Die Schichtplan-Fibel räumt auf.
Manche Einigungsstelle und mancher Rechtsstreit verlangen, dass Sachverständige einmal gedrängt die wichtigsten Argumente und Belege zusammenstellen. Manches wird wieder und wieder abgefragt: Zur 5-Tage/Woche, zum Schichtplan-Turnus, zur Alleinarbeit, zum Krankmelden… Solche Stellungnahmen stehen nun zum freien Gebrauch unter
⇒ https://t1p.de/sn
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Mindestbesetzungen (10.11.2019)
Diesmal grübeln wir über
⊗ Mindest-Personalbesetzung
⊗ Bezugszeiträume der Höchstarbeitszeit
Mindest-Personalbesetzung als gesunder Schutz? |
Der Fall |
Die Helios Ostseeklinik Damp ist auf Wirbelsäulen- und Gelenkserkrankungen spezialisiert und belegt rund 350 Betten, mit etwa 300 Beschäftigten. Nach zahlreichen Regelungsversuchen geht der Betriebsrat in die Einigungsstelle. Der Regelungsgegenstand verschiebt sich dabei, vom 'Arbeits- und Gesundheitsschutz (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG)' zur 'Mindestbesetzung in der Dienstplanung zu den Pflegedienstkräften für Früh-, Spät- und
Nachtdienst in den Stationen 2a, 2b, 2c sowie 4a, 4b und 4c'. Die Einigungsstelle stimmt Ende 2016 im Streit eine 'Betriebsvereinbarung allgemeiner Pflegedienst zur Dienstplanung der Pflegekräfte in Abhängigkeit der Belegung der Stationen'.
Der Erste Senat hat den Einigungsstellenspruch bei der Ostseeklinik (Damp) wieder einkassiert. Die Begründnung der Entscheidung steht aus.
⇒ BAG Beschluss 19.11.2019 – 1 ABR 22/18
Noch fehlt uns die ausführliche Begründung der Entscheidung. Doch unsere Erwartungen sind aufgrund der Pressemitteilung des Gerichts gedämpft:
»Pressemitteilung Nr. 38/19
Mindestpersonalbesetzung als Maßnahme des Gesundheitsschutzes
Der Senat hat dem Antrag der Arbeitgeberin, mit dem diese einen Einigungsstellenspruch über Mindestbesetzungen im Pflegedienst einer Klinik angefochten hat, stattgegeben, ohne über die Zulässigkeit von solchen Regelungen als Maßnahme des Gesundheitsschutzes zu entscheiden.««
Wir sind also nur mäßig schlauer.
Der Drache beißt sich in den Schwanz |
Der Weg über die Mitbestimmung zum Gesundheitsschutz ist arg steinig:
❍ Zuvorderst erfassen und dokumentieren die Betriebsparteien die Gefährdungen. Bei Streit entscheidet die Einigungsstelle.
❍ Danach wird die gesetzl. Interessenvertretung erneut initiativ und schlägt die sich ihr nun als notwendig und geeignet erscheinenden Maßnahmen "Mindestbesetzung" zum Schutz vor. Bei Streit: Einigungsstelle.
❍ Diese Einigungsstelle bekommt den allgemeinen Auftrag, die als notwendig erkennbaren, geeigneten, angemessenen und zumutbaren Maßnahmen festzulegen. Sie erst wählt und entscheidet zwischen Mindestbesetzung, Aufgabenkritik, Teilschließung, Springerpool usf.. Sie wird in diesem Zug entscheiden, wann diese Maßnahmen abzuarbeiten sind – bereits bei der Planung und Vorbereitung, einen Tag im voraus oder direkt vor den eigentlichen Arbeitseinsätzen.
❍ Danach wird die gesetzl. Interessenvertretung erneut initiativ und schlägt vor, die Einweisung in die festgelegten Maßnahmen zu regeln. Bei Streit: Einigungsstelle.
❍ Die gesetzl. Interessenvertretung lässt nicht nach und schlägt vor, die Überwachung der Durchführung der festgelegten Maßnahmen zu regeln. Bei Streit: Einigungsstelle.
❍ Die gesetzl. Interessenvertretung bleibt initiativ und schlägt vor, die Gefährdungen nun aktualisiert zu erfassen und zu dokumentieren. Bei Streit: Einigungsstelle.
Es gilt, den oben beschriebenen Zirkel der Untätigkeit zu durchbrechen. Zur Beschleunigung dieses ungeheuerlichen Vorhabens taugt vielleicht die LASI-Veröffentlichung ⇒ LV 56. Dieser Bußgeldkatalog bedroht bei den einzelnen Schritten saumselige Arbeitgeber mit empfindlichen Strafen.
Zudem hilft vielleicht ein weiterer Handlungsansatz: Wollen wir etwas betrieblich durchsetzen, dann verweist uns der Arbeitgeber erfolgreich darauf, die zuvor abgeforderten Handlungsschritte seien ja noch offen. Dies blockiere unser Vorgreifen auf das Eigentliche. Wir lernen von diesem Erfolg und ahmen ihn nach:
Die Einweisung in als notwendig erkannte und vereinbarte Maßnahmen zum Gesundheitsschutz schließt Händedesinfektion und Brandschutz ein. Leider haben wir hierzu betrieblich noch nicht alle Zwischenschritte vereinbart. Wir fordern deshalb den Arbeitgeber auf, Händedesinfektion und Brandschutz zunächst einstellen zu lassen. Andernfalls verletzt er unsere Mitbestimmungsrechte. Solange die oben beschriebenen Fundamente fehlen, kann keine Betriebspartei eine Betriebsvereinbarung erzwingen.
⇒ BAG 08.11.2011 – 1 ABR 42/10
Kein Brandschutz? Keine Händedesinfektion mehr? Wir sind tief besorgt, falls das öffentlich durchdringt …
Alternativ schlagen wir darum einen kurzen ⇒ Text zur freiwilligen Unterschrift vor.
Mindestpersonalbesetzung zum Schutz der Freizeit! |
Unbeirrt vom Hürdenlauf des Gesundheitsschutzes bleiben wir bei der Mitbestimmung der einzelnen Dienstpläne. Hier geht es um etwas ganz anderes, um den Schutz der Freizeit. Wir fordern Arbeitgeber auf, uns die von ihnen definierten Mindestbesetzungen der Schichten offenzulegen. Denn wir nehmen die Konflikte um Urlaubsanträge, freie Sonntage, Unwillen zur Nachtschicht freudig als Gelegenheit. Hier akzeptieren wir nur diejenigen betrieblichen Wünsche des Arbeitgebers, die er klar und nachvollziehbar äußert. Nur diese nehmen wir in die Abwägungen (billiges Ermessen § 106 GewO) bei der Dienstplankritik auf. Falls die Stationen während der Pausen offensichtlich unbesetzt bleiben können, warum nicht die ganze Schicht?
Die Gerichte verzwergen den Gesundheitsschutz auf das Ausgestalten enger gesetzlicher Rahmenbestimmungen. Anders bei der Dienstplan-Mitbestimmung; da sind die Stolpersteine kleiner. 5-Tage/Woche, Pausen, pünktlicher Feierabend, verlässliche Freischichten – all dass sind hier keine Maßnahmen zum Gesundheitsschutz. Sie betreffen vielmehr die Grenzziehung zwischen Arbeitszeit und Freizeit. Es gibt zwar gesetzliche und tarifliche Schutzregeln. Doch die bilden hier keine engen Rahmen. Sie erweitern stattdessen die äußeren Schutzschranken. In denen können wir uns mit den Betroffenen Turnus für Turnus austoben.
Manchmal allerdings fehlen noch die Kennzeichnungen der Arbeitsplätze bei gefährlicher Alleinarbeit. Das Versäumnis steht dann der Dienstplanung im Wege. Vielleicht blinzelt dann wieder der Gesundheitsschutz bei der Einsatzplanung um die Ecke?
Bezugszeiträume der Höchstarbeitszeit |
Wie arbeiten wir mit einem 4-monatigen, wie mit einem längeren Ausgleichszeitraum? Ist er 'fest', 'gleitend' oder 'flexibel ab Durchlauf jeder Nulllinie'? In vielen Betrieben wird da ratlos weggeschaut.
So entging etlichen auch die grundlegende Entscheidung in Luxemburg. Die ist zudem recht verzwirbelt formuliert –
»Art. 6 Buchst. b, Art. 16 Buchst. b und Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung, die für die Berechnung der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit Bezugszeiträume mit Beginn und Ende an festen Kalendertagen vorsieht, nicht entgegenstehen,
sofern diese Regelung Mechanismen enthält, die gewährleisten können, dass die durchschnittliche wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden während jedes auf zwei aufeinanderfolgende feste Bezugszeiträume verteilten Sechsmonatszeitraums eingehalten wird.«
⇒ EuGH 11.04.2019 – C-254/18
Vier Wochen überschauen |
Alle Arbeitszeitberater, die Arbeitgebern zu 'Null-Durchlauf-Betrachtungen' geraten haben, schämen sich jetzt im Stillen. Ihr Modell fiel komplett durch. Der Favorit in Luxemburg war das flexible Modell – Woche für Woche wird dabei der Durchschnitt der vorausgegangenen Spanne ermittelt.
Die EU Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) bestimmt zunächst 4 Monate als Bezugszeitraum für den Ausgleich auf maximal 48 Stunden im Wochenschnitt. Das deutsche Arbeitszeitgesetz (§ 3) erlaubt dementgegen Sechsmonatszeiträume – ohne daran weitere Voraussetzungen zu knüpfen. Doch wenn wir die wochendurchschnittliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden in Gefahr sehen, blicken wir ja auf ganz bestimmte Arbeitszeitmodelle: Auf Kombinationen von 38,5 oder 40 Stunden regelmäßiger Arbeitszeit mit zusätzlichen Bereitschaftsdiensten.
Dann aber handelt es sich in aller Regel um Nachtarbeitnehmer/innen im Sinne § 2 Abs. 5 ArbZG. Daher greift hier eine wesentlich drastischere Bestimmung –
Die werktägliche Arbeitszeit der Nachtarbeitnehmer darf acht Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn abweichend von § 3 innerhalb von einem Kalendermonat oder
innerhalb von vier Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden. |
Diese Bestimmung ist sicherlich ein 'Mechanismus', wie ihn der EuGH fordert. Sie stellt für jeden an einem Montag beginnenden und die folgenden vier oder sechs Monate überspannenden Zeitraum sicher, dass es nicht zu Arbeitszeitmassierungen kommt.
Die Betriebsparteien haben dies zu organisieren. Sie vereinbaren zum Beispiel -
Die werktägliche Arbeitszeit der Nachtarbeitnehmer/innen (§ 2 ArbZG) kann auf bis zu 10 Stunden verlängert werden, falls bis zum Ablauf der nachfolgenden drei Kalenderwochen im Durchschnitt 8 Stunden werktäglich nicht überschritten werden (§ 6 Abs. 2 ArbZG). Die Arbeitgeberin teilt den betroffenen Arbeitnehmern/innen mit, falls sie so unter diesen Schutz fallen. |
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] 5-Tage, TV-Ärzte/VKA (10.11.2019)
Diesmal grübeln wir über
⊗ 5 Tage je Woche und 5-Tage/Woche
⊗ Gestaltungsprogramm: TV Ärzte VKA (Teil 2)
5 Tage je Woche und 5-Tage/Woche |
Der Fall |
In einem kommunalen Krankenhaus (TVöD-K, mit Zeitschuld von 38,5-Stunden wochendurchschnittlich) gibt es Streit um die gekündigten Arbeitszeiten. Mit den Stimmen der Beisitzer der Arbeitgeberinnen sowie der des Vorsitzenden fällte die Einigungsstelle einen Spruch, der nun durch den Betriebsrat erfolgreich gerichtlich wieder beseitigt wurde. Mit der Festlegung von Normschichten mit einer täglichen Arbeitszeit (außerhalb von Nachtschichten) mit 7,25 Stunden wären die Beschäftigten sonst beabsichtigt zu einer 5,31-Tage-Woche und damit nicht durchgängig in einer Fünftagewoche eingesetzt worden , sondern teilweise auch an einem sechsten Tag zum Einsatz gekommen.
Schutz vor dem sechsten Arbeitstag |
Bereits im ⇒ Newsletter am 12.01.2019 berichteten wir über die Auslegung der tariflichen Schutzregel für wöchentlich zwei von regelmäßiger Arbeitszeit freien Kalendertagen. Diese Rechtsprechung der ersten Instanz wurde nun weiter gefestigt.
Die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes regeln:
»Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt […] durchschnittlich [n] Stunden wöchentlich […]. Die regelmäßige Arbeitszeit kann auf fünf Tage, aus notwendigen betrieblichen/dienstlichen Gründen auch auf sechs Tage verteilt werden.« |
Die Auslegung der in Gesetzen und Verträgen verwendeten Begriffe folgt dem allgemeinen Sprachverständnis unter Berücksichtigung des mit der Vorschrift verfolgten Zwecks. Wir ziehen den Wahrig (Deutsches Wörterbuch, Brockhaus-Verlag, 9. Auflage) heran und einige Entscheidungen der Bundesarbeitsrichter. So können wir unsere Tarifregel für alle verständlicher fassen:
Der Arbeitgeber darf den Beschäftigten deren regelmäßig geschuldete Arbeitsstunden auf fünf der sieben Kalendertage einer Woche legen. Er ist berechtigt, sie wegen zwangsläufigen Erfordernissen seines Betriebes abweichend sogar auf sechs Wochentage zu verteilen. Für jeden sechsten Arbeitstag braucht es dazu jedoch zunächst die Tatsache, dass für diesen Zusatztag unvermeidliche Ursachen des Betriebes vorliegen. |
»Stellt der tarifgebundene Arbeitgeber fest, dass er die vorhandene Arbeitsmenge mit dem vorhandenen Personal unter Beachtung der tarifvertraglichen Arbeitszeit nicht bewältigen kann, ist er zur Erfüllung des eigens festgelegten Betriebszwecks gehalten, mehr Personal einzusetzen. Bezogen auf die Vorschrift des § 2 S. 3 TVöD-K bedeutet dies, dass allein die Anzahl vorhandener Arbeitskräfte nicht einen notwendigen betrieblichen Grund zur Abweichung von der Fünftagewoche bilden kann«.
⇒ ArbG Detmold Beschluss 04.01.2019 – 3 BV 8/18, nun bestätigt durch LAG Hamm Beschluss 07.11.2019 – 13 TaBV 14/19 (Rechtsbeschwerde nicht zugelassen).
Verteilung mitbestimmen! |
Die Tarifverträge regeln hier etwas, was auch die Mitbestimmung aufgreift (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG, § 72 Nr. 4 LPVG nrw, § 40 d MVG , § 36 Abs. 1 Nr. 1 MAVO). Die Mitbestimmung wird damit auf den Rahmen beschränkt, den ihr die Tarife und AVR ziehen. Tarifwidrige Zumutungen in Betriebsvereinbarungen und Schichtplänen waren und bleiben rechtswidrig und – zumindest in diesem Punkt – nichtig.
In den Schranken der Tarifverträge ist allerdings noch viel Gestaltungsraum bei der »Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage«.
»Der Betriebsrat hat mitzubestimmen bei der Frage, an welchen Wochentagen Arbeitnehmer – auch teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer – im Betrieb beschäftigt werden dürfen. Insoweit besteht kein Unterschied zwischen vollzeitbeschäftigten und teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern. In beiden Fällen müssen mindestens so viele Wochentage als Arbeitstage bestimmt werden, daß die vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit auch geleistet werden kann« (BAG Beschluss 13.10.1987 – 1 ABR 10/86 zu § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG).
Ihre (tarif)vertragliche Zeitschuld muss jede Kollegin individuell vollständig erfüllen. Dies steht in einer Woche vielleicht einem dritten freien Kalendertag entgegen. Die bloße individuelle Pflicht zur Erfüllung der Zeitschuld ist allerdings noch kein betrieblich notwendiger Grund, der einen sechsten Arbeitstag rechtfertigen könnte. Es geht auch anders!
Im Wahrig (Deutsches Wörterbuch, Brockhaus-Verlag, 9. Auflage) finden wir: |
Jetzt prüfen die Interessenvertretungen: Was ist betrieblich notwendig?
Ist es betrieblich möglich und geplant, dass einige nur an fünf oder vielleicht sogar nur an vier Tagen arbeiten? Dann ist für andere die Arbeitspflicht an einem sechsten Tag der Kalenderwoche nicht zwangsläufig.
Einen Tag weniger frei in dieser Woche – das ist vermeidbar!
Vielleicht passen die Betriebsparteien in der Folge die Schichtlängen an. Vielleicht muss der Arbeitgeber zusätzliches Personal einstellen. Freie Tage und ausreichend Personal – das sind wichtige Ziele, die wir mit Tarifverträgen erreichen.
Hilfen in unseren Bausteinen! |
Nicht jeder Arbeitgeber wird sofort aktiv, um seine Verträge samt tatsächlicher 5-Tage/Woche einzuhalten. Vier ⇒ Bausteine helfen auf die Sprünge:
⊗ Baustein 4 [5 Tage je Woche].pdf (TVöD, TV-L, TV-H, TV Ärzte usf.)
⊗ Baustein 4.1 AVR.DD [5-Tage-Woche].pdf
⊗ Baustein 4.2 [5-Tage-Woche].pdf
⊗ Baustein 4.3 AWO [5-Tage-Woche].pdf
Im Betrieb verteilen |
Ende Dezember 2019 erscheint unsere Fachbereichszeitung drei.71 mit einer Doppelseite zur Sicherung unserer Ansprüche: Zwei Tage in jeder Woche bleiben von regelmäßiger Arbeitszeit frei!
Ihr könnt einen Stapel dieser Zeitungen abonieren. Mailt –
redaktion.drei@verdi.de |
TV Ärzte VKA. Möglichkeiten |
Der im Oktober 2019 von VKA und Marburger Bund unterschriebene ⇒ Tarifvertrag Ärzte ist ein guter Anlass. Für das Jahr 2020 gehören die Bereitschaftsdienste auf den betrieblichen Prüfstand.
Erinnerungen |
Bereits im vorangegangenen ⇒ Newsletter 62 gab es Handlungsempfehlungen um Hindernisse weg- und den Weg zu Verbeserungen freizuräumen:
❍ der Verrechnung (Faktorisierung) mit der regelmäßigen Zeitschuld widersprechen (TV Ärzte VKA § 12 Fassung des Absatz 6 ab dem 1. Juli 2019)
❍ die Nebenabreden zur Pauschalierung aufkündigen
❍ die Nebenabreden zum 'Opt out' aufkündigen
❍ die Betriebs-/ bzw. Dienstvereinbarungen über Gleitzeit aufkündigen
❍ die Dienstpläne für die Spannen nach dem 31.12.2019 gründlich mitbestimmen! Allen Diensten, die nicht mit mindestens einem Monat Vorlauf angeordnet werden, werdenso 10 Prozentpunkte zusätzliche Vergütung aufgeschlagen.
Erstes Halbjahr 2020 |
Von den 26 Wochenenden im Kalenderhalbjahr bleiben 12 komplett beschäftigungsfrei. Da darf von Freitag ab 21:00 bis Montag 05:00 Uhr nicht einmal Rufbereitschaft oder Visitendienst abgefordert werden. Im Monatsdurchschnitt bleiben so zwei ganze Wochenenden beschäftigungsfrei.
Neue Schutzregel: Plan für Plan wird – nötigenfalls durch handschriftliche Ergänzungen – bei jeder Kollegin die Überwachung der Mindestanzahl ausgewiesen. Etwa – |
In den 6 Monaten jedes Halbjahres werden nicht mehr als gesamt 24 Bereitschaftsdienste angeordnet. Bereitschaftsdienste, die "geteilt" werden und zudem zwischen Freitag 21 Uhr und Montag 5 Uhr liegen, werden dabei nur als halber Bereitschaftsdienst gezählt (betriebspraktisch wird das wohl kaum relevant). Im Monatsdurchschnitt sind das 4 Bereitschaftsdienste. Auch über Urlaub oder längere Arbeitsunfähigkeit hinweg werden Schichten und Dienste verplant!
Neue Überlastungsregel: Plan für Plan wird die Anzahl der abforderten Dienste – nötigenfalls durch handschriftliche Ergänzungen – bei jeder Kollegin die Überwachung der Höchstgrenze ausgewiesen. Etwa – |
Ausnahmen? Der § 10 Abs. 12 des TV Ärzte VKA beschränkt Ausnahmen auf eine – ohne die zusätzlich zugemutete Anordnung – drohende Gefährdung der Patientensicherheit. In solchem Fall müsste der Arbeitgeber zunächst sein Organsiationskonzept nachweisen. Ein solches Konzept schreibt für unterschiedliche Tageszeiten und Wochentage die Mindestbesetzung mit ärztlichem Personal und Fachärzten fest und schließt die Chefärzte der Kliniken mit ein.
Das Konzept stellt auch die Gewährung der Pausen sicher. Wer über die auch im Bereitschaftsdienst zwingend vorgeschriebenen Pausen hinweg Patienten ohne Arzt lässt, kann sich kaum auf die Sorge um die Gefährdung der Patientensicherheit berufen.
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Mitbestimmen TV Ärzte Bausteine (23.10.2019)
Diesmal grübeln wir über
⊗ mitbestimmen in der Caritas (MAVO)
⊗ Gestaltungsprogramm: TV Ärzte VKA
⊗ neue Bausteine
Mitbestimmen? Selbst bei Kirchens |
MAVO (1): Keine Genehmigung |
Ob Betriebsrat, Personalrat oder Mitarbeitervertretung – viele stolpern bereits, wenn sie ihre Rechte und Aufgaben in Worte fassen müssen. Die Mitbestimmung umfasst nicht das Abnicken der Vergangenheit. Sie betrifft allein die Zukunft, denn die wird mitgestaltet.
❍ Das Gremium kann der Anordnung von Schichten und Stunden zustimmen. Personalräte und Mitarbeitervertretungen können sogar allein durch ihr zwei Wochen andauerndes Schweigen zustimmen. Die Frist beginnt ab der vollständigen Information über die beabsichtigte Maßnahme.
❍ Das Gremium kann auf den Normalfall der Mitbestimmung bestehen und die Maßnahme formell vereinbaren. Die Beschäftigten gewinnen dabei ihren individuellen Anspruch auf Durchführung so und genauso.
❍ Das Gremium kann dem Arbeitgeber erklären, dass es bezüglich der Arbeitszeiten seine Amtspflichten nicht wahrnehmen will. Mit dieser Pflicht-Verweigerung bleiben die Anordnungen im Zweifel zwar rechtswidrig und unverbindlich. Doch das Gremium verliert seine Durchsetzungsrechte.
❍ Das Gremium kann den Absichten widersprechen und eine der Betriebsparteien kann sich danach auf den Weg in die Einigungsstelle machen.
Eine bloße Genehmigung dagegen meint in der Behörden-Sprache das Erlauben, Gestatten, Akzeptieren, Bewilligen. Betriebrat, Personalrat oder Mitarbeitervertretung bestehen zwar aus Amtsträgern/innen. Doch sie sind keine Behörden. Und auch ein nachträgliches 'Genehmigen' sehen deren Gesetze nicht vor. Zivilrechtlich meint 'genehmigen' die nachträgliche Zustimmung.
Nachträglich ist die Milch bereits vergossen und nichts mehr (mit)zubestimmen. Genau deswegen kann auch eine Einigungsstelle nicht mehr über die Anordnung eines Dienstplanes entscheiden, soweit dessen Zeitspanne bereits abgelaufen ist.
⇒ Kirchliches Arbeitsgericht KARG Paderborn Urteil 05.04.2019 – II 2019 [MAVO Abgearbeiter Dienstplan ist nicht einigungsstellenfähig]
MAVO (2): Ausgleichszeiträume |
Die Anlagen 30 bis 33 der AVR Caritas sind weitgehend wortgleich vom TVöD und TV Ärzte VKA abgeschrieben. Daher entstehen hier dieselben Gestaltungsaufgaben.
Ganz am Anfang steht die Festlegung der Ausgleichszeiträume. Zunächst ist aufgrund § 3 und § 6 (2) ArbZG zu wählen zwischen wochenbasierten oder kalendermonatlichen Ausgleichszeiträumen für die zulässige Höchstarbeitszeit. Die Betriebsparteien vereinbaren dazu Länge und Lage dieser Zeitspannen. Ohne diese Wahl laufen die Schutzregeln praktisch leer.
Unmittelbar anschließend legen die Betriebsparteien auch die Ausgleichszeiträume für die individuelle wochendurchschnittliche Zeitschuld in Lage und Länge fest:
❍ Für alle Schichtarbeitenden geschieht dies im Zuge der Mitbestimmung der einzelnen Dienstpläne. Denn diese bilden zugleich den Schichtplanturnus und damit den Ausgleichszeitraum. Was sich nicht ausgleicht, verursacht zugleich einen zusätzlichen Vergütungsanspruch.
❍ Für den Nicht-Schichtarbeitenden kann ein Ausgleichszeitraum von einer Woche bis zu einem Jahr gewählt werden.
Ohne Einigung der Betriebsparteien, ohne Mitbestimmung – kein Ausgleichszeitraum, also auch kein Durchschnitt.
⇒ Kirchliches Arbeitsgericht KARG Paderborn Urteil 05.04.2019 – I 2019 [MAVO Mitbestimmung der Ausgleichszeiträume]
TV Ärzte VKA. Unmittebare Aufgaben |
Im Oktober 2019 haben die Tarifparteien VKA und Marburger Bund ihren ⇒ Tarifvertrag Ärzte unterschrieben. Damit werden die darin begründeten Ansprüche fällig.
Rückwirkend zum 01.01.2019 |
Zum Zahltag im Oktober werden die Nachzahlungen der erhöhten Tabellenentgelte fällig; ebenso die sich daraus ergebenden erhöhten Zeitzuschläge. Und auch die Bereitschaftsdienstentgelte wurden angehoben. Die Differenzen sind mit dem Oktoberentgelt auszuzahlen.
Rückwirkend zum 01.07.2019 |
Alle ab Juli 2019 geleisteten Bereitschaftsdienst-Stunden sind mit einem neuen, 15-prozentigen Zeitzuschlag belegt. Dieser kann nicht durch Freizeit ersetzt werden. Zum Zahltag im Oktober werden diese Zeitzuschläge aus Juli und August fällig. Die Personalabteilungen hatten viele Monate Zeit, ihre Abrechnungssoftware umzustellen. Was am 1. November nicht auf dem Girokonto gelandet ist, sollte schriftlich geltend gemacht werden samt dem Anspruch der Verzugspauschale über 40 € aus § 288 (5) BGB.
Manchmal wurde – mitbestimmt durch die Interessenvertretung – an einen Bereitschaftsdienst anschließend eine normale Schicht geplant. Deren Leistung entfiel dann aufgrund § 5 ArbZG (Pflicht zur Gewährung einer Ruhezeit). In genau diesen Fällen darf der Arbeitgeber den Anspruch auf Vergütung der vorausgehenden Bereitschaft in Freizeitausgleich umwandeln.
In den übrigen, besser geregelten Fällen ordnet bereits der Dienstplan unter Beachtung des Arbeitszeitgesetzes die an den Dienst anschließende Ruhezeit an (Freizeit statt Freizeitausgleich). Dann besteht ein Anspruch auf unverminderte Vergütung!
Um dennoch den Vergütungsanspruch mit irgendwelchen Minusstunden zu verrechnen, braucht der Arbeitgeber das Einvernehmen mit der/dem ärztlichen Beschäftigten. Dieses Einvernehmen kann durch stilles Hinnehmen zustande kommen (BAG, Urteil 19.11.2009 – 6 AZR 624/08). Der Arbeitgeber braucht zudem die Zustimmung des Betriebsrates (§ 87 Abs. 1 nr.3; unklar im PersVG, MVG, MAVO).
Aufgabe: Wir informieren die Ärztinnen und Ärzte –
Wollen Sie ihre Bereitschaftsdienste voll vergütet bekommen? Dann mailen Sie der Personalabteilung (Lesebestätigung) –
Sie verrechnen Ruhezeiten im Anschluss an Bereitschaftsdienste als Freizeitausgleich gegen meine Vergütungsansprüche. Ich möchte das ab sofort nicht mehr (TV Ärzte VKA § 12 Fassung des Absatz 6 ab dem 1. Juli 2019). |
Die gesamte Anwesenheit der Ärztinnen und Ärzte war zu erfassen. Um die tatsächliche Arbeitszeit zu ermitteln, darf der Chef die tatsächlich (!) gewährten Pausen abziehen. Dies schließt einen EDV-Automatismus aus!
Nebentätigkeiten (Honorar-Aufgaben; Totenscheine ausstellen) und private Tätigkeiten des Arztes/der Ärztin darf der Arbeitgeber mindernd bewerten. Für die private Veranlassung trägt er jedoch 'nach den allgemeinen Regeln des Arbeitsrechts die Darlegungs- und Beweislast'.
Aufgabe: Es eignen sich Stichproben, ob die betriebliche Praxis sich an diese Regeln hält. Der TV Ärzte räumt den Betroffenen ausdrücklich ein Einsichtsrecht in die betrieblich geführten Dokumentationen ein. Bei erkannten Problemen greift unser ⇒ Baustein C.1 Berichtigungsanspruch (DSGVO Artikel 16).
Zum 01.01.2020 tarifvertraglicher Überlastungsausgleich |
Ab Januar ändert sich manches für die Dienstpläne der Ärzte/innen. Der Begriff 'Dienste' in § 10 ist dabei jedoch ungenau. Aus dem Gesamtzusammenhang ergibt sich, dass es einen Plan geben muss, der allein oder unter anderem die Bereitschaftsdienste regelt. Dies wird regelmäßig ein Plan sein, der zunächst die gesamte im Turnus fällige Zeitschuld anordnet, also Dienste als Schichten der Normalarbeit. Und dieser Plan wird dann weitergehend auch über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus zu Bereitschafts- und Rufdiensten einteilen.
Der Plan, der die Tage nach dem 31.12.2019 betrifft, muss spätestens am 01.12.2019 mitbestimmt angeordnet werden (§ 10 Abs. 11). Vielleicht wird diese Anordnungsfrist überschritten – z. B. weil viele neue Regeln umzusetzen sind und die Mitbestimmung ernst genommen wird. Dann steigt der Vergütungsanspruch für die bewerteten Bereitschaftsdienst- und Rufbereitschaft-Stunden im Plan um weitere 10 v.H..
Aufgabe: Wir infomieren die Ärztinnen und Ärzte –
Manche von Ihnen haben die Vergütung von Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaften pauschaliert. Wahrscheinlich stehen Sie sich jedoch bei den neuen tarifvertraglichen Regelungen mit Spitzabrechnungen deutlich besser. Dann sollten Sie diese Nebenabrede zeitnah kündigen. |
Der Marburger Bund hat zugleich ein Tabu gebrochen. Angeordnete Dienstpläne stehen nun unter dem Vorbehalt der Änderung. Dies gilt zunächst nur für Bereitschaftsdienste und Rufbereitschaften. Dafür braucht es Gründe, 'die in der Person einer Ärztin/eines Arztes begründet sind oder die auf nicht vorhersehbaren Umständen beruhen'. Die Änderung wird nur rechtswirksam, wenn sie mitbestimmt ist. Liegen so bei einer notwendigen Dienstplanänderung zwischen der Änderung und dem Antritt des Dienstes weniger als drei Tage, ist ebenfalls der 10 vH. Zuschlag für diesen Bereitschafst- oder Rufdienst zu zahlen.
Aufgabe: Die Interessenvertretung informiert die Ärztinnen und Ärzte –
Je später Ihr Dienstplan geändert wird, umso größer ist die Belastung. Bei besonders kurzfristigen Übergriffen (Bereitschaft, Rufbereitschaft) winkt Ihnen ab dem Jahreswechsel 2020 ein Zeitzuschlag von 10 v.H.. Da ist es wichtig, dass Sie nach der Androhung einer Planänderung zunächst unsere Mitbestimmung abwarten. Die geht der Anordnung voraus. Wenn Sie uns da aktivieren, bringt Ihnen das Schutz und bares Geld (TV Ärzte VKA § 10 Abs. 11 ab 01.01.2020). |
Gleitzeitregelungen kündigen? |
Mit all diesen neuen tarifvertraglichen Errungenschaften ist ein weiterer Vorbehalt verknüpft:
»Protokollerklärung zu Abschnitt II: Bei In-Kraft-Treten dieses Tarifvertrages bestehende Gleitzeitregelungen bleiben unberührt.«
Gibt es im Betrieb Gleitzeitvereinbarungen? Wurde da verschlechternd zur neuen Tariflage geregelt? Dann gilt es, die umgehend aufzukündigen.
Steht da eine Nachwirkung im Wege? Grundsätzlich ja.
Doch es gibt zahlreiche Regelungen, über die sich unbefugte Gesamtbetriebsräten bzw. Gesamtpersonalräte in den Betrieb einmischen. Oder es wurde tarifwidrige Saldierungen vereinbart, oder an den Tarifsperren im BetrVG, PersVG, MVG oder der MAVO vorbei Konten. Diese wirken rechtlich nicht nach, aber leider tatsächlich. Auch da muss eine Interessenvertretung mehr tun als bloß einen Rechtsstandpunkt vertreten.
Bausteine für Deine Praxis |
Die neue Sammlung der Bausteine wurde weiter ergänzt und aktualisiert..
Diese ⇒ Bausteine stehen in der Cloud zum Lesen, Ausdrucken und Umsetzen bereit:
Baustein 0 Wünscht Euch was.pdf
Baustein 10 Mindestbesetzung.pdf
Baustein 10.1 Mindestbesetzung.pdf
Baustein 10.2 Mindestbesetzung.pdf
Baustein 11 Ziehen Sie mir's vom Lohn ab.pdf
Baustein 12 Einspringen.pdf
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Pausen Bausteine Verzugspauschale (11.10.2019)
Diesmal grübeln wir über
⊗ Pausen im "Einmannbetrieb"
⊗ Bausteine
⊗ Verzugspauschale 40 €
Ruhepausen! Sonst Zwangsgeld |
Der Fall: "Einmannfiliale" |
Bei einer Betriebsüberprüfung stellt die Aufsichtsbehörde u. a. fest:: Während der Öffnungszeiten von Montag bis Freitag im Zeitraum von 10 bis 19 Uhr war nur eine Arbeitnehmerin anwesend. Die örtlichen Rahmenbedingungen bei der Handhabung von Matratzen und Bettrosten lassen eine Gefährdung der Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten erwarten. Eine Gefährdungsbeurteilung fehlt.
Die Aufsichtsbehörde bleibt mit ihren Anordnungen beharrlich : Denn insbesondere ergebe sich aus der Betriebsordnung nur das müde Echo der Gesetzesvorgaben, spätestens nach 6 Stunden sei eigenverantwortlich eine Pause zu nehmen. Eine Zeitspanne, etwa von 12 – 14 Uhr werde somit nicht festgesetzt. Zudem könne der Arbeitnehmer gar nicht frei über seine Pausenzeit verfügen. Wenn ein Kunde kommt, müsse die Pause beendet und bedient werden.
Die Behörde droht ein Zwangsgeld in Höhe von 4.000 € an. Dagegen wehrt sich der Arbeitgeber – vergebens.
Gründe für das Zwangsgeld |
»§ 4 ArbZG statuiert für den Arbeitgeber eine Organisationspflicht. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, Ruhepausen in dem dort genannten Umfang zu gewährleisten und muss sicherstellen, dass der Arbeitnehmer von jeder Arbeitspflicht und Arbeitsbereitschaft freigestellt ist, damit die Pause nicht durch Weiterarbeit überlagert und letztlich vergessen wird (BAG, Urt. v. 25.2.2015 – 1 AZR 642/13 -, NZA 2015, 442 Rn. 28; BAG, Urt. v. 25.2.2015 – 5 AZR 886/12 -, NZA 2015, 494 Rn. 28; Kohte, NZA 2015, 1417 (1422)). Wenngleich § 4 S. 1 ArbZG nicht regelt, wann die Ruhepause im Voraus feststehen muss und sich die Festlegung des Anfangs und der Dauer der Ruhepause vor Beginn der täglichen Arbeitszeit auch nicht aus der Gesetzesbegründung ergibt (BT-Drs. 12/5888, S. 24), folgt aus dem Erfordernis »im Voraus«, dass der Arbeitnehmer sich auf die Pause einrichten und sie auch tatsächlich zur Erholung nutzen können muss. Nach jüngerer Rechtsprechung des BAG wird diesem Zweck genügt, wenn spätestens zu Beginn der täglichen Arbeitszeit Anfang und Dauer der Ruhepause mitgeteilt werden (BAG, Urt. v. 25.2.2015 – 1 AZR 642/13 -, NZA 2015, 442 Rn. 28; BAG, Urt. v. 25.2.2015 – 5 AZR 886/12 -, NZA 2015, 494 Rn. 28). […]
Zudem kann die Klägerin auch nicht mit dem Argument durchdringen, dass im Matratzen- und Bettenhandel häufig stundenlang kein Kunde käme, weswegen die Unterbrechung unproblematisch und die Vorgabe eines konkreten zeitlichen Rahmens nicht erforderlich sei, sondern es ausreiche, dass der Arbeitnehmer innerhalb der Mittagszeit autonom über seine Ruhepause entscheide. Angesichts des Zwecks der Ruhepause, ist eine spontane, an der Kundenfrequenz orientierte, Pausenzeitgestaltung unzulässig (LAG Köln, Urt. v. 2.11.2010 – 5 Sa 1275/10 Rn. 51 – juris: »Denn Zweck der nach § 4 AZG vorgeschriebenen Ruhepause ist das Erholungsbedürfnis des Arbeitnehmers, nicht aber die Anpassung des Arbeitseinsatzes an den Beschäftigungsbedarf des Arbeitgebers.«; siehe auch: HWK/Gäntgen, § 4 ArbZG Rn. 4).
Der Arbeitgeber kann die Bestimmung der Lage der Pause höchstens dann auf die Arbeitnehmer delegieren, wenn die Mitarbeiter eine Regelung treffen, die für den einzelnen Arbeitnehmer verbindlich im Voraus die Pausenzeit festlegt (BAG, Urt. v. 27.2.1992 – 6 AZR 478/90 Rn. 16 – juris).
Im vorliegenden Fall liegt eine derartige Regelung nicht vor. Vielmehr wird es dem einzelnen Arbeitnehmer überlassen, die Pausenlage eigenverantwortlich zu bestimmen. Ebenso spricht der Umstand, dass die Filialen nicht komplett mit zwei Mitarbeitern besetzt sind, dafür, dass mit einem Verstoß gegen § 4 ArbZG mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gerechnet werden kann. Wenngleich aus der Berechtigung des Arbeitnehmers, die Pause nach seinem Belieben zu gestalten, nicht zwingend das Recht resultiert, dass er auch das Betriebsgelände verlassen darf (hierzu etwa: ErfK/Wank, § 4 ArbZG Rn. 5; HWK/Gäntgen, § 4 ArbZG Rn. 10) und ein Pausenraum nach Ziffer 4.2. Abs. 2 des Anhangs Anforderungen und Maßnahmen für Arbeitsstätten nach § 3 Abs. 1 ArbStättV grundsätzlich erst bei mehr als 10 Beschäftigten vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt werden muss (hierzu auch: HWK/Gäntgen, § 4 ArbZG Rn. 10), kann in tatsächlicher Hinsicht nach der Lebenserfahrung nicht damit gerechnet werden, dass der Arbeitnehmer auch dann seine Pause weiter fortsetzt, wenn ein Kunde das Geschäft betritt.«
⇒ Verwaltungsgericht Sigmaringen Urteil 08.05.2018 – 4 K 2626/16
Praxis-Tipp |
Lebenserfahrung, Aufzeichnungen und Beschwerden der einzelnen Kolleginnen belegen: Die Pausen folgen dem erwarteten Arbeitsanfall, statt den Interessen der Beschäftigten! Ist eine Schicht nur mit ein bis zwei Beschäftigten besetzt, wird häufig die Pause beschränkt, verschoben oder fällt ganz aus. Je unsicherer die Pausen, umso weniger kümmert sich der Chef.
Doch die Betroffenen können ihre Pausen oder deren Einrechnung in die Arbeitszeit einfordern. Und die Betriebsparteien stehen in der Pflicht, die Gewährung der Pausen zu »organisieren«. Sonst kann das teuer werden …
Bausteine für Deine Praxis |
Die Schichtplan-Fibel räumt auf. Ein Ergebnis ist die neue Sammlung.
Die ⇒ Bausteine stehen in der Cloud zum Lesen, Ausdrucken und Umsetzen bereit:
Schichtfolgen und Pausen
Baustein A Zehn Gebote
Baustein 1 Fünf bis sieben Tage in Folge
Baustein 2 Ersatzruhetage
Baustein 3 Sonntags frei
Baustein 4 [5 Tage je Woche]
Baustein 4.1 AVR DD [5-Tage-Woche]
Baustein 4.2 [5-Tage-Woche]
Baustein 4.3 AWO [5-Tage-Woche].
Baustein 5 Kurze Wechsel
Baustein 6.1 Pausen einfordern
Baustein 6.2 Pausen organisieren
Initiativ für Entlastung
Baustein 7 Beschlussvorschlag Aufzeichnen
Baustein 8 Anzeige bei der Aufsichtsbehörde
Baustein 9 Alleinarbeit
Baustein B Sprechstunden
Baustein C Bußen und Strafen
Baustein C.1 Berichtigungsanspruch (DSGVO Artikel 16)
Baustein D ASA und Sicherheitsbeauftragte
Baustein E Vorladung
Baustein F Datenschutz der Interessenvertretung
40 € Verzugspauschale |
Der 8. Senat des Bundesarbeitsgerichts befand die Verzugspauschale über 40 € als »überschießende Umsetzung« und hebelte da das BGB kurzerhand aus (⇒ BAG Urteil 25.09.2018 – 8 AZR 26/18). Die Verzugspauschale im Arbeitsrecht § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB sei im Arbeitsrecht durch den älteren § 12 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG verdrängt.
Dem folgen bislang:
⇒ LAG Rheinland-Pfalz Urteil 17.04.2019 – 7 Sa 335/18
⇒ LAG Mecklenburg-Vorpommern Urteil 25.06.2019 – 5 Sa 231/18
Ermutigend anders sehen das:
⇒ LAG Sachsen Urteil 17.07.2019 – 2 Sa 364/18
⇒ ArbG Gelsenkirchen Urteil 17.07.2019 – 2 Ca 58/18
⇒ ArbG Köln Urteil 14.02.2019 – 8 Ca 4245/18
ArbG Bremen-Bremerhaven Urteile 28.11.2018 – 6 Ca 6390/17 / 05.03.2019 – 6 Ca 6294/18
ArbG Dortmund Urteil 02.10.2018 – 2 Ca 2092/18.
Fehler in der Nachtschicht |
Beschäftigte in Nachtarbeit, die ihren Schlafzyklus an die Arbeitszeiten anpassen müssen, leiden während der Arbeit häufig unter Schläfrigkeit. Sie sind deshalb einem erhöhten Risiko für Arbeits- und Wegeunfälle auf dem Weg nach Hause ausgesetzt. Auch die Versorgung von Patienten könnte unter der verminderten Aufmerksamkeit leiden. Das Institut für Prävention und Arbeitsmedizin der DGUV (IPA in Bochum, Einrichtung des Dachverbandes Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung) untersuchte an der Bergmansheil-Klinik an 74 Krankenschwestern und MTA die Auswirkungen von Wechselschichtarbeit. Über mehrere aufeinanderfolgende Tag- bzw. Nachtschichten wurden die Auswirkungen von Nachtarbeit auf die Aufmerksamkeit gemessen und verglichen, gegen Ende der Schichten mittels des "Psychomotorischen Vigilanz Test" (PVT). Nachtarbeit verringerte demzufolge deutlich die Reaktionszeiten bei den betroffenen Beschäftigten und sie erhöhet die Anzahl der Fehler.
Ältere vor Fehlern schützen |
»Eine schlechtere Testleistung wurde vor allem bei älteren Probandinnen, Frauen mit einer spät getakteten inneren Uhr (sogenannten 'Eulen') und Frauen mit häufigen Atemaussetzern während des Schlafs (Schlaf-Apnoe-Syndrom) beobachtet«, erläutert die Studienleiterin Dr. Sylvia Rabstein. »Wir konnten nach einer Nachtschicht eine deutlich verlängerte mittlere Reaktionszeit, aber auch eine höhere Zahl von Auslassungsfehlern beobachten«, erklärt Prof. Behrens.
Und: »Einfache Präventionsmaßnahmen zur Verbesserung der Aufmerksamkeit während einer Nachtschicht könnten erlaubte Kurzschlafperioden, eine ausreichende Erholungszeit zwischen einzelnen Nachtschichten, kürzere Nachtschichten oder ein Wechsel der Beleuchtung am Arbeitsplatz umfassen«.
In der Versuchanordnung wurde auch erfasst, die wievielte Schicht in Folge die Kolleginnen gerade hinter sich gebracht hatten. »Für uns überraschend war, dass sich die Fehlerwerte und Reaktionszeiten schon ab der zweiten Nachtschicht verbesserten und sich der Testleistung nach einer Tagschicht annäherten […] Obwohl wir einen Trainingseffekt nicht ausschließen können, scheint es so zu sein, dass unregelmäßige oder schnell wechselnde Schichtpläne vermieden werden sollten«, führt Prof. Behrens dazu aus.
Wir übersetzen: Nachtschichten verblocken! |
Eingestreute Nachtschichten (schnelle Wechsel) belasten. Doch anders als die bisherige Erkenntnislage – die Belastungsfolgen sinken im Zuge von Blöcken aus drei, vier oder vielleicht fünf Nachtschichten.
Originalpublikation: Behrens T, Burek K, Pallapies D, Kösters L, Lehnert M, Wichert K, Kantermann T, Vetter C, Brüning T, Rabstein S. Decreased psychomotor vigilance of female shift workers after working night shifts. Plos One 14.07.2019. ⇒ https://doi.org/10.1371/journal.pone.0219087
Nachtzuschlag für tariflose Dauernachtwachen |
Leitsatz: Der Zuschlag nach § 6 Abs. 5 ArbZG für eine Dauernachtwache in einem Pflegeheim, die für den Arbeitgeber gesetzlich verpflichtende Nachtarbeit leistet, beträgt 20 %. Er setzt sich zusammen aus dem Grundzuschlag für gesetzlich vorgeschriebene Nachtarbeit von 15 % und einer Erhöhung von weiteren 5 % für den Umstand der Dauernachtwache.
⇒ LAG Baden-Württemberg Urteil 11.01.2019 – 9 Sa 57/18
Verzugspauschale im Arbeitsrecht anwendbar |
Die Beklagte wird verurteilt, für Verzug beim fälligen Lohn an die Klägerin die Pauschale von 40 € gemäß § 288 Abs. 5 BGB zu zahlen. Die Berufung wird zugelassen.
Aus der Begründung |
Der [anderen] Auffassung des BAG sind zuletzt einige Arbeitsgerichte nicht gefolgt (ArbG Dortmund, Urteil vom 02.10.2018, 2 Ca 2092/18, juris; ArbG Bremen-Bremerhaven, Urteil vom 28.11.2018, 6 Ca 6390/17, juris; ArbG Köln, Urteil vom 14.02.2019, Az. 8 Ca 4245/18, juris; ArbG Bremen-Bremerhaven, Urteil 05.03.2019, Az. 6 Ca 6294/18, juris).
⇒ ArbG Gelsenkirchen Urteil 17.07.2019 – 2 Ca 58/18
Siehe auch unseren ⇒ Newsletter vom 05.06.2019
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Überplanung, Betriebsvereinbarung loswerden (20.08.2019)
Diesmal grübeln wir über
⊗ TVöD § 7 Abs. 8c: Keine Zuschläge trotz Überplanung
⊗ Betriebsvereinbarung beseitigen
Hindernis: Urlaub und Krankheit |
Der Fall: Überplant |
Eine MTLA in einem Klinikum (unmittelbare TVöD-Bindung) verlangt Zeitzuschläge. Denn ihr wurden in den kalendermonatlich geführten Schichtplänen Mai , Juni und Juli jeweils deutlich mehr Stunden geplant abgefordert als geschuldet. Im Mai werden 4 Urlaubstage gewährt (»30,8 Arbeitsstunde"). Im Juni ist sie 2,25 Stunden arbeitsunfähig. Im Juli werden ihr 15 Urlaubstage a 7,7 Arbeitsstunden gewährt.
Die Entscheidung: Pech |
Die Zahlung von Überstundenzuschlägen nach § 8 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a TVöD setzt für sog. geplante Überstunden im Sinne von § 7 Abs. 8 Buchst. c TVöD voraus, dass die über der Sollarbeitszeit liegenden Ist-Arbeitsstunden tatsächlich geleistet wurden. Zeiten des Urlaubs oder der Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit gelten insofern nicht als geleistete Arbeitsstunden.
⇒ LAG Nürnberg, Urteil 19.12.2018 – 2 Sa 341/18
Nicht geleistet, nicht belastet. Aus der Begründung zitiert |
Rn. 24: Die Klägerin leistete unstreitig Wechselschicht- und Schichtarbeit im Tarifsinne (§ 7 Abs. 1 und 2 TVöD-K). Überstunden sind in diesem Falle nach § 7 Abs. 8 c TVöD-K nur die Arbeitsstunden, die über die im Schichtplan festgelegten täglichen Arbeitsstunden einschließlich der im Schichtplan vorgesehenen Arbeitsstunden, die bezogen auf die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit im Schichtplanturnus nicht ausgeglichen werden, angeordnet worden sind. Diese sprachlich wenig verständliche Norm soll nach der Rechtsprechung des BAG (Urteile vom 25.04.2013 – 6 AZR 800/11 und vom 23.03.2017 – 6 AZR 161/16) offensichtlich zwei unterschiedliche Sachverhalte regeln und ist daher wie folgt zu lesen:
»Abweichend von Abs. 7 sind nur die Arbeitsstunden Überstunden, die im Falle von Wechselschicht- oder Schichtarbeit über die im Schichtplan festgelegten täglichen Arbeitsstunden hinaus angeordnet worden sind, und/oder die im Schichtplan vorgesehenen (festgesetzten) Arbeitsstunden, die – bezogen auf die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit (im Sinne von § 6 Abs. 1 TVöD-K) – im Schichtplanturnus nicht ausgeglichen werden.«
Rn. 25: Danach regelt die Vorschrift zwei Alternativen. Die erste Alternative betrifft den Sachverhalt, dass zu den im Schichtplan festgesetzten »täglichen« Arbeitsstunden zusätzliche, nicht im Schichtplan ausgewiesene Stunden angeordnet werden (»ungeplante Überstunden«).
Dem stehen die Fälle der zweiten Alternative gegenüber, in denen die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit bereits durch die im Schichtplan angeordneten Stunden überschritten wird (sog. »geplante Überstunden« , vgl. BAG, a.a.O.).
Rn. 27: So kommt es nach dem Urteil des BAG vom 25.04.2013 – 6 AZR 800/11 – auf die tatsächliche Überschreitung der Arbeitszeit von Vollbeschäftigten innerhalb des Schichtplanturnus, vorliegend also ein Monat, an. In Rn 38 der Urteilsgründe heißt es: »…Bei Stunden, die wie vorliegend im Schichtplan – sei es bei dessen Aufstellung, sei es infolge späterer Änderungen/Ergänzungen des Plans – vorgesehen (festgesetzt) sind, können Überstunden nach der Regelung in § 7 Abs. 8 Buchst. c TVöD nur dann entstehen, wenn mehr Stunden vorgesehen sind, als sie ein Vollzeitbeschäftigter erbringen müsste. Ob tatsächlich Überstunden geleistet worden sind, ergibt sich in diesem Fall allerdings erst aus dem am Ende eines Schichtplanturnus vorzunehmenden Abgleich zwischen der tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung und der von einem Vollzeitbeschäftigten in diesem Zeitraum geschuldeten Arbeit…«.
In Zeiten des Urlaubs oder der Arbeitsunfähigkeit wird eine Arbeitsleistung aber tatsächlich nicht erbracht. Für Zeiten des Urlaubs ist eine Arbeitsleistung außerdem noch nicht
einmal geplant, sondern die bezahlte Freistellung von der Arbeit.
Rn. 29: Entscheidend für die Zuschlagspflicht ist jedoch die in § 8 Abs. 1 Satz 1 TVöD-K enthaltene Regelung. Danach enthält der/die Beschäftigte neben dem Entgelt für die tatsächliche Arbeitsleistung Zeitzuschläge. Darin ist als materielle Voraussetzung für die Zahlung aller im Folgenden genannten Zeitzuschläge eindeutig die tatsächliche Arbeitsleistung festgelegt. Ausgenommen von der Zuschlagspflicht sind deshalb Zeiten der Entgeltfortzahlung ohne Arbeitsleistung:
Arbeitsunfähigkeit/Krankheit: § 22 TVöD-K; Urlaub: §§ 26, 27 TVöD-K; Arbeitsbefreiung aus persönlichen Gründen nach § 29 TVöD-K; 24.12./31.12.: § 6 Abs. 3 TVöD-K (BAG vom 28.07.2010 – 5 AZR 342/09 – Rn 11; Burger, Tarifverträge für den öffentlichen Dienst 3. Aufl. 2015 § 8 TVöD Rn 3; BeckOK TVöD/Welkoborsky TVöD-AT § 8 Rn 1; Breier/Dassau/Kiefer/Lang/Langenbrink, § 8 TVöD Rn 5).
Im Übrigen hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 14.05.2013 – 1 AZR 178/12 – Rn 12 festgehalten, dass mit § 8 Abs. 1 Satz 1 TVöD von den Tarifvertragsparteien sichtlich das Ziel verfolgt wurde, nur eine tatsächlich eingetretene besondere Arbeitsbelastung durch ein zusätzliches Entgelt auszugleichen.
7 Tipps für die Praxis |
1.) Die kalendermonatliche Planung erschwert die Saldierung der wochendurchschnittlichen Zeitschuld gegenüber dem 'Ist'. Besser: Im 4-Wochen-Rhythmus planen! Je länger der Turnus, umso wahrscheinlicher enthält er Urlaub und/oder Arbeitsunfähigkeit.
2.) Auch wenn Urlaubstage gewährt werden sollen: Erst die Arbeitspflicht festlegen lassen! Die Urlaubstage stellen im Folgeschritt von dieser frei.
3.) Während Urlaub soll tatsächlich weniger gearbeitet werden. Doch jede Überplanung in solchen Turnussen stellt sich dem quer. Urlaub wird so zum Vergütungsanspruch. Diese Überplanung ist gesetz- und tarifwidrig.
4.) So werden tatsächlich keine Überstunden abgefordert und geleistet. Es entsteht kein Anspruch auf Zeitzuschläge für Überstunden. Es entsteht auch kein Anspruch für die Vergütung als Überstunden als solche. Dieser wude hier auch nicht eingefordert. Es entsteht kein Anspruch auf Zeitzuschläge für Überstunden.
5.) Wahrscheinlich stand ein Anspruch auf Stundenvergütung aus TVöD § 8 Abs. 2 zu, für Arbeitsstunden, die keine Überstunden sind und die sich nicht ausgleichen. Es wurde versäumt, diesen hier geltend zu machen. Das sehen wir häufig und ist jedesmal bitter. Eine gewerkschaftliche ⇒ Handreichung beschreibt seit nun vier Jahren, was Rechtsvertretungen helfen könnte …
6.) Möglicherweise besteht statt der Stundenvergütung der tatsächlich vereitelte Teil des Urlaubsanspruchs so weiter.
7.) Ist eine gesetzliche Interessenvertretung aktiv? Bestimmt diese die einzelnen Schichtpläne mit? Dann muss diese beherzt eingreifen und Überplanung in den Turnussen mit Urlausbtagen verweigern. Ebenso sollte sie Überplanung in den Turnussen verweigern, in denen mit einer Arbeitsunfähigkeit zu rechnen ist.
Eilfälle mitbestimmen |
Der Fall: Betriebsrat übergeht Betriebsvereinbarung |
Die Arbeitgeberin erbringt in der Berliner Großklinik Charité Leistungen im technischen, kaufmännischen und infrastrukturellen Facility Management. Sie beschäftigt dazu etwa 2.800 Kolleg/inn/en. Im Jahr 2006 schlossen die Beteiligten eine Betriebsvereinbarung. Diese regelt unter anderem -
Eine wegen eines unvorhersehbaren Ausfalls eines Mitarbeiters (Krankheit, Urlaub u.ä.) notwendig werdende kurzfristige Rasterplanänderung bedarf keiner vorherigen Zustimmung des Betriebsrats. In dem Betriebsrat wöchentlich zu übergebendem Einsatzplan ist diese Änderung kenntlich zu machen. |
Die Betriebsvereinbarung enthält keine Klausel zur Nachwirkung. Der Betriebsrat hat sie gekündigt. Er besteht nun auf seine konkrete Mitbestimmung in den zahllreichen Einzelfällen der Schichtwechsel und Überstunden.
Die Entscheidung: freiwilliger Verzicht auf Mitbestimmung? |
1. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ist in Eilfällen nicht ausgeschlossen (vgl. BAG 8. Dezember 2015 – 1 ABR 2/14, Rn. 18).
2. Die Regelungsfrage, ob und ggf. in welcher Weise ein Dienstplan geändert werden muss, wenn dieser nicht wie geplant durchgeführt werden kann, wird vom Tatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG umfasst. Dieses Beteiligungsrecht wird beseitigt, wenn die Arbeitgeberin den Betriebsrat über eine Dienstplanänderung nur unterrichten muss und nach Gutdünken verfahren kann (vgl. BAG 9. Juli 2013 – 1 ABR 19/12, Rn. 37).
3. Auf einen von § 87 Abs. 2 BetrVG abweichenden Konfliktlösungsmechanismus können sich die Betriebsparteien zwar grundsätzlich einvernehmlich verständigen (vgl. BAG 8. Dezember 2015 – 1 ABR 2/14, Rn. 25). Als freiwillige Regelung iSd § 88 BetrVG unterliegt die Verfahrensregelung (unabhängig von der Frage, ob und inwieweit sie als solche wirksam gewesen ist) nicht der Nachwirkung.
⇒ LAG Berlin Brandenburg Beschluss 17.01.2019 – 26 TaBV 1175/18
Aus der Begründung |
Rn. 32: […] Mitbestimmungspflichtig sind der Schichtplan und dessen nähere Ausgestaltung bis hin zur Zuordnung der Arbeitnehmer zu den einzelnen Schichten sowie die Änderung von bereits aufgestellten Dienstplänen (vgl. BAG 9. Juli 2013 – 1 ABR 19/12, Rn. 16 mwN).
Rn. 33: […] Zulässig ist es auch, konkrete Grundregeln festzulegen, die der Arbeitgeber bei der Aufstellung von Schichtplänen einzuhalten hat. Diese müssen aber den Anforderungen an die ordnungsgemäße Ausübung der in Betracht kommenden Beteiligungsrechte des Betriebsrats genügen. Dies erfordert regelmäßig abstrakte und verbindliche Bestimmungen über die Ausgestaltung der unterschiedlichen Schichten und die Zuordnung von Arbeitnehmern zu den einzelnen Schichten. Vereinbaren die Betriebsparteien solche Regularien, kann die Aufstellung der einzelnen Schichtpläne dem Arbeitgeber überlassen werden.
Rn. 36: […] Grundsätzlich besteht aber gerade auch in Eilfällen ein Mitbestimmungsrecht.
Rn. 40: […] Die Regelungsfrage, ob und ggf. in welcher Weise ein Dienstplan geändert werden muss, wenn dieser nicht wie geplant durchgeführt werden kann, wird vom Tatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG umfasst. Dieses Beteiligungsrecht wird beseitigt, wenn die Arbeitgeberin den Betriebsrat über eine Dienstplanänderung nur unterrichten muss und nach Gutdünken verfahren kann (vgl. BAG 9. Juli 2013 – 1 ABR 19/12, Rn. 37).
Rn. 41: Auf einen von § 87 Abs. 2 BetrVG abweichenden Konfliktlösungsmechanismus können sich die Betriebsparteien zwar grundsätzlich einvernehmlich verständigen (vgl. BAG 8. Dezember 2015 – 1 ABR 2/14, Rn. 25). Als freiwillige Regelung iSd § 88 BetrVG unterliegt die Verfahrensregelung (unabhängig von der Frage, ob und inwieweit sie als solche wirksam gewesen ist) nicht der Nachwirkung. Es handelt sich um einen abgrenzbaren Regelungsbereich.
Was tun? |
Manchmal verzichten Betriebsräte blauäugig auf die Mitbestimmung gerade in den Fällen, in denen die Kolleginnen Beistand brauchen: Bei Überstunden und beim Holen aus dem Frei. Betriebsvereinbarungen oder Einigungsstellensprüche enthalten oft mehrere Regelungsgegenstände.
Mit der Zeit erkennt der Betriebsrat, dass so manche Gegenstände unerträglich geregelt sind. Und er entdeckt, dass die Vereinbarung – geschlossen mit anwaltlicher Unterstützung – zur Zwangsjacke geworden ist.
Welche Regelungen können durch eine bloße Kündigung beseitigt werden, welche wirken danach weiter bis zu einer Neuregelung? Heilt die 'salvatorische Klausel' am Ende der Vereinbarung selbst schwere Verstöße gegen den Tarifvorbehalt des BetrVG § 77, die Tarifsperre in § 87 Abs. 1 oder die Pflicht zur Mitbestimmung? Wirken so auch rechtswidrige Regeln nach?
Ein Streit darüber zieht sich über die Rechtsinstanzen – wertvolle Zeit geht verloren. Im ersten Schritt gilt es, den Weg für eine zeitnahe Neuregelung freizumachen:
Die Betriebsvereinbarung …….. vom ……… ist nichtig. Denn der Betriebsrat kann die seiner Mitbestimmung unterworfenen Maßnahmen nicht wirksam dem Gutdünken des Arbeitgebers überlassen (zuletzt: LAG Berlin Brandenburg Beschluss 17.01.2019 – 26 TaBV 1175/18). |
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] aufzeichen lassen, Zwangsgeld, Urlaubsrechner (08.08.2019)
Arbeitszeit aufzeichnen lassen |
Wir haben Zweifel, ob Aufsichtsbehörden die Pflicht der Arbeitgeber, alle Arbeitszeit aufzuzeichnen, notfalls über die Verhängung von Ordnungsgeldern durchsetzen. Gesetzliche Interessenvertretungen können sich selbst durchschlagen:
»Der Arbeitgeber hat seinen Betrieb so zu organisieren, daß er die Durchführung der geltenden Gesetze, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen selbst gewährleisten kann. Er muß sich deshalb über die genannten Daten in Kenntnis setzen und kann dem Betriebsrat die Auskunft hierüber nicht mit der Begründung verweigern, er wolle die tatsächliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer wegen einer im Betrieb eingeführten 'Vertrauensarbeitszeit' bewußt nicht erfassen.«
⇒ BAG Beschluss 06.05. 2003 – 1 ABR 13/02
Vielleicht mag der Arbeitgeber den Schritt zur Überwachung der Schutzregeln nicht von selbst gehen. Da kann nachgeholfen werden. Das zeigte ein Betriebsrat aus Minden. Dessen Arbeitgeberinnen hatten erklärt, sie würden auf die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung verzichten. Sie verweigerten sich auch einer Einigungsstelle.
Der Betriebsrat erreichte im Bestellverfahren die Einsetzung einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand 'Einführung und Anwendung einer elektronischen Zeiterfassung'. Dagegen zogen die Arbeitgeberinnen vor das Landesarbeitsgericht. Das entschied –
»Die Einigungsstelle ist jedenfalls nicht offensichtlich unzuständig, wenn der Betriebsrat sich auf ein Initiativrecht zur Einführung einer elektronischen Zeiterfassung beruft (Anschluss an LAG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse v. 22.01.2015, 10 TaBV 1812/14 und 10 TaBV 2124/14).«
⇒ LAG Beschluss 04.06.2019 – 7 TaBV 93/18
Grundlagen |
§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG regelt die erzwingbare Mitbestimmung bei 'Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen'. Die Arbeitgeberin berief sich vergeblich auf eine BAG-Entscheidung aus 1989, nach der es sich bei diesem Mitbestimmungsgegenstand lediglich um ein Abwehrrecht des Betriebsrates bezüglich zügelloser Digitaler–Überwachung handele.
Tipp: Gesundheitsschutz |
§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bietet mit 'Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften' zusätzlich einen anderen, anders umstrittenen Ansatz. Hier ist durch Vereinbarung der Betriebsparteien zu regeln, wer was wie aufzeichnet und aufbewahrt. Je vielfältiger die Arbeitzeitmodelle, je größer die Flexibilität im Betrieb, umso eher ist eine elektronische Lösung zur Arbeitszeit-Dokumentation geeignet, notwendig und dem Arbeitgeber zumutbar.
Wird im Betrieb die Erfassung von Arbeitszeiten bereits elektronisch unterstützt? Dann genügt eine kleine, erzwingbare Betriebsvereinbarung:
Die Arbeitgeberin zeichnet die Arbeitszeit der Arbeitnehmer/innen im Sinne BetrVG § 5 ab dem …….. auf. |
'Die' Arbeitszeit umfasst die gesamte Arbeitszeit. Mit dieser Betriebsvereinbarung gewinnt die Interessenvertretung zugleich den Anspruch auf deren Durchführung. Werden Zeiten ausgeklammert, übersehen, vergessen, bestritten? Dann kann sie gerichtlich erzwingen, diese Dokumentation nachzuholen.
Beurteilen, festlegen und einweisen |
Manchmal hilft es, wenn die gesetzliche Interessenvertretung den Arbeitgeber zur Arbeit treibt. Angst vor Strafe setzt in Bewegung. Drohende Kosten wirken Wunder.
An die |
Werkzeug: Urlaubs-Rechner |
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] treulos mitbestimmen – Zeitschuld (27.06.2019)
Zustimmung verweigert |
Leitsatz: »Den Unterlassungsansprüchen des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 BetrVG und § 23 Abs. 3 BetrVG kann in besonders schwerwiegenden und eng begrenzten Ausnahmefällen der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung nach § 2 Abs. 1 BetrVG entgegenstehen.«
⇒ BAG 12.03.2019 – 1 ABR 42
Hier hat ein Betriebsrat aus einem kleinen niedersächsichen Krankenhaus ein über Jahre geführtes Verfahren in letzter Instanz verloren. Und alle, Betriebsräte, Personalräte, Mitarbeitervertretungen und Aktive können dabei einiges für ihre Praxis lernen. Also: Keinesfalls ein Totalschaden.
Der Fall |
Im Jahr 2015 gibt es in einem tarifgebundenen niedersächsischen Krankenhaus (Helios HerzbergWo und wie sind Ruhepausen geregelt?
§ 4 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) regelt die Ruhepausen. Die Ruhepause gilt zwingend und kann auch nicht als Absprache zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer als nichtig oder nicht notwendig abgetan werden. einvernehmlich abbedungen werden. D.h. Arbeitnehmer*innen können nicht eigenständig entscheiden, ob und wann sie eine Ruhepause machen, vielmehr ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Einhaltung der Ruhepausen zu gewährleiliesten und dafür Sorge zu tragen, dass diese auch durchgeführt werden.
, 314 Arbeitnehmer, Auszubildende und Praktikanten) Streit um die monatlichen Dienstpläne. Der Betriebsrat kritisiert die aufgelaufene unbezahlte Vorwegarbeit und die unzureichenden Stellenpläne. Der Geduldsfaden reißt, der Konflikt eskaliert. Der Betriebsrat hat schlechte Erfahrungen mit Einigungsstellen und verweigert sich der gemeinsamen Anrufung. Er blockiert wiederholt das arbeitsgerichtliche Bestellverfahren. Dann erhöht er den Druck. Gerichtlich will er erreichen, dass der Arbeitgeber sich an die nicht geeinten aber von ihm einseitig durchgeführten Schichtpläne hält. Bei Schichtwechsel, Überstunden und Einspringen soll ein Ordnungsgeld verhängt werden.
Die Entscheidung |
Der Betriebsrat kann nicht verlangen, dass der Arbeitgeber rechtswidrige weil nicht abschließend mitbestimmte Anordnungen zur Arbeitszeit durchführt. Fraglich bleibt, ob der Betriebrat so mit Ordnungsstrafen die Nicht-Anordnung und Nicht-Duldung der Arbeitszeit in den Arbeitsbereichen erzwingen könnte. Denn falls der Betriebsrat sich dem Mitbestimmungsverfahren und dem vertrauensvollen Zusammenwirken gezielt entzieht, verwirkt er seinen Anspruch auf Unterlassung.
Aus der Begründung |
Randnummer 39:
Der Zweck des Mitbestimmungsrechts besteht darin, die Interessen der Arbeitnehmer an der Lage ihrer Arbeitszeit und damit zugleich ihrer freien und für die Gestaltung ihres Privatlebens nutzbaren Zeit zur Geltung zu bringen. Das Mitbestimmungsrecht betrifft dementsprechend die Lage der Grenze zwischen Arbeitszeit und Freizeit.
Randnummer 57:
Sein Einwand, die von der Arbeitgeberin aufgestellten Dienstpläne seien angesichts ihres Personalbestands nicht funktionsfähig, verkennt, dass er die Ausübung des ihm bei der Aufstellung von Dienstplänen nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG obliegenden Mitbestimmungsrechts nicht ohne Weiteres ablehnen kann. Dies liefe auf einen rechtlich unzulässigen Verzicht auf die Ausübung eines Mitbestimmungsrechts hinaus […]. Soweit der Betriebsrat auf die Gesetzes- und Tarifwidrigkeit der Dienstpläne verweist, fehlt es vorliegend an einer Konkretisierung dieses Vorwurfs; der bloße Verweis auf erhebliche Zeitguthaben einzelner Mitarbeiter reicht hierfür nicht. Unabhängig davon entbinden ihn etwaige Verstöße einzelner Dienstpläne gegen gesetzliche und tarifliche Vorgaben nicht von seiner Verpflichtung, sein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG wahrzunehmen.
Randnummer 69:
Der Arbeitgeber ist im Rahmen von § 87 BetrVG grundsätzlich nicht berechtigt, mitbestimmungspflichtige Maßnahmen – auch nicht zeitweise oder vorläufig – ohne Beteiligung des Betriebsrats fortzuführen. Dementsprechend kann der Betriebsrat dies auch nicht von ihm verlangen.
Ein paar Tipps |
Wir lehrten in den Seminaren und Veranstaltungen bislang: Ein Betriebsrat – anders als Personalrat oder MAV – braucht seine Verweigerung zu Maßnahmen der 'großen' Mitbestimmung nicht begründen. Es genügt zu schweigen. Der Arbeitgeber muss – will er dennoch die Maßnahme durchführen – den Konflikt zuvor auflösen.
Von nun an werden wir dem einen Hinweis hinzufügen: Es genügt meist, den Kolleginnen in den Arbeitsbereichen mitzuteilen, dass die rechtswidrigen Anweisungen des Arbeitgebers für sie unverbindlich bleiben. Wer diese Anweisungen tatsächlich blockieren will, muss sich zumindest bemüht zeigen, die zeitnahe Konfliktlösung voranzubringen.
Geht es um Schichtpläne, die Verteilung der Arbeitszeit und der Pausen? Dann sollten wir weder vor Gericht noch in einer Einigungsstelle mit 'Überlastung' oder 'Unterbesetzung' argumentieren. Dies sind Themen des Gesundheitsschutzes – also eigenständige und von den Plänen getrennte Mitbestimmungs-Gegenstände. Vielleicht haben die Betriebsparteien eine belastbare Vereinbarung über notwendige Schichtstärken oder Personalschlüssel. Doch der Arbeitgeber kann erfolgreich vortragen, dass seine Schichtpläne vier bis sechs Wochen im voraus nicht zwingend das später tatsächlich benötigte oder eingesetzte Personal abbilden sollen. Es könnte ja zu kurzfristigen Verstärkungen durch Versetzungen oder Neueinstellungen kommen, oder zu Patienten-Verlegungen.
Wir erkennen vielleicht beim ersten Blick auf die Pläne: Das kann und wird so nicht gut gehen! Arbeitsrichter erkennen das nicht. Und sie verweisen uns darauf, dass wir gegen nicht mibestimmte Überstunden und Übergriffe später mit saftigen Ordnungsstrafen vorgehen können.
Stattdessen gibt es zwingendere Argumentationsmuster: Die Freizeit-Wünsche der Kolleginnen sollen erfüllt werden – vielleicht reicht das Personal ja auch dafür. Wir lehnen Massierungen von Arbeitszeit und Überplanung ab. Wir bestehen auf eine frühzeitige feste Organisierung der Pausen, gemeinsam und zu den für die Kolleginnen auskömmlichen Zeiten.
Werkzeug: Zeitschuld-Rechner |
Das bisherige Tool wurde komplett überarbeitet.
Es läuft im Browser, ebenso mit Mobilphone.
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Aufzeichen – Verzugspauschale – Werkzeuge (05.06.2019)
Aufzeichnung der Arbeitszeit |
Arbeitgeber müssen die Aufzeichnung der Arbeitszeiten organisieren. Auch in deutschen Betrieben. Das 'Wie' bleibt ihnen und uns überlassen. Der Sturm um die angebliche Rückkehr der Stechuhr findet im Wasserglas statt.
⇒ EuGh Urteil 14. Mai 2019 – C-55/18
Die europäischen Richter/innen haben klare Worte gefunden. Damit sind sie denen auf die Füße getreten, die sich gerade voll Appetit auf den Weg ins Flexi-Schlaraffenland 'Arbeit 4.0' machen wollen. Entscheidungsgrundlage für das Urteil des EuGH waren dabei neben der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88 auch Artikel. 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union -
Gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen |
Schichtplan-Fibel Sondertage Aufzeichnen der Arbeitszeit |
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Wir werden die Chancen und Widrigkeiten der Dokumentationspflichten durchleuchten und beraten. Dazu bieten wir zwei Sonder-Seminartage - 15.10.2019, nr. D3-196838-085 und 12.11.2019, nr. D3-196839-085 , jeweils im Düsseldorfer DGB Haus (gegenüber Hbf). |
40 € Verzugspauschale |
Uns hat die Verzgspauschale über 40 € (§ 288 Abs. 5 BGB) gut geschmeckt. Sie würzt jede Geltendmachung chronisch verweigerter Überstundenvergütung.
Der 8. Senat des BAG hatte uns da in die Suppe gespruckt und dies recht waghalsig begründet (⇒ BAG Urteil 25.09.2018 – 8 AZR 26/18). Er hebelte aus, was er für eine 'überschießende Umsetzung' europarechtlicher Vorgaben hielt. Wir berichten im Newsletter (26.01.2019).
Landesarbeitsgerichte haben dies früher anders gesehen. Nun wurde ein Hoffnungsschimmer veröffentlich. Auch weiterhin gibt es Arbeitsrichter, die das anders als das BAG sehen. Die Kölner haben sich zudem die Mühe gemacht, ihre abweichende Auffassung systematisch zu begründen. Und sie sprachen einer Kollegin für zwei Monate, in denen Vergütungsbestandteile fehlten, jeweils 40 € zu.
⇒ ArbG Köln Urteil 14.02.2019 – 8 Ca 4245/18
Interessant: Weil der Streitwert in solchen Verfahren meist niedrig ist, bleibt den Unterlegenen keine Revision bei den übergeordneten Gerichten. Also lohnt es sich, einmal jeweils das Arbeitsgericht am Ort zu testen. Die 40 € gehören also weiterhin in jede schriftliche Geltendmachung.
Werkzeug: TVöD – in € und Stunde |
Das Tool ist komplett überarbeitet.
Es läuft im Browser, ebenso mit Mobilphone.
(Nachteil: Das Tippen und Wischen braucht manuelle Geduld.
Vorteil: Mit einem Lesezeichen auf dem Smartphone hilfst Du Dir nun immer und überall.)
Werkzeug: Der 'Urlaubs-Nachrechner' |
Übernächtigt wurde schnell auch noch ein Urlaubsanspruchsrechner fertig. Wer ein wenig damit experimentiert, stößt auf betriebliche Missstände bei der Urlaubs-Umrechnung.
betrifft: [⏰ Schichtplan-Fibel aktuell] Bereitschaftsdienst Pauschalierungen (01.04.2019)
'Faktorisierte' Freizeit für Bereitschaftsdienst (TVöD-B) |
Die Bundearbeitsrichter untersuchten, wie zusätzlicher Bereitschaftsdienst (über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus) im TVöD-B ausgeglichen werden kann. Sie untersuchten zugleich die Rechtsvoraussetzungen dieser Zumutungen. Die Verrechnung mit der regelmäßigen Arbeitszeit schloßen sie aus.
⇒ BAG Urteil 17.01.2019 – 6 AZR 17/18
Der Fall |
Die Beklagte ist nicht Mitglied in einem Arbeitgeberverband, hat aber über die Arbeitsverträge den TVöD-B in Bezug genommen (mittelbare Bindung). Bei ihr ist ein Betriebsrat gebildet.
Der hat als Ausgleichszeitraum für die Schichtarbeit 'bis zu ein Jahr' vereinbart. Tatsächlich wird in 12-tägigen Rhythmen gearbeitet, welche sowohl zu Schichten aus regelmäßiger Arbeitszeit als auch zu knapp 12-stündigen nächtlichen Bereitschaftdiensten heranziehen. Diese Bereitschaftsdienste rechnet der Arbeitgeber je Stunde mit 25 v.H. auf die regelmäßige Zeitschuld an. Unterm Strich verbringen die Kolleginnen deutlich mehr Zeit im Betrieb bei fast unverändertem Entgelt.
Eine Betriebsvereinbarung fehlt hierzu.
Die Klage gegen diese Praxis geht zwar für die Kollegin verloren. Denn der Feststellungsantrag wurde versehentlich so umfassend gefasst (Globalantrag), dass dem Gericht auffiel: Mit einem Arbeitszeitkonto gemäß § 10 TVöD-B und einer Buchungserklärung einzelner Kolleginnen wäre eine solche Praxis zumindest theoretisch denkbar.
Doch gewohnt gründlich dekonstruierte der 6. Senat dabei die tarifvertraglichen Regeln. Und dies nützt uns allen.
Die Entscheidung |
1.) keine regelmäßige Arbeitszeit |
Die Tarifvertragsparteien des TVöD-B haben […] die Formulierung 'außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit' gewählt und damit deutlich gemacht, dass der Bereitschaftsdienst unabhängig von der arbeitszeitrechtlichen Betrachtung von der regelmäßigen Arbeitszeit zu unterscheiden und zusätzlich dazu zu erbringen ist (vgl. BAG 30. Januar 1996 – 3 AZR 1030/94 – zu I 3 c der Gründe). […]
Bezogen auf die regelmäßige Arbeitszeit ist der Bereitschaftsdienst eine zusätzliche Leistung […]. Er kann nicht anstatt der regelmäßigen Arbeitszeit angeordnet werden […] und ist zu unterscheiden von Bereitschaftszeiten iSv. § 9 TVöD-B, die innerhalb der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit liegen.
Der TVöD-B geht ebenso wie die anderen Tarifverträge des öffentlichen Dienstes davon aus, dass die Beschäftigten eine durchschnittliche regelmäßige Arbeitszeit (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b TVöD-B) schulden und damit den Anspruch auf das Tabellenentgelt (§ 15 TVöD-B) erwerben. Leisten Beschäftigte Bereitschaftsdienst iSv. § 7 Abs. 3 TVöD-B, haben sie einen zusätzlichen Anspruch auf Bereitschaftsdienstentgelt nach § 8.1 iVm. Anlage G TVöD-B. Die in § 8.1 Abs. 1 und Abs. 3 TVöD-B vorgesehene Faktorisierung der Zeit des Bereitschaftsdienstes dient nach § 8.1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 TVöD-B nur dem Zweck der Entgeltberechnung.
2.) Freizeitausgleich ist nicht Faktorisierung |
Die Abgeltung von Bereitschaftsdienstentgelt durch Freizeit setzt nach § 8.1 Abs. 6 iVm. § 10 Abs. 3 Satz 2 TVöD-B den Abschluss einer entsprechenden Betriebs- oder Dienstvereinbarung voraus. Liegt eine solche betriebliche Regelung vor, führt dies zu einer Verminderung der Sollarbeitszeit, denn Freizeitausgleich bedeutet, bezahlte Freizeit zu erhalten, statt Arbeitszeit ableisten zu müssen (BAG 22. Juli 2010 – 6 AZR 78/09 – Rn. 12, BAGE 135, 179; 17. März 2010 – 5 AZR 296/09 – Rn. 17). Im Ergebnis wird die Belastung des Bereitschaftsdienstes bei unveränderter Vergütung durch Freizeit kompensiert. Diesen Ausgleich kann der Arbeitgeber nicht einseitig, sondern nur auf Grundlage einer Vereinbarung mit dem Betriebs- oder Personalrat anordnen. Es ist mit § 8.1 Abs. 6 iVm. § 10 Abs. 3 Satz 2 TVöD-B nicht vereinbar, wenn der Arbeitgeber im Rahmen seines Direktionsrechts entscheiden könnte, ob geleistete Bereitschaftsdienste durch Freizeit ausgeglichen werden.
3.) Keine Freiheiten für Arbeitgeber |
Der TVöD-B beinhaltet mit § 7 Abs. 3, § 7.1 und § 8.1 ein in sich geschlossenes Regelungssystem bezüglich der Voraussetzungen und der Behandlung von Bereitschaftsdienst in arbeitszeitrechtlicher und vergütungsrechtlicher Hinsicht. In diesem System haben die Tarifvertragsparteien keinen Anlass gesehen, dem Arbeitgeber ein Recht zur einseitigen Anordnung von Freizeitausgleich zuzugestehen, wenn es zur Einhaltung der Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes erforderlich wäre […].
4.) Anders im TVöD-K |
§ 8.1 Abs. 7 TVöD-K ermöglicht dem Arbeitgeber im Bereich des ärztlichen Personals die einseitig bestimmte Gewährung von Freizeitausgleich statt Zahlung von
Bereitschaftdienstentgelt. Bezüglich der übrigen Beschäftigtengruppen der Krankenhäuser verlangt § 8.1 Abs. 8 TVöD-K für einen Freizeitausgleich dessen Erforderlichkeit
zur Einhaltung der Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes, eine entsprechende Regelung in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung oder eine Zustimmung
des betroffenen Beschäftigten […].
5.) Vertragliche Vorgaben |
§ 8.1 Abs. 7 TVöD-K ermöglicht dem Arbeitgeber im Bereich des ärztlichen Personals die einseitig bestimmte Gewährung von Freizeitausgleich statt Zahlung von Bereitschaftsdienstentgelt. Bezüglich der übrigen Besch&